Herrschaft

  1. I. Soziologie
  2. II. Politikwissenschaft

I. Soziologie

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1. Allgemeines

H. bezeichnet eine auf wechselseitiger Anerkennung beruhende soziale Beziehung der Über- und Unterordnung, über deren genauere Bedeutung unterschiedliche Auffassungen bestehen. Das betrifft die Frage der Universalität, die Abgrenzung zu Begriffen wie Macht, Autorität, Einfluss, Disziplin oder Gewalt, das Verhältnis zu Gegenbegriffen wie Anarchie oder Genossenschaft und nicht zuletzt die Bestimmung der historischen und sozialen Relevanz von H. Breit diskutiert wird dieser Begriff in den Sozial- und Staatswissenschaften, aber auch in den Wirtschaftswissenschaften, der Ethnologie bzw. Anthropologie und der Philosophie.

2. Soziologisch

Die Wissenschaft von der Gesellschaft, die von Auguste Comte die Bezeichnung „Soziologie“ erhielt, profilierte sich in ihren Anfängen durch eine Gegenstellung, wenn nicht zu „H.“ schlechthin (die im Geschlechterverhältnis von A. Comte für durchaus gerechtfertigt erachtet wurde), so doch zu ihrer Ausgestaltung i. S. d. alteuropäischen „societas civilis sive res publica“. Als Schüler Henri de Saint-Simons teilte A. Comte dessen Überzeugung, in einer Phase des Umbruchs zu leben, in dessen Gefolge die Koordination von Gruppen und Klassen durch das „theologische“ und „militärische System“ zugunsten eines „état final positif“ überwunden würde, in dem allein die Sachgesetzlichkeiten der Wissenschaft und der Industrie bestimmend sein würden. Machte A. Comte diesen Vorgang noch von einem Wandel des Geisteszustands abhängig, der von religiösen und metaphysischen „Einbildungen“ zu dem auf Beobachtungen gestützten wissenschaftlichen Denkstil führen sollte (Comte 1933: 35 f.), so rückte Herbert Spencer ihn in eine differenzierungstheoretische Perspektive, die ihre Leitunterscheidungen aus der Naturphilosophie Friedrich Wilhelm Joseph Schellings und den auf ihr aufbauenden embryologischen Untersuchungen Karl Ernst von Baers bezog. Dessen „Gesetz der Ausbildung“ (Baer 1828: 153), demzufolge sich das Heterogene und Spezielle allmählich aus dem Homogenen und Gemeinsamen entwickelte, wurde von H. Spencer als Übergang von inkohärenter Homogenität zu kohärenter Heterogenität umformuliert und so interpretiert, dass entwicklungsgeschichtlich zwei Prozesse ineinander griffen: die intrasoziale Differenzierung zwischen Regierenden und Regierten, zwischen herrschenden und arbeitenden Teilen und schließlich zwischen Funktionssystemen für Ernährung, Verteilung und Regierung; und die aus intersozialen, vornehmlich kriegerischen Beziehungen hervorgehende Verschmelzung einfacher Aggregate zu immer größeren, zusammengesetzten Aggregaten. Kriegerische Konflikte, obwohl zunächst eine Triebkraft des Fortschritts, da sie die politisch-staatliche Zentralisation förderten, waren doch auf lange Sicht diesem Fortschritt hinderlich, weil sie die so geschaffenen Einheiten einem „Régime des ‚Status‘“ (Spencer 1903: § 568) im Sinne Henry Sumner Maines unterwarfen, das die individuelle Freiheit beschränkte und zur Erstarrung führte. Erst mit der Abnahme des „Militarismus“ und der Zunahme des „Industrialismus“, der auf einem Regime des Vertrags beruhe und mit einer Einschränkung der Macht und des Bereichs zentraler Autorität einhergehe, könne sich das Individuum frei entfalten (Spencer 1903: § 569 f.) – eine Konzeption, die in der Substituierung von H. durch Verwaltung an A. Comte anknüpfte, über diesen jedoch hinausging, indem sie die bei A. Comte noch vorherrschende Form staatlich zentralisierter durch eine dezentralisierte und in ihrem Umfang stark eingeschränkte Verwaltung ersetzte.

