Pädagogik

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Über P. zu reden ist ein recht kompliziertes Geschäft: Ob historische Begriffsbestimmung, normative Legitimation, forschungsmethodologischer Zugang oder gesellschaftliche Wertschätzung – das Dilemma der Vieldeutigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch die ältere wie neuere Geschichte der P. Zudem stellt sich das sogenannte „Technologiedefizit“ (Luhmann/Schorr 1979) heute in einer verschärften Version, wonach nur der evidenzbasierte, also der auf der Basis empirisch bewerteter wissenschaftlicher Erkenntnisse erbrachte Nachweis über Wirkungen pädagogischen Aktivitäten überzeugt. Dieser Nachweis ist jedoch aufgrund der bio-psycho-sozialen Individualität des Menschen sowie der sozialökologischen Komplexität empirisch nur schwer einzuholen. Und: Im Zuge einer umfassenden „Pädagogisierung der Gesellschaft“ (Gieseke 1996: 47) war und ist jeder Mensch Adressat von P. und kann somit auch über „P.“ im weitesten Sinne mitreden. Folglich prägen die je subjektiven, negativen wie positiven Erfahrungen mit Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungsprozessen unsere Einstellungen zur P., zu deren Akteure, Institutionen und Methoden, welche – u. a. bedingt durch die digitalen Möglichkeiten – in hohem Maße ihren Niederschlag in populärpädagogischen Diskussionen und Einlassungen in Form von Ratgebern, Blogs, Postings, Foren und ähnlichem finden. Diese seit dem 18. Jh. feststellbare Verschiebung der Deutungshoheit über pädagogische Themen weg von erziehungswissenschaftlicher hin zu populärpädagogischer Provenienz wirft vor dem Hintergrund einer 2000-jährigen „Schmähgeschichte der P.“ schließlich die Frage auf, ob sich „P.“ nicht in einer Dauerkrise befindet?

1. Verortung

Immer noch strittig ist, ob sich die Begriffe Pädagoge und P. von pais agein (griechisch: Führung des Knaben vom Haus zur Übungsstätte) ableiten oder, wie dies Winfried Böhm u. a. explizieren, auf den Begriff padeia (griechisch: Erziehung und Bildung) zurückzuführen ist. Im Unterschied dazu besteht hierin Konsens, dass P. die Lehre, Theorie und Wissenschaft von der Erziehung, Betreuung und Bildung von Menschen in allen Lebensaltern und in unterschiedlichen pädagogischen Feldern wie Familie, Kita, Schule, Hochschule, Freizeit, Beruf und Alter ist. P. ist eine praxisorientierte, eigenständige Disziplin, deren Entstehung in das Zeitalter der Aufklärung fällt, als sich der maßgebende Zusammenhang von Politik, Theologie und P. auflöst. Fast zeitgleich etablierten sich die Bezeichnungen „Erziehungswissenschaft“ (1766) und „P.“ (1771) für eine Wissenschaft, die nun auch an Universitäten gelehrt und 1779 erstmals einen eigenen Lehrstuhl an der Universität Halle erhält. Seither hat die Disziplin stark expandiert und zählt heute zu den 20 am stärksten belegten Studienfächern.

2. Pädagogik, Erziehungswissenschaft, Bildungswissenschaft(en)

Mit Blick auf das Studienangebot indes zeigt sich eine große Vielfalt in der Benennung der Studiengänge und den damit korrespondierenden Instituten, die zumeist eine Kombination aus den Begriffen P., Erziehungswissenschaft und Bildungswissenschaft(en) darstellen. Inhaltlich gesehen, wie dies Ewald Terhart zusammenfasst, hat der Begriff Bildungswissenschaften derzeit die höchste Konjunktur, „weil Bildung selbst als Thema Konjunktur hat und weil Bildungsforschung etwa seit Mitte der 1990er Jahre, mit dem Aufkommen der großen internationalen Leistungsvergleichsstudien und den zahlreichen Begleit-, Neben- und Folgestudien sowie den entsprechenden Förderprogrammen […] einen ungeheuren Aufschwung erfahren hat“ (Terhart 2012: 23). Insofern möchte eine moderne und trendorientierte Erziehungswissenschaft, so Volker Ladenthin, „durch geschicktes ‚wording‘ die Anschlussfähigkeit im Wortwandel“ (2009: 132) hin zur Bildungswissenschaft erhalten. Einerseits wird dafür plädiert, grundsätzlich „bei dem Begriff Pädagogik [zu] bleiben“ (Ladenthin 2009: 133), denn als etablierter und umfassender Begriff hat er Tradition, verschränkt eine lange, breite und tiefe Diskussion und erlaubt unter dem Dach der P. die Ausbildung von Spezialwissenschaften wie Bildungs-, Erziehungs- oder Unterrichtswissenschaft bzw. sogenannten Bindestrich-P.en. Andererseits wird innerhalb der aktuellen Fachdiskussion angeregt, zunächst Forschung darüber zu betreiben, ob der Begriff Bildungswissenschaft überhaupt Berechtigung beanspruchen könne, denn „eine belastbare, von empirischer Wissenschaftsforschung gedeckte Datengrundlage zum institutionellen, intellektuellen, methodischen und personellen Wandel und aktuellen Zustand der Erziehungswissenschaft [sei] nicht vorhanden“ (Terhart 2013: 23).

