Petitionsrecht

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1. Begriff

Das P. war und ist in verschiedenster Form in zahlreiche Verfassungsordnungen eingeflochten, die daneben wenig verbindet. Ein P. umfasst mindestens das Recht, sich mit einem Anliegen an eine staatliche Stelle zu wenden, die sich mit diesem befassen muss. Inhalt einer Petition können Bitten, also politische Anregungen, oder Beschwerden gegen bestimmte staatliche Entscheidungen sein. Obwohl das P. funktional Parallelen zu Instrumenten der direkten Demokratie oder solchen des Rechtsschutzes aufweist, unterscheidet es sich von beiden in einem zentralen Punkt: Rechtlich verbindliche Entscheidungen können durch seine Inanspruchnahme nicht unmittelbar herbeigeführt werden; wie inhaltlich mit der Petition umgegangen wird, obliegt – abgesehen von verfahrensmäßigen Mindestanforderungen – dem Adressaten.

2. Petitionsrecht in der Bundesrepublik Deutschland

Die Statistiken zur Inanspruchnahme des P.s belegen, jedenfalls für den Bundestag, das Bedürfnis nach einem Petitionswesen: Die Zahl der Neueingänge unterliegt seit jeher Schwankungen, weist aber in den letzten Jahren eine leichte Tendenz nach unten auf (1998: 16 994; 2008: 18 096; 2018: 13 189). Jedoch wird jede Petition unabhängig von ihrer zahlenmäßigen Unterstützung verzeichnet, sodass die Gesamtzahl der Personen, die das P. nutzen, deutlich höher anzusetzen ist (2018: 825 115). Inhaltlich decken die eingereichten Petitionen ein breites Spektrum ab: Im Jahr 2018 erfuhren diejenigen zur Ablehnung des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (217 512), zur Erhaltung eines eigenständigen Berufsbilds der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege (164 706), sowie zur Einführung eines weisungsungebundenen Kinderbeauftragten des Bundestages (116 097) die größte Unterstützung. Die meisten Petitionen unterfallen dem Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, gefolgt von Gesundheits-, Innen-, Finanz- und Justizressort. Sie werden überwiegend von Männern eingereicht, der entsprechende Anteil liegt seit vielen Jahren konstant zwischen 60 und 70 %. Am petitionsfreudigsten sind die Einwohner des Landes Berlin mit der höchsten Petentenzahl je 1 Mio. Einwohner (2018: 280).

In seinen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen ist das P. des Art. 17 GG weit gefasst: Es ist ein sogenanntes Jedermann-Grundrecht (Grundrechte), das nicht nur deutschen Staatsangehörigen, sondern auch allen anderen Personen zusteht, die in Beziehung zur deutschen Staatsgewalt stehen. Geschützt ist die Petition an Volksvertretungen jeder Stufe (Bundestag, Landesparlamente, Gemeinde- und Kreisräte), sowie an Behörden und öffentlich-rechtlichen Einrichtungen. Der Petitionsgegenstand ist inhaltlich nicht beschränkt. Art. 17 GG garantiert das Recht, sich an die entsprechenden Stellen „zu wenden“. Das bedeutet, dass die angerufene Stelle die Petition entgegennehmen und prüfen muss (BVerfGE 2,225, 229 ff.). Im Bundestag ist diese Behandlung dem Petitionsausschuss übertragen. Er schließt seine Bearbeitung mit einer Empfehlung ab, auf deren Grundlage der Bundestag über die Erledigung der Petition entscheidet. Der Umgang mit der Petition muss nachvollziehbar und diskriminierungsfrei erfolgen. Darüber hinaus ist ihre Behandlung nicht justiziabel (vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.5.1992 – 1 BvR 1553/90).

Aus der verfassungsrechtlichen Regelung lässt sich die Petitionswirklichkeit der Bundesrepublik nicht vollständig ablesen. In der jüngeren Vergangenheit wurden geschäftsordnungsrechtliche Regelungen (Geschäftsordnung) getroffen, die das gegenwärtige Petitionswesen entscheidend prägen. 2005 hat der Petitionsausschuss in seinen Grundsätzen festgeschrieben, dass die zur Einreichung erforderliche Schriftform auch bei elektronischer Übermittlung gewahrt werden kann: So entstand die „e-Petition“. Gleichzeitig führte der Petitionsausschuss die „Öffentliche Petition“ ein, die auf der Internetseite des Ausschusses zur Diskussion und Mitzeichnung durch Dritte veröffentlicht wird. Unterzeichnen mehr als 50 000 Personen, wird der Petent in einer öffentlichen Sitzung des Petitionsausschusses angehört. Die eingeführten Instrumente werden vielfach in Anspruch genommen und tragen zum Ausbau digitaler Demokratie bei. Die – für den Erfolg einer Petition folgenreiche – Nicht-Veröffentlichung einer Petition ist vielfach Gegenstand verwaltungsgerichtlicher Verfahren geworden (zuletzt BVerwGE 158,208). Hierbei ist die fehlende gesetzliche Grundlage für die Reformen des Petitionsausschusses Gegenstand verfassungsrechtlicher Diskussionen (s. BVerfG, Beschl. v. 17.02.2014 – 2 BvR 57/13). Von hoher praktischer Relevanz ist die steigende Zahl elektronischer Unterschriftensammlungen auf privaten Plattformen, die teilweise als Petitionen bezeichnet werden, obwohl sie nicht zwingend in ein förmliches Petitionsverfahren münden. Im Vordergrund steht dabei der Einsatz der Unterschriftensammlung als kommunikatives Mittel in der öffentlichen Debatte.

