Zivilisation

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In seiner allg.sten Verwendung in allen westlichen Sprachen ist das Wort „Z.“ mit dem – ebenfalls im allg.sten Sinne gebrauchten – Wort „Kultur“ austauschbar. So spricht man im gleichen Sinne von der japanischen, griechischen oder aztekischen Z. und/oder Kultur. Unter „Kultur oder Zivilisation“, heißt es bei Edward Burnett Tylor, habe man „jenes komplexe Ganze von Wissen, Glauben, Kunst, Moral, Gesetz, Sitte und alle übrigen Fähigkeiten und Gewohnheiten“ zu verstehen, „welche der Mensch als Glied der Gesellschaft sich angeeignet hat“ (Tylor 1871: 1).

Aus sachlichen, begriffssystematischen und historischen Gründen empfiehlt es sich aber, eine in vielen Verwendungskontexten auch explizit, häufig zumindest latent mitgeführte Differenz zwischen den beiden Begriffen hervorzuheben. Sie wurde v. a. von Alfred Weber programmatisch in die Kulturgeschichte, verstanden als Kultursoziologie, eingeführt. So spricht er von der Z. als dem „äußeren“, wesentlich auf „Naturbeherrschung“ gerichteten „Entwicklungsprozeß“ (Weber 2000: 60), der „alle ‚Gegenstände‘ und Mittel des praktisch-intellektuellen Kosmos unseres Daseins“ (Weber 2000: 147) umfasse. Friedrich Nietzsche hatte sogar von einem „abgründlichen Antagonismus von Cultur und Civilisation“ (Nietzsche 1964: 88) gesprochen. Vornehmlich von ihm beeinflusst behauptete Oswald Spengler, dass alle großen „Kulturen“, und so auch die europäische, in der Weltgeschichte einen zyklischen Entwicklungsverlauf (Geschichte, Geschichtsphilosophie) nähmen und als „Z.en“ endeten und untergingen: „Jede Kultur hat ihre eigene Zivilisation“ (Spengler 1963: 43). „Z.“ meint hier (wie bei A. Weber und F. Nietzsche) die Gesamtheit der das menschliche Leben, Wohlleben und Überleben ermöglichenden, durch Wissen, Erfahrung und Technik (im weitesten Sinne) erzeugten Subsistenzmittel. „Kultur“ heißen dagegen diejenigen Vermögen, Praktiken, Werke und Ordnungen, die ihren Wert in sich selbst haben (das Gute, Wahre, Schöne, Heilige) und eben deshalb bestimmten Lebensordnungen und Lebensvollzügen allererst Sinn und Dauer verleihen. „Dann aber erst, wenn das Leben von seinen Notwendigkeiten und Nützlichkeiten zu einem über diesen stehenden Gebilde geworden ist, erst dann gibt es Kultur“ (Weber 2000: 68).

Kultur, so verstanden, ist, empirisch-wissenschaftlich gesehen, immer von partikularer Bedeutung und Geltung, während zivilisatorische Errungenschaften sich an einem universellen Maßstab der Fortschrittlichkeit (Fortschritt) messen lassen (müssen). Das schließt nicht aus, sondern fördert es u. U., dass sie, insb. als National-Kulturen, eine geradezu unmäßige Wertschätzung erfahren. Das kann sich wiederum darin ausdrücken, dass sie (zugl.) als zivilisatorisch bes. fortschrittlich hervorgehoben oder, wie in Deutschland im Umkreis des Ersten Weltkriegs, gerade umgekehrt als nationale Kultur der bloßen Z. der feindlichen Mächte entgegengesetzt wird. In diesem Sinne spricht Thomas Mann in seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen“ (2009) auch von Bestrebungen auf Seiten der Kriegsgegner, „die Weltdemokratie, das Imperium der Zivilisation“ herbeizuführen, in der „der deutsche Geist“ aufgehen und verschwinden werde (Mann 2009: 43).

Kaum verzichtbar erscheinen Wort und Begriff der Z., wenn es um die, v. a. im Englischen, sogenannten „großen Z.en“ (great civilizations) geht. Dazu gehören v. a. die große Zeiträume überdauernden Kulturmächte und Herrschaftsgebilde (v. a. China, Indien, Iran, Alt-Israel und Griechenland), in denen sich in der Mitte des letzten vorchristlichen Jahrtausends, der „Achsenzeit“ (Jaspers 1949: 19), parallel, aber weitgehend unabhängig voneinander, tiefgreifende Umwandlungen vollzogen, vermittels derer diese „axial civilisations“ (Eisenstadt 1982) die Voraussetzungen für eine gemeinsame, in die europäisch-amerikanische, dann weltgesellschaftliche „Modernisierung“ einmündende Geschichte der Menschheit schufen: Die Weltgesellschaft wird im Zuge ihrer globalen Verwirklichung mit der Durchsetzung einer weitgehend gleichförmigen Z. (i. S. A. Webers) einhergehen. Unterhalb der „großen Superstrukturen“ dieser „neuen Zivilisation“ (Gehlen 1957: 39) wird es kulturelle – v. a. ästhetische, aber auch religiöse – Schöpfungen und Praktiken in einer unüberschaubaren Fülle und Diversität geben, die aber eine universelle Geltung kaum beanspruchen und gewiss nicht erreichen. Das entspräche der von O. Spengler behaupteten Entwicklungslogik, ohne dass es dazu nötigte, seine zyklische Geschichtsvorstellung und seine Bewertungen zu übernehmen.

Schließlich gibt es noch die – von allem bisher Gesagten klar zu unterscheidende – Begriffsbedeutung, die im Deutschen zumeist als „Zivilisierung“ bezeichnet wird. Damit ist eine fortschreitende Trieb-, Affekt- und Selbstkontrolle, ein Abbau von physischer und psychischer Gewalt und eine zunehmende Verfeinerung (Sublimierung) menschlicher Lebensvollzüge und Umgangsformen (Sitten) gemeint. In diesem Sinne spricht Immanuel Kant davon, dass neben der Kultivierung und der Moralisierung auch die Zivilisierung zur geschichtlich fortschreitenden Selbstverbesserung des Menschen gehöre. Dies ist im Wesentlichen auch die von Norbert Elias gemeinte Begriffsbedeutung, wenn er von einem „Prozess der Zivilisation“ (1977) spricht, der sich in Westeuropa seit dem späten Mittelalter über viele Jahrhunderte hinweg vollzogen habe. Und sie spielt zumindest mit hinein, wenn F. Nietzsche, wie bemerkt, einen „abgründlichen Antagonismus“ von Kultur und Z. behauptet.