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Aktuelle Version vom 16. Dezember 2022, 06:10 Uhr
1. Grundlagen
Der Begriff Markt bezeichnet in der Wirtschaftswissenschaft einen (virtuellen) Ort, an dem Angebot an und Nachfrage nach Gütern aufeinandertreffen. Das wesentliche Merkmal eines Marktes ist dabei die dezentrale, selbstorganisierende Koordination von Angebot und Nachfrage über Wettbewerbsprozesse (Wettbewerb) und Preissignale. Von Preissignalen gehen Anreize an einzelne Anbieter und Nachfrager aus, ihre individuellen Angebots- und Nachfragepläne so abzuändern, dass sich Angebot und Nachfrage mengenmäßig aufeinander zu bewegen (Koordination) und nicht dauerhaft voneinander weg. Im Modell endet dieser Koordinationsprozess im Gleichgewicht, weil von Änderungen der Rand- und Rahmenbedingungen abstrahiert wird. In der Realität sorgen hingegen permanente Änderungen der Rand- und Rahmenbedingungen dafür, dass Angebot und Nachfrage immer wieder auseinander getrieben werden und neuer Koordinationsbedarf besteht. Insofern ist der ausgleichende Marktprozess permanent.
2. Klassische Marktformen
In der hypothetischen M. des homogenen Polypols (auch als vollkommener oder perfekter Markt bezeichnet) wird der immanente Koordinationsmechanismus abstrakt isoliert und modelltheoretisch idealisiert. Hierfür wird eine Reihe von Annahmen getroffen, u. a. gibt es so viele Anbieter und Nachfrager, dass jeder Einzelne zu klein ist, um den Marktpreis alleine zu beeinflussen (Polypol). Zudem wird von homogenen Gütern, vollkommener Information aller Beteiligten sowie der Abwesenheit von Transaktionskosten und Innovationen ausgegangen. In diesem Modell lässt sich der marktimmanente Koordinationsmechanismus isoliert betrachten und darstellen, weswegen es zu analytischen Zwecken von großer Bedeutung ist. Gleichzeitig lässt sich diese M. in der Realität in strenger Form nicht vorfinden.
Reale Märkte lassen sich meist mit der M. des Oligopols in geeigneter Weise beschreiben. Hier wird ein weiteres wesentliches Marktphänomen direkt modelliert, nämlich die strategische Interdependenz zwischen den Anbietern eines Wettbewerbsmarktes: der Erfolg einer Unternehmensstrategie hängt in oligopolistischen Wettbewerbsmärkten nicht nur von der Qualität der Strategie selbst, sondern auch von der Reaktion der Wettbewerber auf diese Strategie ab. Damit bestehen zwei Restriktionen für die strategische Handlungssituation der Wettbewerber, nämlich wie immer die Reaktion der Nachfrager und hier bes. die Reaktion der anderen Wettbewerber. In Oligopolen finden sich somit die eigentlichen Wettbewerbsprozesse, in denen Anbieter mit Strategien wie Preissetzung, Gestaltung der Produkteigenschaften, Produktdifferenzierung, Produkt- und Prozessinnovationen, Werbung etc. konkurrieren. Dementsprechend vielfältig ist diese M. In der Industrieökonomik werden folglich zahlreiche Modelle zu ihrer Analyse eingesetzt, welche zur empirischen Analyse konkreter Oligopolmärkte maßgeschneidert und mit realen Marktdaten kalibriert werden können (bspw. mit Hilfe von ökonometrischen Methoden [ Ökonometrie ] und Simulationsmodellen). Die meisten Modelle bauen dabei auf den beiden Grundformen Mengenwettbewerb (Cournot-Wettbewerb) und Preiswettbewerb (Bertrand-Wettbewerb) auf. Wettbewerb über die angebotenen Mengen als hauptsächlicher strategischer Variable ist dabei häufig in Märkten mit vergleichsweise homogenen Gütern und niedrigen Anbieterzahlen (enge Oligopole) auffindbar. Preiswettbewerbsmodelle erweisen sich insb. bei der Analyse von Märkten mit stark heterogenen Gütern (Produktdifferenzierung, Relevanz von Marken) als leistungsfähig. Während Cournot-Oligopole zu geringer Wettbewerbsintensität und Kollusion (gleichgerichtetes Verhalten, Kartelle, koordinierte Effekte) neigen, stellt Bertrand-Wettbewerb bei heterogenen Gütern das Umfeld dar, in welchem die meisten Wettbewerbsstrategien beobachtet und analysiert werden können. Nur im selten zu beobachtenden Fall von Preiswettbewerb bei homogenen Gütern, welche von Anbietern ohne relevante Kapazitätsbeschränkungen produziert werden, spiegeln Bertrand-Modelle die Ergebnisse des homogenen Polypols. Bei Produktdifferenzierung und Markenpräferenzen der Nachfrager (heterogene Bertrand-Oligopole) ist hingegen eine Vielzahl von prowettbewerblichen Ergebnissen möglich, aber auch lokale und relative Marktmacht (unilaterale Effekte) können auftreten.
