Koalition
1. Begriff
Unter einer „K.“ versteht man einen vorübergehenden freiwilligen Zusammenschluss von Akteuren, die getrennte, jedoch vereinbare Ziele verfolgen und ihre Ressourcen in koordinierten Strategien einsetzen. Während ihrer zeitlich befristeten Zusammenarbeit bewahren die beteiligten Akteure ihre Autonomie; sie können die K. theoretisch somit jederzeit verlassen. Zwar gibt es K.en unterschiedlicher Art, etwa Zusammenschlüsse im Bereich des Wirtschafts- und Arbeitslebens oder militärische Bündnisse. Gleichwohl versteht man unter „K.“ in der Politikwissenschaft sowie im alltäglichen Sprachgebrauch zuvorderst die befristete Kooperation politischer Parteien.
Verfügt nach Wahlen keine Partei allein über eine parlamentarische Mehrheit, muss entweder eine Minderheitsregierung oder eine Mehrheits-K. gebildet werden. In den parlamentarischen Regierungssystemen Europas sind Einparteiregierungen aufgrund ausdifferenzierter gesellschaftlicher Konfliktlinien und der damit einhergehenden Vielzahl konkurrierender Parteien nicht häufig (ca. 13 %). Meistens entstehen K.en; in ca. einem Fünftel aller Fälle werden Minderheitsregierungen gebildet – in Europa z. B. regelmäßig in Schweden, Dänemark oder Spanien.
Die K.s-Forschung unterscheidet zwischen elektoralen, parlamentarischen und Regierungs-K.en. V. a. in Mehrheitswahlsystemen treffen Parteien bereits während des Wahlkampfes Absprachen in einzelnen Wahlkreisen (elektorale K.en), wodurch die Zusammensetzung der Regierung vorweggenommen wird. In etlichen Fällen senden die Parteien im Wahlkampf gegenüber der Wählerschaft (positive) Signale aus, mit welcher anderen Partei sie eine Regierung bilden möchten und mit welcher nicht (negative Signale); angesichts eines potenziell unsicheren Wahlausgangs können sie sich auch neutral verhalten und auf jedwede Festlegung verzichten (neutrale Signale). Positive und negative „K.s-Signale“ schränken somit die Optionen zur Regierungsbildung nach Wahlen ein und reduzieren die Anzahl theoretisch denkbarer K.s-Varianten. Gleichzeitig geben sie strategischen Wählern aber eine Orientierung, welches Parteienbündnis aufgrund ihrer Stimmabgabe entstehen könnte (z. B. beim „Stimmensplitting“).
Parlamentarische Bündnisse umfassen Fraktionen unterschiedlicher Parteien. Der Begriff der Regierungs-K. schließlich bezieht sich auf die Zusammenarbeit von Parteien im Kabinett. Dabei kann sich die Zusammensetzung des parlamentarischen Bündnisses von der Parteienkonstellation im Kabinett unterscheiden, etwa, wenn eine an einem parlamentarischen Bündnis beteiligte Partei nicht mitregieren will, die Regierung aber dennoch toleriert und ihr dauerhaft oder punktuell zu Mehrheiten verhilft. Diese Konstellation kennzeichnet Minderheitsregierungen, die ihrerseits aus einer oder mehreren Parteien bestehen können.
2. Koalitionsbildungen
Ziel der frühen K.s-Forschung der 1960er und 1970er Jahre war es, die Zusammensetzung von Regierungen nach Wahlen zu prognostizieren. Um möglichst viele Fälle vergleichen und Ergebnisse verallgemeinern zu können, wurden den Analysen einfache spieltheoretische Modelle (Spieltheorie) zugrunde gelegt, die institutionelle Besonderheiten und Kontextfaktoren ausblendeten. Diesen Modellen zufolge entstehen minimal winning coalitions, die durch den Austritt eines Partners ihre parlamentarische Mehrheit verlieren. Als Spieleinsatz der Parteien gelten die errungenen Parlamentsmandate, als Gewinn eine feststehende Summe von Regierungsämtern. Parteien wurden als office-seeker konzeptualisiert, die danach trachten, Ämter zu maximieren. Da Regierungsbildungen als Nullsummenspiel interpretiert wurden, fällt der Gewinn von Parteien dem „Größentheorem“ zufolge umso höher aus, je kleiner eine Mehrheits-K. ist. Minimale Gewinn-K.en, welche die 50 %-Grenze der im Parlament verfügbaren Mandate möglichst knapp überschreiten, wurden somit als wahrscheinlichste Variante betrachtet.
