Erbschaftsteuer: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 14. November 2022, 05:54 Uhr
1. Bedeutung
Die E. ist keine Erfindung des modernen Sozialstaats – sie wurde z. B. bereits im alten Ägypten erhoben –, hat jedoch erhebliche Wirkungen im Bereich des Sozialen, die ihre finanzielle Bedeutung für den Staat – derzeit weniger als 1 % des bundesweiten Steueraufkommens – weit übersteigen. Auch deshalb ist die E. Gegenstand zahlreicher Debatten um Chancengleichheit (Chancengerechtigkeit, Chancengleichheit) und Gerechtigkeit, wobei als Extreme sowohl ihre vollständige Abschaffung als auch eine konfiskatorische Besteuerung gefordert werden. Die Erbwahrscheinlichkeit und auch das Erbvolumen stiegen in den vergangenen Jahrzehnten deutlich an, und es wird erwartet, dass dieser Trend anhält. Die Verteilungswirkungen der E. hinsichtlich der Vermögen und der sozialen Ungleichheit insgesamt sind daher für ihre Begründung und Ausgestaltung von bes.r Bedeutung.
Aufgrund der ungleichen Verteilung von Vermögen in der Gesellschaft erben wenige sehr viel, sehr viele erben nur wenig. Die Erbchancen und die übertragenen Vermögenswerte korrelieren stark positiv mit Bildung und Einkommen. In der Generation der potentiellen Erben führt dies zu einer deutlichen Verstärkung der bereits vor dem Erbfall bestehenden absoluten Vermögensunterschiede („Matthäus-Effekt“). Da aber kleinere Erbschaften für weniger begüterte Personengruppen eine vergleichsweise größere Bedeutung besitzen, kann die Vermögenskonzentration trotz Zunahme der absoluten Vermögensdifferenzen abnehmen – Erbschaften können die so definierte Ungleichheit reduzieren. In der Gesamtgesellschaft kann die Konzentration der Vermögen zudem konstant bleiben, wenn man auch die Erblasser mit in die Betrachtung einschließt – die historisch steigende Ungleichheit der Vermögen ergibt sich in erster Linie aus der im Vergleich zur Entwicklung der Erwerbseinkommen besseren Entwicklung der Kapitaleinkommen. Insofern sind pauschale Annahmen zu den Verteilungswirkungen nicht sinnvoll – Verschärfung, Verringerung und Konstanz der Ungleichheit sind je nach Perspektive als empirische Diagnosen gleichzeitig korrekt. Eine progressive E. wirkt dabei aber in allen diesen drei Perspektiven einer Verschärfung bestehender sozialer Ungleichheit entgegen.
2. Ausgestaltung der Erbschaftsteuer in Deutschland
In Deutschland ist die E. derzeit als Erbanfallsteuer gestaltet, d. h. das den Erben zufließende Vermögen wird gegebenenfalls besteuert. In anderen Ländern wird der Nachlass als solches besteuert, auch Mischformen existieren. Für die E. in Deutschland sind dabei sowohl der Verwandtschaftsgrad zwischen Erblasser und Erben als auch Art und Höhe der Erbschaft ausschlaggebend. Die Steuersätze liegen seit der Neuregelung 2009 z. B. für Erben in Steuerklasse I (Ehepartner, Kinder, Enkel, Eltern) bei mindestens 7 % (steuerpflichtiges Erbe oder Geschenk bis 75 000 Euro) und höchstens 30 % (steuerpflichtiges Erbe über 26 Mio. Euro); für Erben der Steuerklassen II (Geschwister, geschiedene Ehepartner, Schwiegereltern) liegen sie zwischen 15 % und 43 %, für Erben der Steuerklasse III (alle übrigen Begünstigten) zwischen 30 % und 50 %. Bei der Festlegung werden Steuerfreibeträge berücksichtigt: 500 000 Euro bei Ehepartnern bzw. eingetragenen Lebenspartnern, 400 000 Euro bei Kindern, 200 000 Euro bei Enkelkindern, 100 000 Euro bei anderen Personen der Steuerklasse I, sowie 20 000 Euro bei anderen Personen. Zusätzlich bleiben bis zu 20 000 Euro steuerfrei bei Erben, die dem Erblasser unentgeltlich Pflege oder Unterhalt gewährt haben, und bei Ehe- bzw. eingetragenen Lebenspartnern kommen gegebenenfalls zusätzliche Versorgungsfreibeträge hinzu.
