Diktatur
D. bezeichnet im allg.en Verständnis unbegrenzte Herrschaft eines Einzelnen oder einer Gruppe. Der Begriff stammt aus der römischen Antike. Im Laufe seiner mehr als 2 000jährigen Geschichte wandelten sich Formen, Strukturen und Inhalte, sie sind für das formale Herrschaftsprinzip jeweils epochenspezifisch (Epoche) zu bestimmen und fanden überdies im 20. Jh. national unterschiedliche Ausprägungen. Dabei sind grundsätzlich legale, pseudolegale sowie illegale Entstehungen und Begründungen zu unterscheiden.
Bereits in der römischen Verfassungsgeschichte konnte bis etwa 200 v. Chr. der Konsul bei einem Staatsnotstand auf Vorschlag des Senats für maximal sechs Monate einen außerordentlichen Magistrat mit Befehlsgewalt (Imperium) ernennen, wie Cicero berichtet. Bei Livius begegnet der Begriff lex […] de dictatore. Vermutlich ging es primär um militärische Aufgaben im Falle innerer oder äußerer Krisen (Aufstände, Putsch, Krieg; Krise) als Ausnahme von der geregelten Herrschaft, während der Diktator als „temporärer Souverän“ agierte. Es handelte sich also um eine verfassungsmäßige befristete Form der D. in Notsituationen des Staates. Aufgrund einer solchen Ursache ist D. nach längerer Pause wieder seit 82 v. Chr. für den Heerführer Sulla bezeugt, allerdings in stark ausgeweiteter Form als dictator perpetuus. Im Machtkampf mit Caesar übertrug der Senat 49 v. Chr. dessen nunmehrigem Gegner Pompeius und anderen Volkstribunen diktatorische Vollmachten. Caesar, der bereits 48 v. Chr. kurzzeitig und dann nochmals 47 v. Chr. für ein Jahr zum Diktator ernannt worden war, wurde 45 v. Chr. zum Alleinherrscher und Diktator auf Lebenszeit, wobei ihm göttliche Verehrung entgegengebracht wurde. Doch rief diese neue, mit den römischen Traditionen brechende Form der D. Opposition und Verschwörung auf den Plan, die schließlich am 15.3.44 v. Chr. zu Caesars Ermordung führten. Damit war jedoch die mit der Tradition brechende, als Tyrannis angesehene D. keineswegs beendet, sondern ging seit den von Augustus gewonnenen Machtkämpfen in die monarchische Herrschaft des Prinzipats, dann der römischen Kaiserzeit über. Noch Niccolò Machiavelli, Jean Bodin, Charles de Montesquieu und Jean-Jacques Rousseau beziehen ihre Interpretation der D. auf die römische Verfassungsgeschichte.
Grundsätzlich zu unterscheiden ist die diktatorische von der absolutistischen Herrschaft der Frühen Neuzeit vom 17. bis zum 18. Jh. bzw. von neoabsolutistischen Verfassungen (Verfassung) des 19. Jh.: Der Absolutismus war trotz der absoluten Machtfülle des Monarchen keine unbegrenzte Herrschaft, blieb sie doch in mehrfacher Weise gebunden – durch göttliches Recht, Naturrecht, Rechtsherkommen mit entspr.en Traditionen, darunter (land)ständischen Privilegien. Die Monarchien des europäischen Mittelalters und der Frühen Neuzeit, aber auch des 19. Jh., sind mit dem Begriff D. also aus mehreren Gründen nicht zu erfassen.
