Sozialversicherung
S. ist gekennzeichnet durch die versicherungsrechtliche Absicherung typischer Wechselfälle des Lebens im Wege des sozialen Ausgleichs mittels Versicherungspflicht bei selbständigen Anstalten oder Körperschaften des öffentlichen Rechts unter maßgeblicher Finanzierung durch Beiträge, die von den Betroffenen, regelmäßig von Arbeitgebern und Versicherten, getragen werden, wobei z. T., gerade in der Unfallversicherung, nur der Arbeitgeber beitragspflichtig ist und zudem, gerade in der Rentenversicherung, Steuermittel als Bundeszuschüsse zur Finanzierung hinzukommen. Das BVerfG versteht S. im Hinblick auf die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG als einen weit gefassten verfassungsrechtlichen Gattungsbegriff (grundlegend BVerfG 8.4.1987–2 BvR 909/82 u. a., BVerfGE 75,108 ff. – Künstler-S.), der nicht auf die traditionellen Bereiche Krankheit (GKV [ Krankenversicherung ]; SGB V), Alter und Invalidität (gesetzliche Rentenversicherung; SGB VI), Arbeitsunfall und Berufskrankheiten (gesetzliche Unfallversicherung; SGB VII) und Arbeitslosigkeit (Arbeitslosenversicherung, geregelt im SGB III) beschränkt ist. Erfasst werden auch neue Sachverhalte, sodass das Risiko der Pflegebedürftigkeit durch die Mitte der 1990er Jahre als fünfter S.s-Zweig eingeführte soziale Pflegeversicherung (SGB XI), die sowohl gesetzlich als auch privat Krankenversicherte einbezieht, im Rahmen des SGB abgesichert werden konnte.
Von der privatrechtlichen Grundsätzen folgenden Privatversicherung unterscheidet sich die öffentlich-rechtliche S. inhaltlich insb. durch das Prinzip des sozialen Ausgleichs und der Solidarität, das sich etwa in der GKV daran zeigt, dass die Beiträge nicht nach dem individuellen Krankheitsrisiko berechnet werden, sondern nach dem Einkommen oder die Möglichkeit der beitragsfreien Mitversicherung von Familienmitgliedern besteht. Als Teil des Sozialrechts steht die S. systematisch neben der jeweils steuerfinanzierten sozialen Entschädigung, etwa bei Impfschäden oder bei Gewalttaten, und der sozialen Hilfe und Förderung gerade bei Bedürftigkeit (Grundsicherung für Arbeitsuchende, Sozialhilfe).
Die maßgeblich auf Otto von Bismarck zurückgehende Idee einer beitragsfinanzierten, durch verselbständigte Verwaltungseinheiten im Wege der Selbstverwaltung von Arbeitgebern und Versicherten öffentlich-rechtlich organisierten Absicherung hat sich seit den Anfangstagen in den 80er Jahren des 19. Jh. trotz aller Reformbedürftigkeit und immer wieder aufkommenden Finanzierungsfragen grundsätzlich bewährt und ist in den Grundstrukturen durch ein hohes Maß an Kontinuität geprägt. Geändert hat sich v. a. der Kreis der Pflichtversicherten, der immer weiter ausgedehnt wurde, und unter den Stichworten Bürgerversicherung und Erwerbstätigenversicherung wird eine weitere Ausdehnung von einer ursprünglich beschränkten Arbeiterversicherung hin zu einer umfassenden Volksversicherung diskutiert, die dann auch die Frage nach der Bedeutung der bestehenden privaten Versicherungen, gerade der PKV, und der Beihilfe für Beamte aufwirft.
Literatur
F. Ruland/U. Becker/P. Axer (Hg.): Sozialrechtshandbuch, 62018 • P. Masuch u. a. (Hg.): Grundlagen und Herausforderungen des Sozialstaats, Bd. 2, 2015.
Empfohlene Zitierweise
P. Axer: Sozialversicherung, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Sozialversicherung (abgerufen: 21.11.2024)