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Version vom 4. Januar 2021, 11:06 Uhr
I. Begriff und Erfahrungen
Abschnitt drucken1. Begriff
Als B. oder „innerstaatlicher Krieg“ gilt allg. die gewaltsame Auseinandersetzung politischer Gruppierungen innerhalb eines Staates. Dabei stehen sich i. d. R. die bewaffneten Kräfte der Regierung und organisierte Gruppen von Rebellen, Aufständischen (Insurgenten), Putschisten etc. gegenüber; denkbar sind auch Konstellationen, in denen bei Abwesenheit einer formellen Regierung verschiedene Gruppen um die (Regierungs-) Macht kämpfen. Bekannte Beispiele historischer B.e sind etwa die der späten Römischen Republik (133–30 v. Chr.) oder der Englische B. (1642–1649). In der sozialwissenschaftlichen Forschung (Sozialwissenschaften) haben sich auch Begriffe wie „innerstaatlicher bewaffneter Konflikt“, „nicht-internationaler bewaffneter Konflikt“ bzw. „societal warfare“ eingebürgert. In der Diskussion spielt auch der maßgeblich von Mary Kaldor geprägte Begriff der „neuen Kriege“ eine nicht unumstrittene Rolle, welcher für die gewaltsamen Konflikte nach dem Kalten Krieg u. a. postuliert, dass sie in erster Linie innerstaatlichen und asymmetrischen Charakter haben, als letztlich unpolitische Versorgungsgrundlage der beteiligten Akteure langfristig anhalten („Kriegsökonomien“) und von größter Grausamkeit gegenüber der Zivilbevölkerung geprägt sind.
2. Abgrenzungsprobleme
Die Abgrenzung zum zwischenstaatlichen Krieg besteht theoretisch in der Restriktion der Akteure und des umkämpften Gebietes auf das Territorium eines einzelnen Staates. B. ist daher prinzipiell ein Phänomen der inneren Angelegenheiten von Staaten. Dabei entstehen insb. in zweierlei Hinsicht Abgrenzungsprobleme. Erstens erfordert die Kennzeichnung eines gewaltsamen Konfliktes als B. im Unterschied zu gewaltsamen Ausschreitungen etwa im Rahmen von Protestkundgebungen, Sportereignissen oder Auseinandersetzungen unter kriminellen Organisationen (z. B. „Bandenkriegen“) die längerfristige, systematische und effektive Gewaltanwendung zwischen Regierung und politisch oppositionellen Gruppen (Opposition). Daher werden in der empirischen Konfliktforschung (Friedens- und Konfliktforschung) üblicherweise neben der Beteiligung der Regierung verschiedene Schwellenwerte herangezogen, um innerstaatliche Kriege von innenpolitischen Krisen (Krise) oder kurzfristigen Unruhen abzugrenzen. So verwendet die Methodik des HIIK für die Identifikation eines Krieges eine Kombination von monatsbezogenen Schwellenwerten von Waffeneinsatz, beteiligtem Personal, Opfern, Zerstörungen und Flüchtlingen.
Zweitens ist die strikte Trennung von inner- und zwischenstaatlichen Kriegen in der Praxis häufig nicht möglich. Denn oftmals sind auswärtige Mächte in B.e verwickelt, indem sie eine der Konfliktparteien mit Geld, Waffen u. a.n Versorgungsgütern unterstützen („Stellvertreterkriege“), oder sogar selbst verdeckt oder offen Truppen entsenden. Beispiele hierfür sind etwa der Spanische B. (1936–1939), die B.e im Kongo (1996–2009) oder die Kriege in Afghanistan und im Irak nach dem Sturz des Taliban- bzw. des Baath-Regimes (seit 2001 bzw. 2003). Direkte Interventionen von außen können zu einer Eskalation innerstaatlicher Kriege zu zwischenstaatlichen führen. Exemplarisch hierfür sind die Revolutionskriege der Französischen Republik (1792–1802). B.e können auch auf Nachbarländer übergreifen. Solche „Ansteckungsgefahren“ bestehen bspw. in Form von Migrantenströmen (Migration), grenzüberschreitenden Bewegungen von Truppen und Guerilleros (Guerilla), Kollateralschäden durch grenznahe Kampfhandlungen, ethnisch verwandten und ideologisch ähnlichen Bevölkerungsgruppen im Nachbarland, wirtschaftlichen und machtpolitischen Interessen usw. Bei Sezessionskriegen ergibt sich zudem das Problem unterschiedlicher Ansprüche der Konfliktparteien. Während die Regierung des betreffenden Staates typischerweise von einer innerstaatlichen Konstellation ausgeht, wird die Führung der sich abspaltenden Region als neu proklamierter Staat auf den quasi-zwischenstaatlichen Konfliktcharakter hinweisen. Ein typisches Beispiel ist der Amerikanische Sezessionskrieg (1861–1865), in dem sich die Konföderierten (Südstaaten) im Unterschied zur US-Regierung als souveräner Staat betrachteten.