In einer historischen Perspektive zeigt sich, dass die wissenschaftliche Beschäftigung mit menschlichen Betreuungs-, Erziehungs-, Bildungs-, Lern- und Entwicklungsprozessen stets Veränderungen unterworfen war, die sich auch in gewissen begrifflichen Moden abbilden lassen: Aus einer eher lebensfernen, philosophisch-theologisch ausgerichteten geisteswissenschaftlichen P. entstand schließlich – im Rahmen der sogenannten realistischen Wende – in den 1960er Jahren die Erziehungswissenschaft, die neben einer theoretischen Ausdifferenzierung v. a. die Erziehungs- und Bildungswirklichkeit sowie die Wirkung pädagogischer Programme mit gesicherten sozialwissenschaftlichen Forschungsmethoden analysieren wollte. Jedoch „verharrten Deutschland West wie Ost vierzig Jahre nahezu unbehelligt von empirischer pädagogischer Forschung“ (Obermaier 2015: 29); empirische Bildungsforschung blieb „gleichsam in der pädagogischen Schattenzone“ (Obermaier 2015: 29). Erst die ernüchternden Ergebnisse der internationalen Längsschnittuntersuchungen wie TIMSS oder PISA enthüllten diese methodischen Mängel und führten ab den 2000er Jahren zu einer von Politik und Forschungsförderung massiv unterstützten Expansion von Bildungsforschung. Im Rahmen der darauf folgenden (zweiten) empirischen Wende ist – zumindest begrifflich – eine weitere Wendung markiert. Ob nun aber gerechtfertigterweise von einer Wende der Erziehungswissenschaft hin zur Bildungswissenschaft gesprochen werden kann und Bildungswissenschaft die derzeit modernste Interpretation von P. ist – dies muss die weitere Forschung zeigen. Jedoch ist die Einschätzung nicht zutreffend, dass die Disziplinbezeichnungen P., Erziehungswissenschaft und Bildungswissenschaft derzeit für unterschiedliche Fortschrittsgrade stehen: P. für reaktionär, Erziehungswissenschaft für zeitgemäß und Bildungswissenschaften für innovativ.

Vielmehr werden die Begriffe P. und Erziehungswissenschaft zumeist synonym gebraucht. Die sprachliche Etablierung der Erziehungswissenschaft gegenüber der P. in den 1960er Jahren war, wie schon erwähnt, mit der klaren Absicht verbunden, die Transformation einer unscharfen P. zu einer erfahrungswissenschaftlichen (empirisch-analytisch) und damit exakteren Disziplin zu verdeutlichen. Die P. war damit unter das Dach der Sozial- und Gesellschaftswissenschaften gerückt, worunter sich all jene wissenschaftlichen Disziplinen befinden, die sich mit den Phänomenen des gesellschaftlichen Zusammenlebens der Menschen auseinandersetzen.

Im Unterschied zu einer rein trendorientierten Verwendung des Begriffs Bildungswissenschaft(en) als moderne und anschlussfähige Alternative für die Bezeichnungen P. und Erziehungswissenschaft hat er im Zuge der Reform der Lehrerausbildung eine ganz andere Bedeutung erhalten: „Bildungswissenschaften umfassen die wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit Bildungs- und Erziehungsprozessen, mit Bildungssystemen sowie mit deren Rahmenbedingungen auseinandersetzen“ (Sekretariat der KMK 2005: 280). Der Begriff Bildungswissenschaften wird hier eingeführt, um das unverbundene Nebeneinander der verschiedenen Disziplinen zu überwinden, die an der Lehrerbildung beteiligt sind. Zu diesen beteiligten Fächern zählen die P. bzw. Erziehungswissenschaft, die Psychologie und Diagnostik, die Soziologie, die Philosophie sowie die Fachdidaktiken, die sich vorwiegend mit der methodischen Gestaltung von Unterrichts-, Lehr- und Lernprozessen beschäftigen. In diesem Begriffsverständnis können also die Bildungswissenschaften als Sammelbegriff für die Fächer, die speziell an der Lehrer(aus)bildung beteiligt sind, klar von den Begriffen Erziehungswissenschaft und P. abgegrenzt werden. Allerdings ist mit der begrifflichen Umwidmung ganzer Studiengänge und Institute von Erziehungswissenschaft/P. in Bildungswissenschaften auch die Gefahr verbunden, dass damit die Verdrängung einzelner wissenschaftlicher Disziplinen, bspw. die Allgemeine P., die Kolonialisierung pädagogischer Felder durch Bezugswissenschaften oder die Reduktion von erziehungswissenschaftlichen Studieninhalten verbunden ist.

