Glaube
1. Allgemein
Der G.ns-Begriff umfasst folgende Bedeutungsvarianten:
a) G. als defiziente Wissensform i. S. v.:
i) Meinen, Überzeugt-Sein („Ich glaube, morgen wird es schön“),
ii) Für-wahr-Halten einer an sich nachprüfbaren Tatsache („Ich glaube, dass Berlin 3,4 Mio. Einwohner hat“) und
b) G. als personales Vertrauensverhältnis i. S. v.:
i) einer existentiellen Ausrichtung („Ich glaube an dieses Ideal“) und
ii) Vertrauen („Ich glaube dir“).
Diese Dimensionen sind auch für den christlichen G.ns-Begriff relevant: Augustinus unterschied zwischen
a) credere Deum (glauben, dass Gott existiert),
b) credere Deo (dem Gott glauben) und
c) credere in Deum (an Gott glauben).
Allg. bezeichnet der G.ns-Begriff die Ganzhingabe des Menschen an Gott als adäquate Antwort auf die Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus. Der G. ist ein freier, mit Verstand und Willen vollzogener Akt und zugl. göttliches Gnadengeschenk. Im Vertrauen auf die in Christus geoffenbarte Heilszusage Gottes und im Einstimmen in das Credo der Kirche gewinnt der Mensch inneren Halt und unbedingte Heilsgewissheit.
2. Biblischer Befund
Der G.ns-Begriff wurzelt in der biblischen Sprachtradition. Für das alttestamentliche G.ns-Verständnis ist das hebräische Wort aman (sich halten an; fest, zuverlässig, bewährt sein) zentral, das das Einnehmen einer Haltung des Vertrauens bzw. der Zuversicht gegenüber Gottes Heilstaten und seinen Verheißungen bezeichnet, wodurch der Existenz Bestand verliehen wird (Jes 7,9). Gegenstand und Inhalt des festen Vertrauens ist der Bund Jahwes mit seinem Volk Israel, näherhin sein Heilshandeln in der Vergangenheit, seine Treue in der Gegenwart und seine Verheißungen und Führungen in der Zukunft. Der G.ns-Inhalt verdichtet sich in G.ns-Formeln (Dtn 26,5–10; Jos 24,1–13), die v. a. das heilschaffende Handeln Gottes in der Geschichte thematisieren. Wenn der alttestamentliche G. auch kollektiv strukturiert ist, so orientiert er sich doch an personalen Verwirklichungen (z. B. Abraham, Mose, Propheten). Im Zentrum des neutestamentlichen G.ns-Verständnisses steht weniger der in der Geschichte sich offenbarende Gott als vielmehr das Christusereignis, so dass sich der G. als Entscheidung zu Jesus Christus konkretisiert. Nach Ostern wird die Annahme des apostolischen Kerygmas (Röm 10,9 f.; 1 Kor 15,2–5; Eph 1,3–13) zur spezifisch christlichen G.ns-Form. Durch den Christus-G.n geschieht nach Paulus die Rechtfertigung des Menschen (Röm 1,17; 3,22; 4,13; 10,9 f.; Gal 2,16; 3,15–18). Sie entlässt aus sich eine neue Existenzform sowie ein sittliches Sollen (Gal 5,25; 1 Kor 13,2).