Die Prognosefähigkeit dieser Modelle erwies sich jedoch als begrenzt, so dass die K.s-Forschung ihre Annahmen im Laufe der Zeit fortlaufend ausdifferenzierte. Analysen zur K.s-Bildung wurden auf der Grundlage immer ausgefeilterer Modelle durchgeführt, die dem Grundsatz der „abnehmenden Abstraktion“ folgten und zunehmend realitätsnähere Annahmen integrierten. So wurde darauf hingewiesen, dass die Motivation von Parteien, sich an einer Regierung zu beteiligen, nicht zuletzt darauf zurückzuführen sei, dass sie ihre politischen Programme umsetzen wollten (policy seeker). Policy-seeking und office-seeking stünden als Motive dabei in einer logischen Wechselbeziehung, da Parteieliten Ämter bekleiden müssten, um Policies umsetzen zu können. K.en setzen sich demzufolge voraussichtlich aus Parteien zusammen, die sich in zentralen politischen Konfliktdimensionen möglichst nahe stehen.
Vergleichende Untersuchungen zeigten, dass in parlamentarischen Regierungssystemen häufig Minderheitsregierungen entstehen, bei denen die Parteien als vote seeker auf eine Regierungsbeteiligung verzichten, weil sie sich die Kosten des Regierens – eine oft rückläufige Zustimmung der Wähler – sparen wollen. Institutionelle Faktoren, die eine Einbeziehung nicht-mitregierender Fraktionen in den Gesetzgebungsprozess vorsehen (etwa bei starken Parlamentsausschüssen oder im schwedischen Remiss-Verfahren), erleichtern policy-seekern eine Beteiligung an Entscheidungen, ohne dass sie dabei Regierungsverantwortung übernehmen müssen. Erklärungsbedürftig sind frühen Modellen zufolge auch surplus coalitions, die aus mehr Parteien bestehen, als für eine Regierungsmehrheit zwingend erforderlich ist. Sie warfen die Frage auf, warum Parteien – als rationale Akteure – ihren Gewinn freiwillig mit Partnern teilen, die rein rechnerisch nicht für eine Regierungsbildung gebraucht werden. Studien zu den Regenbogen-K.en in Finnland (der 1990er Jahre) belegen beispielhaft, dass sich solche Regierungen strategisch gegen unzuverlässige Bündnispartner oder Fraktionswechsler abzusichern versuchen, um einem Verlust der parlamentarischen Mehrheit vorzubeugen. Unterschiedliche inhaltliche Positionen und Machtgleichgewichte lassen sich innerhalb übergroßer K.en einfacher ausbalancieren, und Regierungen können die Kosten des Regierens auf mehrere Parteien verteilen.
Zahlreiche Studien verweisen zudem auf die spezifischen Merkmale von Parteiensystemen, die koalitionsprägend wirken. Hierzu zählen z. B. extreme oder junge Parteien, die von anderen als nicht-regierungfähig betrachtet werden, oder die Blockstruktur des Parteiensystems, die Regierungsbildungen Grenzen setzt. In Mittelosteuropa spielte z. B. der regime divide nach der Transformation zur Demokratie (Systemtransformation) eine koalitionsbildende Rolle, da die ehemalige Regimeopposition meistens nicht bereit war, mit den ehemaligen Herrschaftsparteien eine Regierung zu bilden.
K.s-Bildungen sind ferner davon geprägt, dass sich einzelne Parteien nach Wahlen unabhängig von der Zahl der errungenen Mandate in einer günstigen Verhandlungsposition befinden und als Formateur die Agenda für die K.s-Bildung setzen können. Eine solche Situation ist gegeben, wenn eine Partei in die meisten möglichen Gewinn-K.en eingeschlossen ist und damit Mehrheiten nach verschiedenen Seiten hin herstellen kann („dominanter“ Spieler). Ein „zentraler“ Spieler wiederum besetzt die Position des median legislator, der definiert, welche ideologisch verbundene K. gebildet werden kann. Kleinere K.s-Partner erzielen aufgrund ihres Erpressungspotenzials tendenziell einen etwas größeren Anteil, auch wenn der Ämtergewinn meistens mehr oder weniger proportional, d. h. gemäß der erzielten Mandate, aufgeteilt wird („Gamson-Regel“).
Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Forschung zu Regierungsbildungen heute eine Vielzahl unterschiedlicher theoretischer Ansätze integriert. Sie umfasst kontextgebundene Einzelfall- und vergleichende Analysen ebenso wie solche, die mit umfassenden Datensätzen und auf der Grundlage von komplexen mathematischen Modellen oder Computersimulationen operieren.