Die moderne D.-Geschichte beginnt in Europa (nach der Militär-D. Oliver Cromwells in Britannien 1649 bis 1658) ebenso wie die der Demokratie mit der Französischen Revolution 1789, genauer mit der Jakobiner-D. Maximilien Robespierres 1793/94. Diese ging erstmals in der modernen Geschichte Europas mit gezieltem Terror, planmäßigem Mord an Tausenden politischen Gegnern und einer politischen Missionsideologie (Ideologie) einher. Nach einer ebenfalls diktatorischen Zwischenphase stürzte Napoleon Bonaparte am 18./19. Brumaire VIII (9./10.11.1799) das seit dem Sturz M. Robespierres 1794 amtierende Direktorium und erklärte sich gemäß seiner daraufhin erlassenen Konsulatsverfassung für 10 Jahre zum ersten unter drei Konsuln. Doch tatsächlich konzentrierte sich von nun an die Macht allein in seinen Händen, bevor er 1802 formell zum einzigen Konsul wurde, nun auf Lebenszeit. Schließlich krönte er sich 1804 in der Pariser Kathedrale Notre Dame selbst zum (erblichen) Kaiser der Franzosen. Sowohl die Aufnahme römischer Traditionen (Konsulat) als auch die kirchliche Zeremonie der Krönung sollten die fehlende Legitimität seiner diktatorischen Herrschaft ersetzen und in eine Monarchie verwandeln, deren Machtbefugnisse weit über die der vorrevolutionären absoluten Monarchen hinausgingen. Beide, M. Robespierre und Napoleon I., verwahrten sich zwar gegen die Bezeichnung Diktator, wurden aber mehr und mehr als Despoten bzw. Tyrannen bezeichnet. Dies zeigt, dass man sie nicht in der römischen Tradition der legalen befristeten D.en sah.
Differenzierungen resultieren aus den Trägern der D., die insb. im 20. Jh. unterschiedlichen Ausprägungen dieses Herrschaftstypus bewirkten: bspw. zu autokratischen D.en, Militär-D.en, Partei-D.en, (charismatischen) Führer-D.en (Charisma), totalitären ideologiegeleiteten D.en einer sozialen Klasse. Schließlich spielen die jeweiligen Entstehungsbedingungen eine ausschlaggebende Rolle: D.en können verfassungsmäßig, plebiszitär, scheinlegal oder durch Staatsstreich begründet werden: Nach diesem Muster verfuhr Napoleon III. 1851, bevor er sich schließlich 1852 plebiszitär zum erblichen Kaiser der Franzosen proklamieren ließ, was Karl Marx 1852 scharfsinnig als D. Bonapartes analysierte. Dieser Typus wird als caesaristische oder bonapartistische Herrschaft bezeichnet. Von Caesar über beide Napoleon bis ins 20. Jh. ist damit eine grundlegende Gefährdung legaler Verfassungsordnungen durch Notstands-D.en bezeichnet, da sie evolutionär oder revolutionär von einer zweckgebundenen Befristung in eine dauerhafte, weder zeitlich noch sachlich begrenzte D. hinübergleiten können.
Wesentlich hierfür sind die spezifischen historischen Voraussetzungen, sei es ein Staatsnotstand, sei es eine Krise der vorangehenden Staatsform bzw. des Regierungssystems (Regierungssysteme). Die legale D. auf Zeit korrespondiert normalerweise einem Ausnahme- oder einem Belagerungszustand und dient im 20. Jh. wie in der römischen Antike dazu, mit präzis definierten Machtbefugnissen die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrecht zu erhalten. Zu diesem Zweck können die Ausübung bestimmter Rechte anderer Verfassungsorgane bzw. Grund- und Bürgerrechte (Grundrechte) befristet eingeschränkt werden. Die diktatorische Machtausdehnung eines Herrschers bzw. Verfassungsorgans ist in solchen Fällen verfassungsmäßig durch einen „D.-Paragraphen“ geregelt und dient ausschließlich der Wiederherstellung bzw. Sicherung der geltenden Verfassungsordnung. Die Frage, ob eine befristete, zu konkreten Zwecken als Ausnahme begründete D. auf die vorherigen legalen Grundlagen zurückgeführt werden kann, ist nicht verfassungssystematisch allein zu beantworten. Wesentlich sind darüber hinaus das politische Machtgefüge, der gesellschaftliche Kontext sowie die traditionale Bindekraft der bestehenden Ordnung. Aufgrund des Gefährdungspotentials für die Demokratie stößt schon die Einführung begrenzter Notstandsregelungen in einer Verfassung auf Widerstände. Ein Beispiel bildet die heftige Kontroverse über die Notstandsverfassung der BRD am Ende der 1960er Jahre, bei der die vorangegangene totalitäre Erfahrung der NS-D. eine Rolle spielte.