3. Entwicklungstendenzen
Im Unterschied zu zwischenstaatlichen Kriegen weisen Zahl und Intensität von innerstaatlichen Kriegen seit 1945 steigende bzw. seit dem Ende des Kalten Krieges 1989/90 eine bei großer Volatilität auf hohem Niveau gleichbleibende Tendenz auf. Bis Anfang der 1990er Jahre wuchs die Differnz zwischen „societal warfare“ und „interstate warfare“ immer stärker, bevor beide sich nach dem Ende des Kalten Krieges wieder etwas annäherten. Seit der Stabilisierung der globalen Konflikttrends um 2004 ist das durchschnittliche Gewicht (Häufigkeit, Opferzahlen, Schäden) innerstaatlicher Kriege etwa fünfmal so hoch wie das der zwischenstaatlichen. Für das Jahr 2014 verzeichnet das HIIK insgesamt 111 innerstaatliche Konflikte mit Gewaltanwendung, von denen 21 als voll ausgeprägte B.e und 24 als „limited wars“ klassifiziert wurden. Demgegenüber standen insgesamt nur 12 zwischenstaatliche Konflikte mit Gewaltelementen, davon lediglich ein „limited war“.
4. Empirisch belegbare Ursachen
Als theoretische Ursachen von B.en werden neben individuellen Machtaspirationen insb. hohe sozioökonomische Ungleichheit (Soziale Ungleichheit) mit wirtschaftlichen Verteilungskonflikten, die politisch-gesellschaftliche Unterdrückung ethnischer oder kultureller Gruppen (Ethnische Konflikte), ideologische Differenzen (Ideologie) und schwache, undemokratische staatliche Institutionen (Demokratie) genannt. Die quantitativ-empirische Konfliktforschung (Friedens- und Konfliktforschung) identifiziert eine Reihe struktureller Bedingungen, unter denen die Wahrscheinlichkeit von B.en statistisch signifikant steigt. Dazu gehören insbesondere
a) hohe Bevölkerungsdichte;
b) ethnische Diversität bzw. Heterogenität einer Gesellschaft, wenn einer dominanten ethnische Gruppe eine ansehnliche Minderheit (10–30 % der Mehrheitsgruppe) gegenübersteht, insb., wenn transnationale Verbindungen zur gleichen ethnischen Gruppe bestehen;
c) geographische Nähe zu einem Nachbarland mit einem bewaffneten Konflikt einschließlich der Präsenz von Flüchtlingen;
d) ein Umfeld nichtdemokratischer Staaten (Regierungssysteme) und Gesellschaften;
e) Größe und damit verbundene Unüberschaubarkeit und geographische Heterogenität eines Landes, insb. bei starker Prägung durch unzugängliche Gegenden;
f) ein hohes Maß an Bodendegradation (Boden) und allg. an Armut (gemessen am BIP oder BIP pro Kopf) sowie weitere schlechte sozioökonomische Bedingungen (z. B. hohe Kindersterblichkeit oder geringer Bildungsgrad insb. der männlichen Bevölkerung);
g) hohe wirtschaftliche Abhängigkeit von Erdöl-Exporten (nicht aber von anderen Rohstoffen);
h) geringes Ausmaß wirtschaftlicher Offenheit (gemessen als Umfang von Direktinvestitionen aus dem Ausland und Außenhandelsvolumen);
i) Erfahrungen mit früheren B.en; sowie
j) schwache Regierungen und jede Art von Regimewechsel (Transformationsphase, Systemtransformation).
Theoretisch immer wieder in der Literatur zu findende Ursachen wie eine große ökonomische Ungleichverteilung per se oder das Fehlen demokratischer Strukturen lassen sich statistisch-empirisch nicht verlässlich belegen. Die wenigen empirischen Studien zur Frage nach dem Einfluss religiöser Faktoren als Ursache kommen zu dem Schluss, dass es wahrscheinlicher ist, intrareligiöse Gewaltkonflikte zu finden als interreligiöse. Religiöse Konflikte haben zwar einen signifikanten positiven Einfluss auf B.e, aber primär als Verstärkungsfaktor, nicht als eigentliche Kriegsursache. Christen (in absoluten Zahlen) und Moslems (bezogen auf die Bevölkerungsgröße) sind diejenigen Religionsgruppen, die am häufigsten und stärksten in innerstaatliche Kriege verwickelt werden.
