Freimaurer
Eingebettet in die Traditionen des Bauhandwerks stifteten fünf Londoner Logen, in denen interessierte Laien aufgenommen wurden, am 24.6.1717 jene Großloge, die als der Beginn der rezenten weltweiten Freimaurerei anzusehen ist. Mit der Wahl John Duke of Montagues zum Großmeister 1721 wurde aus den kleinbürgerlich dominierten Zusammenschlüssen ein gesellschaftliches Ereignis, in dem das aufstrebende Bürgertum (Bürger, Bürgertum) mit der englischen Oberschicht in Kontakt trat und das sich in den 1723 publizierten „Constitutions of the Free-Masons“ („Alte Pflichten“) jenes Regelwerk gab, das bis heute die Freimaurerei in den unterschiedlichsten Facetten prägt. Angesiedelt am Übergang vom privaten zum öffentlichen Raum wurde dieser Ort der „männlichen Rede“ zum Modell einer modernen Gesellschaft, in der die herrschenden Standesgrenzen (Stand) unter Berufung auf die umfassende Brüderlichkeit relativiert wurden, wobei das strenge Ritual allzu große Distanzlosigkeit unterband. Mit dem Sprung auf den europäischen Kontinent verknüpfte sich der gesellige Charakter, der den Logen mit den kurz davor entstandenen ersten Herren-Clubs eigen war, partiell mit der Aufklärung.
Die Freimaurerei befand sich als egalitäre Gesellschaft im Widerspruch zum hierarchisch geprägten absolutistischen Staat (Absolutismus). Die Religionsgemeinschaften interpretierten wiederum das nicht konfessionelle Religionsverständnis, wie es in den „Constitutions“ angesichts der realen Situation Englands festgeschrieben worden war, als Frontstellung gegenüber kirchlichen Autoritäten (Autorität). Diese doppelte Frontstellung führte zu theologisch argumentierten ersten Verboten der Freimaurerei in Holland und Friesland (1735), in Genf, in Hamburg und in Schweden, im Osmanischen Reich und schließlich 1738 zur Bannbulle Papst Clemens XII. („In eminenti“), deren Umsetzung am Desinteresse der katholischen Regenten (Frankreich, Heiliges Römisches Reich, habsburgische Erblande) vorerst scheiterte.
Die Attraktivität dieser Zusammenschlüsse, in die 1731 Franz III. Stephan von Lothringen, 1737 der Prince of Wales Friedrich Ludwig und 1738 Friedrich von Preußen aufgenommen worden waren, beruhte gleichermaßen auf Spieltrieb und auf gesellschaftlicher Ambition. Das „gesellige 18. Jh.“ erblühte in den Logen, die sich zu einem guten Teil zu „Akademien“, zu ausufernden „Ritterspielen“ (Hochgrade), zu höfischen Tändeleien („Mopsorden“), zu studentischen „Orden“, zu alchemistischen Versuchsstätten, zu „Tempeln“ der Freundschaft und Netzwerkpflege wandelten, an denen sich v. a. Männer, aber zunehmend auch Frauen beteiligten und die auch Wichtigtuern, Hochstaplern und Betrügern (Karl Gottfried Freiherr von Hund, Samuel Rosa, Alexander Cagliostro, Johann Samuel Leucht) als Spielwiese dienten. Das Auswahlkriterium – aufgenommen wurde und wird man nur über den Vorschlag von Mitgliedern nach einem strengen Prüfungsverfahren – und die zunehmende Binnendifferenzierung beschleunigten eine Entwicklung, die als „masonry in a masonry“ zu charakterisieren wäre, die harte aufklärerische Positionen (Illuminaten) ebenso bediente wie deren Gegenteil (Rosenkreuzer), um schließlich als Organisationsmodell in rein politische Zusammenschlüsse einzufließen (preußischer Tugendbund, Frankreichs Les Amis de la Verité und Charbonnerie, die italienische Carboneria etc.).