Das trug H. Spencer die Kritik Émile Durkheims ein, der zwar die wachsende Bedeutung des Individualismus bestätigte, jedoch der These von der abnehmenden Bedeutung des Staates widersprach. Für ihn bestand „kein Gegensatz darin, daß die Sphäre des individuellen Handelns gleichzeitig mit der des Staates wächst, daß sich die Funktionen, die nicht direkt vom zentralen Regelapparat abhängen, nicht zur gleichen Zeit mit diesem entwickeln“ (Durkheim 1988: 277). Allerdings erschien der Staat auch bei É. Durkheim, in Weiterführung der saintsimonistischen Sichtweise, nicht so sehr als Träger von H., denn als Institution des Verwaltungsrechts, die in modernen „organisierten“ Gesellschaften nur bestimmte Sektoren des „allgemeinen und oberflächlichen Lebens“ (Durkheim 1988: 428) erfasse, und auch davon zunehmend weniger. Die Kohäsion moderner Gesellschaften hing nicht von ihm ab, sondern von anderen Faktoren: zunächst, wie É. Durkheim anfangs meinte, von der „organischen Solidarität“ (Durkheim 1988: 162), die aus der arbeitsteiligen Ungleichheit und der damit verbundenen funktionalen Interdependenz resultiere; später aus dem Zusammenwirken der zu schaffenden „Korporationen“ (Durkheim 1988: 48), aus dem sich jene moralische und juridische Regelung ergeben sollte, die ihm zur Überwindung der gegenwärtigen, v. a. durch die Wirtschaft verursachten „Anomie“ (Durkheim 1988: 42) unerlässlich erschien. Da É. Durkheim sich außer mit den modernen organisierten Gesellschaften nur mit dem Strukturtypus der segmentären, akephalen Gesellschaft befasst hat, ist seiner Soziologie mit Recht bescheinigt worden, dass in ihr soziale Phänomene wie Macht, H. und Konflikt tendenziell unterrepräsentiert sind.

Dieses Defizit gilt a fortiori auch für die Aufnahme saintsimonistischer Denkmuster in der deutschen Soziologie des 20. Jh. Noch im Kaiserreich entwickelte Johann Plenge Ideen, wie mit Hilfe des Kreditsystems eine zentralistisch organisierte Volkswirtschaft aufzubauen sei und verkündete die Gewissheit, am Anfang einer „Periode der modernen Technik unter der Herrschaft einer genau rechnenden, organisatorisch weit ausgreifenden Wirtschaftsführung“ (zit. n. Schildt 1987: 527) zu stehen. In der Weimarer Republik wagte Karl Mannheim, obwohl selbst eher dem Historismus nahestehend, die Prognose, dass die zunehmende Durchsetzung des „Industrialismus“ ein „amerikanisches Bewußtsein“ fördere, welches sich allein an der „organisatorisch-technischen Wirklichkeitsbeherrschung“ (Mannheim 1969: 218) orientiere. Das stieß zunächst auf den Widerspruch von Hans Freyer, für den die Epoche nach wie vor im Zeichen des „Kampf[es] um die Herrschaft“ (Freyer 1933: 3) stand, um eine Ordnung, in der nicht die Planenden herrschen, sondern die Herrschenden planen sollten. Nach dem Zweiten Weltkrieg indes registrierte H. Freyer eine seit etwa zwei Jh. in Gang befindliche „radikale Abwertung von Herrschaft“ (Freyer 1955: 100), die auf das Aufkommen „sekundärer Systeme“ zurückzuführen sei, von Systemen der sozialen Ordnung, „die sich bis zum Grunde, das heißt bis in die menschlichen Subjekte hinein entwerfen“ (Freyer 1955: 88). Dieses Konzept, das in den 80er Jahren in anderem Kontext eine Neuauflage durch den Begriff der „reflexiven Modernisierung“ (Beck 1996) erfuhr, zielte auf eine umfassende Funktionalisierung, in deren Verlauf die herkömmlichen Formen der H. durch die Verwaltung von Sachen, genauer: „Sachen einschließlich der Menschen und [der] Menschen notwendig mit den Sachen“ (Freyer 1955: 103 f.) ersetzt würden. Schwankte H. Freyer noch, ob diese neuartige „Sachenverwaltung“ einen „herrschaftsfreien Zustand und geradezu das Gegenteil von Herrschaft“ bedeute oder nicht vielmehr eine andere „Art Herrschaft“ (Freyer 1955: 104), so plädierte Arnold Gehlen dafür, den Begriff der H. für Industriebetriebe (Betrieb) zu reservieren, in gesamtgesellschaftlicher Hinsicht aber eine Entwicklung „in die Richtung einer pluralistischen, stationären Subventionsordnung“ anzunehmen, „die im prägnanten Sinne herrschaftsarm wäre“ – eine Entwicklung, wie sie „zuerst von Saint-Simon vorausgesagt worden“ (Gehlen 1978: 117) sei. Noch dezidierter hieß es bei Helmut Schelsky, „daß durch die Konstruktion der wissenschaftlich-technischen Zivilisation ein neues Grundverhältnis von Mensch zu Mensch geschaffen wird, in welchem das Herrschaftsverhältnis seine alte persönliche Beziehung der Macht von Personen über Personen verliert, an die Stelle der politischen Normen und Gesetze aber Sachgesetzlichkeiten […] treten, die nicht als politische Entscheidungen setzbar und als Gesinnungs- oder Weltanschauungsnormen nicht verstehbar sind“ (Schelsky 1965: 453). „Herrschaftsdisziplin wird zur Sachdisziplin umgeformt“ (Schelsky 1965: 457).

