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Version vom 14. November 2022, 05:56 Uhr
1. Definition und Erscheinungsformen
I. als aus den beiden englischen Wörtern information und entertainment gebildeter Begriff steht zum einen für eine bestimmte Form von Kommunikationsinhalten und deren Wirkung: Medienbeiträge oder Medienformate, die gleichzeitig informieren und unterhalten, lassen sich als I. bezeichnen. Zum anderen meint der Begriff die seit den letzten Jahrzehnten des 20. Jh. fortschreitende Verbreitung solcher Formate in den Medien demokratischer Gesellschaften.
Die häufigste aktuelle Erscheinungsform von I. besteht in der unterhaltsamen Gestaltung traditionell informierender journalistischer Formate. Dies geschieht zum einen durch bestimmte Stilmittel (emotionalisierende Bilder und Musik, unterhaltsame Narrative, lockere Darbietung), zum anderen durch entspr.e Inhalte (Themen aus dem Bereich Soft News, Fokus auf Drama, Personalisierung, Prominenz). Eine andere, jüngere und seltenere Erscheinungsform besteht darin, dass grundsätzlich unterhaltsame Formate, wie z. B. Shows, journalistische Stilmittel und Themen aus Informationssendungen übernehmen (Nachrichtensprecher, Nachrichtenstudiostudio, Schalte zum Korrespondenten etc.).
2. Orientierung und Unterhaltung: basale Effekte von Kommunikation
Information und Unterhaltung sind grundlegende psychologische Wirkungen von Medien, ja von menschlicher Kommunikation schlechthin. Dabei ist der Begriff Information mehrdeutig. In der Alltagssprache kann er u. a. dasjenige (neue) Wissen meinen, das durch eine Mitteilung übermittelt wird. Als Gegenbegriff zu Unterhaltung meint Information jedoch eine bestimmte Wirkung dieses Wissens, nämlich: auf der Basis von Mitteilungen etwas über die Umwelt zu lernen, das es einem ermöglicht, effektiv zu handeln. Um der Genauigkeit willen sollte diese Wirkung besser als Orientierung bezeichnet werden.
Information im erstgenannten Sinn kann idealtypisch entweder unterhalten oder orientieren. Im Alltag hat Information gerade aus den Massenmedien meistens beide Wirkungen zugl. Das Ausmaß, in dem sie orientiert oder unterhält, variiert mit der Person und dem sozialen Umfeld des Rezipienten, aber auch mit Rezeptionsabsichten und Rezeptionssituationen. Beide Wirkungen lassen sich in individueller Hinsicht als Funktionen oder als Gratifikationen bezeichnen, d. h. als Effekte, die durch Rezipienten bewusst oder unbewusst mit ihrer Mediennutzung angestrebt werden. Mit ihnen lässt sich Mediennutzung erklären.
Diese beiden allg.en Gratifikationen, die wir als Orientierung und Unterhaltung bezeichnen, sind von Wilbur Schramm vorgeschlagen worden. Er nennt sie „Delayed Reward“ (kognitiv) und „Immediate Reward“ (affektiv) und leitet sie aus der Dichotomie „Realitätsprinzip – Lustprinzip“ (Schramm 1949: 260) ab, die Sigmund Freud zum Antrieb aller psychischen Vorgänge erklärt. Weil Orientierung dem Realitätsprinzip folgt, umfasst sie alle psychischen Vorgänge, die dem Ziel dienen, „reale Veränderung anzustreben“ (Freud 1911: 2). Mitteilungen orientieren also, indem sie zweckrationales Handeln (Handeln, Handlung) durch Information unterstützen. Unterhaltung wird dagegen durch rein innerliches Empfinden definiert, durch Emotions- bzw. Aktivationszustände. Sie kann allein auf mitgeteilten Fiktionen beruhen, kann aber auch von Vorstellungen herrühren, die durch Mitteilungen über die Realität denotiert werden – d. h. von Information.
Beide Funktionen gelten nicht nur für Informationsangebote, sondern für alle Arten von Medienangeboten. Seit der bahnbrechenden Studie von Herta Herzog über die Gratifikationen von Seifenopern im Radio wurde vielfach bestätigt, dass fiktionale Inhalte nicht nur der Unterhaltung, sondern in erheblichem Umfang auch der Orientierung dienen. Umgekehrt haben die Pionierstudien von W. Schramm sowie von Jay G. Blumler und Denis McQuail empirisch klar bestätigt, dass Nachrichteninhalte auch Gratifikationen stiften, die der Unterhaltung zugeordnet werden können.
