Asiatischer Rechtskreis: Unterschied zwischen den Versionen
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− | K. Moriya: Asiatischer Rechtskreis, Version | + | K. Moriya: Asiatischer Rechtskreis, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon<sup>8</sup> online, URL: {{fullurl:Asiatischer Rechtskreis}} (abgerufen: {{CURRENTDAY2}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}}) |
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Version vom 8. Juni 2022, 08:12 Uhr
1. Einleitung
A. R. ist ein Begriff von hoher Komplexität. „Asien“ ist kein rein geographischer, sondern auch ein historischer, europäisch geprägter, politischer Begriff. „R.“ ist kein juristisch klar konturierter Begriff. Hier wird versucht, einige charakteristische Eigenschaften anhand Japans gleichsam zu exemplifizieren.
2. „Asien“
Der Begriff „Asien“ ist ein europäisch elaborierter Begriff. Die entsprechenden Wörter in der asiatischen Sprache werden nach dem Wortlaut „Asia“ nachgebildet. Er bedeutete in der klassischen Antike den Sonnenaufgang im Gegensatz zu dem Wort „Europa“, dem Sonnenuntergang. Der Asienbegriff ist ein natürliches Kind des von Europa ausgehenden Globalisierungsprozesses (Globalisierung). Nachdem das Wort „Asien“ im Zeitalter der Entdeckungen in der Weltkarte als die geographische Bezeichnung für einen sehr breiten, nicht ganz bestimmbaren Raum ostwärts von Europa bis in den „Fernost“ hinein verwendet wurde, hat es eine erste Beziehung zu diesem heute „asiatisch“ bezeichneten Raum bekommen. Dieser Europa konträr gesetzte Asienbegriff stand aber mit dem tradierten Weltbild, wonach China als Kulturzentrum im Gegensatz zum außenstehenden Barbar angesehen wurde, im Widerspruch und konnte sich außerhalb von Europa nicht weiter durchsetzen.
Spätestens seit der Mitte des 19. Jh. wurde in Japan, wo die konfuzianistische Denktradition zumindest politisch nicht so prägend war wie in Korea und China, das chinesisch bestimmte Weltbild mehr und mehr in Zweifel gezogen. Außerdem war die chinesische Lage seit dem ersten Opium-Krieg (1839–1842) wohl bekannt, wobei auch die europäische sich global ausdehnende Außenpolitik als die aus dem Westen kommende Bedrohung empfunden wurde. Mit der Expedition der amerikanischen Flotte nach Japan im Jahre 1853 wurde aber der Druck der von Europa ausgehenden sich globalisierenden Mächte auf Japan nun als ein unmittelbarer wahrgenommen. Nach der sog.en Meiji-Restauration (1868) war die Abkehr vom chinesischen Wissen hin zum westlichen Denken und die politische wie kulturelle Distanzierung zu den Nachbarländern zunehmend deutlich geworden. Das Wort „Asien“ kam dabei vereinzelt und meist eher strategisch vor, wenn man im Hinterkopf auch an den politischen Druck aus Europa und v. a. Russland dachte und ein Bündnis v. a. mit China für nötig hielt.
Parallel mit Japans Werdegang zur in „Asien“ ersten zivilisierten Großmacht, sah Japan in den Nachbargebieten die Chancen zur Kolonialherrschaft (Kolonialismus) und hat sie realisiert. Die chinesisch geprägten tradierten Verhältnisse wurden völkerrechtlich aufgelöst.
Nach dem Ersten Weltkrieg ließ die weltpolitische Präsenz von Europa nach. Die Vereinigten Staaten intensivierten ihr Interesse für die Hegemonie im pazifischen Ozean und im „Fernost“. Seit dieser Zeit fingen auch die Japaner tastend an, Ausdrücke wie „ostasiatische Politik“ offensiv gegen den in Amerika verwendeten Ausdruck „Fernost“ zu verwenden, um das japanische Interesse v. a. im japanischen Machtbereich (Taiwan, Korea, Mandschurei) gegen die USA und Europa zu artikulieren. Der Ausdruck „Fernost“ signalisierte den europazentrierten Blick – in scheinbarer Abgrenzung zu dem ja ebenfalls europäisch gebildeten Ausdruck „Asien“. Die sprachliche Gegenüberstellung zwischen „Fernost“ und „Asien“ wird dennoch auch heute gelegentlich bemüht.