5. Bes. Aspekte der Kriegsbeendigung
Konfliktbearbeitung und -beendigung gestalten sich in B.en oftmals schwieriger als in klassischen Staatenkriegen. Dies wird v. a. auf das mangelnde Interesse der Akteure, etwa regional dominierender Warlords, an Beendigung des Konfliktes als materieller Grundlage der eigenen Herrschaft (z. B. Drogenhandel), die bes. Grausamkeit der Kriegführung, die ethnisch-ideologische Überhöhung des Konflikts zum Existenz- oder Glaubenskampf oder auf die komplexe offizielle wie inoffizielle Involvierung auswärtiger Mächte zurückgeführt. Inzwischen werden darüber hinaus verstärkt Aspekte wie die regional-kulturelle Differenzierung der Methoden zur Beilegung von B.en, bspw. eine gewisse Präferenz für die Kooptierung von Rebellengruppen in Regierung und bestehende Institutionen in Subsahara-Afrika, oder die Rolle zivilgesellschaftlicher, auch offen religiös orientierter Organisationen (Zivilgesellschaft) als Vermittler, etwa im Rahmen einer „faith-based diplomacy“ thematisiert.
Literatur
HIIK: Conflict Barometer 2014, 2015 • I. Svensson, Ending Holy Wars: Religion and Conflict Resolution in Civil Wars, 2013 • J. D. Kathman: Civil War Contagion and Neighboring Interventions, in: ISQ 54/4 (2010), 989–1012 • J. Bercovitch/S. A. Kadayifel-Orellana: Religion and Mediation: The Role of Faith-Based Actors in International Conflict Resolution, in: International Negotiation 14/1 (2009), 175–204 • K. S. Gleditsch: Transnational dimensions of civil war, in: J Peace Res 44/3 (2007), 712–724 • J. Fox: Religion, Civilization, and Civil War: 1945 Through the New Millenium, 2004 • J. C. Murdoch/T. Sandler: Civil Wars and Economic Growth – Spatial dispersion, in: AJPS 48/1 (2004), 138–151 • E. Newman: The „New Wars“ Debate: A Historical Perspective is Needed, in: Security Dialogue, 35/2 (2004), 173–189 • N. Sambanis: What is Civil War? Conceptual and Empirical Complexities of an Operational Definition, in: JCR 48/6 (2004), 814–858 • J. D. Fearon/D. Laitin: Ethnicity, Insurgency, and Civil War, in: APSR 97/1 (2003), 75–90 • N. Sambanis: Do Ethnic and Nonethnic Civil Wars Have the Same Causes? A Theoretical and Empirical Inquiry (Part I), in: JCR 45/3 (2001), 259–282 • M. Kaldor, Neue und alte Kriege. Organisierte Gewalt im Zeitalter der Globalisierung, 2000.
Empfohlene Zitierweise
R. Rotte: Bürgerkrieg, I. Begriff und Erfahrungen, Version 22.10.2019, 17:30 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/B%C3%BCrgerkrieg (abgerufen: 24.11.2024)
II. Staats- und Völkerrecht
Abschnitt druckenDie Vorstellung des modernen Staates als Friedenseinheit, deren erster Zweck die Verhinderung von Gewalt zwischen den Bürgern ist, beruht auf der geschichtlichen Erfahrung der konfessionsbedingten B.e der frühen Neuzeit: „Die Bürgerkriegslage ist das archaische Schreckbild, das Urtrauma, aus dem der Staat seine erste, fundamentale Legitimation zieht“ (Isensee 2004: 44). Von daher bemühte sich der frühmoderne Staat auch um die Ausschaltung der Selbstjustiz, des Fehderechts und verschiedener Formen des Widerstandsrechts, um mit seiner Territorialhoheit auch sein Gewaltmonopol durchzusetzen. „Der moderne Staat ist die institutionelle Überwindung des Bürgerkrieges“ (Isensee 2004: 52), seine Hauptaufgabe die Befriedung der Gesellschaft und der Schutz der Sicherheit des Einzelnen. Diese Aufgabe erfüllt er mit den Mitteln seines eigenen, aber auch des internationalen Rechts.
