Staatsvolk: Unterschied zwischen den Versionen

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[[Category:Rechtswissenschaft]]

Version vom 14. November 2022, 06:00 Uhr

Das S. als Rechtsbegriff bewirkt eine formale Zurechnung zu einem Staat und ist traditionelle Bezugsgröße des völkerrechtlichen Staatsbegriffs, des Demokratiebegriffs und der Staatsangehörigkeit.

1. Staatsvolk zwischen Rechtsbegriff und politischer Theorie

Die Verfassunggebung, mit der die jeweilige Grundordnung moderner Staaten gesetzt wird, benötigt zur politischen Legitimierung des Gründungsaktes ein Subjekt, auf dessen Willen verwiesen werden kann. In der politischen Theorie ist ein wirkmächtiges Legitimierungsmodell von Verfassungen das der Volkssouveränität. Diese braucht aber ein Volk, dem ein politischer Willen zum verfassten Staat zugerechnet werden kann. Die Definition dieses S.es in statu nascendi bereitet hierbei auch der politischen Theorie Schwierigkeiten, weil Kriterien der Zugehörigkeit benötigt werden. Materiale Volksdefinitionen (etwa nach Ethnie, Kultur) sind hierbei zum einen anfällig für demokratietheoretisch nicht zu rechtfertigende Exklusionen und leiden zum anderen an völliger Unbestimmtheit, weil man auf ein „Volk“ verweist, das keine natürliche Einheit ist, sondern ein normatives Konstrukt, das erst durch eine Rechtsordnung entsteht.

In der Staatspraxis entstehen jedoch Verfassungen durchweg nicht auf einer rechtlichen Tabula rasa, sondern in einer partiellen rechtlichen Geltungskontinuität zu einer vorherigen – z. B. revolutionär überwundenen oder transformierten – Rechtsordnung, die jedenfalls ein Konzept der Staatsangehörigkeit kennt. Ein souveränes Gründungsvolk kann also entweder rechtlich vorverfasstes S. sein oder muss alle Einwohner eines Gebiets erfassen.

Mit der Verfassunggebung verliert das politisch-theoretische Konzept der Volkssouveränität seine Bedeutung. Es bleibt das S., das demokratische Herrschaft innerhalb der verfassungsrechtlichen Legitimationsmechaniken legal ausübt. Änderungen des personalen Substrats des S.es sind daher verfassungsrechtlich auch keine Änderung einer staatstheoretischen Bezugsbasis der Volkssouveränität. Es gibt kein mythisches vorrechtliches Volk, das inhärente Grenze rechtlicher Fortschreibungen des S.es sein könnte.

2. Staatsvolk und völkerrechtlicher Staatsbegriff

Das Völkerrecht bedient sich zur Definition, was Staaten und damit geborene Völkerrechtssubjekte sind, immer noch der Kriterien der sog.en Drei-Elemente-Lehre von Georg Jellinek. Ein Staat benötigt hiernach ein Staatsgebiet, ein S. und Staatsgewalt. In einer Weltordnung, in der die Staaten primärer Bezugspunkt von Herrschaftsausübung geblieben sind, ist die Unterscheidung zwischen Staatszugehörigen und Fremden unvermeidbar. S. ist hier ein formaler Begriff der Zugehörigkeit, mit dem Einwohner einem territorialen Staatsverband zugeordnet werden. Für den völkerrechtlichen Staatsbegriff, der die friedenssichernde Staatsformneutralität des Völkerrechts spiegelt, kommt es hingegen nicht darauf an, ob ein Staat den Mitgliedern seines Volkes Bürgerstatus mit Rechten gewährt. Auch Staaten, die nicht demokratisch verfasst sind (z. B. Diktaturen, Erbmonarchien [ Monarchie ], Hierokratien) oder konkreten Teilen des Volkes politische Rechte vorenthalten, haben ein S.

3. Staatsvolk und Demokratie

Das S. ist Legitimationssubjekt der Demokratie. Exemplarisch bringt dies Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG zum Ausdruck: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Das verfasste S. ist also Subjekt demokratischer Selbstbestimmung, die das Objekt Herrschaft über rechtlich definierte Verfahren legitimiert. Die Legitimationsverfahren können hierbei sehr unterschiedlich ausgestaltet sein. Sie setzen aber eine eindeutige rechtliche Bestimmung des S.es voraus, also einen rechtlichen Bürgerstatus. Das S. legitimiert einerseits Herrschaft auf dem jeweiligen Staatsgebiet auch gegenüber denjenigen, die nicht selbst Mitglied des Volkes sind (z. B. ausländische Einwohner, Durchreisende). Andererseits kann das jeweilige Verfahrensrecht einer Demokratie auch Teilen des S.es demokratische Teilhabe (Partizipation) vorübergehend vorenthalten, indem das Wahlrecht an Voraussetzungen geknüpft wird (z. B. Mindestwahlalter).

Herrschaftslegitimation (Legitimation) muss sich zwar auf ein verfasstes Legitimationssubjekt beziehen. Dieses muss aber nicht zwingend mit dem S. des Gesamtverbandes identisch sein. Demokratische Verfassungen kennen z. B. Gliedstaats- oder Gemeindevölker (Föderalismus), die für ein Teilgebiet als Legitimationssubjekt von Herrschaft fungieren.

4. Staatsvolk und Staatsangehörigkeit

Zugehörigkeit zum S. wird in liberalen Rechtsordnungen nicht über vorrechtlich-materiale Zugehörigkeitskriterien (wie Ethnie oder Kultur) definiert, sondern über das formale Band der Staatsangehörigkeit. Die Summe der Staatsangehörigen ist dann das Volk. Nicht-Staatsangehörige werden insoweit i. d. R. von den politischen Legitimationsverfahren ausgeklammert, Zugang zu politischer Teilhabe wird aber über eine Einbürgerung offen gehalten.

Eine demokratische Verfassung zeichnet sich auch durch einen egalitären Bürgerstatus aus: Es gibt grundsätzlich keine diskriminierende Staatsangehörigkeit, die Mitglieder des Staatsverbandes in verschiedene Klassen einteilt, wie dies namentlich unter NS-Herrschaft mit der Differenz von Reichsbürgern und ausgegrenzten, aber gewaltunterworfenen sonstigen Staatsangehörigen durch Reichsbürgergesetz vom 15.9.1935 (RGBl. I, 1146) der Fall war. Unter dem Grundgesetz wäre eine „völkische“ bzw. ethno-kulturelle Definition von Zugehörigkeit, die Menschen aus rassistischen Gründen (Rassismus) von gleichberechtigter Teilhabe an der politischen Willensbildung ausschließt, mit der Menschenwürde unvereinbar (BVerfGE 144,20 [208 f.]).