3. Regieren in Koalitionen
Seit 1949 sind in Deutschland nach Bundestagswahlen stets K.s-Regierungen gebildet worden, die dem Kriterium des minimal winning entsprachen. Die einzige Ausnahme bildete die dritte Regierung Adenauer 1957, die trotz absoluter Mehrheit an CDU/ CSU-Mandaten die DP in die Regierung aufnahm; deren Minister traten im Laufe der Legislaturperiode aber zur CDU über. In Deutschland gibt es keinen designierten „Formateur“, der nach Wahlen mit einer Regierungsbildung beauftragt wird. Ebenso wenig existieren formale gesetzliche oder verfassungsrechtliche Vorschriften, die festlegen, wie eine K. gebildet werden kann und wie diese ihre Zusammenarbeit regelt. Gleichwohl haben sich im Laufe der Jahrzehnte informelle Regeln ausgebildet, welche die Verhandlungen zwischen den Parteien strukturieren und für die gemeinsame Regierungszeit Verfahren zur Konsensbildung und Konfliktschlichtung festlegen. Das Regieren in K.en kann somit als anschauliches Beispiel für Prozesse der Institutionalisierung und die allmähliche Verfestigung informeller Regeln gelten. In der Institutionenforschung dienen K.s-Bildungen und das Regieren in K.en denn auch als Untersuchungsgegenstand, an dem sich die wechselhafte Beziehung von formalen und informalen Institutionen beobachten lässt. „Informalität“ bedeutet in diesem Anwendungsfall nicht das Auftreten von die formale Ordnung unterminierenden Institutionen, sondern vielmehr, dass erst informale Regeln imstande sind, die Verfassung zur Geltung zu bringen, da letztere notgedrungen unvollständig ist und gleichzeitig politisch fähig zur Anpassung an neue Parteikonstellationen bleiben soll.
Haben die Parteien im Wahlkampf keine eindeutigen K.s-Signale ausgesendet, so finden zunächst Sondierungsgespräche der Parteiführungen statt, bevor diese in offizielle Verhandlungen eintreten. I. d. R. folgen die K.s-Verhandlungen in Deutschland stets derselben organisatorischen Logik, die eine dezentrale Aushandlung mit Elementen der Hierarchisierung verbindet: Die Fachpolitiker der beteiligten Fraktionen arbeiten in Arbeitsgruppen Vorschläge für das K.s-Abkommen aus. Daran sind auch koalitionserfahrene Landespolitiker beteiligt, da sie ihr Wissen einbringen und die Umsetzbarkeit von Vorhaben in den für den Vollzug der Bundesgesetze zuständigen Ländern einschätzen können. In den Arbeitsgruppen werden zudem unterschiedliche Flügel und parteiinterne Gruppierungen ausbalanciert, da diese während des Regierens eingebunden werden müssen. Umstrittene Themen, die von den Fachpolitikern nicht gelöst werden können, werden in einem Kreis von Spitzenpolitikern (designierte Regierungschefin und Stellvertreter, Fraktions- und Parteivorsitzende etc.) behandelt und verbindlich entschieden. Bereits während der informellen Phase der K.s-Bildung werden somit die für das Regieren maßgeblichen Handlungsebenen der Fraktionen, der (noch zu bildenden) Regierung sowie der Parteien miteinander verknüpft.
Seit 1961, als die FDP eine Begrenzung der Amtszeit von Kanzler Konrad Adenauer schriftlich fixieren ließ, werden zwischen den Parteien regelmäßig K.s-Abkommen abgeschlossen. Deren Umfang und Regelungsgrad haben seither kontinuierlich zugenommen. Bei K.s-Abkommen handelt es sich notgedrungen um unvollständige und rechtlich nicht bindende Verträge; gleichwohl kommt ihnen politische Bindekraft zu. Sie sind gleichermaßen Ausdruck wie Voraussetzung des Kooperationswillens. Geregelt werden inhaltliche Schwerpunkte der Kooperation (policies), der Zugriff auf bestimmte Ressorts bzw. Zuständigkeiten (offices) sowie Regeln, die den K.s-Alltag strukturieren (rules). Die inhaltlichen Festlegungen zeichnen sich durch einen mehr oder weniger großen Grad an Detailliertheit aus; konkrete Projekte stehen neben bloßen Absichtsbekundungen und Formelkompromissen. Kleinere K.s-Partner versuchen, eigene Schwerpunkte in den Portfolios des größeren Partners verbindlich festzuschreiben und damit ihren „Gewinn“ zu erhöhen. Über den Ressortzuschnitt sowie die Vergabe von Staatssekretärs- und Beauftragtenposten wird zudem die Gewinnmasse an Ämtern vergrößert, so dass sich Gewinne und Verluste koalitionsintern einfacher ausbalancieren lassen. Über die K.s-Abkommen stimmen meistens Parteitage ab, so dass auch die innerparteiliche Willensbildung mit der Regierungsbildung prozedural verknüpft und die Parteibasis an die vereinbarten Inhalte gebunden wird.