3. Diachroner und synchroner Vergleich

Das Rechtsinstitut der Petition hat eine lange Tradition; seine Spuren reichen bis ins Römische Reich zurück, in welchem bereits „ein institutionalisiertes und bürokratisch voll durchgebildetes Petitionswesen“ (Kumpf 1983: 35) ausgemacht wurde. Auch für Mittelalter und Neuzeit ist das Einreichen von Bitten und Beschwerden bei hoheitlichen und kirchlichen Stellen aller Ebenen urkundlich belegt. Mit der englischen Bill of Rights begann die Geschichte des P.s als subjektiv-öffentliches Recht in einem geschriebenen Verfassungsdokument. Diese Entwicklung setzte sich im ersten Zusatz zur US-amerikanischen Verfassung, sowie im ersten Titel der französischen Verfassung von 1791 fort. Ein entsprechendes P. fand schließlich Eingang in die Paulskirchenverfassung von 1849 (§ 159) und wurde in Art. 126 WRV wortgleich übernommen. Wenngleich die Bedeutung des P.s im Parlamentarischen Rat teilweise als überwunden galt, beschloss man schließlich Art. 17 GG, der seitdem in unveränderter Form gilt.

Viele deutsche Landesverfassungen enthalten ebenfalls ein P., die Ausgestaltung differiert wiederum; teilweise ist der Kreis möglicher Petenten auf die Bewohner des Landes beschränkt, teilweise besteht ein Anspruch auf begründete Reaktion in angemessener Frist. Ein P. findet sich heute außerdem etwa in der russischen, japanischen, türkischen und schweizerischen Verfassung. Auch die VR China ist für ihr umfangreiches Petitionswesen bekannt. Die EU hat ein stark ausgeprägtes Petitionswesen mit vier verschiedenen petitionsähnlichen Rechten, die in Art. 24 AEUV gebündelt sind: Das Recht zur Bürgerinitiative, das P. zum Europäischen Parlament, das Recht zur Anrufung des Europäischen Bürgerbeauftragten sowie das Recht zur Anrufung von Unionsinstitutionen. Auf völkerrechtlicher Ebene existiert keine Gewährleistung eines P.s im klassischen Sinne.

4. Aktuelle Entwicklungslinien

Die historische und rechtsvergleichende Perspektive zeigt, dass sich unter dem Begriff des P.s verschiedenste Instrumente sammeln, die vielfältige Funktionen erfüllen. Hier wird die Flexibilität des P.s als Rechtsinstitut deutlich – während andere Verfassungsgehalte ein bestimmtes politisches System indizieren, kann das P. in demokratischen, totalitären und autoritären Systemen verankert sein. Die Gemeinsamkeit der P.e liegt in ihrer Kompensationsfunktion, der Unterschied liegt im jeweils Kompensierten. Fehlt es an einem ausgeprägten gerichtlichen Rechtsschutzsystem, kann das P. als (naturgemäß defizitärer) Ersatz fungieren. Stehen keine effektiven direkt-demokratischen Instrumente zur Verfügung, rückt die plebiszitäre Funktion (Plebiszit) in den Vordergrund. Davon ausgehend ist auch die einfachgesetzliche Konzeption des jeweiligen Petitionswesens zu entwickeln.

Dieser Offenheit des P.s entspr. hat sich seine Bedeutung in der jüngeren Geschichte gewandelt: Während ihm in den frühen Jahren der Bundesrepublik eine weitgehende Irrelevanz zugesprochen wurde, erlebt es seit einigen Jahren eine Renaissance. Katalysator hierfür sind die technischen Möglichkeiten, die im P. aufgegriffen wurden. Vor dem Hintergrund eines hochentwickelten Rechtsschutzsystems kommt dem P. in der Bundesrepublik – insb. solange direkt-demokratische Instrumente auf Bundesebene fehlen – heute hauptsächlich eine plebiszitäre Funktion zu.

Außerdem ist eine Verschiebung in der Wirkweise von Petitionen beobachtbar: In der Möglichkeit auf staatlichen und privaten Internetplattformen innerhalb kurzer Zeit große Unterstützung für das eigene Anliegen zu sammeln, liegt ein Potenzial zur Erzeugung politischen Drucks. Das Petitionsverhältnis wird hiermit zu einem dreipoligem Verhältnis zwischen Petenten, Staat und Öffentlichkeit. Die hierdurch erzeugte mittelbare Wirkung in der öffentlichen Debatte kann schlussendlich viel effektiver sein als die Behandlung im förmlichen Petitionsverfahren. Inwieweit diesem Potenzial durch Ausweitung des P.s Raum gegeben wird, obliegt dem Gesetzgeber.