Gibt es in einem Markt nur einen Anbieter, so wird diese M. als Monopol bezeichnet. Monopole können im Wettbewerbsprozess bspw. infolge durchgreifender Innovationen entstehen. Diese Innovationsmonopole sind aber typischerweise temporär und werden durch Imitationskonkurrenz schnell wieder aufgelöst. Wenn ein Anbieter erheblich bessere Leistungen für die Nachfrager erbringt, also effizienter ist, und damit die Konkurrenten aus dem Markt drängt, können unter speziellen Umständen ebenfalls Monopole entstehen. Je größer ein Markt ist und umso vielfältiger die Güter und Leistungen sind, die auf einem Markt gehandelt werden, umso unwahrscheinlicher ist allerdings eine marktimmanente, dauerhafte Monopolbildung. Man spricht von einem natürlichen Monopol, wenn die Kostenstruktur der Produktion eines (weitgehend) homogenen Gutes subadditiv ist, also wachsende Mengen von einem Anbieter bis zur Marktmenge zu sinkenden Grenzkosten produziert werden können. Leitungsnetze wie das Stromleitungs- oder das Wasserrohrnetz stellen Beispiele dar. Die meisten der in der Realität dauerhaft bestehenden Monopole werden in irgendeiner Weise durch den Staat vor Konkurrenz geschützt (Monopolprivilegien). Außer den seltenen natürlichen Monopolen ist im Marktprozess hingegen eher keine Monopolisierung zu erwarten. Allerdings kann es zu Quasi-Monopolen kommen, also Märkten, in denen es strenggenommen zwar mehr als einen Anbieter gibt, aber einer der Anbieter so deutlich größer ist als die anderen, dass er über eine ähnliche Marktmacht verfügt wie ein Monopolist. Tritt die Situation auf, dass eine Reihe von wettbewerblichen Anbietern nur einem Nachfrager gegenüberstehen, liegt ein Monopson vor. Dies ist v. a. in B2B-Marktbeziehungen, bspw. bei Zulieferern denkbar. Persistente Monopole schädigen die Wohlfahrt, weil sie zu einer ineffizienten Bereitstellung von Gütern führen (höhere Preise bei geringeren Mengen), die Innovationsdynamik erheblich verlangsamen und zu einer Ausbeutung der Nachfrager (zur Bereicherung des Monopolisten) führen. Persistente Monopsone bergen die Gefahr einer Ausbeutung der Anbieter durch die Erzwingung ineffizient niedriger Preise. Der vor Konkurrenz geschützte Monopolist oder Monopsonist unterliegt nur noch einer Restriktion, nämlich jener durch die Nachfrager, aber keiner Restriktion durch Reaktionen der Wettbewerber.
Eine bes. M. stellt eine Börse dar. Hierbei handelt es sich um einen zentral organisierten Markt, in welchem Anbieter und Nachfrager sich nicht dezentral selbst-koordinieren, sondern durch die Börsenzentrale fremd-koordiniert werden. Als anonyme Märkte, d. h. Anbieter und Nachfrager kennen sich nicht, sondern werden durch die Börse „gematcht“ und wickeln ihren Teil der Transaktion ausschließlich mit der Börse ab, eignen sich Börsen ausschließlich für homogene Güter (Aktien einer Kapitalgesellschaft, Anteilsscheine, Rohstoffe etc.) oder Unikate (Schuldverschreibungen, Kunst). Durch die Kombination aus zentraler Koordination und Anonymität weisen Börsen grundsätzlich bes. Funktionsprinzipien und Phänomene (wie bspw. Übertreibungseffekte, sogenannte Blasen) auf.
3. Neue Marktformen
Im Zuge der Digitalisierung und der Verbreitung der Onlinewirtschaft werden in der letzten Dekade zunehmend zwei erweiterte M. diskutiert: Plattformmärkte und datenbasierte Märkte.
