Kirchensteuer

1. Wirtschaftliche Bedeutung

Die K. ist das weitaus wichtigste Finanzierungsinstrument der Kirchen und Religionsgemeinschaften, die sie in Deutschland erheben. Ihr Anteil an deren Einnahmen differiert erheblich zwischen der Ebene der Gemeinden (bei denen zweckgebundene Zuschüsse eine größere Rolle spielen) und der Diözesen und Landeskirchen. Dort überschreitet sie oft 70–80 %, vereinzelt sogar 90 % der ordentlichen Einnahmen (bei wesentlichen regionalen Unterschieden). Die deutschen katholischen Diözesen zusammen erreichten 2015 ein K.-Aufkommen von 6,086 Mrd. Euro, bei den in der EKD vereinigten Landeskirchen waren es 5,365 Mrd. Euro.

2. Geschichte

Nachdem schon seit der Reformation vereinzelt Geldabgaben erhoben wurden, entstand die K. im 19. Jh. als Ersatz für nicht mehr zeitgemäße Finanzierungsinstrumente (Zehnten, Fronen, landwirtschaftliche Betätigung der Pfarrer u. a.), aber auch wegen gestiegenen Finanzbedarfs aufgrund kirchlichen Strukturwandels (neue Gemeinden infolge der Industrialisierung). Durfte sie zunächst nur subsidiär, um Finanzierungslücken zu schließen, erhoben werden, wurde sie durch die Geldentwertungen 1918 ff. und 1945 ff. und die Herausforderungen der Nachkriegszeit (zerstörte Kirchen, Integration Heimatvertriebener) zur beherrschenden kirchlichen Finanzquelle.

3. Internationaler Vergleich

K.n sind v. a. in Deutschland, in den meisten Kantonen der Schweiz und in Dänemark bekannt, ähnliche öffentlich-rechtliche Abgaben existieren in Schweden und Finnland. Der gewisse Parallelen aufweisende österreichische Kirchenbeitrag ist zivilrechtlich konstruiert. In diversen europäischen Staaten (Italien, Spanien, Ungarn u. a.) wird ein Zuschlag auf die ESt erhoben, der nach Wahl der Steuerpflichtigen Kirchen und deren karitativen Einrichtungen oder anderen kulturellen oder sozialen Institutionen zugewendet werden kann, doch ist er Teil der staatlichen Steuer.

4. Rechtsnatur, res mixta

Die K. ist der Form nach echte Steuer i. S. d. § 3 Abs. 1 AO, also eine von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen ohne Gegenleistung erhobene Geldleistung; Gläubiger ist die erhebende kirchliche/religiöse Körperschaft. Die hoheitliche Festsetzung, Einziehung und Durchsetzung kann nur unter Inanspruchnahme staatlicher Gewalt erfolgen. Inhaltlich ist sie dagegen kirchlicher Mitgliedsbeitrag (weswegen sie auf Personen mit Wohnsitz in der steuererhebenden Diözese, Landeskirche oder Gemeinde beschränkt ist) und muss allen Anforderungen des Kirchenrechts genügen; ihr ist damit eine Doppelnatur eigen. Sie gehört zu den gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche, den res mixtae.

5. Verfassungs- und Kirchenvertragsgrundlagen

Garantiert wird die K. sowohl durch Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 6 WRV als auch durch viele Landesverfassungen (die z. T. Art. 140 GG oder Art. 137 Abs. 6 WRV inkorporieren) und zwar nicht nur als formales Recht, vielmehr ist eine ergiebige Besteuerung zu ermöglichen. Durch die Verfassungsentscheidung erfahren die Grundrechte der Steuerpflichtigen Beschränkungen. Da die K. unter Einsatz staatlicher Hoheitsgewalt erhoben wird, gelten für sie die Verfassungsschranken staatlicher Steuern, bedeutsam sind v. a. die Grundrechte der Steuerpflichtigen und das Rechtsstaatsprinzip. In den meisten Konkordaten und (Kirchen-)Verträgen mit dem Heiligen Stuhl und evangelischen Landeskirchen (beginnend mit den bayerischen von 1924), aber auch mit einigen jüdischen Gemeinden/Landesverbänden finden sich ebenfalls oft eingehende, diverse Details regelnde K.-Garantien, die sich somit auch die kirchlichen Vertragspartner zu eigen machen.

