Medialisierung
Als Verbindung von Zeichensystem und Kanal ermöglicht Medialität Erzeugung und Kommunikation von Sinn. Mit der wachsenden Bedeutung von Massenkommunikation als Quelle der Orientierung und Sinnstiftung ist Medialität mehr denn je konstitutiv für Kultur. M. bezeichnet dabei den Prozess der Durchdringung unterschiedlicher Lebensbereiche mit den jeweils gegebenen technischen und kulturellen Gesetzmäßigkeiten der Medien. Inzwischen ist M. zu einem „gesellschaftlichen Totalphänomen“ (Saxer 2012: 176) geworden, das in struktureller und prozessualer Hinsicht alle Dimensionen des sozialen Seins durchwirkt und in der modernen Mediengesellschaft seinen – vorläufigen – Kulminationspunkt erreicht hat.
Statt M. ist z. T. noch der historisch anders besetzte Begriff der Mediatisierung für den gleichen Sachverhalt im Gebrauch, wobei Mediatisierung wörtlich übersetzt eigentlich Mittelbarmachung bedeutet und urspr. die Unterwerfung unter eine Landeshoheit bezeichnete.
1. Medialisierung und gesellschaftlicher Wandel
Über die Jh. erweist sich M. als wesentliche Antriebskraft gesellschaftlichen Wandels. Das galt bereits für den Gebrauch der Schrift in der Antike, in dessen Folge Platon den Verlust des Gedächtnisses befürchtete. Ebenso betraf es die Erfindung des Drucks mit beweglichen Lettern und die Verbreitung der Massenpresse in der beginnenden Neuzeit. Erst damit war eine breitere Informationsweitergabe und die Aufklärung größerer Publika möglich geworden. Nach und nach konnte sich eine kritische Öffentlichkeit entwickeln, wurden – zunächst in der westlichen Welt – der Prozess der Aufklärung angestoßen und schließlich der nicht abgeschlossene Wandel von der Industriegesellschaft zur modernen Informations- und Kommunikationsgesellschaft vorangetrieben. M. wurde von einem Elite- zu einem Massenphänomen. Das gilt umso mehr seit der Einführung und Verbreitung von Rundfunk und Fernsehen im 20. Jh. Die vorläufig letzte Phase einer fortdauernden dynamischen gesellschaftlichen Entwicklung wird von den inzwischen allgegenwärtigen Onlinemedien beeinflusst. Mit der Erhöhung von Reichweite, Verbreitungsgeschwindigkeit und Informationsdichte der Medien erweitern sich nicht nur die Möglichkeiten medienvermittelter Wirklichkeitsgestaltung und -wahrnehmung, sondern auch die Gefahren kollektiver Täuschung (Manipulation).
Als historischer Prozess ubiquitärer Generierung, Vervielfältigung und Verbreitung von Sinn interveniert M. in die Konstitution von Gesellschaft und penetriert diese in ihren Teilsystemen. Nach und nach verwandelten sich vormoderne Gesellschaften zu Mediengesellschaften. Die Charakterisierung von Gesellschaft als „Mediengesellschaft“ bringt diesen epochalen Wandel zum Ausdruck. Dabei beschreibt M. kein monokausales Wirkungsverhältnis. Vielmehr steht M. in einer Wechselbeziehung mit technologischen, ökonomischen und allg.en sozialen Entwicklungen. Dynamische Veränderungen bedingen zunehmende mediale Leistungen. Zugl. wächst die Abhängigkeit von Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur und Politik von ihnen.
Das Informations- und Kommunikationssystem mit seinen spezifischen Handlungslogiken wird sich weiter ausdiffenzieren. Deshalb bleibt M. ein zentraler Motor gesellschaftlichen Wandels. Kennzeichnend für die Moderne ist, dass M. auf der Basis einer historisch nie dagewesene Vermehrung, Beschleunigung, Verdichtung und Globalisierung von Information und Kommunikation erfolgt. Mit der Digitalisierung hat diese Entwicklung nicht nur einen technologischen Schub erfahren, sondern auch eine fortschreitende Medienkonvergenz ermöglicht.
