Staatsangehörigkeit: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 14. November 2022, 06:00 Uhr

1. Begriffliches

1.1 Staatsangehörigkeit und Staatsbürgerschaft

Die Begriffe der S. und der Staatsbürgerschaft werden vielfach synonym verwendet. Auch rechtlich ist eine Unterscheidung nicht klar vorgegeben. Es gibt aber Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit. So werden in der englisch- und französischsprachigen Literatur die dortigen Pendants (nationality/citizenship bzw. nationalité/citoyenneté) meist für eine Unterscheidung zwischen der völkerrechtlichen und der innerstaatlichen Bedeutung verwendet. Nationality und nationalité stehen in dieser Unterscheidung für die völkerrechtlichen Rechtsbeziehungen, citizenship und citoyenneté dagegen für die staats- und verfassungsrechtlichen Rechtbeziehungen. In konzeptioneller Hinsicht lässt sich eine formelle Dimension der Zuordnung einer Person zu einem Staat (Angehörigkeitsbeziehung) von einer materiellen Dimension unterscheiden, bei der es um die Rechte und Pflichten geht, welche einer Person aus der Zuordnung zu einem bestimmten Staat erwachsen (Mitgliedschaftsbeziehung). Auch wenn die beiden Begriffe der S. und der Staatsbürgerschaft in der Literatur nicht durchgängig i. S. dieser Unterscheidung verwendet werden, wird sie der nachfolgenden Darstellung zugrunde gelegt, weil sie wichtige konzeptionelle Unterscheidungen sichtbar werden lässt.

1.2 Einbürgerung

Neben den Begriffen der S. und der Staatsbürgerschaft ist der Begriff der Einbürgerung von Bedeutung. Im Gegensatz zum Erwerb der S. durch Geburt bezeichnet er den Erwerb einer neuen S. entweder unter Wegfall einer bestehenden S. oder unter deren Beibehaltung. Im zuletzt genannten Fall entsteht eine doppelte oder unter Umständen sogar mehrfache S.

1.3 Staatszugehörigkeit für juristische Personen

Für juristische Personen gibt es mit der sog.en Staatszugehörigkeit ein ähnliches Konzept. Es dient der Zuordnung von v. a. Handelsunternehmen, aber auch anderen juristischen Personen zu einem Staat. Bedeutung hat die Staatszugehörigkeit von juristischen Personen traditionell im Bereich des Investitionsschutzes. Sie spielt aber in neuerer Zeit auch in Freihandelsabkommen eine Rolle. Die Kriterien für die Bestimmung der Staatszugehörigkeit sind im Einzelnen etwas umstritten. Weitgehend anerkannte Zuordnungskriterien sind der Sitz und der Gründungsort einer juristischen Person. Der Ort der wirtschaftlichen Kontrolle wird zwar von einigen Staaten auch für die Zuordnung herangezogen, konnte sich aber bislang nicht allg. durchsetzen.

1.4 Unionsbürgerschaft

Auf der Ebene der EU gibt es seit dem Vertrag von Maastricht mit der Unionsbürgerschaft einen Status, der an den der S. angelehnt ist. Die Unionsbürgerschaft ist akzessorisch zur S. eines Mitgliedstaats, begründet aber nach der Rechtsprechung des EuGH einen eigenen unionsrechtlichen Status, der Rückwirkungen auf das mitgliedstaatliche S.s-Recht v. a. beim Entzug der S. haben kann. Die Unionsbürgerschaft beinhaltet neben dem Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Union das aktive und passive Wahlrecht im Aufenthaltsstaat bei Kommunalwahlen und bei den Wahlen zum Europäischen Parlament. Außerdem umfasst sie das Recht auf diplomatischen und konsularischen Schutz durch die anderen Mitgliedstaaten der Union gegenüber Drittstaaten, wenn es keine Vertretung des eigenen Heimatstaats in dem betreffenden Drittstaat gibt, und das Petitionsrecht zum Europäischen Parlament sowie das Recht auf Eingaben an den Europäischen Bürgerbeauftragten (Art. 20 Abs. 2 AEUV).

