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Version vom 4. Januar 2021, 11:07 Uhr
I. Geschichtlich
Abschnitt druckenDas Wort euthanasía (vom griechischen eu~, gut, und thánatos, Tod) bezeichnete in der Antike entweder ein leichtes und schmerzloses Sterben oder aber einen guten und ehrenvollen Tod. Mit dem Vordringen christlicher Vorstellungen kam der Begriff außer Gebrauch, im ausgehenden Mittelalter und in der Frühen Neuzeit wurde er gelegentlich in die Tradition der ars moriendi gestellt. Um die Wende vom 18. zum 19. Jh. bekam der Begriff der euthanasia medica eine spezifisch ärztliche Ausrichtung. In der ersten Hälfte des 19. Jh. bedeutete er Sterbebegleitung ohne Lebensverkürzung und umfasste ärztliche und pflegerische Tätigkeiten am Sterbebett. Der Gedanke der Sterbehilfe wurde zu dieser Zeit in Schriften zur ärztlichen Berufsethik ausdrücklich zurückgewiesen – in scharfer Abgrenzung zu einzelnen Vertretern der Ärzteschaft, die damals bereits für eine Sterbehilfe bei unheilbar kranken Menschen plädierten.
Erst um die Wende vom 19. zum 20. Jh. verschob sich das Bedeutungsfeld des Begriffs E. so weit, dass es – was das Recht des Arztes über Leben und Tod anging – geradezu zu einer Bedeutungsumkehrung kam. Gegen Ende der 1920er Jahre war das Wort bereits zu einem Synonym für schmerzlose Tötung geworden. Dies war eine unmittelbare Folge der juristischen, medizinischen und philosophischen Diskussionen um Sterbehilfe und Tötung auf Verlangen, die in Deutschland mit der Schrift von Adolf Jost „Das Recht auf den Tod“ (Jost: 1895) einsetzte. Im Anschluss an die Schrift des Strafrechtlers Karl Bindung und des Psychiaters Alfred Erich Hoche über „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ (Bindung/Hoche 1920) spitzte sich die Diskussion auf die Tötung von Menschen mit schweren geistigen Behinderungen und unheilbaren psychischen Erkrankungen zu. Hier gab es Wechselwirkungen mit der parallel stattfindenden Diskussion um die Eugenik.
Vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges wurden die deutschen Heil- und Pflegeanstalten zum Schauplatz eines in der Weltgeschichte einzigartigen Massenmordes. Neueste Schätzungen gehen davon aus, dass in den Grenzen des Deutschen Reiches – einschließlich der annektierten Gebiete – etwa 196 000 psychisch erkrankte und geistig behinderte Menschen ermordet wurden. Rechnet man die etwa 80 000 Toten auf den besetzten polnischen, sowjetischen und französischen Territorien sowie die etwa 20 000 im Rahmen der „Sonderbehandlung 14f13“ in den E.-Zentren ermordeten KZ-Häftlinge hinzu, erhöht sich die Opferzahl nach gegenwärtigem Kenntnisstand auf fast 300 000.
Es sind verschiedene Formen und Phasen dieses Massenmordes zu unterscheiden:
a) die Erschießung und Vergasung von polnischen und deutschen Patienten in Pommern, Ostpreußen und im besetzten Polen zu Beginn des Zweiten Weltkriegs;
b) die Ermordung von 5 000 bis 10 000 behinderten Kindern und Jugendlichen in mehr als dreißig „Kinderfachabteilungen“ von 1939 bis 1945 durch überdosierte Medikamente und Nahrungsentzug;
c) die „Aktion T4“, die Vergasung von etwa 70 000 Psychiatriepatient/innen in sechs eigens mit Gaskammern ausgerüsteten „Tötungsanstalten“ (Grafeneck bei Münsingen, Hadamar bei Limburg, Brandenburg an der Havel, Bernburg an der Saale, Sonnenstein bei Pirna, Hartheim bei Linz) von Januar 1940 bis August 1941;
d) die „Sonderaktion“ gegen mehr als 1 000 jüdische Patient/innen im Jahre 1940;
e) die „regionale Euthanasie“, d. h. die Fortführung des Massenmordes nach dem Stopp der „Aktion T4“ in vielen Heil- und Pflegeanstalten ab August 1941, die nun nicht mehr zentral gesteuert, sondern von den Mittelinstanzen – den Landes- und Provinzialverwaltungen – getragen wurde.