Im Regierungsalltag von K.en durchmischen sich der Wettbewerb zwischen den Parteien und die Notwendigkeit, durch Kooperation Mehrheiten zu organisieren. Der Wettbewerb nimmt gegen Ende der Legislaturperiode tendenziell zu. Die Partner vereinbaren daher zu Beginn ihres Regierens Regeln und Verfahren, die Unsicherheiten vermeiden und Vertrauen stabilisieren helfen. Hierzu zählt die im K.s-Abkommen fixierte Verpflichtung, parlamentarische Anträge vorheriger Abstimmung zu unterziehen und nicht mit der Opposition wechselnde Mehrheiten zu bilden. Daneben richten die Partner K.s-Ausschüsse ein, welche die Handlungsebenen des Kabinetts, der Partei sowie der Fraktion personell miteinander verknüpfen. Die Ausschüsse nehmen meistens die Aufgabe wahr, in regelmäßigen Treffen Konflikte von vornherein zu vermeiden, Lösungen auszuloten und Auseinandersetzungen im Bedarfsfall zu schlichten; in manchen K.en werden sie lediglich als Konfliktschlichtungsgremium, in anderen eher als ständiges Steuerungsgremium genutzt.
In Deutschland spiegelt sich auch die föderale Struktur in K.s-Abkommen wider. K.en in den Ländern vereinbaren in ihren Abkommen den Grundsatz, sich bei Abstimmungen im Bundesrat zu enthalten, wenn sie zu keiner gemeinsamen Position finden können. Da aufgrund der Ausdifferenzierung der Landesparteiensysteme nach der deutschen Einheit auch die K.s-Landschaft in den Ländern variantenreicher geworden ist, ist die Bundesregierung gezwungen, bei zustimmungspflichtigen Gesetzen Lösungen mit Landesparteien auszuhandeln, die – als Teil einer Landesregierung – nicht der Bundesregierung angehören. Die jüngst entstandene K.s-Vielfalt in den Ländern begrenzt somit die Möglichkeiten der Parteien, ein oppositionelles „Gegenlager“ zur Bundesregierung im Bundesrat zu schmieden. Hierdurch werden die konsens- und verhandlungsdemokratischen Merkmale des Regierungssystems weiter verstärkt, das im internationalen Vergleich ohnedies ein hohes Maß an Machtteilung aufweist. Bedingt durch die verflochtene Mehrebenen-K.s-Politik, ist die Bundesregierung bei zustimmungspflichtigen Gesetzen (ca. 40 %) in eine Art dauerhafter großer K. eingebunden; genauer scheint indessen der Vergleich mit einer Minderheitsregierung, die sich von Fall zu Fall neue Tolerierungspartner suchen muss.
Im internationalen Vergleich lassen sich einige prägende Trends beobachten. In den meisten europäischen Ländern werden K.s-Abkommen geschlossen; Ausnahmen sind Italien mit einer geringen Kabinettstabilität und teilweise auch Frankreich, wo Abkommen traditionell eher der Regelung elektoraler Bündnisse unter den Bedingungen der absoluten Mehrheitswahl dienen. Ein unmittelbarer statistischer Zusammenhang zwischen der Fixierung von Kooperationsregeln in einem Abkommen und der Stabilität von K.en lässt sich jedoch nicht herstellen. K.s-Abkommen werden heute zudem meistens veröffentlicht, um der an sich informellen Praxis gesteigerte Legitimation zu verleihen. Manche Länder, wie Schweden, Finnland, die Benelux-Staaten oder Italien, legen zudem inhaltliche Bereiche fest, in denen K.s-Disziplin nicht gelten muss. Damit können K.s-Parteien auch innerhalb des Bündnisses eigene inhaltliche Schwerpunkte setzen. Als allg.e Tendenz ist ferner festzuhalten, dass die K.s-Abkommen zunehmend länger werden und ihre Regelungsdichte wächst. Ferner fällt auf, dass gemischte K.s-Gremien, welche die Regierungs-, Fraktions- und Parteiebene effektiv miteinander verbinden, offenbar eine höhere Regierungsstabilität erzeugen als solche, die Konflikte nur im Kabinett oder auf der parlamentarischen Ebene regeln.
