Grundeinkommen

Wesentliches Merkmal aller Konzepte, die unter der Bezeichnung des G.s zusammengefasst werden können, ist ein Rechtsanspruch auf die Auszahlung eines Einkommens für alle Bürger oder Einwohner einer bestimmten Gebietskörperschaft ohne weitere Voraussetzungen. Ein G. wird ohne Berücksichtigung der sonstigen Einkommens- oder Vermögensverhältnisse der Empfänger ausgezahlt und unterscheidet weder nach individueller Bedürftigkeit, noch nach vorhergehender und aktueller Beschäftigung der Empfänger oder der Bereitschaft der Empfänger, in Zukunft eine Beschäftigung aufzunehmen. Die Befürworter eines G.s verstehen die entsprechende Auszahlung voraussetzungs- und bedingungslos als allgemeines Menschenrecht oder allgemeines Bürger- bzw. Einwohnerrecht der betreffenden Gebietskörperschaft.

1. Unterschiedliche Zielsetzungen und Visionen

Die Idee des G.s, in Deutschland üblicherweise bedingungsloses G. oder Bürgergeld genannt, lässt sich bis ins 18. Jh. zurückverfolgen. Das Grundkonzept des G.s erfreut sich in unterschiedlichsten Kreisen und weltweit großer Attraktivität, wobei sich die einzelnen Ausprägungen der diskutierten Modelle stark voneinander unterscheiden.

Wirtschafts-liberale Befürworter streben mit Hilfe der Vorschläge an, die Wirtschaft im Allgemeinen und den Arbeitsmarkt im Besonderen von der Belastung sozialpolitisch motivierter Beiträge und arbeitnehmerschutzpolitisch motivierter Regulierungen zu lösen, um wirtschaftliche Dynamik zu entfachen. Ihnen geht es vor allen Dingen um eine Ablösung der als bürokratisch (Bürokratie) und ineffizient betrachteten sozialpolitischen Aktivitäten in den vorherrschenden Systemen durch ein einfaches, transparentes und schlankes System einer Grundabsicherung. Sozialpolitisch-humanistisch geprägte Marktkritiker hingegen sehen in ihren breit angelegten Gesellschaftsentwürfen, die meist neben dem G. noch weitere grundlegende Veränderungen beinhalten, die historische Chance, die Abhängigkeit großer Teile der Bevölkerung vom Zwang zur Erwerbsarbeit zu beenden u. a., marktunabhängige Verteilungsmechanismen zu etablieren. Ihnen geht es in erster Linie um die Befreiung der in den heutigen sozialpolitischen Systemen durch die Selbsthilfeverpflichtung (Zwang zur Annahme „zumutbarer“ Erwerbsarbeit) als fremdbestimmt empfundenen Bürger und die Abschaffung der als entwürdigend und verletzend verstandenen Bedürftigkeitsprüfungen.

Neue Aufmerksamkeit gewinnt das G. zu Beginn des 21. Jh. aufgrund der vielfach erwarteten Veränderung durch umfassende Digitalisierungsprozesse (Digitalisierung). Viele Befürworter eines G.s befürchten, dass große Bevölkerungsanteile vom Erwerbsarbeitsmarkt oder jedenfalls von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung ausgeschlossen werden könnten. Daher werde eine Neuausrichtung der sozialpolitischen Absicherung unumgänglich, um nicht große Bevölkerungsteile verarmen zu lassen. Andere Vertreter der Idee begrüßen die Digitalisierung der Produktion und die Einführung eines G.s als zwei Seiten derselbe Medaille, die den alten Menschheitstraum wahr werden lässt, von der Last der Erwerbsarbeit befreit zu werden.

2. Ausgestaltung und Höhe

Während ein G. in Form einer Sozialdividende (Juliet Rhys-Williams) unabhängig vom Steuersystem regelmäßig ausgezahlte Beträge beinhaltet, sehen Modelle des G.s in Form einer negativen Einkommensteuer (Milton Friedman) ggf. Verrechnungen des G.s mit positiven Steuerschuldbeträgen vor.

Viele Konzepte des G.s begründen einen individuellen Rechtsanspruch, der nicht von Haushaltsgemeinschaften mit Partnern, Eltern oder Kindern abhängt. Viele Modelle des G.s unterscheiden jedoch die Beträge, auf die einzelne Mitglieder Anspruch haben, nach der Lebenssituation und sehen geringere Beträge für minderjährige Kinder sowie geringere oder höhere Beträge für Menschen im Rentenalter vor.

