Dorf

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D.er sind in der Gegenwart komplexe Gebilde, es gibt nicht „das D.“ und es gibt nicht nur den einen Blick auf das D. Vom und über das D. reden zumeist Menschen, die in Städten (Stadt) leben. Im öffentlichen Bewusstsein spielt das D. und mit ihm der ländliche Raum eine nur geringe Rolle. Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien haben ihre Zentren in den Städten. Daher ist die Perspektive auf das D. zumeist eine Fernsicht. Die Wahrnehmung des D.es hat sich mit den Zeitumständen daher radikal gewandelt. Ob D.er aus einer obrigkeitlichen, an Verwaltungsinteressen gebundenen oder aus einer historischen Perspektive betrachtet werden, macht einen großen Unterschied. Eine rein siedlungs- oder rechtsgeschichtliche Darstellung wird den sozialökonomischen Umbrüchen sowie dem modernen Prozess der Individualisierung und Globalisierung, dem das D. ausgesetzt ist, nicht gerecht. Was auffällt ist allerdings, dass Interesse und Hinwendung zum Thema D. bes. in gesellschaftlichen Umbruchszeiten zu beobachten sind.

Das D. gehört sicher zum frühesten Stadium sozialer Bildungen. Es besteht, so formulierte es einst Georg Simmel, aus einem relativ kleinen Kreis von Menschen „mit starkem Abschluss gegen benachbarte, fremde oder irgendwie antagonistische Kreise, dafür aber mit einem um so engeren Zusammenschluss in sich selbst, der dem einzelnen Mitglied nur einen geringen Spielraum für die Entfaltung eigenartiger Qualitäten und freier, für sich selbst verantwortlicher Bewegungen gestattet“ (Simmel 2006: 26). Die bei allen Unterschieden über viele Jahrhunderte hinweg gültige Homogenitätsunterstellung, die das D. als den (natürlichen) Ort bäuerlich-handwerklicher Selbstreproduktion beschrieb, hat sich im Prozess der Industrialisierung (Industrialisierung, Industrielle Revolution), Urbanisierung und Individualisierung vollständig aufgelöst.

1. Das Dorf als Wirtschaftsraum

Es gibt in Deutschland über 35 000 D.er und keines ist mit dem anderen gleich. Erheblich sind die Unterschiede nach Größe, Lage, historischer Entwicklung, Urbanisierungsgrad, wirtschaftliche Dynamik, Bevölkerungsentwicklung und weiteren Infrastrukturmerkmalen. In den vergangenen Jahrzehnten hat der wirtschaftliche Strukturwandel einen wachsenden Einfluss auf die Siedlungsentwicklung ausgeübt. Die demografische Entwicklung (Demographie) beschleunigt insb. in den peripheren Regionen die Entleerung des ländlichen Raumes. Die Landwirtschaft (Land- und Forstwirtschaft) als traditioneller Nahrungsmittellieferant ist zunehmend durch die industrielle Nahrungsmittelproduktion verdrängt worden. Große Teile der ländlichen Räume entwickeln sich in Richtung fortschreitender Urbanisierung oder aber in Richtung dünn besiedelter Agrarräume. Dazwischen liegt ein weites Spektrum (nicht nur touristisch genutzter) Entwicklungsräume (Energiewirtschaft).

In den letzten 200 Jahren hat sich Deutschland von einer Agrar- und Industriegesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft (Dienstleistungen) gewandelt. Selbst im ländlichen Raum ist die Agrarwirtschaft nur noch die dritte Kraft gegenüber dem sekundären und tertiären Wirtschaftssektor. Das Bild eines durch landwirtschaftliche Betriebe geprägten D.es hat sich also radikal verändert. Von diesem Wandel sind die dörflichen Handwerks- (Handwerk) und Gewerbezweige mitbetroffen. Schmied, Schneider, Schuhmacher und die dorfspezifischen Selbstversorgungszentren (Tante Emma-Laden, D.-Gasthaus etc.) verschwinden. An ihre Stelle treten in separat ausgewiesenen Gewerbegebieten hochspezialisierte Handwerkszweige, mittelständische Produktionsbetriebe und Dienstleister (Mittelstand), die ihre Produkte und Dienstleistungen überregional anbieten und daher auf gute Verkehrsanbindungen angewiesen sind.