1. Staatliches Recht
Die Vermeidung eines B.es ist zunächst Aufgabe des Rechts eines jeden Staates, die in verschiedenen Rechtsgebieten erfüllt werden muss. So kann mittels verfassungsrechtlich geschützter Grund– und Menschenrechte – insb. der Religionsfreiheit, der Gewissensfreiheit (Gewissen, Gewissensfreiheit) und der Meinungsfreiheit, aber auch der Rechte religiöser und ethnischer Minderheiten – verhindert werden, dass gesellschaftliche Gegensätze sich in gewaltsame Formen steigern. Rechtsstaatliche Verfahren (Rechtsstaat), insb. eine effektive und unparteiische Justiz, können Einzelnen und gesellschaftlichen Gruppen eine gewaltfreie Lösung ihrer Konflikte bieten. Mit repressiven Mitteln sucht das Strafrecht den inneren Frieden zu wahren, z. B. durch die Strafbarkeit des Landfriedensbruchs (§§ 125, 125a StGB) oder der Bildung bewaffneter Gruppen oder terroristischer Vereinigungen (§§ 127, 129a StGB) (Terrorismus). Das Verfassungsrecht (Staatsrecht) kann für den Fall eines inneren Notstands (Staatsnotstand) besondere Vollmachten vorsehen. So verleiht Art. 16 der französischen Verfassung von 1958 dem Präsidenten der Republik weitreichende Befugnisse, wenn die Institutionen der Republik „schwer und unmittelbar bedroht sind und gleichzeitig die ordnungsgemäße Ausübung der verfassungsmäßigen öffentlichen Gewalten unterbrochen ist“. Ähnlich umfassende, auch legislative, Notstandskompetenzen besaß in der Weimarer Republik der Reichspräsident (Art. 48 WRV).
2. Völkerrecht
Bis zur völkerrechtlichen Epochenwende des Endes des Zweiten Weltkriegs (Weltkriege) und der Gründung der Vereinten Nationen enthielt das Völkerrecht keine auf die Führung eines B.es anwendbaren Regeln. Es sah vielmehr den B. als eine innere Angelegenheit an. Dagegen befasst sich heute der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen regelmäßig auch mit B.en, die er als Bedrohung des Weltfriedens im Sinne von Art. 39 der UN-Charta charakterisiert, und ergreift Maßnahmen (z. B. Wirtschaftssanktionen und Verbote von Waffenlieferungen), wenn B.e zu einem internationalen Konflikt (Internationale Konflikte) oder zu einer Destabilisierung von Nachbarstaaten führen können.
Wichtigstes Anliegen der einschlägigen Normen des Völkerrechts ist der Schutz grundlegender Menschenrechte auch während eines B.es. Art. 15 der EMRK von 1950 erlaubt einer Vertragspartei, von den Verpflichtungen der Konvention abzuweichen, wenn „das Leben der Nation durch Krieg oder einen anderen öffentlichen Notstand bedroht“ wird, stellt diese Erlaubnis aber unter den Vorbehalt der unbedingten Erforderlichkeit. Bestimmte „notstandsfeste“ menschenrechtliche Verpflichtungen – wie das Verbot der Folter, der Sklaverei oder Leibeigenschaft und das Gesetzlichkeitsprinzip (nulla poena sine lege) – müssen auch in diesem Fall erfüllt werden. Ähnliche Regelungen, in denen der Kreis notstandsfester Rechte noch weiter gezogen wird, enthalten Art. 27 der Amerikanischen Konvention der Menschenrechte von 1969 sowie Art. 4 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte von 1966.
Auch das humanitäre Völkerrecht (Kriegsvölkerrecht) hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg der Aufgabe des Schutzes von menschen im B. angenommen. Die vier Genfer Konventionen über den Schutz der Opfer bewaffneter Konflikte von 1949, deren Hauptgegenstand die internationalen (zwischenstaatlichen) Konflikte sind, enthalten einen gemeinsamen, gleichlautenden Art. 3 für den Fall „eines bewaffneten Konflikts, der keinen internationalen Charakter hat und auf dem Gebiet einer der Hohen Vertragsparteien entsteht“. In diesem Fall sind alle Konfliktparteien (ungeachtet ihrer Anerkennung durch die anderen Parteien) verpflichtet, einen Mindestschutz zu gewährleisten: Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen, einschließlich der Mitglieder der Streitkräfte (Militär), die ihre Waffen niedergelegt haben, sind unter allen Umständen und ohne jede Diskriminierung mit Menschlichkeit zu behandeln. Verboten sind insb. Angriffe auf das Leben und die Person, namentlich Tötung, Verstümmelung, grausame Behandlung und Folterung, ferner Geiselnahme, erniedrigende und entwürdigende Behandlung sowie eine Verurteilung und Hinrichtung ohne vorhergehendes Urteil eines ordentlichen Gerichts (Gerichtsbarkeit). Verwundete und Kranke sollen geborgen und gepflegt werden, unparteiische humanitäre Organisationen wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (Rotes Kreuz) den Konfliktparteien ihre Hilfe anbieten können.