Einige Modelle schlagen Beträge in einer Höhe vor, die unterhalb aktuell bestehender Rechtsansprüche der Grundsicherung bei wirtschaftlicher Bedürftigkeit liegen und somit entweder durch zusätzliche Sozialtransfers (Sozialpolitik) oder durch Einkommen aus Erwerbsarbeit ergänzt werden müssten. Eine andere Gruppe von Vorschlägen orientiert sich bei der vorgeschlagenen Höhe am aktuellen Grundsicherungsniveau und ersetzt bestehende Transfers durch das G. Andere Vorschläge wiederum fordern deutlich höhere Beträge, da sie das heute geltende Grundsicherungsniveau nicht als ausreichend betrachten, um eine menschenwürdige Existenzsicherung und gesellschaftliche Teilhabe der Empfänger zu garantieren. Die im Jahr 2016 in Deutschland diskutierten Modelle weisen eine Spannbreite von monatlich 500 Euro bis monatlich 1 500 Euro für volljährige Empfänger aus. Für die Initiative zur Einführung eines garantierten Mindesteinkommens, über die die Schweizer Bevölkerung am 5.6.2016 (ablehnend) abgestimmt hat, standen 2 500 CHF pro Erwachsenem zur Diskussion. Neben der vorgeschlagenen Höhe des G.s unterscheiden sich konkrete Vorschläge gravierend in der Frage, welche bestehenden Sozialleistungen und Transfereinkommen bei Einführung des G.s entfallen sollen und ob ergänzend weitere (eventuell bedürftigkeitsgeprüfte) Transferansprüche vorgesehen sind.

Zugleich muss die Finanzierungsseite einbezogen werden, um die reale Kaufkraft des G.s zu berücksichtigen. Einige Modelle treffen konkrete Auskünfte zur Finanzierung, andere halten die Finanzierung ihres Vorschlages für zweitrangig, da ihr Eintreten für die Idee des G.s zunächst als gesellschaftspolitischer Diskussionsimpuls intendiert ist. Die Vorschläge zur Finanzierung von G. beinhalten üblicherweise die Erwartung, dass der Wegfall der Bedürftigkeitsprüfung und der Prüfung von Haushaltsgemeinschaften große Einsparungen ermöglicht. Dazu kommen die Mittel, die in den bisher geltenden, bei Einführung des G.s jedoch entfallenden Transfersystemen veranschlagt werden. Die darüber hinaus – je nach Höhe des in Aussicht gestellten G.s – z. T. erheblichen zusätzlich benötigten Beträge zur Finanzierung sollen häufig durch ein völlig neu gestaltetes Steuersystem aufgebracht werden, mit dem die jeweiligen Autoren die Hoffnung auf weitere von ihnen begrüßte Lenkungseffekte verbinden: Primärenergie- und Ressourcenverbrauchsteuern, Vermögens- und Reichensteuern, Devisen- und Börsenumsatzsteuern, Luxusgütersteuern, Wertschöpfungssteuern, Kapitalertragssteuern etc. Viele Konzepte sehen darüber hinaus massive Erhöhungen der ESt für alle oder für Bezieher von bestimmte Höhen überschreitenden Einkommen vor. Wenige Modelle plädieren für die Abschaffung aller anderen Steuern und die Einführung einer einheitlichen MwSt in Höhe von 50 % oder mehr.

3. Einwände und Kritik

Ein G. in einer Höhe, welche ein menschenwürdiges Leben und die Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht, gilt vielen Ökonomen als unfinanzierbar. Varianten mit geringeren Finanzierungsansprüchen ermöglichen z. T. geringere Lebensstandards als heutige Grundsicherungssysteme. Sofern G. durch bedürftigkeitsorientierte Transfers ergänzt werden sollen, verflüchtigt sich der Charme des Bürokratieabbaus und der Vermeidung von Einzelfallprüfungen.

Die Bedingungslosigkeit muss bereits entscheidend eingeschränkt werden, sofern das G. nicht weltweit in vergleichbarer Höhe eingeführt würde. In diesem Fall müsste eine Abgrenzung der zur Gemeinschaft gehörenden, also bezugsberechtigten Menschen vorgenommen werden. In Frage steht darüber hinaus aber auch, ob die Bedingungslosigkeit des G.s dauerhaft von der Mehrheit der Wähler akzeptiert würde. In dem Moment, in dem jedoch darüber entschieden würde, welche Lebensführung zum Erhalt des G.s berechtigt und welche nicht, verliert die Idee ihre liberale Unschuld.