Typisch für die Landwirtschaft, die im Vergleich zur Industrialisierung (Industrialisierung, Industrielle Revolution) erst sehr spät durch Mechanisierung und Automatisierung revolutioniert wurde, ist immer noch der bäuerliche Familienbetrieb, auch wenn Großbetriebe oft nur noch von einer einzigen Person bewirtschaftet werden. Die moderne Landtechnik hat nicht nur die Arbeit selbst erleichtert, sondern die Spezialisierung und Vergrößerung der Betriebe vorangetrieben (Agrarindustrie). In vielen D.ern sind die Landwirte zu Energieproduzenten (Biogas) geworden, der Anteil von Landwirten, die sich auf einen biologischen Anbau umgestellt haben, ist beständig gewachsen. Selbstvermarktung liegt im Trend und mit den steigenden Holzpreisen wirft auch die Arbeit im Wald wieder etwas mehr ab.

Im Windschatten von Europäisierung und Globalisierung haben sich aber die Betriebsgrößen, die Spezialisierung der Betriebe sowie nach der deutschen Wiedervereinigung die Bodennutzung überhaupt radikal verändert. Betrug die durchschnittliche Größe eines Betriebes im Jahre 1800 drei Hektar und waren im Jahre 1882 nur 0,5 % der Betriebe Großbetriebe über 100 Hektar, so liegt die Betriebsgröße von Grünlandbetrieben heute bei mindestens 1 000 Hektar. Die Agrarpolitik der DDR förderte indirekt Konzentrations- und Entprivatisierungsprozesse, die nach der Wiedervereinigung zu einer sehr unterschiedlichen Struktur des Bodenbesitzes und der Landnutzung geführt haben. In den letzten Jahren hat das D. einen Großteil seiner Arbeitsplätze verloren. Je nach der Anbindung an die öffentlichen Verkehrswege und die modernen Kommunikationsnetze des Internets konnten neue Arbeitsplätze geschaffen werden.

2. Das Dorf als idealisierter Raum gelingender Gemeinschaft

In der wachsenden Ort- und Heimatlosigkeit der Moderne ist der ländliche Raum und mit ihm das D. zu einem Sinnbild städtischer Ergänzungsbedürftigkeit geworden. Längst haben „Landliebe“ und „Landlust“ in den Städten selbst Einzug gehalten und prägen nicht nur den „Bauerngarten“, sondern auch eine ökologisch-sensiblere Grundeinstellung. Die verbliebenen und vom Tourismusgewerbe (Tourismus) vermarkteten romantisierenden Vorstellungen einer intakten Natur und einer heilen sozialen Welt gehören in das Reich der Freizeitwahrnehmungen und scheitern heute nicht nur an den Lebensentwürfen der jungen Menschen auf dem flachen Lande.

Die traditionelle Legitimität sozialer Ordnungen nach dem Prinzip der stabilen Nachahmung, die Anerkennung der Generationenfolge und der überkommenen Autoritäten (Autorität) und die darauf beruhenden Motive der Fügsamkeit, wie sie noch vor einigen Jahrzehnten im Bild des „katholischen Mädchen vom Lande“ zitierfähig waren, haben sich längst in Klischee- und Abziehbilder eines gesunden und naturnahen Wohnumfeldes verwandelt, das ansonsten alle Anzeichen einer urbanen, modernen und individualisierten Lebensführung zeigt. Traditionelle Kriterien wie Ortsansässigkeit, Konfession und Familienstand entscheiden nicht mehr wie früher über die sozialen Rangplätze im D., die Unterschiede zwischen Bauern, Handwerkern und Arbeitern haben sich längst abgeschliffen oder sind vollständig verschwunden.

Altersaufbau, Bevölkerungsstruktur, Verkehrsanbindung, touristische Attraktivität sowie andere Standortfaktoren entscheiden darüber, ob das D. auch heute noch eine Überlebenschance hat.

In jüngster Zeit wird verstärkt darüber diskutiert, ob die Kategorie des ländlichen Raumes überhaupt noch Bestand hat. Der Angleichungsprozess zwischen Stadt und Land wirft in der Tat die Frage auf, ob es von der Stadt unterscheidbare Lebensformen überhaupt noch gibt. Klar ist jedenfalls, dass es eine einheitliche Definition des ländlichen Raumes und damit auch des D.es nicht geben kann. Politisch prekär wird die Situation überall dort, wo das D. nur durch Subventionen und Transferleistungen künstlich am Leben gehalten werden kann. Warum soll man eine Infrastruktur, die nur von wenigen genutzt wird und unverhältnismäßigen Aufwand erfordert, aufrechterhalten? Gibt es eine Bestandsgarantie für D.er, die nur noch von alten Menschen bewohnt werden? Lassen sich D.er demografisch zukunftsfähig machen? Weil die Situation des ländlichen Raumes so unterschiedlich ist, lassen sich solche Fragen nicht eindeutig beantworten. Die Zukunft der D.er hängt von vielen Faktoren ab, die sich schwer bestimmen lassen. Sie ist nicht zuletzt abhängig von den Lebensentwürfen der Menschen selbst.