3. Pädagogik unter Anpassungsdruck – Kontroversen zur Bildungsreform

Wie angedeutet, befindet sich das Bildungswesen in einem anhaltenden Prozess der Neuausrichtung und Umstrukturierung. Pädagogische Professionen, Institutionen und wissenschaftliche Teildisziplinen sind seit PISA und Bologna aufgefordert, ihr Selbstverständnis, ihre Strukturen und Konzepte grundlegend zu reformieren. Kompetenzorientierung, Bildungsstandards und Qualitätsmanagement verweisen als neue Leitformeln auf eine engere Verzahnung von P. und Wirtschaft, wodurch eine Umdeutung und Ablösung des klassischen Konzepts von Bildung hin zu einer mess- und steuerbaren Größe zugrunde liegt. Der in den 1960er Jahren begonnene Versuch, Bildungsreformen stärker empirisch zu fundieren und sich vom klassischen Bildungsbegriff als normative Leitkategorie zu emanzipieren, erhält im Zuge der OECD-Bildungspolitik seit der Jahrtausendwende, welche eine Stärkung des EWR (Lissabon-Strategie) intendiert, eine völlig neue Dynamik und Intensität. Pädagogisches Handeln sei vorzugsweise als Innovations- und Problemlösungshandeln zu verstehen, das zur Standortsicherung und Wettbewerbsfähigkeit beitrage. Schüler und Studierende, Lehrer und Hochschullehrer seien als „unternehmerische Figuren“ wahrzunehmen bzw. als „humane Ressourcen“, die es mittels geeigneter Instrumente (Zielvereinbarungen, Bildungsmonitoring, Change Management) zu überwachen, zu mobilisieren und strategisch einzusetzen gelte.

Die wenige Jahre nach dem Sichtbarwerden der Reformauswirkungen einsetzenden „Einsprüche“ aus Wissenschaft und P. gegen eine „technokratische Umsteuerung des Bildungswesens“ (Gruschka u. a. 2006) setzen sich bis heute in unterschiedlichen Ausprägungen fort. Schulen und Universitäten (Hochschulen) wie „Wirtschaftsbetriebe“ zu organisieren sei v. a. in politischer Hinsicht bedenklich: Einerseits seien „die Reformmaßnahmen selbst nicht demokratisch legitimiert“ (Krautz 2012: 119), andererseits werde ein Bildungsverständnis und Menschenbild in der P. etabliert, das nicht humane Selbstbestimmung und Demokratiebefähigung intendiere, sondern die (apolitische) Fähigkeit zur flexiblen Anpassung auf die Bedürfnisse des Marktes (employability).

Pädagogisch motivierter Widerstand gegen die sogenannte Ökonomisierung der Bildung sei jedoch weder gegen die Ökonomie selbst gerichtet noch als Kritik am „Unternehmergeist“, an innovativen Ideen oder „kluge[n] Strategien“ (Frost 2006: 7) aufzufassen, wie innerhalb der zahlreichen reformkritischen Stellungnahmen seither immer wieder betont wird. Im Gegenteil zeige die Ausrichtung am „ökonomistischen Menschenbild“ (Krautz 2012: 119) nicht die erhofften Effekte wie etwa erhöhte Mobilität, direkte Berufsqualifizierung und Senkung von Abbrecherquoten, sondern belege gerade durch ihr Scheitern die Notwendigkeit einer bildungspolitischen Kehre im Namen einer humanen Bildung und Ökonomie.

Ungeachtet neuer „Lenkungsstrukturen, die Bildung und Wissenschaft einseitig an externen Zwecken ausrichten“ (Gruschka u. a. 2006: 15) lässt sich eine engagierte und anhaltende Kontroverse im Schnittfeld von P., Politik und Ökonomie beobachten, die durch jüngste Phänomene mit erheblichem Konfliktpotential lebendig gehalten wird. So ist die Rede von der sogenannten Digitalisierung der Bildung aktuell Gegenstand leidenschaftlicher Auseinandersetzungen, in denen sich politische Förderprogramme (vgl. Digitalpakt) und pädagogisch-wissenschaftliche Expertise erneut und oft unversöhnlich gegenüberstehen.