Diese Sichtweise klingt noch in den soziologisch ungleich elaborierteren Arbeiten Niklas Luhmanns nach. In ihnen erscheint H. als ein Begriff, der nur für die „Erstphase politischer Evolution“ (Luhmann 2000: 416) eine gewisse Aussagekraft beanspruchen kann. Nur in Gesellschaften, die auf dem Differenzierungsmodus der „Stratifikation“ (Luhmann 2000: 414) beruhten, könne sinnvoll von der Existenz einer herrschenden Elite die Rede sein, die das Ganze im Ganzen repräsentiere; nur dort könne von einem echten Primat des Politischen gesprochen werden; nur dort sei es, obgleich nicht ohne Einschränkungen, möglich, dass ein Zentrum die Gesellschaft beherrsche und reguliere. Unter den Bedingungen funktionaler Differenzierung hingegen sei Politik nur mehr ein Teilsystem unter anderen, dessen systemeigenes Medium – politische Macht, die durch Kontrolle physischer Zwangsgewalt gedeckt sei – nur geringe Anwendungsmöglichkeiten habe. Die evolutionäre Neuartigkeit derartiger Ordnungen stehe heute nicht länger in Frage, „und das sollte man durch Vermeidung der Fortführung des Begriffs der Herrschaft und durch Vermeidung der Rückdatierung des Begriffs des Staates honorieren“ (Luhmann 2000: 417). Die Systemtheorie, hieß es bereits in einem frühen Text, habe sich von Vernunft und von H. emanzipiert. „Vernunft und Herrschaft sind für sie […] überhaupt keine brauchbaren Begriffe mehr“ (Luhmann 1971: 401).

Eine ganz andere Auffassung von H. liegt bei Ferdinand Tönnies, Georg Simmel und Max Weber vor, in deren Arbeiten formale und historische Soziologie jeweils unterschiedliche Mischungen eingegangen sind. F. Tönnies konzipierte H. seinen beiden Idealtypen von Gemeinschaft und Gesellschaft entspr. auf doppelte Weise: als „Herrschaft im gemeinschaftlichen Sinne“ (Tönnies 1991: 9), die eine Abbildung der „Herrschaft des Ganzen über seine Teile“ sei (Tönnies 1991: 160), und als „gesellschaftliche Herrschaft“, welche „a priori der individuellen Person“ zugehörig sei, als Resultat der Verselbständigung des „Kürwillens“ gegenüber dem „Wesenwillen“ (Tönnies 1991: 160). Urbild der gemeinschaftlichen H. seien die häuslichen Verhältnisse im Allgemeinen, Patriarchalismus bzw. Matriarchalismus im Besonderen; der gesellschaftlichen H. die aus der kapitalistischen Wirtschaftsordnung erwachsende „Plutokratie“ (Tönnies 1918). Diese Unterscheidungen wurden allerdings nur wenig ausgeführt. In der Spätschrift „Einführung in die Soziologie“ (Tönnies 1931) kommen herrschaftliche Verhältnisse explizit nur mehr im Kapitel über gemeinschaftliche Verhältnisse vor, überdies im Rahmen einer Konstruktion, die auf Marginalisierung von H. in einem anzustrebenden Vernunftstaat i. S. v. Platon, Thomas Hobbes und Johann Gottlieb Fichte angelegt ist.

G. Simmels „Soziologie der Herrschaft“ (Simmel 1968: 117) thematisiert diese als eine jener zahlreichen Formen von Wechselwirkung, in denen sich „Vergesellschaftung“ verwirklicht. Gemeint ist das Verhältnis von Über- und Unterordnung, das sich an den unterschiedlichsten sozialen Gebilden, sei es politischer, religiöser oder wirtschaftlicher Art, findet und seinerseits in unterschiedlichen „Formtypen“ auftritt: als „Einherrschaft“, „Mehrzahlherrschaft“ oder H. einer „objektiven Macht“ (Simmel 1968: 107). G. Simmel interessierte sich dabei für die dissoziierenden wie die vereinheitlichenden Wirkungen dieser Formtypen, für Nivellierung wie die Bildung von Machtdifferentialen sowie für Konstellationen, die innerhalb einer Organisation Über- und Unterordnung kennen, die Organisation als ganze aber einer Idee unterordnen, die jedem Mitglied eine gleiche oder nahezu gleiche Stellung gegenüber allen Außenstehenden verschafft. Weitere Themen sind die Maße der H. und ihre Korrelation zur Freiheit, die Wechselbeziehung zwischen der Befreiung von Unterordnung und dem Aufbau neuer H.s-Positionen, das Verhältnis von Über- und Unterordnung zu den persönlichen Qualitätsunterschieden zwischen den Menschen, schließlich, in diachroner Perspektive, die Faktoren, die den „Übergang vom Subjektivismus der Herrschaftsverhältnisse zu einer objektiven Formation und Fixierung“ (Simmel 1968: 177) bewirken. Im Unterschied zur (neo-)saintsimonistischen Sichtweise entfällt damit H. jedoch nicht, sondern erlebt lediglich einen Formwandel.