6. Staatlich- und kirchenrechtliche Grundlagen

Die K. ist ein Angebot des Staates an die Religionsgemeinschaften, ihre Grundlagen müssen daher in seinem Recht (K.-Gesetze) geregelt sein. Das Gesetzgebungsrecht liegt bei den Ländern (Art. 137 Abs. 6, 8 WRV/140 GG), doch erklären diese z. T. Bundesrecht für anwendbar (AO). Die Kirchen müssen Steuerarten und Steuersätze, ebenso weitere Details der Steuererhebung ordnen; dies geschieht v. a. in K.-Ordnungen und – meist zeitlich befristeten – K.-Beschlüssen der Diözesen und Landeskirchen. Sodann enthalten viele evangelische Kirchenverfassungen K.-Normen, anders als der – weltkirchlich orientierte – CIC, der ihr aber wegen can. 1263 nicht entgegensteht, zudem sieht can. 3 einen Vorrang des Konkordatsrechts vor.

7. Europarecht

Für die K. gilt Art. 17 Abs. 1 AEUV, nach dem die Union den Status, den Kirchen und religiöse Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, achtet und nicht beeinträchtigt. EU-Recht (Europarecht) ist daher so auszugestalten, dass die K. weiterhin ungeschmälert erhoben werden kann. Die K. verstößt nicht gegen die Religionsfreiheitsgarantie der EMRK. Der EGMR stellte fest, dass sie eine gesetzlich vorgesehene, einem legitimen Zweck dienende, verhältnismäßige Einschränkung dieses Rechts bilde, nachdem die Möglichkeit des Kirchenaustritts bestehe. Da es bzgl. der Art und Weise der Kirchenfinanzierung in den verschiedenen Mitgliedstaaten des Europarats keinen einheitlichen Ansatz gebe, dürfe diese in Übereinstimmung mit nationaler Geschichte und Traditionen geregelt werden.

8. Kirchensteuerberechtigte/-erhebende Religionsgemeinschaften

Nach Art. 137 Abs. 6 WRV sind alle Religionsgemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, berechtigt, K. zu erheben. Nur einige von ihnen nehmen diese Möglichkeit wahr, nämlich die evangelischen Landeskirchen, die katholischen Diözesen, die jüdischen Gemeinden/Landesverbände (Kultussteuer), die altkatholische Kirche und einige freireligiöse Gemeinden. Sie wird nicht von „der Religionsgemeinschaft“ erhoben, sondern teils von den (örtlichen) Gemeinden, teils von den Diözesen, Landeskirchen und Landesverbänden. Im evangelischen und katholischen Bereich kommt i. d. R. der Landes- oder Diözesan-K. ganz überragende Bedeutung zu, während Gemeinde-K. nur als ergänzendes Finanzierungsinstrument für die örtliche Ebene ausgestaltet sind. Die Gemeinden werden jedoch nach kirchengesetzlich vorgegebenem Verteilungsschlüssel am K.-Aufkommen beteiligt.

9. Kirchensteuervertretungen

Nur einzelne K.-Gesetze verlangen K.-Vertretungen bei den steuererhebenden Kirchen; sonst beruhen sie staatskirchenrechtlich auf Gewohnheitsrecht oder folgen aus Strukturprinzipien des Steuerrechts (Gesetzmäßigkeit der Besteuerung; no taxation without representation). Bei den evangelischen Landeskirchen sind dies die Synoden (die auch rechtsetzend tätig sind); in den katholischen Diözesen bestehen K.-Räte (die Bezeichnungen wechseln), die neben geborenen und berufenen meist mehrheitlich gewählte Mitglieder besitzen. Soweit auf der örtlichen Ebene K. erhoben wird, existieren auch dort K.-Vertretungen. Ihr Recht unterliegt kirchlicher Regelung.

