Persönlichkeitsrechte

1. Begriffliche Klärungen

Dem lakonischen Pluralbegriff „Persönlichkeitsrechte“ (P.e) fehlt die letzte juristische Präzision. Die Aufgabenstellung muss zudem von der Sache her näher konturiert werden. Ihr Gegenstand ist nicht die universale Bedeutung der Grundrechte von Personen überhaupt. Im Fokus steht vielmehr das von anderen Freiheitsrechten abzuhebende genuine Persönlichkeitsrecht (P.) von Grundrechtsträgern, dessen Gewicht aus der hier im Vordergrund stehenden deutschen Rechtsperspektive von der Würde des Menschen (Art. 1 GG) bestimmt wird. Im grundrechtsgeprägten Verfassungsstaat des GG findet das P. seine normative Realisierung in mehreren Gewährleistungen. Eine Mehrzahl von Grundrechten ist charakteristisch für die kompakte Materie. Selbst das grundrechtliche Hauptfreiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1, das als einzige Regelung ausdrücklich das „Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit“ herausstellt, teilt sich in – miteinander verzahnte – Varianten auf. Der bereichsspezifische Gehalt von Teilgewährleistungen in Nachbargrundrechten kommt hinzu. Außerdem ist nicht nur das nationale Verfassungsrecht (auch das der Länder) sozusagen „persönlichkeitsaffin“. Ebenfalls relevant sind dem deutschen Recht angehörende supranationale Garantien (EMRK, EuGRC), die z. T. eigene materielle und verfahrensrechtliche Wege gehen. Vor diesem komplexen Hintergrund sind mit dem Pluralbegriff „P.e“ am ehesten die unterschiedlichen normativen Dimensionen eines im Prinzip anerkannten P.s zu verstehen. Es tritt vornehmlich in den Freiheitsrechten des GG in Erscheinung, auf die sich diese Darstellung im Folgenden beschränkt. Differenzierungen und Spezifizierungen sind unvermeidlich. Der Regress auf den allgemeinen personalen Zug, der fast jedem Freiheitsrecht zu eigen ist, genügt nicht. Zwar steht außer Streit, dass der Schutz der natürlichen Person die causa principalis der Grundrechtsidee ist. Auch für die Implementierung der juristischen Person, die Art. 19 Abs. 3 mit Grundrechtsschutz ausstattet, wird mit dem Durchgriff oder Durchblick auf natürliche Personen operiert. Das sind indes nur die üblichen vorgreiflichen Bausteine der Grundrechtsdogmatik. Die hier relevante Hauptfrage betrifft zu allererst den Schutz von spezifischen Elementen der mit Menschenwürde ausgestatteten Person. Die Antwort gibt Art. 2 Abs. 1, der zugleich die Aufgabe einschließt, die notwendige Abgrenzung gegenüber weiteren verwandten Aussagen des GG zum Anliegen eines lückenlosen Schutzes der Person herzustellen. Zwei prinzipielle Grundrechtsfiguren sind zu unterscheiden. Das Hauptaugenmerk gilt dem allgemeinen P. (aPr.). Im Anschluss ist die nicht minder bedeutsame Komplementärfigur der allgemeinen Handlungsfreiheit (aHf.) zu behandeln.

2. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht

Die grundrechtliche Gewährleistung fußt auf Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 (BVerfGE 141,201).