Das gilt auch für M. Weber. Dessen Soziologie wird oft als materiale und historische Soziologie bezeichnet und damit von der reinen und formalen Soziologie abgesetzt, wie sie G. Simmel vertreten hat. Das ist zwar im Prinzip nicht falsch, jedoch gerade mit Blick auf das Thema H. überzogen. Denn nicht anders als G. Simmel geht auch M. Weber in seiner H.s-Soziologie davon aus, dass H. in den unterschiedlichsten Lebensbereichen eine sehr erhebliche Rolle spielt und bemüht sich entspr. um eine Typisierung ihrer Erscheinungsformen, um zu generellen Regeln zu gelangen. Soziologie wird hier strikt als eine Hilfswissenschaft verstanden, die ihre Begriffe und Regeln v. a. unter dem Gesichtspunkt bildet, „ob sie damit der historischen kausalen Zurechnung der kulturwichtigen Erscheinungen einen Dienst leisten kann“ (Weber 2013: 169 f.). Das führt im Unterschied zu G. Simmel allerdings zu einer deutlich komplexeren Architektur, die den H.s-Begriff im Rahmen einer stufenweisen Konkretisierung relativ abstrakter Begriffe wie „soziales Handeln“ und „soziale Beziehung“ (Weber 2013: 172 ff.) gewinnt, scharf von dem soziologisch eher amorphen Begriff der Macht abgrenzt und zu einer Typologie der Verbände ausgestaltet, die vom H.s-Verband über den politischen und hierokratischen Verband bis zu Staat und Kirche gelangt.

Bes. nachhaltig gewirkt hat neben der knappen Definition („Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden“ [Weber 2013: 210]) M. Webers Vorschlag, zwischen äußeren und inneren Stützen der H. zu unterscheiden und Korrelationen zwischen beiden zu untersuchen. Jede H., sagt M. Weber, „äußert sich und funktioniert als Verwaltung“, als „Organisation“ bzw. „Verteilung der Befehlsgewalten“ (Weber 2005: 139, 146). Deren Struktur aber sei wiederum bestimmt durch die „innere Stütze“, die sie in der „Fügsamkeit der Gewaltunterworfenen gegenüber ‚Normen‘“ (Weber 2005: 247) finde, anders gesagt: in der Art und Weise der „Legitimität“. Die dafür in einer längeren und einer knapperen Fassung entwickelten drei reinen Typen – die legale, traditionale und charismatische Legitimität – stehen ausdrücklich nicht in einer chronologischen Folge, lassen aber insofern einen Einfluss von F. Tönnies und G. Simmel erkennen, als auch M. Weber eine Tendenz zur „Versachlichung“ bzw. zur „Rationalisierung“ von H. konstatiert. Problematisch bleibt allerdings seine Neigung, diese zu eng an die Durchsetzung von „Zweckrationalität“ (Weber 1973: 471) zu koppeln, die sich durchaus auch in vormodernen Zusammenhängen findet und keineswegs mit dem von M. Weber andernorts, etwa in der Rechts- und Wirtschaftssoziologie, bevorzugten Begriff der „formalen Rationalität“ identisch ist. Trotz dieser Engführung bleibt Verwaltung im Unterschied zum (neo-)saintsimonistischen Konzept einer herrschaftsfreien Sachenverwaltung eine als H. strukturierte soziale Beziehung, und zwar auch und gerade dann, wenn sie sich auf ihrer Vollstufe (legale H. mittels bürokratischen Verwaltungsstabes) vom Idealtypus entfernt und zu einer H. des Verwaltungsstabes oder gar einer Beamten-H. degeneriert.

M. Webers H.s-Soziologie ist lange ohne Resonanz geblieben. Nach dem Zweiten Weltkrieg stand ihr das starke Interesse an rein empirischer Forschung ebenso entgegen wie die neosaintsimonistische Ausrichtung der theoretisch orientierten Soziologen. Die Kritische Theorie setzte dem wohl die Annahme entgegen, spätkapitalistische Gesellschaften seien durch einen „Übergang zu Herrschaft unabhängig vom Marktmechanismus“ (Adorno 1972: 368) bestimmt, assimilierte aber den H.s-Begriff an den unspezifischeren Machtbegriff, der auch außerhalb der Sphäre sinnhafter sozialer Beziehungen, im Verhältnis Mensch-Natur gelte, Wissenschaft und Technik bestimme und mit ihnen totalisiert werde, ipso facto aber jegliche Unterscheidungskraft einbüßte. Erst seit den 70er Jahren kam die von M. Weber gewiesene Perspektive wieder stärker zur Geltung: in den USA in den Arbeiten von Reinhard Bendix und Guenther Roth, in der BRD in denjenigen von Wolfgang Schluchter, Heinrich Popitz, Mario Rainer Lepsius und ihren Schülern. Auch in Frankreich fanden M. Webers Anregungen Aufnahme: weniger bei Michel Foucault, der Begriffe wie Macht und Disziplin dem H.s-Begriff vorzog, stärker bei Pierre Bourdieu, der diese Konzepte zwar häufig synonym verwendete, ihnen jedoch eine neue Dimension durch den Habitusbegriff (Habitus) erschloss, der auf die Inkorporation der äußeren Existenzbedingungen in einem habituellen, zugleich individuellen und kollektiven System von Dispositionen zielt. Sein Schüler Luc Boltanski betont mehr den prozessualen Charakter von H. und konzentriert sich auf die Unterschiede zwischen einfachen und komplexen (managementkonformen) H.s-Effekten.

