Studentenverbindungen

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1. Geschichte der Studentenverbindungen im Überblick

S. oder -korporationen sind eine sehr wandlungsfähige, an den Universitäten des Alten Reichs seit der frühen Neuzeit nachweisbare Sozialisationsform. Prägend waren v. a. die „alten Landsmannschaften“, welche Schutzverbände auf Zeit für Studenten waren, die aus der gleichen Gegend kamen sowie die freimaurerisch inspirierten Studentenorden (Freimaurer), die über einen ethisch begründeten, verbindlichen Wertekanon verfügten und sich ideell als lebenslange Gemeinschaft begriffen. Deren Erbe wirkte in veränderter Form weiter in Landsmannschaften neuen Typs, die sich später Corps nannten, und seit 1814 in den Burschenschaften. Deren Versuch, eine nationale Organisation der Studentenschaft zu begründen, scheiterte ebenso wie der föderative Alleinvertretungsanspruch der örtlichen Seniorenconvente der Corps. Seit der Mitte des 19. Jh. pluralisierte sich das Verbindungswesen weiter im Hinblick auf Weltanschauung und Brauchtumsformen und verfestigte sich gleichzeitig durch die Entstehung von Dachverbänden. Es entstanden neue Landsmannschaften, akademische Gesang- und Turnvereine, wissenschaftliche, katholische, jüdische sowie Damenverbindungen, die in jeweils unterschiedlich starker Ausprägung die tradierten äußeren Formen der S. übernahmen und das Lebensbundprinzip einführten. D. h., dass alle S., auch wenn sie sich teilweise weiterhin Vereine nennen, Gemeinschaften von studierenden „Aktiven“ (darunter die als „Füxe“ bzw. „Füchse“ bezeichneten Neumitglieder auf Probe) und „Alten Herren“ oder „Philistern“, also berufstätigen Altmitgliedern, sind. Man unterscheidet farbentragende (zumeist dreifarbiges Band und Mütze) und nicht farbentragende oder „schwarze“ S. Letztere führen aber mehrheitlich dennoch Farben im „Bierzipfel“, einem Schmuckanhänger, und tragen bei feierlichen Anlässen den „Wichs“, die traditionelle studentische Festtracht, die ihre Ursprünge in den polnischen Freiheitskämpfen des frühen 19. Jh. hat. Neben den Bestimmungsmensuren schlagenden S. gibt es solche, die dies ablehnen. Der studentische Zweikampf hat eine jahrhundertealte Tradition; bei der Bestimmungsmensur handelt es sich nicht um ein Duell, sondern um eine vereinbarte Form des Zweikampfs.

In der klassischen deutschen Universität waren die S. normgebend für das studentische Leben, einer solchen anzugehören war der Regelfall. Sie repräsentierten trotz aller vorhandener Konflikte in ihrer pluralistischen Gesamtheit die Studentenschaft an sich. Ab 1919 dominierten sie die auf demokratischen Wahlen fußenden studentischen Selbstverwaltungsorgane. Die Symbiose zwischen Universitäten und S. resultierte auch aus den Eigengesetzlichkeiten des klassischen preußischen Universitätssystems, insb. der „Humboldtschen Lücke“, also dem Verzicht auf die erzieherische Aufsicht über die Studierenden, die die Selbststeuerung und Selbstorganisation studentischer Sozialisation erst ermöglichte. Folglich entstanden S. überall dort, wo dieses Modell übernommen wurde, auch außerhalb des deutschen Sprachraums.

Als Folge der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg kam es in einem beträchtlichen Teil der S. zu einem Rechtsruck, der es der NS-Bewegung leicht machte, diese für ihr Ziel einer „Machtergreifung“ an den Universitäten zu instrumentalisieren. Daraus resultierte, trotz der Tatsache, dass die Nationalsozialisten das Verbindungswesen zunächst gleichschalteten und schließlich beseitigten, ein Traditionsbruch, der ausschloss, dass nach dem Zweiten Weltkrieg die beschriebene Symbiose eine Fortsetzung finden konnte. Seither grenzten sich die meisten Universitäten von den S. mehr oder weniger ab, obgleich sich nun nahezu alle Korporationsverbände uneingeschränkt auf den Boden der freiheitlichen Demokratie westeuropäischen Typs stellten. Es gründeten sich mit Ausnahme der jüdischen und der Damenverbindungen nahezu alle Dachverbände wieder. Vor dem Hintergrund des Übergangs von der nachklassischen zur Massenuniversität und der Veränderungen, die mit der sog.en Achtundsechzigerbewegung (Studentenbewegungen) verbunden waren, wurden die S. allerdings immer mehr an den Rand gedrängt. Seit den späten 1960er Jahren waren viele Verbände konfrontiert mit dramatisch zurückgehenden Mitgliederzahlen und internen Auseinandersetzungen um die Zukunftsfähigkeit der eigenen Traditionen. Erst seit den 1980er Jahren verbesserte sich die Nachwuchssituation, das Korporationswesen konnte sich konsolidieren und die Mitgliederzahlen wieder steigern. Auch Damenverbindungen entstanden wieder neu.