Die illegal errichtete, zeitlich unbefristete D. unterscheidet sich von der auf konkrete Aufgaben begrenzten nicht allein durch die Dauer, sondern durch den substantiell unbegrenzten Geltungsanspruch. Diese D. endet nur durch den Sturz oder den Tod des Herrschers, die Entmachtung der kollektiven Führung oder der sie tragenden Partei (Parteien) bzw. Klasse. In solchen D.en gilt das Prinzip, der Zweck heiligt die Mittel, weswegen Terror und politischer Mord zur Durchsetzung und Aufrechterhaltung der Herrschaft die Regel sind. Die scheinbare plebiszitäre Legitimierung dieser D. – die Forderung nach einer plebiszitären D. begegnet schon während der Französischen Revolution bei Jean Paul Marat – beruht tatsächlich auf der durch Agitation, individuelle oder kollektive Repression bzw. ideologische Gleichschaltung herbeigeführten Akklamation. Sog.e Plebiszite oder Abstimmungen nähern sich deshalb regelmäßig 100 %-Werten und sagen über die realen Mehrheitsverhältnisse nichts aus.
Der Begriff D. wird nicht zuletzt durch dualistische Modelle definiert, darunter können autokratische oder absolutistische Herrschaftsformen sein, i. d. R. aber handelt es sich um die zweifelsfrei gegensätzliche Verfassungsform zur Demokratie. Dieser Gegensatz wird durch täuschende Begrifflichkeit agitatorisch verwischt, bspw. den abwegigen Begriff „Volksdemokratie“ für eine kommunistische Partei-D (Kommunismus). Doch schon der Begriff „D. des Proletariats“ (zuerst bei K. Marx 1852) ist fragwürdig, weil er einen Anspruch, nie aber die Realität beschreibt, da er eine unorganisierte Klasse zum Akteur erhebt. Bereits Karl Kautsky hat in Auseinandersetzung mit Wladimir Iljitsch Lenin daran 1919 eine ebenso präzise wie vernichtende Kritik geübt und zugl. exakt den Begriff der D. bestimmt – als eine „Staatseinrichtung, die verfassungsmäßig jede Opposition gegen die Staatsgewalt ausschließt und die den Besitzer der Staatsgewalt, sei es eine Person, eine Korporation oder eine Klasse, über die Gesetze des Staates erhebt, die wohl für die übrige Bevölkerung gelten, den Diktator aber in keiner Weise in seinen Bewegungen hindern.“ (Kautsky 1922:135 f.) Es handelte sich keineswegs um die D. des Proletariats, sondern die D. der (kommunistischen) Parteiführer.
Gerade im 20. Jh. werden Begriffsverwirrungen wie „Volksdemokratie“ gezielt propagandistisch genutzt. Tatsächlich aber wurde die europäische Geschichte des 20. Jh. entscheidend durch den objektiven Dualismus von Demokratie und D. geprägt. Keiner der historischen Wendepunkte war davon frei. Sekundär für diesen Gegensatz ist, dass unterschiedliche demokratische Regierungssysteme existierten.
