Strafvollzug

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1. Begriff, Geschichte, empirische Dimension

S. bezeichnet die Art und Weise der Durchführung freiheitsentziehender Kriminalsanktionen, also die rechtliche und faktische Ausgestaltung des zwangsweisen stationären Aufenthalts in einer Einrichtung des Straf- oder Maßregelvollzugs (JVA, Jugendstrafanstalt, psychiatrisches Krankenhaus oder Entziehungsanstalt). Der S. ist von der Vollziehung ambulanter Kriminalsanktionen (z. B. einer Bewährungsstrafe) ebenso zu unterscheiden wie von Freiheitsentziehungen ohne Strafcharakter (z. B. Untersuchungshaft). Da das S.s-Recht ein klassisches Über-Unterordnungsverhältnis regelt, ist es weniger eine straf-, denn eine verwaltungsrechtliche Materie mit vielen Ermessensvorschriften und unbestimmten Rechtsbegriffen. Die Spruchpraxis der für den gerichtlichen Rechtsschutz im S. zuständigen Strafvollstreckungskammern ist von Entscheidungen über Vollzugslockerungen, Haftraumausstattungen, Verlegungen sowie Disziplinar- und Zwangsmaßnahmen geprägt. Vom S. ist die alle Kriminalsanktionen betreffende und überwiegend in die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft fallende Strafvollstreckung zu unterscheiden, welche die Umsetzung strafgerichtlicher Entscheidungen betrifft und Einfluss auf den Beginn und die Dauer des S.s hat.

Den Anfang des S.s markieren im 16. Jh. Besserungseinrichtungen in London und Amsterdam. Ihrer Verbreitung in deutschen Hansestädten folgte der Niedergang als Sammeleinrichtung für alle Formen sozialer Auffälligkeit und durch Ausbeutung der Arbeitskraft der Gefangenen. Das im 19. Jh. übernommene pennsylvanische System strenger Einzelhaft sorgte nicht nur für die bis heute mit dem Begriff des Gefängnisses assoziierten und vorhandenen Strahlenbauten. Vielmehr führte es in Kombination mit einem militärisch geführten S. und der Dominanz der Strafzwecke der Vergeltung und Abschreckung dazu, dass sich in Deutschland ein an Rechtsstaatlichkeit und Behandlung ausgerichteter S. nicht entwickeln konnte. Dazu kam es nach dem Tiefpunkt des NS-Vernichtungsvollzugs erst in den 1970er Jahren. Ein das gesamte Strafrecht erfassendes Reformklima, Gefängnisskandale, v. a. aber die Beendigung der Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis (d. i. die Einschränkung der Grundrechte dem Staat Unterworfener auch ohne gesetzliche Grundlage) durch BVerfGE 33,1 mündeten in das am 1.1.1977 in Kraft getretene StVollzG. Damit war erstmals eine bundeseinheitliche Gesetzesgrundlage geschaffen, die trotz unverkennbarer, bis heute bestehender Lücken (insb. keine Einbeziehung Gefangener in die Kranken- und Rentenversicherung) und dauerhafter Übergangsvorschriften (u. a. zur baulichen Situation) ein Meilenstein auf dem Weg zu einem modernen S. war. Obwohl das StVollzG und die seine Auslegung maßgeblich prägende Rechtsprechung des BVerfG eine gute Grundlage für Weiterentwicklungen bildeten, wurde die Gesetzgebungskompetenz im Zuge der Föderalismusreform 2006 ohne Not auf die Länder übertragen. Nunmehr haben alle 16 Bundesländer eigene S.s-Gesetze erlassen, die zwar nicht zum befürchteten „Wettbewerb der Schäbigkeit“ geführt haben, sondern auf dem bewährten StVollzG aufbauen. Es ist jedoch neben Regelungsunterschieden im Einzelnen eine unübersichtliche Vielzahl und Vielgestaltigkeit von Ländergesetzen entstanden, die von der weitgehenden Übernahme des StVollzG bis zu komplexen Gesamtkodifikationen reichen, die den Vollzug der Freiheits- und Jugendstrafe (Strafe) sowie der Sicherungsverwahrung und Untersuchungshaft umfassen.

Am 30.11.2019 befanden sich in Deutschland 63 103 Personen im Vollzug einer Freiheits- oder Jugendstrafe, von Untersuchungshaft, Sicherungsverwahrung oder einer sonstigen Freiheitsentziehung. Die Länder- und Zeitvergleiche ermöglichende Gefangenenrate (Inhaftierte je 100 000 der Bevölkerung) beträgt 77 und ist seit Jahren rückläufig. Damit weist Deutschland im internationalen Vergleich eine niedrige Gefangenenrate auf, während Länder mit einer wesentlich extensiveren Sanktionierungspraxis wie etwa den USA auf Gefangenenraten von über 650 kommen.

2. Grundlagen und Probleme

Mit unterschiedlicher Nuancierung sind die Länderstrafvollzugsgesetze dem vom BVerfG aus der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip hergeleiteten alleinigen Vollzugsziel verpflichtet, den Gefangenen durch Behandlung zu einem Leben ohne Straftaten in Freiheit zu befähigen (sogenannte Resozialisierung). Daneben hat der S. die Aufgabe, die Allgemeinheit während seiner Dauer vor weiteren Straftaten Gefangener zu schützen (Sicherungszweck). Der Ausschluss der übrigen Strafzwecke des Schuldausgleichs und der Abschreckung führt u. a. dazu, dass der S. über die mit der Freiheitsentziehung verbundenen Einschränkungen hinaus keinen Strafcharakter haben darf. In bemerkenswerter Offenheit thematisieren alle Strafvollzugsgesetze die dem Vollzugsziel abträglichen schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs und verpflichten zur Gegensteuerung, Angleichung an die allgemeinen Lebensverhältnisse und zur Resozialisierung von Anfang an. Dazu tragen Vollzugslockerungen wie Ausführung und Freigang bei, deren verantwortungsvolle Gewährung und Nutzung im Kontrast zur medialen Wahrnehmung von seltenen Lockerungsfehlschlägen stehen. Daneben spielen seit jeher Arbeit, Ausbildung, Weiterbildung und in neuerer Zeit das Übergangsmanagement zur Verzahnung von S. und Entlassenenhilfe eine zentrale Rolle. Diese Maßnahmen können das Grundproblem des S.s nur abmildern, nämlich die Schwierigkeit, Menschen mit massiven Sozialisationsdefiziten unter den Bedingungen einer Zwangsgemeinschaft, die für Subkulturen anfällig ist und zur Überregulierung neigt, zu einer dauerhaften Verhaltensänderung in Freiheit zu bewegen. Indes ist keine ernsthafte Alternative zum Behandlungsvollzug mit Sicherungsaufgabe ersichtlich und kann dem S. bescheinigt werden, trotz deutlich suboptimaler personeller und materieller Ausstattung Beachtliches zu leisten, zumal bes.e Herausforderungen durch die Drogenabhängigkeit, verschiedenen Ethnien und psychischen Störungen vieler Gefangener und deren zunehmendes Alter bestehen. Da die Leistungsfähigkeit des Behandlungsvollzugs nicht über- und die schädlichen Wirkungen langer Freiheitsstrafen nicht unterschätzt werden dürfen, muss der S. Ultima Ratio im Verhältnis zu ambulanten Sanktionen und zu Strafrestaussetzungen mit Bewährung bleiben.