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Version vom 14. November 2022, 05:55 Uhr
Politisch-institutionell wie geopolitisch bezeichnet F. die organisierte internationale Gemeinschaft frankophoner oder partiell frankophoner Staaten und Regierungen, deren operativer Kern seit 1997 die Organisation Internationale de la Francophonie (OIF) mit Sitz in Paris ist. Diese internationale F. entstand aus dem teilweise seit Jahrzehnten bestehenden heterogenen Geflecht von frankophonen Institutionen auf internationaler Ebene. Als multilaterale, zwischenstaatliche Organisation mit einem weltweiten Netzwerk gilt sie heute als wichtigster politischer Akteur und Repräsentant der französischsprachigen Kulturen. Mit 54 Vollmitgliedern, vier assoziierten Mitgliedern und 26 Mitgliedern mit Beobachterstatus (Stand 2016) auf allen fünf Kontinenten bildet die F. eine „kulturelle Makro-Region“, mit dem Anspruch, als Global Player im System der internationalen Beziehungen aufzutreten und 274 Mio. Sprecher zu repräsentieren.
Als neuer Typus von internationaler Gemeinschaft ist die OIF von den mit internationaler Politik und internationalen Beziehungen befassten Wissenschaften jedoch wenig beachtet worden, obgleich die Forschungsliteratur über Globalisierung und Staatlichkeit seit dem Ende des Kalten Krieges stets auf die neue Bedeutung derartiger Makro-Regionen verwiesen hat. Wenn sich auch um die francophone studies eine Keimzelle sozial- und kulturwissenschaftlicher Forschung zum Thema der F. zumindest in englischsprachigen Universitäten gebildet hat, beschränkt sich die Forschung zumeist auf die diskursiv-kulturellen Aspekte der F. aus der Perspektive der Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften.
1. Historische Entwicklung der Internationalen Frankophonie
Der Begriff francophonie, abgeleitet aus dem Adjektiv francophone, ist eine Wortschöpfung des französischen Geographen Onésime Reclus, der beide Termini erstmals 1880, also auf dem Höhepunkt der zweiten französischen Kolonialexpansion (Kolonialismus) in Afrika und Südostasien, in seinem Werk „France, Algérie et colonies“ erwähnt. Diese Neologismen wurden Anfang der 1960er Jahre von Politikern wiederentdeckt, die für eine stärkere politische Zusammenarbeit der französischsprachigen Länder und Regierungen untereinander plädierten.
Jene forderten einen Ausbau schon existierender intergouvernementaler Strukturen, wie sie seit 1960 in der Conférence des ministres de l’Éducation des États et gouvernements de la Francophonie und seit 1966 in der Organisation Commune Africaine et Malgache bestanden. 1969 unterzeichneten in Niamey (Niger) 28 Regierungen frankophoner Staaten die Charta zur Gründung einer Agence de coopération culturelle et technique (ACCT). Eine neue politische Qualität erhielt die internationale F. dann, als der damalige französische Staatspräsident François Mitterrand 1986 die multilaterale ACCT durch eine Konferenz der Staats- und Regierungschefs ergänzte und im Rückgriff auf afrikanische Vorschläge aus den 1970er Jahren eine alle zwei Jahre tagende „Gipfelkonferenz“ einführte.
Unter der Ägide dieser sich mehr und mehr behauptenden Institution, dem sommet francophone, wurde eine pyramidale Reorganisation des unübersichtlichen Kooperationsnetzwerkes der internationalen F. und eine vollständige politische Dimension der F. angegangen. Aber erst ab 1995 offenbarte diese neue F. unter maßgeblicher Mitwirkung Frankreichs neue Ansprüche auf eine Rolle als Akteur in der internationalen Politik, indem eine schleichende Entmachtung der alten ACCT zugunsten der ständigen Gipfelkonferenz einsetzte und eine neue internationale Struktur aufgebaut wurde.