Nachdem die Schanghai-Affäre (1932) das latente Dulden der Amerikaner gegenüber der japanischen Außenpolitik in China irreparabel erschütterte, versuchte Japan seine Außenpolitik in Ostasien mit zweifelhaften Theorien wie „Großraum“ (Carl Schmitt), „Ostasiatische Monroe-Doktrin“ (Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi), „ostasiatischer Korporatismus“ (Kiyoshi Miki), „orientaler Regionalismus“ (Masamichi Rôyama), „großostasiatisches Völkerrecht“ (Kaoru Yasui) zu legitimieren. Hier wurden die Worte wie „Asien“ und v. a. „Ostasien“ in einem deutlich offensiven Sinne und allen voran im japanischen Diskurs verwendet, um dann im politischen Programm des „Großostasiatischen Kreises zur gemeinschaftlichen Wohlfahrt“ zu kulminieren, das nicht nur das japanische Volk in ein großes Desaster führte.
Nach der schweren Niederlage des Pazifischen Krieges (1945) wurde dieser Sprachgebrauch eingestellt. Das Wort „Asien“ wurde v. a. unter den japanischen Intellektuellen wieder häufiger pejorativ und im Kontrast zur kulturellen Überlegenheit des „Westens“ verwendet.
Eine gewisse Wiedergeburt erfuhr das Wort nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Regimes. Manche früher sozialistisch oder militärisch verfassten asiatischen Staaten wollten sich zu demokratischen marktwirtschaftlichen Verfassungsstaaten verwandeln, wobei die japanische Hilfe im Sinne der „asiatischen“ Eintracht inszeniert wurde, natürlich in Konkurrenz zu den westlichen Mächten. Dahinter steckt wie immer ein großes wirtschaftliches Interesse.
Bis heute ist die Bedeutung des Worts „Asien“ vom jeweiligen politischen Kontext abhängig und nie rein geographisch gewesen. Vielmehr ist das Wort erst seit der ersten Globalisierungswelle im Zeitalter der Entdeckungen mit „entdeckt“, elaboriert und ausgenützt worden.
3. Japanisches Recht als Fallstudie
Vor diesem Hintergrund soll es im Folgenden darum gehen, die durch die europäische Moderne ausgelöste Komplexität des modernen Rechtslebens in einem nichteuropäischen, ‚asiatisch‘ kategorisierten Staat am Beispiel Japans anzudeuten.
3.1 Juristische Moderne als staatliche Befreiung von der Tradition
Das moderne Rechtsleben in Japan begann mit dem Abschluss der sog.en „ungleichen“ Verträge mit den westlichen Mächten seit 1854. Diese Verträge wurden in Japan deshalb als „ungleich“ bezeichnet, weil in ihnen v. a. das Zollabkommen, das die japanische Zollhoheit negierte, eine Klausel einseitiger Meistbegünstigung und eine Konsulargerichtsbarkeit geregelt wurden. Japan begegnete der europäischen Rechtsauffassung zunächst im Bereich des Völkerrechts. Nach der Meiji-Restauration versuchte die neu gegründete Regierung, einen Rechtsstaat auszubilden, um den außenpolitischen Druck auszuhalten und sich durch die Revision jener „ungleichen“ Verträge als „gleichberechtigten“ Staat zu zeigen.
In der europäischen Neuzeit hatte sich der Staatsbegriff (Staat) aus der politischen Spannung zwischen einer absolutistischen Macht (Absolutismus) und der Ständegesellschaft (Stand) herausgebildet. Souveränität bedeutete nun auch gesetzgebende Macht und wurde so in die juristische Logik verwickelt. Hierfür steht ein historisch komprimierter Begriff „Rechtsstaat“. Die Idee aber, den Staat juristisch zu binden, war in Japan eher fremd. Dafür war Japan seit der Meiji-Restauration zu sehr und ständig dem außenpolitischen Druck ausgesetzt. Es war politisch weit dringender, eine zentralisierte Macht möglichst schnell zu etablieren. Der japanische Kaiser (Tennô) wurde als moralisches Symbol für die politische Zentralisierung bemüht.
Um die „ungleichen“ Verträge auszuräumen, war Japan von den westlichen Großmächte dazu aufgefordert, das japanische Recht nach den „western principles“ neu zu gestalten. Mit dieser schwierigen Aufgabe befasste man sich zunächst durch die von Rinshô Mitsukuri unternommene Übersetzung der napoleonischen Gesetzbücher (Code Civil). Überhaupt sind die seitdem bis heute gebräuchlichen juristischen Vokabularien weitgehend künstlich als Neologismen geschaffen worden. Deshalb sind sie einem Nichtjuristen oft nicht leicht zugänglich geblieben.