a) Ihre Funktion im Gefüge der Grundrechtsgewährleistungen bestimmt das BVerfG wie folgt: Sie ergänzt als „unbenanntes“ Freiheitsrecht die speziellen („benannten“) Freiheitsrechte des GG, die ebenfalls konstituierende Elemente der Person schützen. Ihre Aufgabe ist es, Grundbedingungen dafür zu sichern, dass die einzelne Person ihre Individualität selbstbestimmt entwickeln und wahren kann (BVerfGE 117,225). Bei Art. 2 Abs. 1 kommt die Hinzuziehung von Art. 1 als oberstem Konstitutionsprinzip (BVerfGE 95,241) nicht von ungefähr. In dieser Schutzfunktion erweist sich Art. 2 Abs. 1 als supplementäres und subsidiäres Generalfreiheitsrecht (Rupert Scholz). Was ist mit subsidiär gemeint? Ist ein konstituierendes Element der selbstbestimmten Person bereits vollumfänglich Gegenstand einer besonderen (benannten) Freiheitsgarantie des GG – z. B. das Briefgeheimnis durch Art. 10 oder das Recht auf räumliche Privatheit durch Art. 13 –, hat dieses spezielle Freiheitsrecht Vorrang. Eines Rückgriffs auf das aPr. des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 bedarf es dann nicht. Erfolgt der Schutz dagegen durch das bes. Freiheitsrecht nur partiell – Beispiel: eine Person hält sich nur zufällig in der durch Art. 13 bes. geschützten Wohnung auf –, kommt supplementär das aPr. des Art. 2 Abs. 1 zum Tragen. Eine Grundrechtskumulation des aPr. aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 kommt mit Art. 2 Abs. 2 S. 1 in Betracht (BVerfGE 142,339).

b) Das aPr. ist ein unbestimmter Sammelbegriff, dessen Inhalt und Umfang sich nicht mittels einer handlichen Kurzformel ermitteln lassen. Beides bedarf der Konkretisierung. Die dafür notwendigen Prämissen operieren mit erhabenen ethischen Vorgaben: Schutz des eigenen persönlichen Lebensbereichs und Erhaltung seiner Grundbedingungen sowie Sicherung eines jedem Einzelnen zustehenden autonomen Bereichs privater Lebensgestaltung. Durchweg positiv konnotierte verbale Sympathieträger dominieren: personale Autonomie, Selbstbestimmung, Selbstverantwortung, Selbstverständnis, Individualität, Integrität, personale und soziale Identität, Intimsphäre. Sprachliche Eleganz kennzeichnet den Befund, dass jeder die Befugnis haben muss, seinen sozialen Geltungsanspruch selbst zu definieren (BVerfGE 54,155). Solche abstrakten Vorgaben sind auf die nüchterne Umsetzung durch richterliche Subtatbestände und Fallgruppen angewiesen. Sie gibt es.

aa) Die imponierende Subsumtionsleistung hat die dritte Gewalt erbracht; frühzeitig die Fachgerichtsbarkeit, später meist im Verbund mit dem die Schlussentscheidung verantwortenden BVerfG. Relativ frühe Beispielsfälle betrafen das Recht am eigenen Bild und am eigenen Wort. In jüngerer Zeit kamen – auch hier beispielhaft, nicht abschließend – die Kopfbedeckungspflicht (BVerfGE 138,296) sowie das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung (BVerfGE 141,202) hinzu. Letzteres wird bis zu einem gewissen Grade konterkariert vom Recht auf Nichtwissen der eigenen genetischen Veranlagung.

bb) Das aPr. wurde von der Rechtsprechung kontinuierlich präzisiert und den geänderten menschlichen und sozialen Notwendigkeiten angepasst. Eine Reihe von Entscheidungen steht in bes. signifikanter Weise stellvertretend für diese Rechtsfortbildung. Im schon legendären Mephistoverfahren (BVerfGE 30,173) wurde die postmortale Komponente des aPr. anerkannt: Das aPr. des schon länger verstorbenen Schauspielers Gustaf Gründgens wurde von der Rechtsprechung als so eindrucksvoll angesehen, dass ein als ehrverletzend eingeschätztes Buch des (auch schon aus dem Leben geschiedenen) Autors Klaus Mann verboten werden durfte; dies, obwohl das literarische Produkt seinerseits unter dem Schutz der vorbehaltlosen Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 1) stand. Mehr Lebensnähe als dieser Streit aus dem Reich der Toten kennzeichnete den Lebach-Fall (BVerfGE 35,202): Rechtskräftig wegen eines Tötungsdelikts verurteilte und noch einsitzende Straftäter beriefen sich erfolgreich auf ihr Resozialisierungsrecht, das sie durch eine geplante Fernsehsendung des ZDF über die Straftat gefährdet sahen; und dies, obgleich die Sendetätigkeit einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt ihrerseits den Schutz der Rundfunkfreiheit genießt (Art. 5 Abs. 1 S. 2). Eine Fallgruppe, die sich bes. durch problemorientierte Differenzierung auszeichnet, betrifft den Rechtsschutz von Personen der Zeitgeschichte gegenüber dem Informationsanliegen der grundrechtsgeschützten Medien: Bei Eingriffen der Medien in die Sozialsphäre einer Person reicht der Schutz des aPr. weniger weit als in Fällen der Betroffenheit gar der Intim- und Privatsphäre. Ein beträchtliches Potential von aPr.-Schutz steckt bezeichnenderweise immer schon in dem etwas altmodisch anmutenden Rechtsgut der persönlichen Ehre: Es gehört immerhin zur Schrankentrias des Art. 5 Abs. 2 und setzt den Mediengrundrechten des Art. 5 Abs. 1 Grenzen.