Im klassischen Modell zweiseitiger Märkte bedient eine Plattform, oder ein Intermediär, mindestens zwei voneinander abgrenzbare und unterschiedliche Nachfragegruppen. Der Intermediär verbindet die beiden Marktseiten und vermittelt Transaktionen. Die Besonderheit dieser Marktstruktur ist, dass die distinkten Kundengruppen der Plattform durch indirekte Netzeffekte miteinander verbunden sind. Das bedeutet, dass sie nicht vorrangig von der Größe ihres eigenen Netzwerks profitieren, sondern eine indirekte Verbindung mit den Teilnehmern der anderen Marktseite haben. Diese indirekten Netzeffekte können positiv als auch negativ sein. Ein privater TV-Sender bspw. bietet Inhalte für Rezipienten sowie eine Plattform für Werbekunden. Bei positiven indirekten Netzwerkeffekten profitiert die eine Marktseite indirekt von der Größe des zweiten Netzwerks. Je mehr Zuschauer der TV-Sender erreicht (Größe der einen Nachfragegruppe), umso interessanter wird die Plattform für Werbekunden (die Mitglieder der anderen Nachfragegruppe). Die Rezipienten üben entspr. einen positiven indirekten Netzwerkeffekt auf die Werbetreibenden aus. Da zahlreiche Werbeunterbrechungen von Zuschauern zumeist als störend empfunden werden, ist von einem negativen indirekten Netzwerkeffekt in die andere Richtung auszugehen. Es lassen sich viele Beispiele zweiseitiger Märkte in unterschiedlichen Branchen identifizieren, wie Kreditkartenmärkte, Dating-Webseiten oder Reisebüros. In der Medienbranche ist häufig eine Werbefinanzierung anzutreffen, wie bei Zeitungen, Rundfunk oder werbeunterstützten Internetseiten.
Da beide Märkte nicht unabhängig voneinander betrachtet werden können, bestimmt die Art und Stärke der Netzeffekte die Preise auf Plattformmärkten. Es kann sogar gewinnoptimierend sein, Verluste auf der Plattformseite hinzunehmen, von der ein starker Effekt ausgeht, um auf der anderen Plattformseite wesentliche Erfolge generieren zu können. So können z. B. hohe Preise bei Werbekunden erzielt werden, während die Zuschauer Inhalte entgeltfrei konsumieren. Die besonderen Eigenschaften von Plattformen sollten auch bei einer Bewertung von Marktmacht und Monopolisierung in Betracht gezogen werden. So sind Plattformmonopole weniger ineffizient als sonstige Monopole. Durch starke direkte und indirekte Netzwerkeffekte wird zudem eine Konzentration auf wenige Anbieter bis hin zum Monopol begünstigt. Auch wenn Plattformmärkte deswegen wohl bestenfalls enge Oligopole sein werden, so steht dies in vielen Fällen einem nachhaltigen Wettbewerb zwischen Plattformen nicht entgegen, wenn Kompatibilität und niedrige Wechselkosten zwischen den Plattformen ebenso gegeben sind wie heterogene Präferenzen der Nutzer, multi-homing und Innovationsdynamik. Eine Gefahr für die Wohlfahrt liegt freilich in der strategischen Beschränkung dieser wettbewerbsfördernden Faktoren durch einzelne marktmächtige Plattformen.
Die vermittelnde Plattform kann auch mehr als zwei Seiten miteinander verbinden (mehrseitige Märkte). Die grundlegende Theorie bleibt dabei unberührt. Über die Plattform werden schlicht mehr als zwei Märkte miteinander verbunden. In den sozialen Medien (Social Media) werden aus ökonomischer Sicht bspw. Content-Anbieter, Content-Konsumenten und Werbekunden miteinander verbunden.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass ein zweiseitiger Markt vorliegt, wenn eine Plattform mindestens zwei verschiedene und eindeutig unterscheidbare Marktseiten verbindet, die durch indirekte Netzwerkeffekte miteinander verbunden sind. Durch diese Verbindung werden Transaktionskosten gesenkt und die indirekten Netzeffekte internalisiert.