Allerdings begegnen auch während des 20. Jh. legale und befristete D.-Formen, die von dieser Dichotomie nicht erfasst werden. Zu ihnen zählen bspw. diktatorische Vollmachten in Kriegszeiten, zu denen regelmäßig auch die Beschneidung der Rechte anderer Verfassungsorgane gehören. So fanden bspw. im Deutschen Kaiserreich während des Ersten Weltkriegs (Weltkriege) keine Reichstagswahlen statt, und schon im Begriff „D. der Obersten Heeresleitung“ wird deutlich, dass selbst der Kaiser die ihm in Friedenszeiten zustehenden Kompetenzen nicht mehr uneingeschränkt wahrnahm. Aber nicht allein in Deutschland mit seiner konstitutionellen Verfassungsstruktur, auch in der parlamentarischen Dritten Republik Frankreichs, in der parlamentarisch-demokratischen Monarchie Großbritanniens und der amerikanischen Präsidialdemokratie erhielten die Regierungschefs bzw. Präsidenten wie Georges Clemenceau, David Lloyd George oder Woodrow Wilson während des Ersten Weltkriegs außerordentliche diktatorische Vollmachten. Auch sie gingen mit einer gleichzeitigen Einschränkung der Kompetenzen anderer Verfassungsorgane bzw. der zeitweiligen Suspendierung von Grund- und Bürgerrechten einher. Im Zweiten Weltkrieg wiederholte sich dieser Vorgang, bspw. während der Regierung des britischen Kriegspremiers Winston Churchill oder des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt. In solchen Kriegsphasen gilt selbst in gefestigten Demokratien bis zu einem gewissen Grad das Primat des Militärischen vor dem Politischen. Doch zeigen die letztgenannten Beispiele zugl., dass unmittelbar nach Kriegsende, also der Beendigung des nationalen Ausnahmezustandes, die situations- und zweckgebundenen diktatorischen Vollmachten eines Verfassungsorgans ausgesetzt wurden, also wie vorgesehen Ausnahme blieben.
Gegenteilige Exempel bieten nur ungefestigte Demokratien, in denen die fundamentalen Krisen einen schleichenden Verfassungswandel herbeiführen. So trug der sog.e D.-Paragraph des Art. 48 (Notverordnungsrecht, Reichsexekution) der WRV zusammen mit anderen die Machtfülle des Reichspräsidenten begründenden Verfassungsartikeln (25: Auflösungsrecht für den Reichstag; 47: Oberbefehl über die Reichswehr; 53: materielles Ernennungsrecht des Reichskanzlers) seit 1930 dazu bei, das demokratische Regierungssystem der Weimarer Republik auszuhöhlen. Auf diesem Wege wurde das Präsidialsystem Paul von Hindenburgs 1930 bis 1932 zur Vorbereitungs- und Zwischenstufe auf dem Weg von der Demokratie zur D. Doch führte eine analoge Krisensituation 1923 in einer anderen personellen Konstellation mit dem verfassungstreuen Reichspräsidenten Friedrich Ebert nicht zur D., sondern zur Sicherung der Demokratie, wozu allerdings die Mehrheitsverhältnisse im Reichstag beitrugen. Da der Weimarer Reichstag indes auch zu Beginn der 1930er Jahre noch keine antidemokratischen Mehrheiten aufwies, zeigt dies: Auch nach 1930 war der Weg in die Führer-D. keineswegs zwangsläufig. Das Verfassungssystem allein entscheidet nicht, sondern Traditionen und Personen in ihm.
Tatsächlich kennen die modernen D.en seit dem 20. Jh. neue Charakteristika, Machtmechanismen und Herrschaftstechniken, die oftmals trotz gegensätzlicher politischer Inhalte bzw. Ideologien erhebliche Analogien aufweisen, weswegen sie als „totalitäre D.en“ zu bezeichnen sind. Sie unterscheiden sich grundlegend von älteren Formen persönlicher Tyrannis oder Despotie, die zu „antiquarischen Bezeichnungen“ (Nolte 1972: 900) geworden sind und anders als der Begriff D. keinen aktuellen Bezug mehr haben.
Die europäischen D.en des 20. Jh. entstanden i. d. R. auf dem Boden von Massendemokratien, die durch Krieg und fundamentale Krisen geschüttelt wurden. In diesen Demokratien verschärften sich i. d. R. ökonomisch-industrielle bzw. soziale Modernisierungskrisen, die im 19. Jh. begonnen hatten. Lorenz von Stein, einer der Protagonisten der Revolutionsforschung, sah als einer der ersten Gesellschaftskrisen als Ursache von D.en an. Nicht zufällig entwickelte er seine soziologische Interpretation 1850 am Beispiel der Französischen Revolutionen seit 1789 und wies damit auf das 20. Jh. voraus. Massenbewegungen spielten seitdem eine entscheidende Rolle. Das gilt selbst für die einzige Ausnahme, die bolschewistische D. in Russland 1917 und ihre singuläre Entstehung. Zwar zählte auch hier die durch den Weltkrieg entstandene desaströse Lage der zaristischen Autokratie zu den ausschlaggebenden Ursachen, ebenso vorhergehende revolutionäre (Revolution) bzw. anarchistische Bewegungen ( Anarchie, Anarchismus). Doch anders als in den übrigen europäischen Staaten erwuchs in Russland die D. nicht aus einer kriselnden Massendemokratie, sondern als gezielter Akt einer sich als Elite verstehenden bolschewistischen Avantgarde unter W. I. Lenin, die den marxistisch (Marxismus) definierten geschichtlichen Prozess durch eigene revolutionäre Aktion beschleunigen wollte.