2. Medialisierung von Politik
Die Logik der Politik unterscheidet sich von der Logik der Medien. In der Politik geht es letztlich um die Herstellung kollektiv bindender Entscheidungen. Aufgabe der Medien ist es hingegen, mit der Bereitstellung von Themen und Meinungen den öffentlichen Diskurs erst zu ermöglichen und in Gang zu halten. Im Idealfall bestimmen „Entscheidungsregeln“ den politischen Prozess und entscheiden „Aufmerksamkeitsregeln“ (Luhmann 1970: 11) darüber, was publiziert wird. Idealtypisch kann deshalb zwischen einer nicht oder wenig medialisierten „Entscheidungspolitik“ und einer medialisierten „Darstellungspolitik“ (Sarcinelli 2011: 119) unterschieden werden.
In der modernen Mediengesellschaft sind die Massenmedien zur wichtigsten Vermittlungsinstanz zwischen politischen Akteuren, Institutionen und Bürgern geworden. M. von Politik bezeichnet dabei zweierlei: zunehmende Inanspruchnahme ebenso wie wachsende Abhängigkeit der Politik von medialen Leistungen. Beides gilt für politische und gesellschaftliche Akteure in gleicher Weise wie für die Bürger. In der Wahrnehmung der Bürger ist Politik ganz überwiegend ein mediales Geschehen, überlagern sich politische und mediale Wirklichkeit. Noch intensiver als Bürger beobachten politische Akteure die Medien als Quelle der Information über Politik und als Plattform für die Verbreitung der eigenen politischen Themen und Interessen. M. von Politik findet deshalb auch darin ihren Ausdruck, dass politische Öffentlichkeitsarbeit/PR und strategische Kommunikation inzwischen zum Standardrepertoire professioneller Politikvermittlung gehören. Ziel von politischen Akteuren, Institutionen, organisierten Interessen und Bewegungen ist es dabei, v. a. die medienöffentliche, aber auch die diskrete, institutioneninterne politische Kommunikation zum eigenen Vorteil zu beeinflussen. Durch Anpassung der Politikvermittlung an medienübliche Formate, Sprach-, Stil- und Visualisierungspraktiken (Nachrichtenwerte) wird nicht nur öffentliche Aufmerksamkeit erzeugt. M. verlagert den politischen Diskurs auch zunehmend weg von Parteiforen, Parlamentsgremien und eher „klassischen“ Veranstaltungsformen hin zu medien-, v. a. fernseh- und onlinetauglichen Sendeformaten.
Dass M. auch kriminellen Akteuren Resonanz verschaffen kann, wird an den Kommunikationsstrategien des internationalen Terrorismus deutlich. Dessen Fähigkeit zur Erzeugung kollektiver Angst resultiert ganz wesentlich aus den Möglichkeiten zur schnellen und weltweiten Verbreitung abschreckender Bilder und Videos in den weithin unkontrollierten Online-Medien.
Zwischen Medien und Politik bestehen wechselseitige Abhängigkeiten und funktionale Verschränkungen. M. bezeichnet deshalb ein Beziehungs- und Spannungsverhältnis, ohne das beide Teilsysteme ihre spezifischen Leistungen für das Gesamtsystem nicht erfüllen können. Für eine freiheitliche demokratische Ordnung ist es allerdings essentiell, dass in dem notwendigen Beziehungs- und Spannungsverhältnis die jeweilige Eigenlogik der Politik und der Medien weder in einem symbiotischen Verhältnis aufgeht, noch dass die Medien die Politik oder die Politik die Medien kolonisieren.
Literatur
U. Saxer: Mediengesellschaft, 2012 • U. Sarcinelli: Politische Kommunikation in Deutschland. Medien und Politikvermittlung im demokratischen System, 32011 • W. Schulz: Politische Kommunikation, 32011 • F. Marcinkowski: Die „Medialisierbarkeit“ politischer Institutionen., in: P. Rössler/F. Krotz (Hg.): Mythen der Mediengesellschaft, 2005, 341–371 • F. Krotz: Die Mediatisierung des kommunikativen Handelns, 2001 • M. Edelman: Politik als Ritual. Zur symbolischen Funktion staatlicher Institutionen und politischen Handelns, 1976 • N. Luhmann: Öffentliche Meinung, in: PVS 11/1 (1970), 2–28 • J. Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Öffentlichkeit, 1962.
Empfohlene Zitierweise
U. Sarcinelli: Medialisierung, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Medialisierung (abgerufen: 25.11.2024)