3.2 Kodifikationen
Dann erfolgte eine Reihe von Kodifikationen. Die teilweise bis heute gültige rechtliche Grundlage war als großes staatliches Unternehmen konzipiert. Sie sollte den „western principles“ entsprechen. Damit wurde die Möglichkeit der an sich durchaus bestrebten Aufnahme der japanischen Gewohnheiten ins Gesetzbuch strukturell eingeschränkt. Es entstand der Eindruck, als würde die Geschichte des Zivilrechts erst mit dem staatlich autorisierten Gesetzbuch neu beginnen, was konträr zur europäischen Auffassung des „staatsfreien“ Zivilrechts war, obwohl das japanische BGB (1898 Inkrafttreten) eine Reihe der „western principles“ wie die pandektistische Systematik und europäische Begrifflichkeiten (Eigentum, Vertrag, juristische Person, Rechtsfähigkeit, Handlungsfähigkeit usw.) enthält. Auffallend sind weniger die einzelnen Bestimmungen, sondern die bunte, völlig pragmatische, vergleichende und auswählende Momentaufnahme aus den vorhandenen europäischen Kodifikationen ohne Sinn für Geschichte und Systematik.
Oft war die Unstimmigkeit zwischen den Kodifikationen evident, da zwischen ihnen nicht genug koordiniert werden konnte. Als die japanische ZPO bspw. 1891 in Kraft trat, konnte sie weder ein Zivil- noch ein Handelsgesetzbuch (1899) voraussetzen. Während das japanische Zivilgesetzbuch sehr französischrechtlich beeinflusst war, basierte die ZPO weitgehend auf einer Übersetzung der deutschen ZPO (1877).
Der Wille zur Systematik fehlte teils deshalb, weil die Kodifikationen in Japan erst seit dem späten 19. Jh. erfolgten. Die klassischen, relativ stringenten Grundsätze v. a. der Pandektenwissenschaft (bspw. Dichotomie zwischen Sachen- und Obligationenrecht und das hiermit verbundene Numerus-Clausus-Prinzip beim Sachenrecht, aber auch etwa Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht) waren in der ersten Hälfte des Jh. entstanden, inzwischen aber doch durch staatliche Interventionen fragwürdig geworden.
Dies führte aber manchmal zur eigentümlichen Konsequenz. Dazu ein Beispiel: Nachdem etwa das erste StGB (1882) und die StPO (1882) nach dem Modell der gemäßigt klassischen Schule französischer Herkunft gearbeitet waren, wurde in der Wissenschaft die im deutschen StGB (1871) zum Ausdruck gebrachte, auf die kriminalpolitische Flexibilität abzielende moderne Schule noch vor der Aufnahme der klassischen Schule mit Blick auf die Zunahme der sozial verursachten Kriminalität verbreitet, und nach dem deutschen Modell wurde das StGB grundlegend reformiert (1908), das durch die oft recht groben Bestimmungen des Tatbestandes sowie der Strafzumessung das in der klassischen Theorie ausgebildete Gesetzlichkeitsprinzip aushöhlte. Wegen dieser dem Gesetzbuch immanenten „Elastizität“ gilt das StGB grundsätzlich bis heute.
Die wichtigeren Kodifikationen, geordnet nach dem Jahre des Inkrafttretens, waren:
1882 das alte StGB (französisch), die alte StPO (französisch)
1890 Gerichtsverfassungsrecht, die Reform der StPO (französisch); das alte ZGB (französisch, nicht in Kraft getreten)
1891 ZPO (deutsch)
1898 das neue ZGB (französisch, deutsch, bunt)
1899 HGB (deutsch)
1908 das neue StGB (deutsch)
1924 die große Reform der StPO (verdeutscht)
3.3 Die erste Verfassung
Die erste Verfassung trat 1889 in Kraft und wurde vom japanischen Volk mit Begeisterung begrüßt. Der Kaiser fungierte als Symbol für die spezifisch sittliche Einheit des Volks und aus ihm heraus wurde die gesetzgebende, vollziehende und Justizgewalt legitimiert. Innerhalb dieses eher sittlichen als juristischen Rahmens wurde immerhin der Gedanke der Gewaltenteilung eingeführt. Ausnahmsweise wurde aber das Militärkönigtum beibehalten, was nach der Dysfunktion des Parlaments seit den 1930er Jahren den Weg zum Militarismus ebnete. Ein bescheidener Katalog von Menschenrechten wurde auch aufgenommen.