Die E. war eine von einem Herrschaftsapparat bewusst und absichtlich ins Werk gesetzte, planrational durchgeführte, tendenziell vollständige Vernichtung einer fest umrissenen Gruppe von Menschen – sie erfüllt damit alle Kriterien eines Genozids (Völkermord). In der Geschichte des „Dritten Reiches“ markierte die E. den Umschlagspunkt von der Verfolgung zur Vernichtung. Bis 1939 hatte der nationalsozialistische Staat seine „inneren Feinde“ zwar entrechtet und entwürdigt, verfolgt und vertrieben, in Lager verschleppt, in vielen Fällen auch ermordet, eine systematische Vernichtung ganzer Menschengruppen hatte es jedoch nicht gegeben. In der Genesis der Shoa kam der E. die Rolle eines Katalysators zu – zwischen dem Krankenmord und den Morden an den europäischen Juden, Sinti und Roma, „Fremdvölkischen“ und „Gemeinschaftsfremden“ bestanden vielfältige Verbindungslinien.
Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ fungierte in der biopolitischen Entwicklungsdiktatur des Nationalsozialismus als Instrument einer Optimierung des „Volkskörpers“. Wohl kein anderer Genozid gründete sich in so hohem Maße auf den Sachverstand und die Mitwirkung von Experten aus der Medizin und den Biowissenschaften.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs standen das internationale Völkerrecht und die Rechtsprechung der Nachfolgerstaaten des Deutschen Reiches vor der Aufgabe, die Medizinverbrechen des NS-Regimes strafrechtlich zu ahnden. Der Nürnberger Ärzteprozess 1946/47 endete nicht nur mit der Verurteilung mehrerer Hauptverantwortlicher. Mit dem „Nürnberger Kodex“ schuf sich das Gericht darüber hinaus eine Beurteilungsgrundlage für verbrecherische Menschenversuche. Im Hinblick auf die aktive Sterbehilfe hat die strafrechtliche Aufarbeitung der E. kein dem Nürnberger Kodex vergleichbares Dokument hervorgebracht. Doch dürften die E.-Prozesse dazu beigetragen haben, dass die aktive Sterbehilfe in Deutschland lange Zeit ein Tabu gewesen ist und dass die aktuellen Debatten um eine Lockerung der Zulässigkeitsregeln von großer Sensibilität geprägt sind.
Literatur
G. Aly: Die Belasteten. „Euthanasie“ 1939–1945, 2013 • G. Hohendorf: Der Tod als Erlösung vom Leiden. Geschichte und Ethik der Sterbehilfe seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland, 2013 • M. Rotzoll u. a. (Hg.): Die nationalsozialistische „Euthanasie“-Aktion „T4“, 2010 • U. Benzenhöfer: Der gute Tod? Geschichte der Euthanasie und Sterbehilfe, 2009 • W. Süß: Der „Volkskörper“ im Krieg. Gesundheitspolitik, medizinische Versorgung und Krankenmord im nationalsozialistischen Deutschland 1939–1945, 2003 • H. Faulstich: Die Zahl der „Euthanasie“-Opfer, in: A. Frewer/C. Eickhoff (Hg.): „Euthanasie“ und die aktuelle Sterbehilfe-Debatte, 2000, 218–234 • H. Friedlander: Der Weg zum NS-Genozid, 1997 • H.-W. Schmuhl: Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 21992 • K. Binding/A. E. Hoche: Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens: Ihr Maß und ihre Form, 1920 • A. Jost: Das Recht auf den Tod, 1895.