4. Koalitionsstabilität
In Westeuropa zeigt sich, dass Einparteiregierungen durchschnittlich höhere Lebensdauer aufweisen als minimal winning coalitions, während Minderheitsregierungen und surplus coalitions offenbar weniger haltbar sind. Die Lebensdauer von Minderheitsregierungen kann aber v. a. dann beträchtlich sein, wenn die Parteien in der Opposition keine alternative Regierung zu bilden vermögen, weil z. B. ihre Policy-Positionen zu weit auseinanderliegen. Wie der Vergleich mit mittelosteuropäischen Ländern zeigt, lässt sich letztlich kein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem K.s-Format und der K.s-Stabilität nachweisen. Offenbar wirkt sich eine hohe Fragmentierung des Parteiensystems oder innerhalb des Kabinetts in westeuropäischen Systemen tendenziell negativ auf die Regierungsstabilität aus. Auf Mittelosteuropa treffen diese Aussagen jedoch wiederum nicht bzw. nur eingeschränkt zu; bes. Erklärungskraft kam dort vorübergehend eher der (eingeschränkten) Fraktionsstabilität zu.
Analysen, die den Effekt institutioneller Designs auf die K.s-Stabilität thematisieren, arbeiteten heraus, dass die formale Wahl eines Regierungschefs die Haltbarkeit der Regierung zu Beginn der Legislaturperiode zwar senkt, sich solche Kabinette anschließend aber als wesentlich stabiler erweisen. K.s-Abkommen tragen dazu bei, das vorzeitige Scheitern von Parteienbündnissen zu verhindern; jedoch wenden die Parteien die Verhandlungskosten voraussichtlich ohnedies nur dann auf, wenn sie an einer stabilen Zusammenarbeit interessiert sind. Eher ungünstig wirkt sich die Rolle des Präsidenten (Staatsoberhaupt) unter den Bedingungen eines divided government aus, da es häufig zu einer Konkurrenz zwischen Premier und Präsident kommt, die eine Regierung destabilisiert. Einer stabilen Regierung tendenziell abträglich ist auch das „Kreuzstichverfahren“, dem zufolge ein Staatssekretär einem Minister der jeweils anderen K.s-Partei zugeordnet wird und damit eine Art Überwachungsfunktion wahrnimmt. Auf diese Weise werden K.s-Konflikte innerhalb der Ministerien organisatorisch verankert.
Auch innerparteiliche Konflikte sowie der Grad der innerorganisatorischen Zentralisierung bzw. Dezentralisierung wirken sich auf die Stabilität von K.en aus: Dezentralisierte Parteien ermöglichten es parteiinternen Kritikern der Regierungspolitik und einzelnen Gruppierungen, ihre Positionen innerhalb der Organisation zu vertreten (voice), ohne dass sie die Partei verlassen müssen. In zentralisierten Parteien hingegen bleibe unzufriedenen Mitgliedern nur der Austritt (exit). Diesen Befunden widersprechen andere Studien, die hervorheben, dass die Fliehkräfte innerhalb von K.en, die sich aus dezentralisierten Parteien zusammensetzen, erheblich sind. Parteien, bei denen die Parteiorganisation im Vergleich zur Fraktion in einer starken Position ist, tendieren dazu, weniger Kompromisse einzugehen. Angesichts des fortgeschrittenen Forschungsstandes kann man somit davon ausgehen, dass fragmentierte, dezentralisierte Parteistrukturen die Stabilität von Regierungen eher beeinträchtigen als fördern.
5. Forschungsperspektiven
Insgesamt stellt die K.s-Analyse heute einen Forschungszweig dar, der auf beinahe vorbildliche Weise kumulative Forschungsergebnisse systematisch aufeinander bezieht. Der methodologische Wechselschritt zwischen kontextualisierenden Analysen und Large N-Studien hat sich als überaus fruchtbar herausgestellt. Die regionale Ausdehnung der K.s-Forschung auf mittelost- und südosteuropäische Mitgliedstaaten der EU sowie auf regionale oder lokale Ebene hat wichtige neue Impulse gesetzt, da die Fallzahlen erhöht, institutionelle und strukturelle Faktoren variiert und Transitions- und Demokratisierungsforschung konzeptionell angebunden werden können. Ein neueres Forschungsfeld widmet sich zudem den Interaktionen der K.s-Politik auf nationaler und subnationaler Ebene in Mehrebenensystemen, die wiederum eine Anschlussfähigkeit an die Föderalismus- und EU-Forschung erlauben.
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Empfohlene Zitierweise
S. Kropp: Koalition, Version 04.01.2021, 09:00 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Koalition (abgerufen: 25.11.2024)