II. Politikwissenschaft

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1. Definitorisches

Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht. Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden …“ Max Webers Definitionen (Weber 1980: 28) verweisen auf eine enge begriffliche Verwandtschaft. Sowohl Macht als auch H. beinhalten Wirkungsmöglichkeiten innerhalb einer asymmetrischen sozialen Beziehung. Während die Macht als der umfassendere Begriff „amorph“ (Weber 1980: 28), da nicht auf bestimmte Mittel festgelegt ist, bewegt sich H. in einem spezifischeren Bereich: Sie ist Machtausübung einer höheren Instanz (des oder der „Herrschenden“), deren inhaltlich spezifizierte Willensäußerungen von bestimmten Adressaten (den „Beherrschten“) befolgt werden. Von politischer H. zu sprechen, bleibt – je nach Verständnis von „Politik“ – uneindeutig. Als vorzugsweiser Ort für politische H. kann der Staat mit seinen Teilsystemen (Regierung, Parlament, Justiz, Polizei, Militär, Verwaltung) gelten.

Herr und Sklave, Lehnsherr und Leibeigener, Herr und Knecht, Obrigkeit und Untertanen, Regierung(sgewalt) und Bürger (Bürger, Bürgertum): In der Reihe dieser H.s-Verhältnisse indizieren die Begriffe für die Adressaten des H.s-Anspruchs eine Zunahme an politischer Freiheit, die für die westlich-liberale Politikgeschichte charakteristisch ist. Dieses an der Leitnorm der Freiheit orientierte, bis in die griechische Antike zurückreichende Politikverständnis führte zu einer normativen Schärfung des Begriffs: Schon Aristoteles hob den prinzipiellen Unterschied hervor zwischen der arche despotike, der H. des Herrn über den Sklaven im Haus (oikos), und der arche politike, der H. von freien Bürgern über freie Bürger. Ähnlich unterscheidet John Locke im 17. Jh. zwischen despotical power (der Zwangs-H., etwa eines Galeerenkapitäns über seine Sklaven), paternal power (des Vaters über seine Kinder) und political power (im politischen Körper des liberalen Staates).

2. Eine begriffliche Klassifikation und ein komplexes Wortfeld

Im Altgriechischen verweisen Wortzusammensetzungen, die mit „kratie“ oder „archie“ enden, wörtlich auf H. Von den Griechen stammt eine bis heute gebräuchliche Klassifikation der Verfassungen bzw. Formen von H. Von Aristoteles systematisch ausgearbeitet, geht ein quantitatives Kriterium von der Zahl der Herrschenden aus, wonach sich drei Möglichkeiten ergeben: Es herrscht einer oder einige oder viele bzw. alle. Hinzu kommt der Zweck der H. als qualitatives Kriterium: Entweder ist H. orientiert am partikularen Vorteil der Herrschenden oder am gemeinsamen Nutzen bzw. Gemeinwohl des Staates. Die Kombination der drei quantitativen und der zwei qualitativen Optionen ergibt ein Sechserschema. Gemeinwohlorientiert sind Königtum bzw. Monarchie (ein Herrschender), Aristokratie als H. der Gruppe der Besten und Politie als H. der Bürger der Polis zum gemeinsamen Nutzen. Diese letztere Option – aus der später, vermittelt über die römische politische Theorie, die Republik wurde – trägt die H.s-Bezeichnung nicht im Wort, obwohl sie gerade für ein bis in die Gegenwart wegweisendes Verständnis von H. steht. Ihren eigenen Vorteil, der sich nicht mit dem gemeinsamen Nutzen deckt, verfolgen die Herrschenden in der Tyrannis (der Willkür-H. eines einzigen), in der Oligarchie (wo sich eine Gruppe, meist von Reichen, oder ein anderer Politikklüngel am Staat „bedient“), und in der Demokratie. Letztere meint den Fall, dass die Selbstbestimmung des Volkes dem Gemeinwohl widerspricht – dann nämlich, wenn der demos von Demagogen manipuliert oder vom Pöbel „beherrscht“ wird (die sogenannte Ochlokratie).