cc) Thematische Überzeichnungen oder inhaltliche Überlastungen der Figur des aPr. fanden nicht statt. Bezeichnenderweise wird das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht auf das aPr. gestützt. Verfassungsrechtliche Legitimationsgrundlage sind vielmehr Art. 1 Abs. 1 und das Sozialstaatsprinzip (Sozialstaat) des Art. 20 Abs. 1 (BVerfGE 137,72). Verschränkungen beider Denkansätze sind freilich nicht ausgeschlossen (BVerfGE 140,137).

c) Ein instruktives Beispiel für die juristische Karriere des aPr.s bildet dessen bereichsspezifische Weiterentwicklung zum Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.

aa) Die Initialzündung durch das BVerfG schon im Volksbefragungsurteil (BVerfGE 65,1) trug den Gefährdungen und Verletzungen der Persönlichkeit Rechnung, die sich unter den Bedingungen moderner Datenverarbeitungen aus informationsbezogenen Maßnahmen ergeben (BVerfGE 130,183). Die Bezeichnung informationelle Selbstbestimmung klang zu Anfang holprig und ungelenk, wobei man sich namentlich am schiefen Wort „informationell“ stieß; im Unterschied dazu erschien Selbstbestimmung weniger negativ besetzt. Die sprachästhetische Kritik dient z. T. noch heute dazu, das mit der Figur verbundene Sachanliegen zu diskreditieren. Methodisch wird dem BVerfG v. a. bei passender Gelegenheit eine Art Grundrechtserfindung vorgehalten. Solche Einwände sind falsch. In der Sache dient die Grundrechtsfigur der informationellen Selbstbestimmung der materiellen und prozessualen Realisierung des Datenschutzes, der zu Zeiten des Volkszählungsurteils (BVerfGE 65,1) noch nicht im Zentrum der Zivilgesellschaft angekommen war und als Begriff nicht jene schon dramatische Plastizität aufwies, die ihn heute kennzeichnet. Datenschutz war (und ist auch heute) zwar nicht nominell im Grundrechtskatalog des GG ausgeflaggt. Der Text erwähnt ihn nicht. Er war aber schon von Anfang an eine Teilaussage und damit eine Komponente des aPr.s, das Abwehr auch gegenüber dem Informationszugriff des Staates gewährleistet. Um eine schiere Grundrechtserfindung handelt es sich dabei gerade nicht. Vielmehr geht es um eine thematische Anreicherung der Abwehrkraft des P.s als zeitbedingte Folge neuer Gefährdungen. Diese Rechtsfortbildungskraft ist immanenter Bestandteil der Grundrechtsgarantien, die sich nicht in der Effizienz einer Momentaufnahme aus der Mitte des letzten Jahrhunderts erschöpfen. Der Schutzbereich des aPr.s nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 ist nicht abschließend bestimmbar, sondern gerade für bisher unbekannte Persönlichkeitsgefahren offen (BVerfGE 95,241). Einer Verfassungsänderung bedurfte es nicht, auch keiner textlichen Klarstellung. Entsprechendes gilt für die prozessuale Aktivierung des aPr.s durch die grundrechtsbewehrte Verfassungsbeschwerde, die nur die verfahrensrechtliche Komplementärnorm zur materiellen Grundrechtseffektivität darstellt. Die zeitlich nachfolgende Anreicherung des Grundrechts der informationellen Selbstbestimmung um den Schutz der Vertraulichkeit der Daten informationstechnischer Systeme sowie deren Integrität gegenüber einer Nutzung durch Dritte (BVerfGE 120,314) ist im Zeitalter der Digitalisierung nur konsequent. Die laxe gedankenlose Sprache vom „Computergrundrecht“ verzeichnet das Schutzanliegen nur. In Rede steht kein Vorgriff auf die Begründung einer absurden Grundrechtsträgerschaft von Maschinen und/oder von künstlichen technischen Kreationen oder gar – horribile dictu – artifiziellen Kreaturen.