2. Die völkerrechtliche Ebene

2.1 Grundlage für die Ausübung von Hoheitsgewalt und die Gewährung von diplomatischem Schutz

Auf völkerrechtlicher Ebene spielt die S. für die Begründung von Jurisdiktion eine entscheidende Rolle. Neben dem Territorialitätsprinzip, demzufolge Staaten Hoheitsgewalt über ihr Staatsgebiet ausüben, ist das Personalitätsprinzip anerkannt, das die Ausübung von Hoheitsgewalt über eigene Staatsangehörige erlaubt. Außerdem sind die Heimatstaaten berechtigt, Rechtspositionen ihrer eigenen Staatsangehörigen im Wege des diplomatischen Schutzes gegenüber anderen Staaten geltend zu machen. Voraussetzung für die Wahrnehmung dieses Rechts ist aber nach der Entscheidung des IGH im Fall Nottebohm, dass die S. „real and effective“ (IGH, Urteil vom 6.4.1955, ICJ Reports 1955: 4) ist. Dafür verlangt der Gerichtshof eine hinreichend enge Verbindung („genuine connection“ [IGH, Urteil vom 6.4.1955, ICJ Reports 1955: 23]) zwischen dem Heimatstaat und seinem Staatsangehörigen. Dieses zusätzliche Erfordernis soll verhindern, dass Staaten Schutzrechte für Personen in Anspruch nehmen, zu denen sie außer der durch die S. vermittelten formalen Beziehung in keiner materiellen Nähebeziehung stehen.

2.2 Staatsangehörigkeit und Auslieferung

Die Auslieferung ist die Überstellung einer Person an einen anderen Staat zum Zwecke der Strafverfolgung. Viele Staaten verweigern die Auslieferung eigener Staatsangehöriger (vgl. für Deutschland das Verbot der Auslieferung eigener Staatsangehöriger in Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG). Völkerrechtlich ist das weitgehend unproblematisch, weil keine allg.e Verpflichtung zur Auslieferung besteht. Soweit solche Auslieferungspflichten im Wege der strafrechtlichen Zusammenarbeit vereinbart werden, enthalten sie zumeist Ausnahmeklauseln für eigene Staatsangehörige (vgl. z. B. Art. 6 Europäisches Auslieferungsübereinkommen vom [13.12.1957 13.12.1957]). Ausnahmen von dieser Form des Schutzes bestehen in Bezug auf die internationale Strafgerichtsbarkeit und das Recht der Europäischen Union, das mit dem Europäischen Haftbefehl eine eigene Form der strafrechtlichen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten kennt, bei der die S. weitgehend unerheblich ist. In Bezug auf einige wenige, bes. schwere Delikte (z. B. Kriegsverbrechen, Völkermord, Folter, Flugzeugentführung, Verbrechen gegen Diplomaten u. a. international geschützte Personen) besteht nach dem Grundsatz aut dedere, aut iudicare eine völkervertragliche und darüber hinaus auch teilweise eine völkergewohnheitsrechtliche Pflicht (Gewohnheitsrecht), entweder selbst die Strafverfolgung durchzuführen oder die betreffende Person an einen Staat auszuliefern, der zur Strafverfolgung bereit ist. Diese Verpflichtung gilt auch in Bezug auf eigene Staatsangehörige.

