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Version vom 16. Dezember 2022, 06:06 Uhr von Staatslexikon (Diskussion | Beiträge) (Archive)
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1. Begriff

Die Herkunft des Wortes A. geht auf das altgriechische archaion zurück. Es bedeutet die Behörde, die das Verwaltungsschriftgut verwahrt. „Archaion“ fand Eingang in das lateinische „archiv(i)um“. Das Wort A. begegnet in mehrfacher Bedeutung: das A.-Gebäude als Ganzes, der Teil in dem das A.-Gut verwahrt wird (auch Magazin, Beständehaus, Speicher) oder heute die längerfristige Speicherung elektronischer Daten, z. T. die Ablage von Dokumenten allgemein. A. sind Einrichtungen, die Schrift-, Bild-, Ton- und Filmdokumente, die aus der Tätigkeit eines Registraturbildners (Behörde, Gericht, juristische oder physische Person) erwachsen (i. d. R. Urkunden, Amtsbücher, Akten, Karten, Pläne, Plakate, Fotos, Filme), zeitlich unbefristet verwahren. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jh., in Deutschland seit dem Ende der 1980er Jahre, werden die Aufgaben der staatlichen A. sowie die Nutzungsrechte in A.-Gesetzen geregelt. Zu den Aufgaben der A. gehören u. a. Übernahme sowie Sammlung und Erwerb von A.-Gut, dessen Sicherung, Erhaltung, Erschließung, Zugänglichmachung und Auswertung.

2. Geschichte

Die ältesten Zeugnisse für ein A. im Sinne einer zentralen Aufbewahrung von Dokumenten im vorderasiatisch-europäischen Raum stammen aus Ibla (südlich von Aleppo), einem Zentrum der semitischen Könige von Akkad der zweiten Hälfte des 3. Jh. v. Chr., weitere Zeugnisse in der Folgezeit aus politischen Zentren in Mesopotamien, Syrien und Oberägypten. Griechische Stadtmagistrate verwahrten ebenfalls rechtssichernde Dokumente. Im republikanischen Rom diente das „Tabularium“ im Saturntempel zur Aufbewahrung staatlicher Dokumente. In der Kaiserzeit wurden kaiserliche Erlasse zur Rechtssicherung in Amtstagebücher eingetragen. Ihnen wurde dadurch das ius archivi, d. h. ein unantastbarer öffentlicher Glaube, zuteil. Seit der römischen Kaiserzeit gab es A. bzw. Registraturen bei Behörden der Zivil- und Militärverwaltung sowie in den Städten. Auch die Ost- und Westgoten oder die Merowinger kannten A. Der Verlust fast allen A.-Guts aus römischer Zeit und aus den Germanenreichen dürfte auf die Zerstörungen durch die germanischen Eroberer, die geringe Haltbarkeit des Beschreibstoffes, die Unhandlichkeit und den Raumbedarf für die Lagerung, vermutliches Desinteresse an unlesbar und rechtlich wertlos gewordenen Dokumenten, die Diskontinuität in den Herrscherhäusern und das Fehlen fester Herrscherresidenzen zurückzuführen sein.

Von den A.n kirchlicher Institutionen haben viele den Wandel der Zeiten überdauert. Römische A.-Traditionen waren für die Päpste (Papst) wie auch für viele Bischöfe (Bischof) wenigstens seit Anfang des 4. Jh. Vorbild. In Rom lagen A. und Bibliothek des Papstes seit dem 7. Jh. im Lateran, später in St. Peter. Unter Innozenz III. begann die kontinuierliche Führung der Briefregister, die zusammen mit später angelegten Registerserien die wichtigste Quelle zur europäischen Geschichte des 13. und 14. Jh. bilden. Ein zentrales Vatikanisches A. für alle päpstlichen Behörden errichtete Paul V. 1612. Auch die A. der Bischöfe reichen oftmals ins Frühmittelalter zurück; anders als weltliche Herrscher hatten geistliche Fürstentümer bereits einen festen Herrschaftsmittelpunkt mit Residenzen.