Komplexe politische und sozioökonomische Veränderungen wurden in Verschwörungstheorien simplifiziert. Das Ende der alten Ordnung in der Französischen Revolution wurde ausgehend vom populären Werk Augustin Barruels auf eine einfache Formel simplifiziert: Enzyklopädisten, F. und Illuminaten sind die Jakobiner. Auf der Basis dieser Formel entstand jene Trias der Drahtzieher der Revolution („Juden, F. und Jesuiten“), die bis in die Mitte des 20. Jh. politisch erheblich instrumentalisiert wurde. Der Antimodernismus, der seit der Revolution konstitutiv für die katholische Kirche war, prallte im 19. Jh. auf den zunehmend kämpferischen Antiklerikalismus liberaler Kräfte (Liberalismus), v. a. des romanischen Raumes, in dem sich unter Bruch mit dem englischen Verständnis eine durchaus politisch zu verstehende Freimaurerei entwickelte, die in Frankreich bis ins 20. Jh. als laizistische Plattform (Laizismus) sichtbar blieb und die im italienischen Risorgimento den weltlichen Herrschaftsanspruch des Papsttums (Papst) in Frage stellte. Die katholische Kirche reagierte mit einer Fülle von Verurteilungen und einem breit aufgestellten Antimasonismus, der in der „Anti-F.-Liga“ kulminierte, ehe mit dem Codex Iuris Canonici 1916 eine relative Versachlichung eintrat.
Die säkularisierten Erben (Säkularisierung) dieses Antimasonismus waren die totalitären Regime des 20. Jh. (Totalitarismus). Die kommunistischen Staatsführungen (Kommunismus) – mit Ausnahme von Kuba – interpretierten die Logen als bourgeoise Notablenversammlungen, während die semifaschistischen bis faschistischen Systeme (Faschismus) diese im Widerspruch zur propagierten Volksgemeinschaft sahen. Der Nationalsozialismus setzte „F.“ mit „Juden“ (Judentum) gleich, wiewohl gerade die altpreußischen Logen bis 1935 um Kollaboration bemüht waren und mit Hjalmar Schacht auch ein Regierungsmitglied stellten.
Die Rückkehr der Demokratie in Westeuropa 1945 und der demokratische Neubeginn in Osteuropa 1989/90 ließ die Freimaurerei in ihren nationalen Eigenarten wiedererstehen. Konstitutiv blieb der Antimasonismus in rechtspopulistischen Kreisen, während in sozialdemokratischen Milieus Skandinaviens der bourgeoise Habitus der schwedischen und norwegischen Logen als unvereinbar mit einer egalitären Gesellschaft gilt. In jenen islamisch dominierten Staaten, in denen es keine Trennung von Religion und Politik gibt oder in denen das laizistische Prinzip wie in der Türkei zunehmend in Frage gestellt wird, sind freimaurerische Zusammenschlüsse verboten oder werden äußerst negativ gesehen.
Der bereits in den 1920er-Jahren zu beobachtende zaghaft einsetzende Dialog zwischen einzelnen freimaurerischen Gruppierungen und Repräsentanten der katholischen Kirche führte während des Zweiten Vatikanischen Konzils zu einer Neubeurteilung des Verhältnisses. Ausgehend von der Feststellung, dass es keine einheitliche Freimaurerei gibt, hielten die Diözesanbischöfe weltweit mit Ausnahme der Bischofskonferenz Franco-Spaniens eine generelle Verurteilung der Freimaurerei für obsolet. Diese Position floss schließlich in die Codex-Reform 1983 ein.
Freimaurerei ist ein Sammelbegriff für eine durchaus differenzierte Landschaft von Vereinigungen, die sich als humanitärere, christliche oder aufklärerische Bünde auf die Tradition der englischen Logen von 1717 und deren „Constitutions“ berufen. Die Logen sind stets Spiegel jener Gesellschaft, in der sie beheimatet sind, und sie sind dadurch auch ein Spiegel der Zeit, in der sie Bestand haben. Generell erheben sie den Anspruch einer moralischen Anstalt, die dem einzelnen Mitglied die Chance eröffnet, eingebettet in einen Initiationsritus und eine nicht dogmatisch fixierte Symbolwelt (Symbol), den Weg einer ethisch verantworteten Selbsterziehung zu gehen.
Literatur
E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder: Internationales Freimaurerlexikon, 2006 • D. A. Binder: Die diskrete Gesellschaft, 2004 • Franc-Maçonnerie: Avenir d’une tradition, 1997 • H. Reinalter: Aufklärung und Geheimgesellschaften, 1996 • J. Rogalla von Bieberstein: Die These von der Verschwörung 1776–1945, 1992 • J. Hamill: The Craft, 1986 • R. Koselleck: Kritik und Krise, 1976.
Empfohlene Zitierweise
D. Binder: Freimaurer, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Freimaurer (abgerufen: 21.11.2024)