2.3 Völkerrechtliche Vorgaben für die Verleihung der Staatsangehörigkeit

2.3.1 Allg.e Grundsätze

Die Verleihung der eigenen S. ist grundsätzlich eine autonome Entscheidung eines jeden Staats. Maßgeblich ist das jeweilige innerstaatliche S.s-Recht. Für Deutschland ist dies das StAG vom 15.7.1999, das mit Wirkung vom 1.1.2000 das bis dahin geltende RuStAG aus dem Jahr 1913 ersetzte. Allerdings würde es zu nicht unerheblichen Schwierigkeiten führen, wenn das Völkerrecht hier keine Grenzen ziehen würde. Wie bereits erwähnt, verlangt der IGH für die völkerrechtliche Ausübung des diplomatischen Schutzes eine „genuine connection“. Gängige Prinzipien, die ohne weiteres eine solche Nähebeziehung begründen, sind das Abstammungsprinzip und das Territorialitätsprinzip. Das Abstammungsprinzip knüpft an die S. der Eltern an, das Territorialitätsprinzip an den Ort der Geburt. Von entscheidender Bedeutung ist, dass jeder Staat nur über die Verleihung seiner eigenen S. entscheiden kann. Dies bedeutet, dass es bei unterschiedlicher S. der Eltern für das Abstammungsprinzip auf deren jeweilige Heimatstaaten ankommt, für den Erwerb nach dem Territorialitätsprinzip auf das Recht des Staates, auf dessen Territorium das Kind geboren wird.

2.3.2 Doppelte und mehrfache Staatsangehörigkeit

In der Kombination dieser Prinzipien können mehrfache S.en entstehen. Das gilt insb., wenn die Eltern unterschiedliche S.en besitzen und beide Heimatstaaten dem Abstammungsprinzip folgen. Aber auch in der Kombination von Abstammungs- und Territorialitätsprinzip kann es zu mehrfachen S.en kommen. Früher stand das Völkerrecht doppelten und mehrfachen S.en skeptisch gegenüber, weil die damit verbundenen unterschiedlichen Loyalitätspflichten als problematisch angesehen wurden. Inzwischen setzt sich eine eher pragmatische Haltung durch, die zur Kenntnis nimmt, dass doppelte und mehrfache S.en eine unvermeidliche Nebenwirkung von Migration im Allgemeinen und Freizügigkeit im Europäischen Binnenmarkt im Besonderen sind. Weil die Mehrzahl der Staaten das Abstammungsprinzip zumindest auch anwendet, sind Kinder aus binationaler Verbindung sehr oft von Geburt an Doppel- oder Mehrstaater. Im Jahr 2015 entstammten 12,2 % aller in Deutschland geborenen Kinder einer binationalen Verbindung. Die geänderte Haltung gegenüber Doppel- oder Mehrstaatigkeit drückt sich in Art. 14 Abs. 1 lit. a des „Europäischen Übereinkommens über die Staatsangehörigkeit“ vom 6.11.1997 aus, demzufolge Kindern, die bei der Geburt ohne weiteres verschiedene S.en erworben haben, die Beibehaltung dieser S.en gestattet wird. Deutschland folgt dieser Tendenz und hat dementsprechend im Zuge der Ratifikation des „Europäischen Übereinkommens über die Staatsangehörigkeit“ im Jahr 2002 das ältere „Übereinkommen über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern“ vom 6.5.1963 gekündigt.

Doppelte und mehrfache S.en ziehen eine Reihe von Folgewirkungen nach sich, die nicht übersehen werden dürfen. Manche dieser Folgewirkungen sind für die Betroffenen positiv (etwa die Möglichkeit in mehreren Staaten wahlberechtigt zu sein), andere sind negativ (etwa eine möglicherweise bestehende doppelte Wehrpflicht). Diese Folgewirkungen lassen sich nicht vollständig vermeiden, aber durch entspr.e Regelungen abmildern. So kann der im Land der anderen S. bereits abgeleistete Wehrdienst möglicherweise angerechnet werden oder die beteiligten Heimatstaaten können eine Absprache über die Beschränkung des Wahlrechts auf denjenigen Staat vereinbaren, zu dem die Person die engsten Beziehungen hat. Solche Absprachen gibt es etwa zwischen Spanien und einigen südamerikanischen Staaten.