Ein verfassungsrechtliches Problem war, dass in dieser Epoche der Verfassungsentstehung Japan Okinawa aneignete, Taiwan kolonialisierte (1895), Korea annektierte (1910). Somit entstanden verschiedene „Rechtsgebiete“ innerhalb Japans, in denen das Verfassungsrecht mit verschiedener Dichte nur gelten konnte, weil je nach dem „Rechtsgebiet“ auch eigene, vom japanischen Recht abweichende Rechtsgewohnheiten berücksichtigt werden mussten. Die Rechtsstaatlichkeit (Rechtsstaat) war damit von ihrem Anfang an und nicht nur faktisch, sondern auch im normativen Sinne von relativer Art.
3.4 Justizwesen
Die Modernisierung des Justizwesens war von entscheidender Bedeutung für die Beseitigung der Konsulargerichtsbarkeit der 16 westlichen Mächte in Japan im Jahr 1899. Das GVG (1890) wurde ursprünglich französisch konzipiert, wurde schließlich doch von einem deutschen Richter, Otto Rudorff maßgeblich entworfen. Das hiermit geregelte Gerichtswesen (Gerichtsbarkeit; Reichsgericht als Revisionsinstanz, Berufungsgericht, Landgericht, Amtsgericht) beschränkte sich auf Zivil- und Strafsachen. Die Sondergerichte wie Militärgericht, das einzige in Tokio ansässige VG oder das summarische polizeiliche Verfahren für leichte Vergehen (Keisatsukansho) gehörten, wie in der Verfassung ausdrücklich geregelt, nicht zum Justizwesen.
Die Unabhängigkeit des Justizwesens gegenüber der Verwaltung wurde verfassungsrechtlich geregelt, aber nicht so respektiert, was aber weniger aus dem spezifisch ‚japanischen‘ Rechtsbewusstsein, als vielmehr aus den konkreten politischen Umständen zu begreifen wäre, dass man noch die Verselbständigung des japanischen Gerichtswesens von der westlichen Einflussnahme auf die Justizpraxis angestrebt hätte: die Etablierung des modernen Justizwesens war eine weniger verfassungsrechtliche als vielmehr politische Aufgabe.
3.5 Rezeption der Theorie
Kodifikationen warten darauf, gedeutet und angewandt zu werden. Dafür braucht man theoretische Deutungsmuster. Das japanische Rechtsleben orientierte sich dabei seit den 1880er Jahren überwiegend an der deutschen Rechtswissenschaft. Diese wurde in Japan als die fortgeschrittenste in Europa angesehen, weil sie eine angeblich starke Neigung zur empirischen Forschung hatte.
Dies ist leicht am Beispiel des Privatrechts zu sehen: Die sog.e „systematische“ deutsche Pandektistik war in Japan weniger prägend. Beliebt waren vielmehr die weniger dogmatisch und mehr pragmatisch und sozialwissenschaftlich denkenden Köpfe (z. B. Heinrich Dernburg, Josef Kohler, Albert Hermann Post). Während in Deutschland die „Rechtswissenschaft“ u. a. dazu diente, eine gemeinsame juristische Sprache trotz der föderalen Vielfalt der Rechtspraxis herzustellen, trug die japanische Übernahme der deutschen Rechtswissenschaft dazu bei, die staatlich gegebenen Bestimmungen der Kodifikationen auf dem „wissenschaftlichen“ Weg über den Wortlaut hinaus zu interpretieren.
Die meisten Rechtsprofessoren an den wichtigeren „kaiserlichen“ Universitäten unternahmen regelmäßig Forschungsreisen nach Europa, v. a. Deutschland. Seit dem ersten Weltkrieg wurden vermehrt die Vereinigten Staaten angesteuert. Das regte dazu an, die Gerichtsentscheidungen mit Blick auf die jeweils zugrundeliegenden Tatsachenverhältnisse zu besprechen, was eine gewisse Polemik gegen die Vorherrschaft der deutschen „Rechtswissenschaft“ nach sich zog.
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde der amerikanische Einfluss im Verfassungsrecht (Staatsrecht), Handelsrecht und auch dem Strafprozessrecht noch deutlicher. Im Verwaltungsrecht, Zivilprozessrecht und Strafrecht hingegen ist der Austausch mit der deutschen Wissenschaft immer noch rege geblieben.