Gemeinsam wiederum mit den faschistischen D.en bzw. der nationalsozialistischen war die Verwurzelung der D. und ihre Legitimierung mittels einer dem Anspruch nach totalitären Ideologie, die ihrerseits teleologisch und pseudoreligös agierte. Sie implizierte das Bild eines neuen Menschen, der entweder durch Erziehung oder Züchtung erzwungen werden sollte. Dieser Typus der ideologisch begründeten D. erstrebte durch Repression die Gleichschaltung der Gesellschaft, die Indienstnahme von Kultur und Wirtschaft, die Reglementierung des Privatlebens durch einen umfassenden Kollektivismus, indem keine individuellen Rechte Bestand hatten. Beide totalitären Ideologien schufen soziale Strukturen, die mit Hilfe hierarischer Untergliederungen eine umfassende Gleichschaltung von Individuum und Gesellschaft sicherstellen sollten, in der andere gesellschaftliche Gruppen diskriminiert bzw. ausgeschlossen wurden. In dieser Hinsicht wurde der Faschismus Benito Mussolinis bis in die letzten Jahre hinein als eine D. beurteilt, die keinen Rassismus und keinen Antisemitismus kannte und sich dadurch vom Nationalsozialismus Adolf Hitlers unterschied. Die jüngere Forschung hat indessen gezeigt, dass bereits der italienische Eroberungskrieg in Abessinien 1935/36 zu 100 000fachem rassistisch motiviertem Massenmord führte und das faschistische Regime seit Ende der 1930er Jahre verschärft antisemitisch agierte. Allerdings erreichte dieser Antisemitismus bei weitem nicht das Vernichtungspotential der NS-D., in dessen Herrschaftsbereich seit 1941 nahezu 6 Mio. Juden ermordet wurden, z. T. unter tätiger Mithilfe anderer D.en oder autoritärer Regime. Der mörderische Antisemitismus bleibt zwar ein entscheidendes Charakteristikum der NS-D., doch waren andere D.en davon nicht frei. Die vielen Mio. Opfer der 1920er und 1930er Jahre – „Klassenfeinde“ und zu Parteifeinden erklärte kommunistische Kader – der bolschewistischen D. hingegen stammten zum größten Teil aus der UdSSR selbst, daneben seit 1941 aus annektierten Territorien, bspw. Polens.
Hans Kohn, Carl Joachim Friedrich, Hannah Arendt, Zbigniew Brzezinski, Karl Dietrich Bracher u. a. betonten den totalitären Charakter dieser D.en und definierten die Elemente des Totalitarismus. Unter ihnen befinden sich Analogien in der Herrschaftstechnik sowohl der kommunistischen als auch der faschistischen D.en, darunter: die totale Erfassung und Gleichschaltung der Bevölkerung durch eine Partei und ihr untergeordnete Massenorganisationen, Nachrichten- und Meinungsmonopol, rechtlicher oder faktischer Einparteienstaat mit Entscheidungs- und politischem Elitemonopol, Geheimpolizei mit Einsatz terroristischer Machttechniken, allgemeingültige Herrschafts- und Gesellschaftsideologie, ausgeprägte Freund-Feind-Ideologie, Bekämpfung von Minderheiten durch Ausgrenzung, Terrorisierung, Vertreibung und politisch motivierten Mord. Meist, wenngleich nicht zwangsläufig, zählte auch ausgeprägter Personenkult zu diesen D.en. Beispiele bilden W. I. Lenin und Josef Stalin, B. Mussolini und A. Hitler, Mao Zedong und Fidel Castro oder auch die aufeinander folgenden nordkoreanischen Diktatoren. Dabei sah sich keiner selbst als Diktator, einmal abgesehen von den jeweils unterschiedlichen Bezeichnungen, bei denen in mehreren Fällen der Begriff „Führer“ verwendet wurde. In der Tat ist die moderne Führer-D. mit staatsrechtlichen römischen Kategorien nicht mehr zu erfassen, zumal sie sich selbst als Personifizierung des Willens der Nation verstehen. Nicht zuletzt deshalb ist eine dialektische Analyse der modernen D. nur im ständigen Rekurs auf die gesellschaftsgeschichtliche Analyse der jeweiligen Nation weiterführend.