Für die Zukunft wird man verstärkt über Möglichkeiten der Begrenzung bei der Weitergabe der S. nach dem Abstammungsprinzip nachdenken müssen. Das deutsche Recht enthält hier seit der Reform des S.s-Rechts im Jahr 2000 mit dem sog.en Generationenschnitt in § 4 Abs. 4 StAG eine Regelung, durch welche die Weitergabe nach dem Abstammungsprinzip für im Ausland geborene Kinder unterbunden wird, wenn das Kind im Ausland geboren und auch der deutsche Elternteil nach dem 31.12.1999 im Ausland geboren wurde und dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, es sei denn, das Kind würde sonst staatenlos. Diese Regelung reagiert auf den Umstand, dass ansonsten eine endlose Weitergabe der S. nach dem Abstammungsprinzip auch auf Kinder erfolgen würde, denen jedweder Bezug zu Deutschland fehlt. Unter den gegenwärtigen Migrationsbedingungen wäre eine möglichst breite Einführung dieser Lösung auch im S.s-Recht anderer Länder wünschenswert. Auch könnten völkerrechtliche Vereinbarungen hierüber dazu führen, in mittel- und langfristiger Perspektive Doppel- und Mehrstaatigkeit auch in Fällen wieder einzuschränken, die – wie der Erwerb aus einer binationalen Verbindung der Eltern – in der politischen Diskussion zumeist gar nicht thematisiert werden.

2.3.3 Staatenlosigkeit

Völkerrechtlich höchst unerwünscht ist dagegen weiterhin die Staatenlosigkeit, weil sie zu einer weitgehenden Rechtlosstellung der betreffenden Personen führt. Es gibt deshalb vertragliche Regelungen, mit denen Staatenlosigkeit vermieden oder zumindest die Rechtsstellung von Staatenlosen verbessert werden soll (z. B. „Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen“ vom 28.9.1954; „Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit“ vom 30.8.1961; Art. 4 lit. b des „Europäischen Übereinkommens über die Staatsangehörigkeit“ vom 6.11.1997). Zu solchen Regeln gehört etwa die Verpflichtung, einem im Inland geborenen Kind die S. nach dem Territorialitätsprinzip zu verleihen, wenn es andernfalls staatlos wäre (Art. 20 Abs. 2 „Interamerikanische Menschenrechtskonvention“ vom 22.11.1969). Eine vergleichbare Pflicht begründet auch Art. 6 Abs. 2 „Europäisches Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit“ vom 6.11.1997.

2.3.4 Staatensukzession und Staatsangehörigkeit

Bes. Probleme können in Staatensukzessionsfällen entstehen. Das betrifft zum einen die Situation des sog.en Zerfalls, d. h. den Untergang des bisherigen Völkerrechtssubjekts bei gleichzeitiger Entstehung mehrerer neuer Völkerrechtssubjekte auf dem bisherigen Gebiet. In solchen Fällen können die ethnische oder persönliche Zuordnung einerseits und der territoriale Aufenthalt andererseits auseinanderfallen und es entstehen schwierige aufenthaltsrechtliche Fragen. Illustrativ ist der vom EGMR entschiedene Fall Kurić u. a. v Slowenien (EGMR, Urteil vom 26.6.2012 – 26828/06). Hier geht es um die staatsangehörigkeitsrechtlichen und aufenthaltsrechtlichen Folgen des Zerfalls der ehemaligen föderativen jugoslawischen Republik, der bes. Härten für Angehörige einer Teilrepublik mit sich brachte, die sich seit langem auf dem Gebiet einer anderen Teilrepublik niedergelassen hatten, deren S. aber nach dem Zerfall nicht erlangt hatten. Hier hat der EGMR mit einem aus Art. 8 EMRK abgeleiteten dauerhaften Aufenthaltsrecht geholfen, das unabhängig von der S. eingreift.