Da es die „Natur“, d. h. das Wesen von Politik ist, H. von Menschen über Menschen im Sinne des Gemeinwohls auszuüben, gibt es drei „naturgemäße“ und drei „gegen die Natur“ gerichtete Arten von H. Entlang dieser Matrix von „guter“ und „schlechter“ Politik erhält die Klassifikation eine normative Tönung. Diese steht der Instrumentalisierung als sprachliches Mittel im Kampf um die H. offen, indem der politische Gegner oder Feind mit der Wahl eines „schlechten“ Begriffes abgewertet wird. So zeigt Thomas Hobbes in seinem Spätwerk „Behemoth“ (1682), einer Analyse des Englischen Bürgerkrieges, wie König Charles I. von seinen demokratischen Feinden delegitimiert wurde, indem sie ihn als Tyrannen brandmarkten. T. Hobbes sowie spätere Vertreter eines nichtnormativen Politikverständnisses haben daraus die Konsequenz gezogen, sich ausschließlich auf das quantitative Kriterium zu beschränken.

Eine Sonderstellung kommt der Nomokratie zu, wie sie bei Platon und Aristoteles thematisiert wird. Als H. des Gesetzes will sie die durch wesensmäßig schwache und begehrliche Menschen ausgeübte H. perfektionieren. Diese ideale und geradezu utopische Vorstellung kann in der Moderne mit Immanuel Kants „Staatsweisheit“ als der H. des Rechts und des kategorischen Imperativs verglichen werden.

Zusätzlich zu den klassischen H.s-Begriffen haben sich in der politischen Ideen- und Sprachgeschichte weitere Bezeichnungen gebildet, welche die staatsrechtlich-verfassungsmäßige Sphäre verlassen und spezifische Machtfaktoren herausstellen. Sie sind teils deskriptiv, teils normativ zu verstehen und können zeitdiagnostisch-kritisches Potential haben. So meint das Patriarchat die H. der Familienväter und verallgemeinert der Männer über die Frauen, während das Matriarchat eine soziale Welt vorstellt, in der die Frauen dominieren. Als Kennzeichen moderner Gesellschaften und Staaten wird verwiesen auf die Technokratie, die Dominanz technischen Denkens, aber auch der Wirksamkeit technischer Artefakte. Technischer Natur ist auch die Bürokratie, die seit M. Weber als notwendiger Bestandteil moderner politischer und ökonomischer H.s-Ausübung untersucht wird. Die Rede von Minarchie steht im libertären Denken für das Ideal des Minimalstaats, wo sich politische H. auf die Ausübung stark reduzierter Funktionen, insb. die Herstellung von Sicherheit, beschränkt. In der Gerontokratie herrschen die Alten. In der Polyarchie verteilt sich H. auf viele Instanzen. Expertokratie steht für den Vorrang wissenschaftlichen Sachverstandes in bürokratischen, juristischen und politischen Verfahrenssphären. In der Plutokratie herrschen die Reichen. Die Kleptokratie gehört zur politischen Pathologie, indem sich Gruppen auf Kosten der Allgemeinheit bereichern. Wörter wie Theokratie und Hierokratie bezeichnen die heilige H. Gottes und im abgeleiteten Sinne der Priesterschaft, während sich die Hierarchie semantisch zu einer allgemeinen Bezeichnung für Rangordnung entwickelt hat. Konträr zu den aufgeführten Begriffen intendiert Anarchie die Abschaffung jeglicher Form von H., insb. des Staates und seiner ihn stützenden Institutionen.

3. Die zentrale Relation: Befehl und Gehorsam

Die Entsprechung von Befehl und Gehorsam ist der Kern des H.s-Begriffs. Befehl ist „bekundeter Wille“ (Weber 1980: 544) des Herrschenden, der – als Gebot wie Verbot – eine Handlungsanweisung ausspricht. Dieser Imperativ tritt auf als Gesetz, Anordnung, Anweisung, Verfügung, Bescheid etc. Inhaltlich kann es sich um allgemeine oder partikulare Imperative handeln. Geltungsmäßig können sie ihren Inhalt kategorisch, d. h. unbedingt vorschreiben; oder sie fordern als hypothetische Imperative den Gehorsam erst beim Eintreten festgesetzter Bedingungen ein.

Gehorsam folgt dem Befehl nicht notwendig und automatisch. Die H.s-Relation ist keine strikte Kausalität im mechanischen Sinne, sondern erfordert – dem Befehl entspr. – ein inneres „Interesse“ und „Gehorchen-wollen“, welches über die bloße Gewöhnung an Fügsamkeit hinausgeht (Weber 1980: 122). Die „freiwillige Knechtschaft“, in der bereits Étienne de la Boetie (Discours de la servitude volontaire, 1576) das Geheimnis der H. erblickt, kann viele Motive haben: im negativen Sinne die Furcht vor Sanktionen bei Nichtbefolgung des Befehls, im positiven Sinne die willentliche Bejahung der Unterordnung zum eigenen Vorteil. Zum bloß empirisch-faktischen Befolgen eines Befehls muss hinzukommen „[…] der Sinn seines Hingenommenwerdens als einer ‚geltenden‘ Norm […] als ob die Beherrschten den Inhalt des Befehls, um seiner selbst willen, zur Maxime ihres Handelns gemacht hätten“ (Weber 1980: 544).