Das Modell des Totalitarismus ist v. a. wegen der inhaltlichen Unterschiede der jeweiligen Herrschaftsideologie, aber auch wegen des Realisierungsgrades umstritten. Gegen solche Kritik ist einzuwenden: Dieser Interpretationsansatz behauptet keine Identität des ideologischen Gehalts und bezweckt keine umfassende politische Theorie. Vielmehr handelt es sich um ein Modell, in dem eine Reihe von formal zu definierenden charakteristischen Herrschaftstechniken und Zielen kombiniert werden. Auch ist hiermit nicht gesagt, ob und in welchem Ausmaß die totalitäre Zielsetzung erreicht wird. Tatsächlich geht es diesen D.en zunächst um den totalitären Anspruch, der naturgemäß auf gesellschaftliche Hindernisse stößt, die sich in Resistenz, Untergrundopposition oder Widerstand äußern können. Innerhalb eines solchen totalitären Systems existieren also Nischen oder auch größere Löcher in der Gleichschaltung, private Innenräume, die sich dem repressiven Kollektivismus in begrenztem Umfang entziehen, ohne jedoch die D. stürzen zu können. Heute wird deshalb weniger das bekannte Modell totalitärer D.en insgesamt erforscht, als seine kulturellen, sozialpsychologischen, gesellschaftlichen oder ökonomischen Wirkungen in unterschiedlichen Sektoren. Solche Analysen ermöglichen es, sowohl die Durchsetzung totalitärer Herrschaft wie ihre Grenzen offen zu legen.
Bereits H. Arendt und später Ernst Nolte sahen die kommunistische D. (Kommunismus als D. einer Klasse, die nationalsozialistische als die einer Rasse, jedenfalls im Hinblick auf ihre ideologische Zielsetzung. Dieses Prinzip implizierte die Vernichtung oder Unterjochung anderer Klassen oder Rassen, wobei dieses Ziel zwar oft weitgehend, kaum aber vollständig erreicht wurde. In jedem Fall unterscheiden sich diese ideologisch definierten D.en von anderen Typen der D. Eine epochenspezifische Gemeinsamkeit zwischen faschistisch-nationalsozialistischen D.en auf der einen und kommunistischen auf der anderen Seite bestand außerdem in einigen für die historische Wirkung im 20. Jh. ausschlaggebenden übereinstimmenden Feindbildern: liberale Rechtsstaatlichkeit (Liberalismus, Rechtsstaat), demokratische Regierungssysteme parlamentarischer oder präsidialer Natur, religiöser, kultureller, gesellschaftlicher oder ökonomischer Pluralismus. Diese feindliche Übereinstimmung führte bspw. während der Weimarer Republik zur analogen oder gar gemeinsamen Bekämpfung der Demokratie durch KPD (Kommunistische Parteien) und NSDAP, nicht selten auch zu personeller Fluktuation zwischen den Extremen. Sie kennzeichnete den sog.en Kulturbruch des 20. Jh., weil die fundamentalen Errungenschaften einer jahrhundertealten Entwicklung – liberaler Rechtsstaat, demokratisches Regierungssystem, freie und pluralistische Kultur – in zahlreichen europäischen Staaten zerstört wurden.