Eine kontinuierliche A.-Führung an königlichen Höfen ist erst seit dem 12. Jh. in west- und südeuropäischen Staaten bezeugt. Das älteste Zeugnis für ein A. am karolingischen Königshof stammt von 794, als Aachen bevorzugter Aufenthaltsort Karls des Großen geworden war. Unter Friedrich II. entstand ein Archivum curiae und ein A. bei den Provinzialbehörden. Aus dem Deutschen Reich gibt es dagegen bis zum 15. Jh. kein Zeugnis für ein zentrales A., lediglich Hinweise auf geordnete Aufbewahrung von Dokumenten unter einzelnen Herrschern, insb. unter Heinrich VII. Andere Herrscher betrachteten Registerführung nur als Haus-, nicht als Reichsangelegenheit. Maximilian I. konnte den Plan eines Reichs-A.s im Zusammenhang mit der Errichtung des Reichskammergerichts (1495) teilweise verwirklichen. Er sah die Aufgabe des A.s v. a. darin, der Verwaltung und dem Rechtswesen zu dienen. Daneben errichtete er in Innsbruck eine zentrale Hof- und Reichsregistratur. Unter Maria Theresia wurde 1749 das Geheime Haus-A. in Wien errichtet, das seit 1762 der geheimen Haus-, Hof- und Staatskanzlei unterstand (heute Haus-, Hof- und Staats-A). In Preußen wurde das A.s des Geheimen Rats (17. Jh.) zur Keimzelle eines zentralen A. Ab 1822 erhielt jede preußische Provinz ein A.

Adelige Landes- oder Standesherren (Adel) verwahrten ihre schriftlichen Dokumente bzgl. ihrer Rechtsstellung und Besitztümer zunächst in Truhen, aus denen sich allmählich Landes-, Herrschaft- oder Haus-A. im Sinne von Schatzkammern entwickelten. In den habsburgischen Landen stammt die erste Erwähnung eines babenbergischen A.s aus dem Jahr 1137 in Kloster Neuburg. Im Herzogtum Bayern etablierten sich „Briefgewölbe“ zum Schutz der Urkunden, Amtsbücher und Akten erst im 15. Jh. Städtische A. reichen teilweise bis ins 8. Jh. zurück. Die Rechtsstellung der Stadt gegenüber Reichs- bzw. Landesherren und ihre äußere Sicherung durch Bündnis-, Schutz- und Grenzverträge mit den umliegenden Gewalten fanden ihren Niederschlag in urkundlichen Verbriefungen.

Der Gedanke, dass A. auch für Personen zugänglich sein sollten, die nicht von Amts wegen mit ihnen zu tun hatten, wurde durch das Interesse an älteren Urkunden gefördert, das die im 17. Jh. in Frankreich durch die Mauriner ausgebildeten Methoden der Urkundenkritik geweckt hatten. Mit der Französischen Revolution und dem Zusammenbruch des Alten Reichs wandelten sich A. von „Schatzkammern“ der Territorialherren zu historischen A.n In Frankreich beschloss 1789 die Nationalversammlung die Errichtung eines National-A.s, das das gesamte A.-Gut der neuen staatlichen Verwaltung und der verstaatlichten Institutionen aufnehmen sollte. Von grundsätzlicher Bedeutung war das A.-Gesetz vom 25.6.1794, wonach für die A.-Würdigkeit eines Schriftstückes auch sein historischer, wissenschaftlicher oder künstlerischer Wert maßgeblich sein sollte und A. allen Bürgern frei zugänglich sein sollten.

Die A. der um 1800 säkularisierten und mediatisierten Einrichtungen und Territorien des Reichs wurden in die A. der neuen Landesherren eingegliedert. Zu Beginn des 19. Jh. entstanden in vielen mitteleuropäischen Staaten zentrale Auslese-A. (Generallandes-A. Karlsruhe oder Allgemeines Reichs-A. München). Die Territorialzuwächse, die Bayern zu dieser Zeit zu verzeichnen hatte, machten eine neue A.-Organisation erforderlich. Strenge Kriterien für die A.-Würdigkeit wurden entwickelt; ein deutlicher Schwerpunkt lag auf der mittelalterlichen Urkundenüberlieferung. Z. T. wurden die Überlieferungen nach dem Pertinenz-(Sach-, Orts- oder Personen-)Betreff neu geordnet. Erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jh. setzt sich das Provenienz-(Herkunfts-)Prinzip für die Bildung von Beständen durch.

Heute verstehen sich A. als Dienstleister in der Bereitstellung von Erschließungsinformationen für das A.-Gut und der Archivalien selbst, als Berater öffentlich-behördlicher Instanzen bei der Verwaltung und Sicherung ihrer papierenen und digitalen Überlieferung und als Kompetenzzentren für alle archivfachlichen Fragen. Mit den digitalen Informationen, die seit den 1970/80er Jahren bei Behörden, Gerichten und sonstigen öffentlichen Stellen, aber auch privaten Einrichtungen und Personen erwachsen sind, stehen A. vor großen Herausforderungen, diese Überlieferung zu sichern und lesbar zu halten. Hinzu kommen Maßnahmen zum Erhalt der papierenen Quellen (Entsäuerung, Digitalisierung oder Verfilmung zum Schutz des Originals).