Kritisiert wird, dass z. B. Immobilien oder Betriebe gelegentlich veräußert werden müssen, um die E. entrichten zu können. Aus diesem Grund existieren mehrere Ausnahmeregelungen. Selbstgenutzte Wohnimmobilien können z. B. im Erbfall steuerfrei bleiben, wenn ein Partner noch mindestens zehn Jahre dort lebt. Gleiches gilt für Kinder, wenn die Wohnfläche 200 m2 nicht übersteigt. Bei Übergabe von Familienunternehmen können Nachfolger unter bestimmten Umständen von der Steuer befreit werden, wenn sie den Betrieb mindestens sieben Jahre weiterführen. Diese Regelung wurde jedoch kürzlich vom BVerfG moniert und musste vom Gesetzgeber bis Mitte 2016 verändert werden. Grundsätzlich seien Schutz von Arbeitsplätzen und Familienunternehmen legitime Ziele, der Gleichbehandlungsgrundsatz aber werde verletzt, die Gestaltungsspielräume seien zu groß.
3. Optionen
Ein sehr großer Teil der Erbschaften bleibt somit derzeit faktisch steuerfrei. Da Erben in Deutschland i. d. R. Familiensache ist, sind Anhebungen der E. aber unpopulär, auch wenn die große Mehrheit der Bevölkerung faktisch niemals erbschaftsteuerpflichtig wird. Die gegenwärtige progressive E. wirkt v. a. bei großen Erbschaften bes. stark, wodurch die Konzentration der vererbten Vermögen sinken sollte. Eine Erhöhung der Freibeträge reduziert freilich diese Wirkung, insb., wenn sie nicht nur für Transfers mortis causa, sondern auch für Transfers inter vivos in Anspruch genommen werden, d. h. große Vermögen anteilig bereits zu Lebzeiten übertragen werden, so dass die Freibeträge mehrfach genutzt werden können. Aus der Erbschaft- und Schenkungsteuerstatistik geht denn auch hervor, dass Steuern überdurchschnittlich anfallen bei Erben entfernterer Verwandtschaftsgrade, die kaum von Freibeträgen Gebrauch machen können, wie etwa Geschwister oder nichteheliche Lebenspartner.
Neben der derzeit gültigen progressiven Besteuerung wird häufig ein geringer, aber gleichmäßiger Steuersatz (flat tax) diskutiert, um Anreize zur Steuervermeidung zu verringern. Dabei würde jedoch der ungleichheitsreduzierende Effekt entfallen. Dies gilt ebenfalls für eine vollständige Abschaffung der E., wie z. B. 2008 in Österreich geschehen, aber auch für eine konfiskatorische Besteuerung, da diese auch bei sehr vielen kleinen und mittleren Erbschaften anfallen würden. Gegebenenfalls wären daher Alternativen der Umverteilung zu diskutieren, sofern die Nebenwirkung einer Verschärfung bestehender Vermögensungleichheiten bei Änderungen im Bereich der E. nicht beabsichtigt ist.
Literatur
T. Piketty: Das Kapital im 21. Jahrhundert, 2015 • J. Beckert: Erben in der Leistungsgesellschaft, 2013 • C. Vogel/H. Künemund/M. Kohli: Familiale Transmission sozialer Ungleichheit in der zweiten Lebenshälfte: Erbschaften und Vermögensungleichheit, in: P. A. Berger/K. Hank/A. Tölke (Hg.): Reproduktion von Ungleichheit durch Arbeit und Familie, 2011, 73–92 • C. Vogel/H. Künemund/U. Fachinger (Hg.): Die Relevanz von Erbschaften für die Alterssicherung, 2010 • H. Timm: Entwicklungslinien in Theorie und Praxis der Erbschaftsbesteuerung während der letzten hundert Jahre, in: FinanzArchiv 42/3 (1984), 553–576 • G. Schanz: Studien zur Geschichte und Theorie der Erbschaftssteuer, in: FinanzArchiv 17/1 (1900), 1–62.
Empfohlene Zitierweise
H. Künemund, C. Vogel: Erbschaftsteuer, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Erbschaftsteuer (abgerufen: 27.11.2024)