2. Geschichte der katholischen Studentenverbindungen

Die katholischen S. entstanden als Selbsthilfe- und Abwehrorganisationen. Aus Einzelgründungen in Bonn, München, Berlin, Münster, Würzburg, Tübingen und Breslau erwuchsen zunächst drei Verbände:

1855 wurde der nicht farbentragende Unitas-Verband (UV) gegründet (heute Verband der Wissenschaftlichen Katholischen Studentenvereine Unitas), der bis 1887 ein Zusammenschluss von Theologenverbindungen war. Deshalb war für den UV neben seinem zentralistischen Aufbau eine spezifisch kirchlich-klerikale Ausrichtung charakteristisch. Seit den späten 1960er Jahren ist die Mitarbeit nicht katholischer Christen mit Status eines „Freundes der Verbindung“ möglich. Seit 1996 werden in eigenen Damen-Vereinen auch Frauen aufgenommen. 2015 verfügte der UV über ca. 5 100 Mitglieder, davon 650 Aktive. 1856 entstand der farbentragende Cartellverband der katholischen deutschen S. (CV). Dieser entwickelte sich bis zum Ersten Weltkrieg zum größten katholischen Korporationsverband, ja zu einem der größten Dachverbände überhaupt. Von Anfang an verfügte der CV auch über österreichische Mitgliedsverbindungen, zur Trennung kam es 1933, als die österreichischen CV-Verbindungen vor dem Hintergrund der „Machtergreifung“ einen eigenen Verband, den Cartellverband der katholischen österreichischen S. (ÖCV), gründeten. Heute betrachten sich CV und ÖCV als Schwesterverbände. Hinsichtlich der Frage der Aufnahme nicht katholischer Christen halten sie am Katholizitätsprinzip in seiner überlieferten Form fest; d. h. weder Vollmitgliedschaft noch bes.r Status von Nichtkatholiken sind gestattet. Von der Mitgliederzahl her rangiert der deutsche CV mit ca. 28 300 Mitgliedern, davon 4 100 Aktive (2015), an der Spitze aller Korporationsverbände, der ÖCV hatte 2015 ca. 11 600 Mitglieder, davon 2 000 Aktive. Der KV (Kartellverband katholischer deutscher Studentenvereine) wurde 1865 gegründet, nachdem die Gründung eines gemeinsamen Dachverbandes mit dem CV gescheitert war. Das schwarze Prinzip wurde urspr. sehr streng beachtet, seit dem frühen 20. Jh. fanden dann aber Angleichungen an die farbentragenden S. statt, inzwischen werden in vielen KV-Bünden Bänder getragen. Die Aufnahme nicht katholischer Christen ist seit 1971 möglich. 2015 verfügte der KV über ca. 12 100 Mitglieder, davon ca. 1 600 Aktive.

Ferner gibt es den farbentragenden Ring Katholischer Deutscher Burschenschaften (RKDB), der 1924 von vormaligen Unitas-Vereinen gegründet wurde. Er hatte 2015 ca. 680 Mitglieder, darunter ca. 80 Aktive. Die Aufnahme evangelischer Mitglieder ist seit 1970 zulässig.

Der 1841 gegründete farbentragende Schweizerische Studentenverein (StV), der traditionell auch über nicht deutschsprachige S. verfügt, öffnete sich 1968 bzw. 1977 sowohl für weibliche als auch für evangelische Mitglieder. Der StV ist mit CV und ÖCV freundschaftlich verbunden und zählte 2015 ca. 7 600 Mitglieder, davon 1 400 Aktive. In Österreich existiert noch der 1922/1933 gegründete legitimistische Akademische Bund Katholisch-Österreichischer Landsmannschaften (KÖL); dieser verfügte 2015 über ca. 1 000 Mitglieder.

Die katholischen S. haben seit Mitte des 19. Jh. ganz entscheidend zur Reproduktion katholischer Eliten und damit zur Formierung des politischen Katholizismus beigetragen. Deshalb wurden CV, KV und UV während des Kulturkampfs diskriminiert. Vom Nationalsozialismus wurden die katholischen S. bekämpft, nach 1933 zunächst gleichgeschaltet, zur Selbstauflösung gedrängt und 1938 schließlich ganz verboten. Die Wiedergründung war nach 1945 v. a. deshalb so schnell möglich (ÖCV 1945, KÖL, CV, KV, UV und RKDB ab 1947/48), weil deren Mitglieder im Dritten Reich vielfach Verfolgungen ausgesetzt gewesen waren. Die Wahlverwandtschaft mit dem politischen Katholizismus und der katholischen Kirche blieb auch nach 1945 unter völlig gewandelten Bedingungen lebendig und prägt das Selbstverständnis der katholischen S. bis heute.