Empfohlene Zitierweise
H. Schmuhl: Euthanasie, I. Geschichtlich, Version 22.10.2019, 17:30 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Euthanasie (abgerufen: 22.11.2024)
II. Philosophisch
Abschnitt druckenDer Begriff E. ist im Zusammenhang ärztlicher Erleichterungen des Sterbevorgangs gegenwärtig sowohl in den Benelux-Ländern als auch im angelsächsischen Schrifttum gebräuchlich. Im deutschen Sprachraum wird der Ausdruck „E.“ zumeist vermieden, weil er durch die Nationalsozialisten (Nationalsozialismus) verwendet wurde, um die gezielte Ermordung von für lebensunwert erklärten Menschen zu bezeichnen, welche an Behinderungen, erblichen Krankheiten und seelischen Krankheiten litten. Der im deutschen Sprachraum in der rechtspolitischen Diskussion übliche Terminus ist „Sterbehilfe“. Allerdings gibt es Anhaltspunkte dafür, dass eine semantische Differenz erst nach dem Zweiten Weltkrieg erkennbar wird. Zwar hatte der Leipziger Strafrechtler Karl Binding in seinen Darlegungen unter dem Titel „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ (1920) den Neologismus Sterbehilfe als unschön zugunsten des Begriffs der E. abgelehnt, doch benutzten die Nationalsozialisten in ihren Planungen und für die Tötungen Kranker und Behinderter neben dem Ausdruck „Gnadentod“ sowohl den Terminus „E.“ als auch „Sterbehilfe“. Gleichwohl hat sich in Deutschland die Überzeugung durchgesetzt, dass eine Diskussion des ethischen Dilemmas nur dann möglich ist, wenn eine eindeutige, auch begriffliche Abgrenzung von den Verbrechen und dem Sprachgebrauch der Nazis erfolgt. Dies sieht man zumeist mit dem Ausdruck „Sterbehilfe“ als gegeben an. Sowohl in der rechtswissenschaftlichen wie in der rechtspolitischen Diskussion hat sich dabei die Unterscheidung zwischen aktiver Sterbehilfe, passiver Sterbehilfe und indirekter Sterbehilfe etabliert.
1. Aktive, passive und indirekte Sterbehilfe
Aktive Sterbehilfe wird zumeist als direkte aktive Tötung verstanden und strafrechtlich unter dem Titel einer Tötung auf Verlangen bewertet, sofern die Einwilligung des Opfers vorliegt. Anders verhält es sich mit der passiven Sterbehilfe, unter der der Verzicht oder der Abbau von lebensverlängernden Maßnahmen verstanden wird, der das Eintreten des Todes zur Folge hat. Als solche Maßnahmen gelten vor allem die parenterale Ernährung (Infusion), die Ernährung über eine Sonde, der Einsatz von Respiratoren, die Gabe Herz und Kreislauf aktivierender Medikamente sowie die Behandlung hinzutretender Erkrankungen (z. B. durch Antibiotika). Unter den Begriff der indirekten Sterbehilfe fallen palliativmedizinische Maßnahmen, die eine Lebensverkürzung mitbewirken können. Insofern hier eine Tätigkeit vorliegt, spricht man auch von indirekter aktiver Sterbehilfe.
2. Suizidassistenz
Die Beihilfe zum Suizid unterscheidet sich von einer aktiven Tötung auf Verlangen dadurch, dass der Suizident die Herrschaft über den Tatverlauf hat. Beihilfe kann etwa durch die Beschaffung eines tödlichen Pharmakons geleistet werden. Solche tätige Beihilfe ist wiederum auch rechtlich von der Nichthinderung eines Suizids zu unterscheiden.
3. Ethisch-rechtspolitische Debatte
Die ethische und rechtspolitische Debatte um die Sterbehilfe hat ihr Zentrum in der unterschiedlichen Einschätzung der Erlaubtheit der aktiven Sterbehilfe. Argumente und Analogien, die in dieser Kontroverse eine Rolle spielen, zeigen die Komplexität der Situationen am Lebensende und der damit verbundenen moralischen Herausforderung. So begegnen Argumente, die von der Akzeptanz des Suizids auf die Legitimität der aktiven Sterbehilfe zielen, oder Vergleiche zwischen der passiven und der aktiven Sterbehilfe oder zwischen der gezielten Tötung und der Lebensverkürzung infolge einer Schmerztherapie. Andererseits wird das Verlangen von Kranken, Leidenden und Sterbenden nach aktiver Herbeiführung des Todes diskutiert, indem die bestehenden Verhältnisse der Palliativmedizin und der Sterbebegleitung auf ihre Verbesserungswürdigkeit und Verbesserungsfähigkeit befragt werden. Neben der Authentizität und der moralischen Berechtigung des Wunsches nach Sterbehilfe stehen vor allem die Folgen für die Rolle der Mediziner und für die Gesellschaft insgesamt bei Befürwortern wie Gegnern der Sterbehilfe zur Diskussion.