10. Wichtige Merkmale der Kirchensteuer

10.1 Erhebungsformen

Alle K.-Gesetze sehen verschiedene K.-Arten vor, deren Zahl divergiert und von denen die Kirchen nur einige nutzen. Überall darf K. erhoben werden als Zuschlag zur Einkommensteuer (einschließlich LSt und Kapitalertragsteuer), oft auch als Zuschlag zur (derzeit nicht existierenden) Vermögensteuer, nach einem Prozentsatz der Meßbeträge der Grundsteuer oder nach Maßgabe des Einkommens (manchmal auch des Vermögens) aufgrund kircheneigener Tarife, selten nach Maßgabe des Einheitswerts des Grundbesitzes. Eine Besteuerungsgrundlage ohne Vorbild im staatlichen Bereich besitzt das Besondere Kirchgeld in glaubensverschiedener Ehe: Es knüpft (mittels eines Stufentarifs) an den sogenannten Lebensführungsaufwand an, nämlich die Möglichkeit, Geld über die Existenzsicherung hinaus ausgeben zu können, die der nichtkirchen- dem kirchenangehörigen Ehegatten vermittelt. In den meisten katholischen Diözesen und evangelischen Landeskirchen ist dominierend die Diözesan- oder Landes-K., der Orts-K. kommt daneben als Allgemeinem Kirchgeld (geringen Umfangs, v. a. nach Maßgabe des Einkommens bei grob gerastertem Tarif) nur ergänzende Bedeutung zu. Der Zuschlagsatz der – vom Aufkommen her überragend wichtigen – Kircheneinkommensteuer beträgt in Baden-Württemberg und Bayern 8 %, in den anderen Ländern 9 % der ESt-Schuld und wird von den Finanzämtern zusammen mit der ESt (einschließlich LSt und Kapitalertragsteuer) eingezogen (nur in Bayern besteht für die K. aufgrund der veranlagten ESt eine eigene kirchliche Steuerverwaltung). Da die Kirchen-LSt bei der lohnzahlenden Betriebsstätte erhoben und an die Kirchen abgeführt wird, Steuergläubiger aber die Diözese oder Kirche des Wohnorts ist, ist derzeit noch ein aufwendiger Ausgleichsvorgang erforderlich (Clearing).

10.2 Einschaltung der staatlichen Finanzverwaltung

Die Wendung in Art. 137 Abs. 6 WRV „sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten“ gemäß dem Landesrecht Steuern zu erheben, ist nicht eng zu verstehen. Sie meint vielmehr „mit Hilfe staatlicher Hoheitsgewalt“, so dass die Übertragung der Festsetzung, Einziehung und Durchsetzung der K. auf staatliche Finanzbehörden gegen einen – je nach Vereinbarung – pauschalen Kostenersatz in Höhe von 2–4 % des K.-Aufkommens, die weitestgehend Praxis ist, der Verfassung entspricht.

10.3 Verfassungsvorgaben

Die K. darf nur unter Achtung der Grundrechte der Steuerpflichtigen erhoben werden: Die Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1, 2 GG) verbietet, Nichtkirchenangehörige zu besteuern. Ein Kirchenaustritt muss die Steuerpflicht – sofort – beenden; aus abrechnungstechnischen Gründen dürfen für die Erhebung kurze Übergangsfristen gelten. Da K. als Jahressteuern ausgestaltet sind, ist nicht entscheidend, dass Einkünfte vor dem Kirchenaustritt zufließen, vielmehr sind die Gesamteinkünfte des Jahres zu zwölfteln und mit der Zahl der Mitgliedschaftsmonate zu multiplizieren. Gehört nur ein Ehegatte einer steuererhebenden Kirche an, dürfen nur in seiner Person gegebene Besteuerungsmerkmale Verwendung finden; doch kann ein (hohes) Einkommen seines Partners Auswirkungen auf seinen Lebensstandard haben, dies kann Grundlage einer Besteuerung bilden. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet eine willkürfreie, folgerichtige Besteuerung, die an der steuerlichen Leistungsfähigkeit orientiert sein muss. Die vielfach vorgesehene „Kappung“ der K. (oft auf Antrag) widerspricht dem nicht, weil sie nicht die Steuerschuld begrenzt, sondern nur den Anteil der K. am zu versteuernden Einkommen (und damit die Progression ausschaltet). Das Existenzminimum ist von Besteuerung frei zu halten. Aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgt die Gesetzmäßigkeit der Besteuerung, die alle wesentlichen Umstände der Besteuerung (auch Erlass etc.) erfasst, wobei die Regelung – je nach ihrer Natur – im staatlichen oder kirchlichen Recht erfolgen kann.

10.4 Rechtsschutz

Da K. mit Hilfe hoheitlicher Gewalt erhoben und durchgesetzt wird, muss bei ihr der Rechtsweg vor staatliche Gerichte eröffnet sein (Art. 19 Abs. 4 GG). Zuständig sind – landesrechtlich verschieden – teils die Finanz-, teils die Verwaltungsgerichte; aufgrund dessen existieren viele wichtige Judikate des BFH, des BVerwG, des BVerfG und inzwischen auch des EGMR. In außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren haben vereinzelt kirchliche Stellen zu entscheiden.