Trotz fehlender Belege über die Wirksamkeit und den pädagogischen Nutzen von digitalen Medien werde ein enormer Druck erzeugt, diese in Schule und Unterricht zu implementieren, um das Bildungswesen für die Zukunft anzupassen. Kritiker vermuten hinter der Digitalisierungsoffensive wiederum ein „neoliberales […][,] interessengeleitetes Machtprojekt“ (Burchardt 2017: o. S.), das die Debatte um den sinnvollen Gebrauch von Digitaltechnik ausblendet, um im Bildungssystem eine profitable Infrastruktur der Gerätebereitstellung, Datenabschöpfung und -kontrolle zu errichten.

Als spezifisches Merkmal der reformkritischen Kontroversen lässt sich beobachten, dass Kritik und Gegenkritik meist durch Polemik, Verhärtung und wiederkehrende Diffamierungsformeln (Verschwörung, Pauschalisierung, Modernisierungsfeindlichkeit etc.) gekennzeichnet sind, die eine Annäherung der gegensätzlichen Positionen erschweren.

4. Ratgeberboom und Feindbilder – Popularisierung der Pädagogik

Ungeachtet der erfolgten Abspaltung der empirischen Bildungsforschung von einer vorwiegend theoretisch argumentierenden, wissenschaftlichen P. hat sich rund um die Fragen nach der begründeten Erziehung und Bildung inzwischen ein beachtlicher Ratgebermarkt etabliert. Obgleich die Wurzeln des Genres bis in die Antike zurückreichen, sind einschlägige erziehungswissenschaftliche Studien selten. Das mangelnde Forschungsinteresse widerspricht dem rasanten Aufwuchs und der Verbreitung populärer Ratgeberliteratur, die auch als Resultat der mit den PISA-Befunden einsetzenden allgemeinen Verunsicherung in pädagogischen Fragen zu interpretieren sind.

Augenfälliges Merkmal der in jüngster Zeit publizierten populärpädagogischen Schriften mit großer Reichweite ist der apokalyptische Tonfall und die Wiederholung von Gefährdungs- und Untergangsnarrativen. Immer häufiger wird mit pädagogischen „Feindbildern“ operiert, die als plakative und emotional aufgeladene sprachliche Sinnkonstruktionen darauf gerichtet sind, populäre Narrative (vgl. „Helikoptereltern“, „kleine Tyrannen“, „faule Lehrer“ etc.) gegenüber erziehungswissenschaftlicher Argumentation und sachlicher Analyse aufzuwerten. Hier wird ein erhöhter erziehungswissenschaftlicher Forschungsbedarf angezeigt, die schwierige Beziehung zwischen populärer und wissenschaftlicher Literatur im Bereich der P. systematisch zu untersuchen und kritisch zu diskutieren.

5. Ausblick: Zeitgemäße Pädagogik

Im dauerhaften Konflikt zwischen universellen, überzeitlichen Geltungsansprüchen und den notwendigen Anpassungen an eine sich wandelnde Gegenwart sieht sich die P. als „Praxis […] bezogen[e] Denkform“ (Gruschka 2018: 40) herausgefordert, trotz konkurrierender Konzepte, Theorien und Methoden an ihrer „Eigenstruktur“ (Gruschka 2018: 40) festzuhalten, die vorgängige Wirklichkeit erst verstehen und begrifflich aufschließen zu wollen, bevor sie sich im Zuge eines „courante[n] Krisengerede[s]“ (Gruschka 2018: 41) beliebig umformen und umbestimmen lässt. Gegen eine voreilige Verabschiedung „alter“ und vorgeblich überholter Bezeichnungen und Begriffe spricht schon die Tatsache, dass rezente Umetikettierungen (Bildungswissenschaften, Bildungsforschung, Wissens- und Informationsgesellschaft etc.) und die mit ihnen einhergehenden Reform- und Umbaumaßnahmen leicht übersehen lassen, dass das „Projekt der Pädagogik“ (2018: 41) laut Andreas Gruschka zu den unbestreitbaren „Kontinuitäten der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft“ (Gruschka 2018: 41) gehöre, und lediglich durch den „Rückfall in die Barbarei“ (Gruschka 2018: 41) unterbrochen wurde. In historischer und politischer Hinsicht ist es weder geboten noch legitimierbar, die P. zum Experimentierfeld gesellschaftlicher Erneuerung zu machen. Vielmehr zielt der Auftrag einer „zeitgemäßen“ P. in all ihren theoretischen und praktischen Bemühungen darauf, künftige Generationen darin zu bestärken, sich verantwortungsvoll für Freiheit, Ökologie und Menschenrechte zu engagieren.