Marshall-Plan
Als „M.“ wird nach seinem Initiator, dem US-Außenminister George Catlett Marshall, das European Recovery Program bezeichnet, das die USA und 16 europäische Teilnehmerländer 1948–1951/52 gemeinsam durchführten.
Anlass war die wirtschaftliche und politische Stagnation im besetzten Deutschland. Im April 1947 beschlossen die USA und Großbritannien, den Wiederaufbau in ihren Besatzungszonen voranzutreiben, ohne auf ein Einvernehmen mit der UdSSR zu warten. Frankreich, das wirtschaftlich von den USA abhängig war, schloss sich der Initiative an. Um den europäischen Ländern die Furcht vor einem Wiedererstarken des Nachbarn zu nehmen, sollte der Wiederaufbau Deutschlands in ein Förderprogramm für die wirtschaftliche Erholung Europas integriert werden. Die wirtschaftliche Stabiliserung in Europa sollte auch die Rekonstruktion der multilateralen Weltwirtschaft fördern.
Am 5.6.1947 trat G. C. Marshall mit einem entsprechenden Vorschlag an die Öffentlichkeit. Er argumentierte, dass die Voraussetzung für eine nachhaltige Erholung in Europa die Integration der europäischen Volkswirtschaften in eine offene Weltwirtschaft sei. Die USA würden das Programm durch die Gewährung von Auslandshilfe unterstützen, um den Teilnehmerländern die Finanzierung der Zahlungsbilanzdefizite, die bei einer Öffnung der Grenzen zu erwarten wären, zu erleichtern. Dieser Vorschlag war ausdrücklich an alle europäischen Staaten einschließlich der UdSSR gerichtet, die aber die Beteiligung an einem US-dominierten Wiederaufbauprogramm ablehnte und auch den Ländern ihres Einflussbereichs eine Teilnahme untersagte. Das ökonomische European Recovery Program gewann so im beginnenden Kalten Krieg auch politische Bedeutung.
Im April 1948 trat der M. in Kraft. Für seine Durchführung wurde in den USA eine neue Behörde im Rang eines Ministeriums geschaffen, die Economic Cooperation Administration (ECA). Auf europäischer Seite wurde am 16.4.1948 die Organization for European Economic Cooperation (OEEC) gegründet. Mitglieder waren Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Island, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, die Türkei sowie zwei deutsche Territorien, die amerikanisch-britische Bizone und die französische Zone.
Das Wiederaufbauprogramm sollte vier Jahre dauern. Die europäischen Teilnehmerländer sollten in dieser Zeit ihre Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit steigern sowie ihre Zusammenarbeit intensivieren. Die USA sagten eine in der Höhe noch offene Auslandshilfe in Form von Subventionen oder langfristigen Krediten zu. Die von den USA finanzierten Einfuhren sollten von den Importeuren in der jeweiligen Landeswährung bezahlt und diese Mittel den Regierungen der Teilnehmerländer zur Verfügung gestellt werden, um Investitionen zur Förderung der Produktivität zu finanzieren oder Schulden zu tilgen.
In der Konvention über europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit vom April 1948 verpflichteten sich die Teilnehmerländer des M.s, den innereuropäischen Zahlungsverkehr zu verbessern, die quantitativen Handelsbeschränkungen abzubauen und die Zölle zu senken. Im September 1950 wurde zudem die Europäische Zahlungsunion (EZU) gegründet, die die Konvertierbarkeit zwischen den Währungen der Teilnehmerländer förderte. Die quantitativen Handelsbeschränkungen zwischen den Teilnehmerländern wurden nach und nach aufgehoben. Die Empfehlung der USA, die OEEC zu einer supranationalen Behörde auszubauen, wurde jedoch abgelehnt. Erfolgreicher waren die Integrationsbestrebungen, die sich auf eine engere Zusammenarbeit zwischen wenigen Ländern beschränkten (1951 mit der Gründung der EGKS).
Die Auslandshilfe des M.s wurde für jedes Programmjahr vom Kongress beschlossen und von der ECA auf die Teilnehmerländer verteilt, wobei die Zahlungen sukzessive reduziert wurden; die europäischen Teilnehmerländer sollten eigene Anstrengungen zum Ausgleich ihrer Leistungsbilanzen unternehmen.
Der Ausbruch des Korea-Krieges im Juni 1950 leitete das Ende des M.s in seiner bisherigen Form ein. Der Schwerpunkt der amerikanischen Europapolitik verschob sich von der wirtschaftlichen Stabilisierung zur militärischen Zusammenarbeit. Das Ziel der Auslandshilfe diente nun vornehmlich der Unterstützung der Aufrüstung der europäischen Verbündeten. Die ECA wurde im Dezember 1951 vorzeitig aufgelöst, der M. von der neuen Mutual Security Agency (MSA) bis Mitte 1952 abgeschlossen.
Insgesamt betrug die Auslandshilfe des M.s (unter Einbeziehung einiger Zahlungen aus dem MSA-Program) 14 Mrd. US-Dollar. Die quantitative Bedeutung der Auslandshilfe, gemessen am Bruttoinlandsprodukt der Teilnehmerländer oder als Anteil der Gegenwertmittel an den Investitionen, war nicht sehr groß. Wichtiger war der wirtschaftspolitische Einfluss, bes. in Deutschland, weil der M. mit einer neuen Deutschlandpolitik der drei Westalliierten verbunden war und weil er zusammen mit der Währungs- und Wirtschaftsreform von 1948 eine ökonomische Wende einleitete. V. a. aber hat der M. die Integration der westeuropäischen Volkswirtschaften in den Weltmarkt gefördert und damit den Übergang vom Wiederaufbau zum Wirtschaftswachstum unterstützt.
Literatur
B. Steil: The Marshall Plan. Dawn of the Cold War, 2018 • G. Hardach: Der Marshall-Plan. Auslandshilfe und Wiederaufbau in Westdeutschland 1948–1952, 1994 • A. S. Milward: The reconstruction of Western Europa 1945–51, 1984.
Empfohlene Zitierweise
G. Hardach: Marshall-Plan, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Marshall-Plan (abgerufen: 21.11.2024)