Da sich diese Vertragsregeln, die auch als Völkergewohnheitsrecht anerkannt sind, angesichts der Zunahme der Zahl und des Umfangs der B.e als ungenügend erwiesen, kam es 1977 ergänzend zur Annahme des Zusatzprotokolls II zu den Genfer Abkommen über den Schutz der Opfer nicht-internationaler Konflikte. Es findet Anwendung nur auf interne Konflikte im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei „zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten Gruppen, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen“ (Art. 1 Abs. 1). Diese im Vergleich mit dem gemeinsamen Art. 3 der Genfer Abkommen wesentlich engeren Voraussetzungen sind nur in wenigen nicht-internationalen Konflikten erfüllt. Ausgenommen vom Anwendungsbereich des Zusatzprotokolls sind ferner „Fälle innerer Unruhen und Spannungen, wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen“ (Art. 1 Abs. 2). Das Protokoll enthält grundlegende menschenrechtliche Garantien für alle Personen, die nicht unmittelbar oder nicht mehr an Kampfhandlungen teilnehmen, sowie besondere Bestimmungen für Internierte oder Inhaftierte, Verwundete, Kranke und Schiffbrüchige sowie Angehörige der Zivilbevölkerung. Greift ein ausländischer Staat auf der Seite einer aufständischen Partei militärisch in einen B. ein, so liegt im Verhältnis zwischen ihm und der Regierung des B.s-Staates ein internationaler Konflikt vor, in dem die umfassenden Schutznormen des humanitären Völkerrechts zu beachten sind. Darüber hinaus gelten dessen Grundsätze zum Schutz der Zivilbevölkerung vor den Auswirkungen von Kampfhandlungen, aber auch Verbote bestimmter Waffen und Kampfmethoden kraft Völkergewohnheitsrechts auch in einem nicht-internationalen bewaffneten Konflikt. Zu dieser progressiven Angleichung der Regeln für den nicht-internationalen Konflikt an die für den internationalen hat wesentlich die Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs für das frühere Jugoslawien unter seinem Präsidenten Antonio Cassese beigetragen.
Gemäß Art. 8 Abs. 2 lit. c-f des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs von 1998 erstreckt sich die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs (Internationale Strafgerichtsbarkeit) auf im Einzelnen aufgeführte Kriegsverbrechen, die in nicht-internationalen bewaffneten Konflikten begangen werden. Dabei lehnt sich die Definition eines solchen Konflikts an die des Zusatzprotokolls II zu den Genfer Abkommen an, erfasst weitergehend aber auch Konflikte zwischen organisierten bewaffneten Gruppen (ohne eine Beteiligung von Streitkräften der Regierung). Mit diesen Regeln des Statuts steht die völkerstrafrechtliche Verantwortlichkeit Einzelner für eine Verletzung der Schutznormen des humanitären Völkerrechts im B. heute außer Frage.
Literatur
C. Kreß: Der Bürgerkrieg und das Völkerrecht, in: Juristenzeitung 69/8 (2014), 365–373 • M. Bothe: Friedenssicherung und Kriegsrecht, in: W. Graf Vitzthum/A. Proelß (Hg.): Völkerrecht, 62013, 573–662 • M. Bothe/K. J. Partsch/W. A. Solf: New Rules for Victims of Armed Conflicts. Commentary on the Two 1977 Protocols Additional to the Geneva Conventions of 1949, 22013 • H.-P. Gasser/N. Melzer: Humanitäres Völkerrecht, 22012 • J. Isensee: Staat und Verfassung, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hg.): HStR, Bd. 2, 32004, 3–106 • R. Abi-Saab: Droit humanitaire et conflits internes, 1986 • D. Schindler: Bürgerkrieg, in: StL, Bd. 1, 71985, 1050–1053 • A. V. Lombardi: Bürgerkrieg und Völkerrecht, 1976 • C. Zorgbibe: La guerre civile, 1975 • E. Castrén: Civil War, 1966.
Empfohlene Zitierweise
B. Fassbender: Bürgerkrieg, II. Staats- und Völkerrecht, Version 22.10.2019, 17:30 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/B%C3%BCrgerkrieg (abgerufen: 24.11.2024)