Trotz mannigfacher Verstöße und vielfältiger Einschränkungsmöglichkeiten wird das Tötungsverbot kultur- und epochenübergreifend als allgemeine Regel verstanden, welche für das Zusammenleben der Menschen eine fundamentale Rolle hat. Zu den möglichen und moralisch unter bestimmten Voraussetzungen relevanten Eingrenzungen gehören die Forderungen nach einem Verbot der Tötung Unschuldiger und auch nach dem Verbot der Fremdtötung. Im Rahmen der Sterbehilfediskussion ist darauf zu verweisen, dass das Verbot der Tötung Unschuldiger prinzipiell auch ein Selbsttötungsverbot einschließen kann. Klammert das Verbot der Tötung Unschuldiger vor allem die Notwehrsituation aus, so impliziert das Verbot der Fremdtötung eine separate Betrachtung des Suizids. Aufgrund der fundamentalen Bedeutung des Lebens hat die Rettung des Lebens generell einen hohen moralischen Stellenwert. Allerdings gibt es in der Betrachtung der Folgen intensivmedizinischer Behandlung und lebensrettender Maßnahmen in der Notfallmedizin seit langem und über die verschiedenen ethischen Einschätzungen hinweg einen weitgehenden Konsens über das Erfordernis der Therapiebegrenzung und des Behandlungsabbruchs auch im Interesse des Patienten. Die Linderung des Leidens tritt in dieser Phase in den Vordergrund und wird zur primären ärztlichen Verpflichtung.
Während die Forderung nach einem würdevollen Sterben sowohl von Befürwortern wie Gegnern der aktiven Sterbehilfe erhoben wird, ist die Selbstbestimmung, die in der Würde ihre Grundlage hat, das wichtigste Argument, dem Verlangen eines Sterbewilligen zu entsprechen, und damit das zentrale Argument für eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe. Die wenigen Vorstöße zu einer rechtlichen Liberalisierung der aktiven Sterbehilfe zeigen, dass zum Prinzip der Selbstbestimmung noch das Motiv des Mitleids hinzutreten muss, um einen Ausnahmetatbestand zum Tötungsverbot zu konstituieren. Für die Zurückhaltung aller Gesetzgeber in diesem Bereich sind auch die Zweifel an einer freien Willensbildung der nach Sterbehilfe Verlangenden ausschlaggebend. Denn es erweist sich als schwierig, die Authentizität des Wunsches zu prüfen und zu verifizieren. Wann ist der Suizidversuch Appell, wann ist er momentaner Ausdruck der Resignation?
Die Mehrzahl der Staaten geht nach wie vor davon aus, dass bei der Prüfung der Frage, ob die Freigabe der Tötung auf Verlangen eine ernste Schädigung des Gemeinwohls darstellen würde, die Beweislast bei demjenigen liegt, der die Tötung freigeben will. Auf dieser Grundlage gilt, dass die Tötung auf Verlangen – wenn überhaupt – nur unter sehr eingeschränkten und kontrollierten Bedingungen dem Zugriff des Strafrechts entzogen werden kann. Die weltweit bei weitem vorherrschende Position ist, sie als Straftat anzusehen, welche nur im Einzelfall Verständnis, Milderung der Strafe oder Straffreistellung erfahren darf. Ein wichtiger Grund hierfür ist die Sorge vor einem moralischen Dammbruch. Vor allem der Übergang von der Sterbehilfe in Situationen unerträglichen Leidens zur Sterbehilfe ohne diese Voraussetzung und der Übergang von der verlangten E. zur E. ohne Einwilligung werden als ein solcher Dammbruch gedeutet. Die Debatte um die Gültigkeit und Aussagekraft dieser Hinweise bezieht sich auf die Praxis der Sterbehilfe vor allem in den Ländern, in denen die aktive Sterbehilfe begrenzt legalisiert wurde. In der Kontroverse beziehen sich beide Seiten auf empirische Befunde und deuten diese zum Teil in unterschiedlicher Weise. Auch der Hinweis auf die Gefahr einer schwindenden Solidarität mit Leidenden und Sterbenden ist als ein Dammbruchargument zu deuten, wenn diese Gefahr aus der Legalisierung von aktiver Sterbehilfe unter bestimmten Bedingungen begründet wird.