2. Aktuelle Institutionen und Organisation der Frankophonie
Oberstes Organ der internationalen F. ist die zweijährig tagende Gipfelkonferenz ihrer Mitglieder, die Conférence des chefs d’État et de gouvernements ayant le français en partage, bekannter unter dem Namen sommet francophone. Sie wird begleitet von der Conférence ministérielle de la Francophonie, bestehend aus allen Mitgliedern der Gipfelkonferenz (vertreten auf Ministerebene), und dem Conseil permanent de la Francophonie, bestehend aus akkreditierten persönlichen Vertretern der der Gipfelkonferenz angehörenden Staats- und Regierungschefs, mit der Mission, die Gipfelkonferenzen vor- und nachzubereiten.
Die Gipfelkonferenz wählt den Generalsekretär, dem seit 2005 insb. die OIF als operativer Hauptakteur sowie der aus unabhängigen Persönlichkeiten bestehende Haut Conseil de la Francophonie unterstellt sind und der die OIF auf der internationalen Bühne repräsentiert. Mit der Wahl der Kanadierin Michaëlle Jean wurde im November 2014 erstmals eine Frau zur Generalsekretärin der OIF – eine Wahl, die auch mit der ungeschriebenen Tradition brach, diesen Posten mit Vertretern aus dem Globalen Süden zu besetzen. Dem Sekretariat sind ferner die verschiedenen operativen Institutionen (opérateurs spécialisés) unterstellt, die dem Netzwerk der F. angehören: die Agence universitaire de la Francophonie, der internationale frankophone Fernsehsender TV5 Monde, die Université Senghor d’Alexandrie und die Association internationale des maires francophones. Im Gesamtorganigramm der Internationalen F. figurieren „an der Basis“ noch die mit bes.n Aufgaben betrauten Conférences ministérielles permanentes (zuständig für Bildung/Erziehung sowie für Jugend und Sport) und die Assemblée parlementaire de la Francophonie.
Die internationale F. ist heute bei der UNO sowie bei der EU und bei der AU akkreditiert. Kanada ist in ihr gleich dreimal vertreten: als Bundesstaat und über die eigenständig agierenden Regierungen von Québec und von Neubraunschweig. Der Internationalen F. gehören auch zahlreiche Staaten an, die nicht offiziell französischsprachig sind, einige davon nicht einmal partiell. Keine Mitglieder sind allerdings das partiell frankophone Algerien, der US-Bundesstaat Louisiana mit seinen frankophonen Cajuns und die autonome frankophone Region Val d’Aoste in Italien.
Literatur
F. Hurard: Manifest pour un mode francophone. Comment construire un avenir non standardisé?, 2017 • J. Erfurt/M. Amelina: La francophonie. Bibliographie analytique de la recherche internationale 1980–2005, 2011 • I. Kolboom: Francophonie: Weltweite „Fern-Nachbarschaft“ und Global Player, in: I. Kolboom/T. Kotschi/E. Reichel: Handbuch Französisch, 2008, 506–519 • U. Fendler/H. J. Lüsebrink/C. Vatter (Hg.): Francophonie et Globalisation Culturelle: Politique, Médias, Littératures, 2007 • J. Erfurt: Frankophonie. Sprache – Diskurs – Politik, 2005 • I. Kolboom/B. Rill (Hg.): Frankophonie – nationale und internationale Dimensionen, 2002 • J. H. Dunning (Hg.): Regions, Globalization, and the Knowledge-Based Economy, 2000 • I. Kolboom: Von der Frankophonie zur „Frankolologie“. Ein Gegenstand der internationalen Politik und Kultur sucht seine Bestimmung, in: R. Weilemann u. a. (Hg.): Macht und Zeitkritik. 1999, 559–572 • K. Ohmae: The End of the Nation State. The Rise of Regional Economies, 1996 • O. Reclus: France, Algérie et colonies, 1880.
Empfohlene Zitierweise
I. Kolboom, B. Vormann: Frankophonie, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Frankophonie (abgerufen: 23.11.2024)