2.3.5 Menschenrecht auf Staatsangehörigkeit

Wie oben unter den allg.en Grundsätzen ausgeführt (s. 2.2.1) geht das Völkerrecht traditionell davon aus, dass es zur staatlichen Souveränität gehört, frei über die Vergabe der eigenen S. zu entscheiden. Dieser Grundsatz wird aber v. a. im Bereich des Antidiskriminierungsrechts zumindest punktuell modifiziert. Für die EMRK hat der EGMR hierzu entschieden, dass die Konvention zwar keinen Anspruch auf den Erwerb einer bestimmten S. beinhalte. Dessen ungeachtet könne das willkürliche Vorenthalten einer S. wegen des Einflusses der S. auf die Persönlichkeitsentwicklung und die sozialen Beziehungen einer Person zu ihrer Umwelt u. U. einen Verstoß gegen das Recht auf Achtung des Privatlebens begründen. Auf dieser Basis hat der Gerichtshof eine Regelung des maltesischen Rechts für konventionswidrig erklärt, in der uneheliche Kinder beim Erwerb der S. benachteiligt wurden (EGMR, Urteil vom 11.10.2011 – 53124/09, Rdnr. 30 – Genovese v Malta). Solche punktuellen Durchbrechungen begründen zwar keinen allg.en menschenrechtlichen (Menschenrechte) Anspruch auf eine S., sie können aber im Einzelfall eben doch einen Anspruch auf Zugang zu einer bestimmten S. begründen.

3. Die staatsrechtliche und staatstheoretische Ebene

3.1 Formale Staatsangehörigkeit und materiale Gemeinschaftszugehörigkeit

Nach dem BVerfG kommt in der S. die „Grundbeziehung der mitgliedschaftlichen Verbindung und rechtlichen Zugehörigkeit zur staatlichen Gemeinschaft“ zum Ausdruck (BVerfGE 37,217 [241]). Mit der S. wird demnach über die Zugehörigkeit zum Staatsvolk im (verfassungs-)rechtlichen Sinne entschieden. Da nach der herrschenden Auffassung in Völkerrecht und Staatstheorie das Staatsvolk ein wesentliches Element von Staatlichkeit ausmacht, kommt der Entscheidung über die Verleihung der S. auch aus dieser Perspektive grundlegende Bedeutung zu. Ob jenseits des formalen Bandes der S. noch eine engere, materiale Zusammengehörigkeit i. S. einer „Schicksalsgemeinschaft“ erforderlich ist, um von einem Staatsvolk sprechen zu können, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten geblieben. Teilweise wird ein solches (vorrechtliches) Zusammengehörigkeitserfordernis als Verfassungsvoraussetzung (Verfassungsvoraussetzungen, Verfassungserwartungen) für erforderlich gehalten, andere weisen solche Voraussetzungen als übertriebene Homogenitätspostulate zurück. Wie auch immer die Frage in staatstheoretischer Hinsicht zu beantworten sein mag, jedenfalls in rechtlicher Hinsicht kommt der demokratische Verfassungsstaat nicht darum herum, das formale Band der S. ausreichen zu lassen, weil weitergehende Einheitsforderungen an Kriterien ansetzen, die entweder nicht hinreichend sicher messbar oder gar wegen ihres diskriminierenden Charakters (Diskriminierung) verfassungswidrig sind.

3.2 Der von der Staatsangehörigkeit vermittelte Bürgerstatus

Nach dem traditionellen Verständnis vermittelt die S. einen rechtlichen Status i. S. eines Bündels an Rechten und Pflichten. In praktischer Hinsicht äußerst bedeutsam sind zunächst das Aufenthalts- und das Freizügigkeitsrecht. Staatsbürger haben einen – auch völkerrechtlich anerkannten – Anspruch auf Aufenthalt im Heimatstaat sowie auf freie Wahl des Aufenthalts- und Wohnorts. Das Recht umfasst auch die Einreise. Einen zweiten wichtigen Aspekt bildet das Recht auf wirtschaftliche Betätigung, das in Deutschland durch die Berufsfreiheit des Art. 12 GG garantiert wird. Die politischen Mitwirkungsrechte (Partizipation) sind das dritte zentrale Element. Zu ihnen gehören v. a. das aktive und das passive Wahlrecht, also diejenigen Rechte, die sich auf den Bereich der organisierten Staatswillensbildung beziehen. Als vierter großer Bereich ist die sozialstaatliche Dimension (Sozialstaat) zu nennen. Mit dem Bürgerstatus ging traditionellerweise im Falle der Bedürftigkeit ein Anspruch auf soziale Unterstützung durch die Gemeinschaft einher. Unter den der Gemeinschaft geschuldeten Grundpflichten wird allein die Wehrpflicht mit der S. verknüpft. Die anderen Pflichten (insb. auch die Steuerpflicht) gelten in aller Regel unabhängig von der S. für alle Bewohner des jeweiligen Staatsgebiets.