3. Historische Entwicklung und Implikationen
Gleichwohl haben sich im Bereich der Massenkommunikation traditionell verschiedene journalistische Stilformen (etwa: Nachricht v Glosse oder allg.er: Hard News v Soft News), Genres (etwa: Ratgebersendung v Show) und ganze Medien (etwa: Nachrichtenmagazin v bunte Illustrierte) herausgebildet, die sich jeweils durch den Schwerpunkt auf einer der beiden grundlegenden Funktionen definieren. Starke Vermischung beider findet sich allerdings von Anfang an in der Geschichte der Massenmedien, so z. B. im 16. Jh. in den sog.en Entdeckerzeytungen. Im Boulevard-Journalismus, etwa in Form der amerikanischen Yellow-Press, gelangt I. schon an der Wende vom 19. zum 20. Jh. zur Blüte. Dennoch: mit I. wird ganz vorwiegend eine Entwicklung assoziiert, die in der zweiten Hälfte des 20. Jh. einsetzt und mit dem Aufstieg des Fernsehens zum Leitmedium verbunden ist, das als Bewegtbildmedium per se stärker als andere Medien die emotionale Seite der Psyche anspricht und Unterhaltungsbedürfnisse kultiviert.
Im Lauf dieser sich im Wesentlichen bis kurz nach der Jahrtausendwende vollziehenden Entwicklung erlangte Unterhaltung im Fernsehen – aber auch in anderen Medien – stärkere Bedeutung, wurden reine Informationsformate zunehmend mit ihr vermengt und angereichert. Schon früh wurde dies negativ bewertet, bis hin zur dystopischen Vision, wir würden uns „zu Tode amüsieren“ (Postman 1985). Positive Deutungen sehen dagegen im I. eine Abwendung von überkommenen paternalistischen Formen des Journalismus.
Als weiterer Grund für die Diffusion von I. gilt, dass Unterhaltsamkeit durch einfache Mittel wie Personalisierung und Negativismus billiger herzustellen ist als Orientierungsqualität – die z. B. aufwendige Recherche erfordert. Insofern entstehen viele Formen von I. im Zuge eines allg.en Trends zur Kommerzialisierung unter dem Konkurrenzdruck auf enger werdenden Märkten und sind mit journalistischen Qualitätseinbußen verbunden.
Inzwischen treibt das Internet I. zusätzlich voran: V. a. durch die erhebliche Breitenwirkung öffentlicher Laienkommunikation in den digitalen Netzen nimmt der Anteil journalistisch seriöser Inhalte in öffentlichen Diskursen ab, während emotionalisierte Kommunikation zunimmt.
I. geht nach Ansicht vieler Wissenschaftler Hand in Hand mit der Mediatisierung von Politik und dem Trend zum Politainment. Auch die Politik adaptiert zunehmend unterhaltsame Komponenten. Diese Prozesse sind u. a. dadurch gekennzeichnet, dass die sog.e Medienlogik zunehmend zum Maßstab politischen Handelns wird. Deren prägende Komponenten sind z. B. die sog.en Nachrichtenfaktoren und Kriterien der Emotionalisierung und Unterhaltsamkeit.
Literatur
L. Hagen: Nachrichtenjournalismus in der Vertrauenskrise, in: CommS 48/2 (2015), 152–163 • D. L. Altheide: Media logic and political communication, in: PolC 21/3 (2004), 293–296 • M. X. Carpini/B. A. Williams: Let us infotain you. Politics in the new media environment, in: L. W. Bennett/R. M. Entman (Hg.): Mediated politics, 2001, 160–181 • L. Hagen: Informationsqualität von Nachrichten, 1994 • N. Postman: Amusing ourselves to death. Public discourse in the age of show business, 1985 • H. P. Grice: Logic and Conversation, in: P. Cole/J. L. Morgan (Hg.): Speech acts, 1975, 41–58 • J. G. Blumler/D. McQuail/J. Brown: The television audience. A revised perspective, in: D. McQuail (Hg.): Sociology of mass communication, 1972, 135–165 • W. Schramm: The nature of news, in: JQ 26/3 (1949), 259–269 • H. Herzog: What do we really know about daytime serial listeners?, in: P. F. Lazarsfeld/F. Stanton, (Hg.): Radio Research 1942–1943, 1944, 3–33 • S. Freud: Formulierungen über die zwei Prinzipien des psychischen Geschehens, in: Jahrbuch für psychoanalytische und psychopathologische Forschung 3/1 (1911), 1–8.
Empfohlene Zitierweise
L. Hagen: Infotainment, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Infotainment (abgerufen: 24.11.2024)