Literatur
M. Fuchs/L. Hönings: Sterbehilfe und selbstbestimmtes Sterben, 2014 • M. Zimmermann-Acklin: Sterben als Aufgabe? Ethische Überlegungen zu schwierigen Entscheidungen am Lebensende, in: B. Winiger u. a.: Ethik und Recht in der Bioethik, 2013, 159–173 • C. Grimm/I. Hillebrand: Sterbehilfe, 2009 • Council of Europe (Hg.): Euthanasia, 2 Bde., 2004 • D. W. Brock u. a.: Death and Dying: Euthanasia and Sustaining Life, in: W. T. Reich (Hg.): Encyclopedia of Bioethics, 1995, 554–588 • B. A. Brody: Suicide and Euthanasia, 1989.
Empfohlene Zitierweise
M. Fuchs: Euthanasie, II. Philosophisch, Version 22.10.2019, 17:30 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Euthanasie (abgerufen: 22.11.2024)
III. Rechtlich
Abschnitt druckenE. ist kein Rechtsbegriff. Aber das Recht kennt der Sache nach den als E. bezeichneten Tatbestand. (Aktive) E. stellt rechtlich betrachtet die zum Zweck der Leidensbeendigung vorgenommene, vorsätzliche Tötung eines anderen Menschen mit dessen Einwilligung dar. Für die rechtliche Bewertung entscheidend ist die Frage, ob die Einwilligung des Getöteten wirksam ist und die Tat rechtfertigt.
Nach deutschem Strafrecht macht sich auch derjenige strafbar, der sich durch das ernstliche und ausdrückliche Verlangen des Getöteten zu dessen Tötung bestimmen lässt (§ 216 StGB). Selbst wer einen Schwerstkranken auf dessen Wunsch tötet, um sein Leiden zu beenden, handelt rechtswidrig und macht sich strafbar. Das Selbstbestimmungsrecht berechtigt eine Person zur Abwehr nicht gewollter Eingriffe in ihre körperliche Unversehrtheit und in den unbeeinflussten Fortgang ihres Lebens und Sterbens; es vermittelt ihr aber kein Recht darauf, Dritte zu selbständigen Eingriffen in das Leben ohne Zusammenhang mit einer medizinischen Behandlung zu ermächtigen. Bei einer gezielten, vom Krankheitsprozess abgekoppelten Beendigung des Lebens scheidet folglich eine Rechtfertigung durch Einwilligung des Betroffenen aus.
§ 216 StGB ist rechtspolitisch umstritten. Teilweise wird gefordert, die Strafbarkeit konsentierter aktiver Sterbehilfe jedenfalls für solche Fälle aufzuheben, in denen ein Todkranker sie ohne äußeren Druck und bei vollem Bewusstsein verlange.
Dass eine Tötung auch bei einem darauf gerichteten Wunsch des Betroffenen nicht statthaft ist, entspricht dem Willen des Verfassungsgebers. Die Väter und Mütter des GG waren der Auffassung, dass niemand der eigenen Tötung durch seine Einwilligung den Unrechtscharakter nehmen kann.
Verfassungsrechtlich folgt dies aus dem Zusammenhang des Grundrechts auf Leben mit der Garantie der Unantastbarkeit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG). Das Leben bildet die „vitale Basis der Menschenwürde“ (BVerfGE 39, 1). „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ heißt, dass das Leben eines Menschen niemals und von niemandem rechtmäßig mit der Begründung ausgelöscht werden darf, es sei nicht mehr wert, gelebt zu werden. Der Lebensmüde bringt durch seine Entscheidung für den Tod zum Ausdruck: Mein Leben ist es für mich nicht mehr wert, weiter gelebt zu werden. Der Dritte, der sich auf seine Bitte hin frei verantwortlich für die Ausführung entscheidet und damit die Letztverantwortung für das Geschehen übernimmt, übernimmt auch diese Einschätzung als externe: Für diesen Menschen ist es besser, getötet zu werden als weiterzuleben. Sein Leben ist nicht mehr lebenswert. Eine Rechtsordnung, die auf der unantastbaren Würde des Menschen, jedes Menschen gründet, die jedem Menschen Wert und Würde zuschreibt, kann die handlungsleitende externe Bewertung eines menschlichen Lebens als „nicht mehr lebenswert“ unter keinen Umständen akzeptieren. Die Menschenwürde verlangt vielmehr, dass dem Leben eines Menschen in jeder Situation ein positiver Wert zuerkannt wird; dies gilt auch für Menschen, die im maßgeblichen Zeitpunkt ihren eigenen Tod wünschen. Die Tötung auf Verlangen muss daher in jedem Fall als objektiv unrichtig, d. h. rechtswidrig bezeichnet werden. Sie darf in staatlichen Einrichtungen nicht durchgeführt werden, und der Staat ist in der Pflicht, alles zu tun, um zu verhindern, dass Private, seien es Ärzte oder andere, solches tun.