3.3 „Entbündelung“ des Bürgerstatus

Zentrales Charakteristikum der Entwicklung der letzten Jahrzehnte im Bereich der S. ist die „Entbündelung“ des ehemals von der S. abhängigen Rechtebündels. Insb. im Bereich des Aufenthaltsrechts haben sich zahlreiche grund- und menschenrechtliche sowie durch das Recht der EU (Europarecht) vermittelte aufenthaltsrechtliche Rechtspositionen entwickelt, sodass die S. inzwischen nur noch eine von mehreren rechtlichen Möglichkeiten darstellt, einen gefestigten Aufenthaltsstatus zu erwerben. So genießen etwa Unionsbürger innerhalb der EU Freizügigkeit einschließlich der Niederlassungsfreiheit und das Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens kann eigenständige aufenthaltsrechtliche Rechtspositionen vermitteln. Auch die Unterstützung bei Bedürftigkeit und die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit sind schon lange nicht mehr an die S. gebunden. Die sozialstaatliche Fürsorge knüpft entweder an eigene Sozialversicherungsbeiträge oder im Hinblick auf die Gewährleistung des Existenzminimums schlicht an den Aufenthalt im Inland an. Sowohl in Bezug auf die soziale Absicherung als auch bei der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit hat im Zuge der europäischen Integration (Europäischer Integrationsprozess) zudem eine weitgehende Angleichung der Rechtspositionen von Inländern und nicht-deutschen Unionsbürgern stattgefunden. Und auch der Status von Drittstaatsangehörigen wurde in Bezug auf die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit immer weiter ausgebaut.

Allein das aktive und passive Wahlrecht bleibt weiterhin streng an die S. gebunden. Hier gibt es lediglich für die Wahlen zum Europäischen Parlament und für Wahlen auf kommunaler Ebene Ausnahmen. Politische Bestrebungen, diesen Zustand zumindest auf der Ebene der Länder zu ändern und dort ein begrenztes Ausländerwahlrecht einzuführen, hat das BVerfG in seinen Entscheidungen zum Ausländerwahlrecht in Schleswig-Holstein (BVerfGE 83,37) und Hamburg (BVerfGE 83,60) zurückgewiesen. Der bislang eingeschlagene Weg geht deshalb dahin, an der Verbindung von Wahlrecht und S. festzuhalten und die Möglichkeiten des Erwerbs der S. durch Einbürgerung auszubauen.

4. Ausblick

In historischer Perspektive enthielt der mit der S. verbundene Bürgerstatus ein elementares Gleichheitsversprechen, das zugl. die Abkehr von den Ungleichheiten einer ständischen Struktur bedeutete. In staatsbürgerlicher Hinsicht waren Unterschiede im Stand unerheblich und stattdessen alle gleichzubehandeln. Solange die einzelnen Statusrechte im Bürgerstatus gebündelt waren, konnte dieser Bürgerstatus Gleichheit garantieren, gerade auch hinsichtlich der politischen Mitwirkungsmöglichkeiten. In dem Maße, in dem der Bürgerstatus entbündelt und der dauerhafte Aufenthalt unabhängig von der S. ermöglicht wird, drohen neue Ungleichheiten, die sich als demokratisches Mitwirkungsproblem darstellen. Für die repräsentative Demokratie kann das zum Krisenfall werden, denn es droht eine Inkongruenz „zwischen den Inhabern demokratischer politischer Rechte und den dauerhaft einer bestimmten staatlichen Herrschaft Unterworfenen“ (BVerfGE 83,37 [52]).