3. Theologiegeschichte
Die Alte Kirche vertrat ein personales G.ns-Verständnis i. S. d. totalen Ja der Person zum Gott Jesu Christi, akzentuierte aber zugl. aufgrund häretischer (gnostischer) Anfeindungen die inhaltliche Seite des G.ns (G.ns-Regel). Augustinus machte zwischen G.n und Erkennen ein dialektisches Verhältnis aus und unterschied zwischen G.ns-Akt und G.ns-Inhalt (trin. XII 2,5). Der G.ns-Akt (fides qua creditur/Du-G.) ist wirkende Ursache der Rechtfertigung und insofern heilsnotwendig. Er darf dabei nicht individualistisch missverstanden werden, handelt es sich doch um eine Existenzform, die auf die in der Kirche bezeugte Offenbarung Gottes bezogen ist. Insofern umfasst der G. auch die inhaltlichen Aussagen der Offenbarung. Mit dem G.ns-Inhalt (fides quae creditur/Dass-G.) gewinnt der Mensch Kenntnis von Gott und damit verbunden ein vertieftes Selbst- und Weltverständnis. Die G.ns-Erkenntnis widerstreitet der Vernunfterkenntnis nicht: Gott ist Urheber von beidem. Im Mittelalter wurde auch die Kenntnis der G.ns-Gegenstände G. genannt, wobei für den heilshaften G.n ein Minimalbestand an G.ns-Inhalten als ausreichend erachtet wurde (fides implicita). In der scholastischen Theologie (Scholastik), die mithilfe der ratio den G.ns-Gehalt zu erhellen und notwendige Vernunftgründe (rationes necessariae) im G.n anzugeben versuchte, setzte eine verstärkte theologische Reflexion über den G.ns-Akt ein und damit verbunden eine fortschreitende Intellektualisierung der G.ns-Theologie, was bis zum Ersten Vatikanischen Konzil anhielt („Dass-G.“). Es kam zu einer immer stärkeren Betonung der kognitiven Dimension des G.ns, des Für-wahr-Haltens und der G.ns-Inhalte. Das Erste Vatikanische Konzil bestimmte den G.n als „eine übernatürliche Tugend, durch die wir […] glauben, dass das von ihm Geoffenbarte wahr ist“ (DH 3008), bewirkt durch den Heiligen Geist und gestützt durch äußere Zeichen der Glaubwürdigkeit (göttliche Taten, Wunder, Weissagungen, katholische Kirche) (DH 3009; 3013 f.). Das Zweite Vatikanische Konzil hat die instruktionstheoretische Engführung des G.ns-Begriffs überwunden: Der G. ist nicht nur Akt intellektueller Zustimmung, sondern der Ganzübereignung an Gott; er ist ein im Christusereignis begründetes und durch die Gnade bewirktes personales Begegnungs- und Kommunikationsgeschehen (DV 5). Gegenwärtig wird der G.ns-Theologie wieder ein größeres Interesse entgegengebracht; bes. Beachtung finden die G.ns-Erfahrungen, Glaubwürdigkeitserkenntnis und kontextuellen Ausformungen des G.ns.
4. Ökumenische Perspektiven
Alle christlichen Konfessionen sehen im G.n die angemessene Antwort des Menschen auf die göttliche Offenbarung. Die Frage, welche Rolle den guten Werken zukommt, wurde bes. in der Reformationszeit (Reformation) kontrovers beantwortet. Martin Luther verwarf die scholastische G.ns-Theologie mit ihren Überlegungen zum Verhältnis von G.ns-Inhalt und G.ns-Vollzug, lehnte u. a. die fides implicita (WA 39, Bd. 1: 45) und die fides acquisita ab (WA 6: 89), betonte die Gnadenhaftigkeit des Rechtfertigungsgeschehens (sola gratia/fide) und verstand den G.n als bedingungsloses Vertrauen (fiducia) auf die Barmherzigkeit Gottes (BSLK 560). Doch schon Philipp Melanchthon, Johannes Calvin und später die altprotestantische Orthodoxie hoben wieder stärker die Erkenntnis (cognitio) im G.n. hervor. Die kognitive Seite des G.ns gewann in Form der Kenntnis (notitia) und Zustimmung (assensus) erneut an Bedeutung, und ein gewisser G.ns-Beitrag des Menschen wurde nicht mehr prinzipiell ausgeschlossen. Entgegen den Kontroversen in der G.ns-Theologie konnte am 31.10.1999 eine „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ zwischen dem Lutherischen Weltbund und der römisch-katholischen Kirche (Katholische Kirche) unterzeichnet und ein „Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre“ festgehalten werden; gemeinsam wurde bekannt, „dass der Sünder durch den Glauben an das Heilshandeln Gottes in Christus gerechtfertigt wird“ (Nr. 25).
Literatur
C. Böttigheimer: Glauben verstehen, 2012 • D. Hercsik: Der Glaube, 2007 • P. Neuner: Der Glaube als subjektives Prinzip der theologischen Erkenntnis, in: HFTh, Bd. 4, 22000, 23–36 • Lutherischer Weltbund/Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen: Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre, 1999 • H. Schütte: Glaube im ökumenischen Verständnis, 111996 • H. Waldenfels u. a.: Glaube, Glauben, in: LThK, Bd. 4, 31995, 666–685 • G. Lancikowski u. a.: Glaube, in: TRE, Bd. 13, 1984, 277–365.
Empfohlene Zitierweise
C. Böttigheimer: Glaube, Version 22.10.2019, 17:30 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Glaube (abgerufen: 22.11.2024)