Die Relation von Befehl und Gehorsam setzt als Drittes eine gelingende Kommunikation voraus. Es bedarf einer gemeinsamen Sprache. Der Befehl muss sprachlich geäußert werden; so gehört zum Gesetzescharakter eines Imperativs immer die Verkündigung. Er muss beim Adressaten ankommen, der ihn verstehen muss. Die aktive Leugnung und Negierung der letzteren beiden Grundbedingungen eröffnet die strategische Möglichkeit gegenherrschaftlichen Handelns, ohne damit offen zu revoltieren. Das Ankommen des Befehls bewusst zu verhindern, sich als Adressat zu verleugnen oder den Befehl vorgeblich nicht zu verstehen: das sind Mittel eines listigen Ungehorsams, die – in den Metaphern von Elias Canetti ausgedrückt – den heranfliegenden Befehlsstacheln und -pfeilen ausweichen und sie unwirksam machen.

4. Legitimität

Um die Brücke zwischen Befehl und Befolgung zu schlagen, bedarf es aber eines weiteren Moments: ihrer Legitimität. H. wird gerechtfertigt, indem sie auf leitende Werte und Normen bezogen wird, die Grund wie Ziel von H. betreffen. Hier eröffnet sich ein weites, stark normativ geprägtes Feld. Lange zurückreichende Denktraditionen verankern H. kosmologisch, theologisch oder metaphysisch; dazu gesellen sich in der fortgeschrittenen Moderne Ideologien und politische Weltanschauungen. Einer neuzeitlichen Denkweise entspr. der funktionale und instrumentelle Nutzenaspekt – bspw. die Friedensleistung von H., die Verbindung von Schutz und Gehorsam, die Unterstützung von Selbsterhaltung und freier Selbstentfaltung. Im 19. und 20. Jh. treten Menschenwürde und Menschenrechte, aber auch eine Grundnorm wie Gerechtigkeit immer mehr in den Vordergrund. Die Vielfalt dieser Rechtfertigungen speist sich inhaltlich aus unterschiedlichen Quellen und artikuliert sich in einem Spektrum von Formen und Zeichen. Es umfasst politische Ideen und Theorien, Narrative wie Gründungs-, Kriegs- und Revolutionsmythen (Mythos), Symbole wie die Insignien der H. bei Königen und Kaisern, im weiteren Sinne den ganzen Bereich der Darstellung herrscherlicher Macht. Massendemokratie, Totalitarismen und Mediengesellschaft haben die Möglichkeiten der ideologischen Unterfütterung durch Propaganda und der medialen Inszenierung im politischen Spektakel ausgeweitet und verfeinert. Daraus resultiert eine symbolpolitische Flankierung von H.s-Ansprüchen, die ambivalent sein kann – öffnet sie doch auch Möglichkeiten der H.s-Kritik und der Entfaltung von Gegenmacht.

Quellen und Inhalte hat M. Weber zu drei Typen legitimer H. verdichtet. Sie stellen ein jeweiliges Bestimmungsmoment in idealtypischer Reinform dar und kommen in der empirischen Realität in sich wandelnden Kombinationen vor. Die legale oder rationale H. beruht auf gesatzten Regeln und beansprucht nur insoweit Geltung. Der Gehorchende folgt diesen Regeln ebenso wie der Befehlsgeber, dessen Funktion und Kompetenz als Herrschender ebenfalls regelhaft definiert ist. Der zumindest formal reinste Typus dieser Art ist die Bürokratie, deren Anwachsen der epochalen Entwicklung einer durchgängigen Rationalisierung aller Lebensbereiche in der Moderne entspr. Traditionale H. speist sich aus der Geltung und dem Glauben „an die Heiligkeit der von jeher vorhandenen Ordnungen und Herrengewalten“ (Weber 1988: 478). Ihre reinste Repräsentation ist die patriarchale. Das Herkommen und die Eingewöhnung in diese verleihen der H. eine „Eigenwürde“ (Weber 1980: 130). Gehorsam erwächst aus „Pietät“ (Weber 1980: 581) gegenüber einer überlieferten Praxis und deren Autorität. Die Tradition bindet nicht nur die Gehorchenden, sondern auch die Herren. Die charismatische H. (Charisma) bezieht ihre Legitimität und Wirksamkeit mit Blick auf eine Führergestalt, deren irrationale, d. h. nicht rational erklärbare Aura und Anziehungskraft – als Held, Prophet etc. – begeisterte Gefolgschaft um sich schart. Ein religiöser Ursprung steht zu vermuten, wie schon der Ausdruck Charisma als göttlicher Gnadengabe nahelegt. Der Typus umfasst aber auch quasireligiöse und magische soziale Effekte bis hin zur erfolgreichen Scharlatanerie.