Neben diesen ideologischen D.en entstanden in der europäischen Zwischenkriegszeit eine Reihe weiterer D.en, für die die Ideologie entweder weniger umfassend, jedenfalls nicht totalitär, angelegt war oder auch zweitrangig blieb, bspw. in eher autokratischen Systemen oder Militär-D.en. Diese Entwicklung findet sich in den allermeisten der 1918 neu- oder wiedergegründeten Staaten bzw. solchen, die einen Systemwechsel zur Demokratie erfahren hatten und deren Krisenhaftigkeit mit ungefestigten demokratischen Strukturen verbunden waren. Dies gilt für sämtliche ostmittel-, süd- bzw. südwesteuropäischen Staaten, die während der fundamentalen ökonomischen, gesellschaftlichen und kulturellen Krise zwischen den Kriegen in den 1920er und 1930er Jahren früher oder später zu D.en unterschiedlichen Typs wurden. In vielen, nicht in allen Fällen spielten dafür ungelöste Grenz- und Minderheitenprobleme und nationalistische Bewegungen (Nationalismus) ebenfalls eine Rolle. Insofern wurden die Jahrzehnte von 1918 bis 1945 in weiten Teilen Europas zu einer Epoche der D., die bspw. im Portugal António de Oliveira Salazars erst 1970 und im Spanien General Francisco Francos erst 1975 endete, in den kommunistischen D.en Ostmittel- bzw. Osteuropas erst 1989/91. Doch bedeutete diese Entwicklung keineswegs überall den Sieg der Demokratie und das Ende der D.en überhaupt. Selbst in Europa kam es wieder zu D.en, so der zeitweiligen Militär-D. in Griechenland, v. a. aber in Lateinamerika, Asien und Afrika, wobei die Vielfalt nur jeweils national und epochal zu präzisieren ist. Doch in einem stimmen alle D.en überein: in ihrem unvereinbaren Gegensatz zu Rechtsstaat, Demokratie, Menschen- und Bürgerrechten, Pluralismus.
Literatur
H. Möller: Europa zwischen den Weltkriegen, 32013 • H. Möller: Diktatur- und Demokratieforschung im 20. Jh., in: VfZ 51/1 (2003), 29–50 • D. Schmiechen-Ackermann: Diktaturen im Vergleich, 2002 • K. D. Bracher: Diktatur, in: StL, Bd. 2, 71986, 55–59 • J. Bleicken: Die Verfassung der römischen Republik, 41985 • K. D. Bracher: Zeitgeschichtliche Kontroversen, 51984 • K. D. Bracher: Zeit der Ideologien, 21984 • M. Gelzer: Caesar. Der Politiker und Staatsmann, 61983 • K. D. Bracher: Geschichte und Gewalt, 1981 • H. Oberreuter: Notstand und Demokratie, 1978 • B. Moore: Soziale Ursprünge von Diktatur und Demokratie, 21974 • C. J. Friedrich: Diktatur, in: C. D. Kernig (Hg.): Marxismus im Systemvergleich, Bd. 1, 1973, 170–191 • E. Nolte: Diktatur, in: GGB, Bd. 1, 1972, 900–924 • E. Nolte: Der Faschismus in seiner Epoche, 41971 • H. Kohn: Die kommunistische und die Faschistische Diktatur. Eine vergleichende Studie, in: B. Seidel/S. Jenkner (Hg.): Wege der Totalitarismusforschung, 1968, 49–63 • C. J. Friedrich/Z. K. Brzezinski: Totalitarian Dictatorship and Autocracy, 21966 • C. Schmitt: Die Diktatur, 31964 • M. Duverger: Über die Diktatur, 1961 • J. Talmon: Die Ursprünge der totalitären Demokratie, 1961 • G. W. Hallgarten: Dämonen oder Retter. Eine kurze Geschichte der Diktatur seit 600 v. Chr., 1957 • H. Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herschaft, 1955 • K. Kautsky: Die proletarische Revolution und ihr Programm, 21922.
Empfohlene Zitierweise
H. Möller: Diktatur, Version 09.05.2018, 17:32 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Diktatur (abgerufen: 24.11.2024)