3.6 Rechtsleben in den Kolonien
In Taiwan seit 1898 und in Korea seit 1912 wurde eine Reihe der wichtigeren japanischen Kodifikationen (Zivilrecht, Handelsrecht, Strafrecht, Zivil- und Strafprozessordnung) grundsätzlich in Anwendung gebracht mit dem Vorbehalt, dass der Generalgouverneur abweichendes regeln durfte. Aus diesen Kolonien kamen zahlreiche Jurastudierende nach Japan. Auf diese Weise verbreitete sich auch in diesen Gebieten die japanische Auffassung der deutschen Rechtswissenschaft.
Auch nach dem Ende der japanischen Kolonialherrschaft (1945) sind die so verbreiteten juristischen Ansichten in den dortigen Juristen geblieben. Sie etablierten die Grundlage des heutigen Rechtslebens. Wie Friedrich Carl von Savigny einst sagte: Die „Richtung der Gedanken, die Fragen und Aufgaben werden auch da noch durch den vorhergehenden Zustand bestimmt seyn, und die Herrschaft der Vergangenheit über die Gegenwart wird sich auch da äußern können, wo sich die Gegenwart absichtlich der Vergangenheit entgegen setzt“ (Savigny 1814: 113). Für die Kolonialforschung ist daher eine besondere historische Nüchternheit erforderlich.
3.7 Rechtsleben in der Nachkriegszeit Japans
Nach der Niederlage Japans im Pazifischen Krieg trat die neue, wesentlich von den GHQ konzipierte Verfassung am 3.5.1947 in Kraft. Sie behält noch den Kaiser als „Symbol“ bei, hat ihm aber das Recht auf die Teilnahme an der Politik abgesprochen. Auf der Grundlage der Achtung der Menschenrechte stellt sich Japan als demokratischer Staat dar. Das Parlament, dessen Abgeordnete gemäß dem allgemeinen Wahlrecht durch das Volk gewählt werden sollen, wird als die höchste staatliche Institution angesehen. Das Justizwesen wird deutlich von der vollziehenden Gewalt abgekoppelt und die Unabhängigkeit der Richter ausdrücklich geregelt. Die Sondergerichte werden abgeschafft. Nunmehr hat die ordentliche Gerichtsbarkeit die ausschließende justizielle Kompetenz. Die vollziehende Gewalt wird dem Parlament in der Weise untergeordnet, in der die Regierung im Gegensatz zum Präsidialsystem (Regierungssysteme) wesentlich auf dem Vertrauen des Parlaments basiert.
Die neue Verfassung verzichtet mit dem Art. 9 auf das Recht der Kriegsführung und auf den Unterhalt der militärischen Macht. Dieser Pazifismus geriet bereits mit dem Koreakrieg (1950–1953) ins Wanken. Der Richtlinie von GHQ folgend führte Japan, nunmehr als Front der liberalen Lager, 1950 eine „polizeiliche“ Macht ein, die faktisch gleich einem Militär war. Diese Macht wurde dann 1954 als „Verteidigungstruppe“ umbenannt, ohne den Wortlaut des Art. 9 zu ändern. So ist eine ziemliche Diskrepanz zwischen Wortlaut und Praxis geradezu in einem politisch höchst empfindlichen Bereich entstanden.
Verfassungskonform wurde der Teil des Familien- und Erbrechts (Familienrecht, Erbrecht) 1948 grundsätzlich reformiert. Die „feudalistische“ Hausideologie wurde abgeschafft. Nicht das Haus, sondern die aus dem Vertrag beider gleichberechtigter Geschlechter entstandene Ehe wird als Einheit begriffen.
Auch wurde das HGB 1947 grundlegend und in Richtung auf Amerikanisierung geändert, um die Konzentration der großen Kapitalien auf die wenigen Konzerne, die von GHQ als Hindernis der gesunden Entfaltung der Wettbewerbskultur in Japan angesehen wurde, aufzulösen. Nach den häufigeren Reformen wurde 2005 das Gesellschaftsrecht mit vielen Änderungen vom HGB endgültig verselbständigt.
Bes. seit 2006 ist über die Reform des Schuldrechts lebhaft diskutiert worden. Befürworter der Reform behaupten die Notwendigkeit, ein transparentes, der heutigen globalisierten Marktwirtschaft (Wirtschaftsordnungen) gerechtes, dem Bürger zugänglicheres, die vielen Sonderrechte in sich aufnehmendes Schuldrecht zu komponieren. 2013 wurde von der Arbeitsgruppe im Justizministerium der Entwurf verfertigt. Er wartet darauf, im Parlament ernsthaft diskutiert und beschlossen zu werden.
Literatur
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Empfohlene Zitierweise
K. Moriya: Asiatischer Rechtskreis, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Asiatischer_Rechtskreis (abgerufen: 25.11.2024)