Satzung: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 16. Dezember 2022, 06:11 Uhr
S.en sind, so das BVerfG in dem für die S. zentralen und grundlegenden Facharztbeschluss vom 9.5.1972 (1 BvR 518/62, 308/64; BVerfGE 33,125 [156]), „Rechtsvorschriften, die von einer dem Staat eingeordneten juristischen Person des öffentlichen Rechts im Rahmen der ihr gesetzlich verliehenen Autonomie mit Wirksamkeit für die ihr angehörigen und unterworfenen Personen erlassen werden“. S.en in diesem Sinne und im Unterschied zu privatrechtlichen S.en einer Aktiengesellschaft oder eines Vereins (§ 23 AktG, § 25 BGB) werden erlassen von Gemeinden, Universitäten (Hochschulen), Sozialversicherungsträgern (Sozialversicherung) oder berufsständischen Kammern (Berufskammern), wie Industrie- und Handelskammern oder Ärztekammern, damit von Verwaltungseinheiten der mittelbaren Staatsverwaltung, die typischerweise vom Gedanken der Selbstverwaltung geprägt sind. Obschon sich die S.s-Befugnis nicht auf die kommunale Selbstverwaltung beschränkt, sondern ebenfalls die funktionale Selbstverwaltung S.en erlassen kann, stellen gerade die von Gemeinden erlassenen S.en schon aufgrund der verfassungsrechtlichen Garantie kommunaler Selbstverwaltung in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG, die auch die S.s-Hoheit umfasst, den Idealtypus einer aufgrund verfassungsrechtlich verliehener Autonomie erlassenen S. dar.
Die Verleihung von S.s-Autonomie hat nach Ansicht des BVerfG im Facharztbeschluss ihren guten Sinn darin, „gesellschaftliche Kräfte zu aktivieren, den entsprechenden gesellschaftlichen Gruppen die Regelung solcher Angelegenheiten, die sie selbst betreffen und die sie in überschaubaren Bereichen am sachkundigsten beurteilen können, eigenverantwortlich zu überlassen und dadurch den Abstand zwischen Normgeber und Normadressaten zu verringern“ (BVerfGE 33,125 [156 f.]).
S.en sind exekutive Rechtsnormen im Rang unterhalb des Parlamentsgesetzes und müssen dessen Vorrang beachten. Von der nach Art. 80 GG regelmäßig durch Bundesregierung, Bundesminister oder Landesregierungen aufgrund gesetzlicher Ermächtigung erlassenen Rechtsverordnung als weiterer exekutiver Rechtsquelle unterscheiden sich S.en dadurch, dass sie im Rahmen verfassungsrechtlicher, wie gerade bei den Gemeinden, oder gesetzlich verliehener Autonomie durch verselbständigte Verwaltungseinheiten erlassen werden. Gegenüber den allgemeiner Ansicht nach nur innerhalb der Verwaltungsorganisation Bindungswirkung besitzenden allgemeinen Verwaltungsvorschriften als generell-abstrakten Weisungen kommt den S.en Außenwirkung zu, d. h. sie können auch umittelbar für den Bürger Rechte und Pflichten begründen. Obschon das GG die S. begrifflich nicht erwähnt, ist sie als Rechtsquelle und Handlungsform der Verwaltung unbestritten, auch deshalb, weil das GG keinen abgeschlossenen Katalog exekutiver Rechtsquellen kennt, sondern im Hinblick auf untergesetzliche Rechtsnormen formenoffen ist.
S.en können sowohl die interne Organisation und das Verfahren innerhalb der juristischen Person als auch Außenrechtsbeziehungen regeln, indem sie dem Bürger gegenüber Rechte und Pflichten begründen. Angesichts des Unterschieds zu der regelmäßig durch die unmittelbare Staatsverwaltung bzw. im Wege der Auftragsverwaltung erlassenen Rechtsverordnung als delegierter, nicht auf der Verleihung von Autonomie beruhender Normsetzung findet Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG mit dem Erfordernis einer nach Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmten gesetzlichen Ermächtigung überwiegender Ansicht nach keine Anwendung auf S.en. Doch bedürfen auch S.en aus Gründen des Vorbehalts des Gesetzes und der mit dem Parlamentsvorbehalt verbundenen Wesentlichkeitstheorie regelmäßig einer hinreichend bestimmten parlamentsgesetzlichen Grundlage, gerade wenn und weil sie in Grundrechte der Bürger eingreifen und Außenstehende binden.
S.en müssen sich im Rahmen der verliehenen Autonomie halten, den weiteren speziellen inhaltlichen Anforderungen der gesetzlichen Ermächtigung genügen und vom zuständigen, regelmäßig die Mitglieder einer Körperschaft bzw. die Benutzer einer Anstalt repräsentierenden Organ innerhalb der juristischen Personen, bei Gemeinden von dem durch Wahlen demokratisch legitimierten Germeinderat, unter Beachtung der jeweiligen Verfahrens- und Formvorgaben erlassen werden. Voraussetzung für die Wirksamkeit einer S. ist weiterhin ihre Publikation. Rechtswidrige S.en sind grundsätzlich nichtig, wobei etwa das Baugesetzbuch für in Form der S. ergehende Bebauungspläne Ausnahmen kennt (§§ 214, 215 BauGB) und bestimmte Fehler für unbeachtlich erklärt oder Heilungsmöglichkeiten vorsieht (Baurecht).
Literatur
T. Ellerbrok: Die öffentlich-rechtliche Satzung, 2020 • M. Sachs: Normsetzung (Rechtsverordnung, Satzung), in: P. F. Bultmann u. a. (Hg.): Allgemeines Verwaltungsrecht. FS für Ulrich Battis, 2014, 161–176 • F. Ossenbühl: Satzungen, in: HStR, Bd. 5, 32007, § 105 • P. Axer: Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000 • M. Heintzen: Das Rangverhältnis von Rechtsverordnung und Satzung, in: DV 29/1 (1996), 17–45.
Empfohlene Zitierweise
P. Axer: Satzung, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Satzung (abgerufen: 24.11.2024)