5. Systematische Anmerkungen zum Ausmaß politischer Herrschaft

Auf eine Skala aufgetragen verkörpert die absolute Souveränität funktional betrachtet die größte H.s-Stellung, während die Anarchie als Abwesenheit jeglicher (politischen) H. den polar-konträren Gegensatz bildet. Dazwischen bewegen sich limitierte bzw. gemäßigte H.s-Modelle.

a) Das Extrem: Absolute Souveränität

Sie ist ein Pyramidenmodell. Alle Macht konzentriert sich in einer höchsten, einzigen und unteilbaren H.s-Instanz. Der Befehlsfluss verläuft – vermittelt über beauftragte Instanzen – von der Spitze zu den Untertanen und gibt damit dem politischen Körper seine Ordnung. Souveränität ist größte Fülle der Macht (plenitudo potestatis, die im Mittelalter zunächst vom Papst beansprucht wurde), für die das biblische Motto über dem Titelbild von T. Hobbes’ „Leviathan“ gilt: „Es gibt keine Macht auf Erden, die der seinen vergleichbar wäre.“ Der absolute Souverän ist legibus solutus: Er steht über den von ihm selbst gemachten Gesetzen. Carl Schmitt setzt im 20. Jh. die Hobbessche Linie fort und baut sie weiter aus: 1. Die absolute Souveränität ist unteilbar. Würde bspw. der Souverän einem Richter unterworfen, der die Rechtmäßigkeit seiner H. beurteilen würde, so wäre der Richter nichts anderes als ein Gegensouverän, was den ersten Schritt in den Bürgerkrieg bedeuten würde. 2. Der Souverän fungiert als Letztentscheidungsinstanz, was die Interpretation der von ihm gegebenen Gesetze, die Entscheidung über Krieg und Frieden sowie die Aufhebung der geregelten Normalität des politischen Prozesses betrifft: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“ (Schmitt 1996: 13) 3. Vor der Gründung neuer staatlicher Gemeinwesen steht eine konstituierende Macht (pouvoir constituant), die eine neue normative Ordnung schafft und insofern über der geschaffenen Verfassung steht. – Absolute Souveränität ist nicht auf die historische Periode des frühneuzeitlichen Absolutismus beschränkt. Sie muss nicht identisch sein mit absoluter Fürsten-H. (theoretisiert von Niccolò Machiavelli und T. Hobbes) oder souveräner Diktatur (C. Schmitt über Benito Mussolini und Adolf Hitler). Sie kann auch die H. einer Gruppe meinen, etwa eines Parlaments oder einer autoritären bis totalitären Partei. Das Musterbild eines totalen Kollektivkörpers entwarf Jean-Jacques Rousseau mit dem aktiven Gemeinwillen (volonté générale), der unteilbar herrscht, keinerlei normativer Vorgabe von außen unterliegt und sich per definitionem nicht irren kann, also neben der politischen H. auch noch das Wahrheitsmonopol an sich zieht.

b) Eine weite Mitte: Limitierte bzw. gemäßigte H.

Ihre Veranschaulichung ist das Netzmodell, in dem unterschiedliche Instanzen politisch herrschaftlich zusammenwirken. Ihm entsprechen Formen geteilter Macht, die in der Mischverfassung seit der klassischen Antike auf den Begriff gebracht wurde. Vielfältige Formen von Gewaltenteilung gehören ebenso in diesen Kontext wie Gleichgewichtsmodelle (Charles de Montesquieu) im Sinne von checks and balances. Explizite Verfassungen und Gesetze, implizite Traditionen und Gewohnheitspraktiken geben einen normativen Rahmen vor, in den die H.s-Instanzen eingebettet sind. Dazu gehören institutionalisierte Verfahren der Kontrolle. Der Traditionsstrang der Republik steht für limitierte H. ebenso wie die Rechtsstaatlichkeit (Rechtsstaat) als tragendes Moment der westlichen liberalen Demokratien. Für sie alle gilt I. Kants „republikanische Regierungsart“, die H. auf bürgerliche Freiheit, Gleichheit und Recht hin verpflichtet. Der politikwissenschaftliche Denkansatz der Governance begreift Steuerung, Regelung, Vereinbarung und Kooperation als zentralen politischen Prozess. In einem epochalen Ausgriff beschreibt und analysiert Michel Foucault unter dem Leitbegriff „Gouvernementalität“ eine komplexe Form von Macht und H., die sich am Vorbild der christlichen Praxis des Pastorats seit der frühen Neuzeit zu einer eigenen Regierungskunst entwickelte und zur Souveränität und Disziplin als dritte Form von H. tritt.

c) Das negative Extrem: Anarchie

Dem Namen wie der idealen Zielsetzung nach – der Abwesenheit jeglicher H. von Menschen über Menschen – bewegt sie sich strikt genommen außerhalb des Spektrums von H. Das gilt freilich nicht für ihre politische Qualität. Anarchistischen Theorien und Idealen (Anarchie, Anarchismus) kommt eine herrschaftskritische Funktion zu. Der darüber hinausgehende aktive Kampf gegen den Staat und seine H.s-Institutionen wird allerdings nicht umhin können, seinerseits auf Macht und H. zu rekurrieren. Aus der Logik von Macht und H. zu entkommen, scheint kaum möglich – es sei denn um den Preis einer echten Utopisierung (Utopie), zu der auch ein wesentlich anderer, ein „neuer Mensch“ gehören müsste.