Bei datenbasierten Märkten handelt es sich um Märkte auf denen personalisierte Daten als Zahlungsmittel genutzt werden. Diese Daten ersetzen (teilweise) die Funktionsweise herkömmlicher, monetärer Zahlungsmittel. Der Begriff „personalisiert“ bezieht sich dabei auf die Zuordnung von Informationen zu einer Person hinsichtlich objektiv beurteilbarer Kriterien, wie Alter, Geschlecht, Wohnort, aber auch komplexeren Kriterien, wie Präferenzen, Vorlieben und Zahlungsbereitschaften. Bei letztgenannten wird in Offline-Märkten z. B. das Bewegungsprofil von Kunden im Laden beobachtet. Auf Online-Märkten ergibt sich zudem ein vielfältiges Beobachtungspotential hinsichtlich des Surf- und Einkaufsverhaltens, der verwendeten Suchbegriffe sowie von Präferenzbekundungen („likes“, Kommentare, Bewertungen etc.). Der Wert personenbezogener Daten ist nicht zu unterschätzen, sodass in einigen Fällen ganz auf einen klassischen Preis in Geldwährung verzichtet wird. Hier sind als Beispiele entgeltlose Smartphone-Applikationen oder Social Media-Plattformen zu nennen. Dabei ist zwischen verschiedenen Geschäftsmodellen zu unterscheiden:
a) personalisierte Werbung, die zielgruppengenau angepasst werden kann,
b) individualisierte Services, wie sie bei Suchportalen oder im E-Commerce zu finden sind, und
c) datenbasierte Preisdiskriminierung mit der Zielsetzung, die Zahlungsbereitschaft der Kunden zu ermitteln und ihre Zahlungsbereitschaft vollständig abzuschöpfen.
Nicht nur Produzenten können von datenbasierten Geschäftsmodellen profitieren, indem sie zusätzliche Umsätze generieren und/oder Profite steigern. Auch Konsumenten können durch individuelle Angebote Such- und Transaktionskosten reduzieren oder entgeltfreie Services nutzen. Aus diesem Betrachtungswinkel ist die Entwicklung wohlfahrts- und effizienzsteigernd. Demgegenüber stehen ökonomisch gesehen langfristige Kosten, die durch Intransparenz oder Informationsasymmetrien entstehen und zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht immer eindeutig zu identifizieren sind. So können Nutzer Wohlfahrtsverluste durch steigende Werbemengen erleiden, die personalisierten Daten können (ohne Beteiligung des Nutzers) an Dritte weiterverkauft werden und/oder einer Verwertung zugeführt werden, welche für den Nutzer zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht bekannt sein konnte. Dies kann auch Verletzungen der Privatsphäre einschließen. Neuere verhaltensökonomische Forschung zeigt zudem, dass datenbasierte Preisdiskriminierung typischerweise wohlfahrtssenkend wirkt, wenn auch „naive“ Nutzer im Markt auftreten, d. h. solche Nutzer, welche die Implikationen der Bereitstellung personalisierter Daten entweder nicht durchschauen oder sich dafür nicht interessieren. Auch auf Produzentenseite können Ineffizienzen entstehen, wenn viel Aufwand in Erhebung und Speicherung von Daten investiert wird, die nicht ausreichend verwertbar sind. Die Wohlfahrtswirkung dieser M. lässt sich daher nicht trivial bewerten.
Literatur
O. Budzinski: Wettbewerbsregeln für das Digitale Zeitalter? Die Ökonomik personalisierter Daten, Verbraucherschutz und die 9. GWB-Novelle, in: LiFo 43/3 (2017), 221–249 • O. Budzinski/M. Grusevaja: Die Medienökonomik personalisierter Daten und der Facebook-Fall, in: W. Seufert (Hg.): Media Economics Revisited, 2017, 33–54 • A. Acquisti/C. R. Taylor/L. Wagman: The Economics of Privacy, in: JEL 54/2 (2016), 442–492 • J. Haucap/T. Stühmeier: Competition and Antitrust in Internet Markets, in: J. Bauer/M. Latzer (Hg.): Handbook on the Economics of the Internet, 2016, 183–210 • P. Belleflamme/M. Peitz: Markets with intermediated goods, in: dies. (Hg.): Industrial Organization: Markets and Strategies, 2015, 647–685 • R. Dewenter/J. Rösch: Einführung in die neue Ökonomie der Medienmärkte, 2015 • R. Pindyck/D. Rubinfeld: Mikroökonomie, 82013 • M. Armstrong: Competition in Two-Sided Markets, in: RAND JE 37/3 (2006), 668–691 • J. Rochet/J. Tirole: Two-Sided Markets. A Progress Report, in: RAND JE 37/3 (2006), 645–667.
Empfohlene Zitierweise
O. Budzinski, S. Gaenssle: Marktformen, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Marktformen (abgerufen: 24.11.2024)