Die Rechtslage nach deutschem Recht steht in Übereinstimmung mit der EMRK. Art. 2 EMRK gibt kein Recht darauf, mit Hilfe Dritter zu sterben (EGMR, Fall Pretty v Vereinigtes Königreich, Beschwerde Nr. 2346/02, Urteil vom 29.4.2002, §§ 39 f.). Der EGMR sieht den Wunsch einer Person, die an einer schweren, unweigerlich zum Tod führenden Krankheit leidet, aber aufgrund ihres Krankheitszustandes sich nicht mehr selbst töten kann, mit Hilfe ihres Ehegatten aus dem Leben zu scheiden, zwar als vom Recht auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 Abs. 1 EMRK) erfasst an (Fall Pretty, §§ 65, 67; s. auch den Fall Haas v Schweiz, Beschwerde Nr. 31322/07, EGMR, Urteil vom 20.1.2011, § 51). Er hat gleichwohl ein im englischen Recht enthaltenes strafbewehrtes Verbot assistierter Selbsttötung mit der Begründung gerechtfertigt, dass das Gesetz dazu bestimmt sei, das Leben dadurch zu sichern, die Schwächsten und Verletzlichsten und insb. diejenigen zu schützen, die nicht mehr in der Lage sind „to take informed decisions against acts intended to end life or to assist in ending life“ (Fall Pretty, § 74). Es sei in erster Linie Sache der Konventionsstaaten, die Missbrauchsgefahr im Fall der Erlaubnis assistierten Suizids abzuschätzen. Für die Tötung auf Verlangen dürfte nichts anderes gelten. Die Begründung des EGMR macht indes deutlich, dass er auch die gegenteilige gesetzgeberische Entscheidung billigen würde.
In den Niederlanden ist eine Tötung auf Verlangen nicht strafbar, wenn sie von einem Arzt begangen wird und dieser bestimmte „Sorgfaltskriterien“ eingehalten hat (freiwillige Bitte des Patienten nach reiflicher Überlegung; aussichtsloser Zustand und unerträgliches Leid; Aufklärung des Patienten; gleiche Einschätzung durch einen zweiten, unabhängigen Arzt; ärztliches Handeln lege artis). In Belgien ist E. noch weitergehend freigegeben, auch bei Minderjährigen. In beiden Ländern sind die Fallzahlen aktiver Sterbehilfe deutlich angestiegen. Zudem gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die beschränkte Zulassung der Tötung auf Verlangen zugl. zu einer Zunahme von Tötungen ohne Verlangen geführt hat, was die Gefahr eines Dammbruchs begründet. Es kommt zu einem negativen Bewusstseinswandel im Umgang mit dem Leben, insb. erhöht sich die Bereitschaft, auch ohne oder gar gegen den freien Willen des Sterbenden dessen Leben zu beenden, weil es von Dritten als sinnlos und nicht mehr lebenswert angesehen wird.
Literatur
D. Lorenz: Aktuelle Verfassungsfragen der Euthanasie, in: JZ 64/2 (2009), 57–67 • G. Duttge: Lebensschutz und Selbstbestimmung am Lebensende, in: ZfL 13/2 (2004), 30–38 • R. Ingelfinger: Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, 2004 • K. Khorrami: Die „Euthanasie-Gesetze“ im Vergleich, in: MedR 21/1 (2003), 19–25 • K. Schmoller: Lebensschutz bis zum Ende? Strafrechtliche Reflexionen zur internationalen Euthanasiediskussion, in: ÖJZ 55/10 (2000), 361–377.
Empfohlene Zitierweise
C. Hillgruber: Euthanasie, III. Rechtlich, Version 22.10.2019, 17:30 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Euthanasie (abgerufen: 22.11.2024)