bb) Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gründet sich nicht nur auf Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1. Das datenschutzrechtliche Anliegen kann in anderen, meist besonderen (benannten) Grundrechten des GG für eine bestimmte Spezies von Grundrechtsträgern einschlägig sein und dann Vorrang haben. Für diese Sichtweise spricht, dass auch die speziellen Freiheitsrechte entwicklungsoffene Lapidarformeln sind und ihre aktuelle Anpassungskraft entfalten müssen. Von daher formuliert das BVerfG zu Recht lakonisch: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung tritt hinter Art. 12 Abs. 1 zurück, weil und wenn der Schutz von Unternehmen (Marktteilnehmern) von der sachlich speziellen Grundrechtnorm des Art. 12 Abs. 1 vollständig erfasst wird (BVerfGE 148,63). Das gilt auch für juristische Personen des Privatrechts.

d) Das aPr. ist nicht das Exklusivrecht allein der natürlichen Person. Es steht in bestimmten Konstellationen auch juristischen Personen zu (Art. 19 Abs. 3); dann allerdings ohne Bezugnahme auf Art. 1, der wesensmäßig nur dem Menschen zugute kommt, nicht einem Zweckgebilde der Rechtsordnung, das kein geborener Grundrechtsträger sein kann.

aa) Für eine Berufung auf ein aPr. kommen Vereinigungen mehr ideellen oder politischen Zuschnitts infrage. Bei ihnen können dann auch die Sondergrundrechte der Art. 4, 8 oder 9 einschlägig sein (nicht aber Art. 21, der kein Grundrecht darstellt). Art. 2 Abs. 1 tritt dann zurück. Kommerzielle Unternehmen genießen Datenschutz und damit allemal das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung.

bb) Kompliziert gestaltet sich die Lage bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Sie können sich ohnehin nur dann auf Grundrechte berufen, wenn sie sich in einer grundrechtstypischen Gefährdungslage befinden. Die „Ausnahmetrias“ betrifft Religionsgesellschaften (Kirchen), Universitäten und Rundfunkanstalten. In diesem Rahmen genießen sie auch Namens- und Datenschutz schon als Partikel jenes Grundrechts, das ihre Grundrechtsträgerschaft eröffnet und begrenzt. Zu diesem Schutzbereich gehört nicht das Recht, sich keiner Straftat bezichtigen zu müssen (BVerfGE 95,242).

cc) Eindeutig verhält es sich beim Staat selbst. Er ist zwar seit Eduard Albrechts berühmter Rezension aus dem Jahre 1837 juristische Person. Im grundrechtsgeprägten Verfassungsstaat ist er indes als Hoheitsträger an die Grundrechte Privater, zu denen auch das aPr. gehört, gebunden (Art. 1 Abs. 3). Er ist nicht deren Destinatär. Auch als Teilnehmer an der „Kommunikation“ mit dem Bürger handelt er als Kompetenzträger, nicht als Grundrechtsinhaber.

e) Das aPr. ist nicht schrankenlos gewährleistet. Es ist wie jedes andere Freiheitsrecht an die Rechtsordnung gebunden.

aa) Bei Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 sind es die dort als Schranken angeführten Rechte anderer, das Sittengesetz und die verfassungsmäßige Ordnung. Als verfassungsmäßige Ordnung gilt die Gesamtheit aller formell und materiell mit dem GG vereinbarten Rechtsvorschriften. Die Heranziehung des Übermaßverbots, das auch den Gesetzgeber bindet, verhindert eine Geltung des aPr.s nach Maßgabe der einfachen Gesetze. Das einfache Recht ist vielmehr interpretationsleitend nach Maßgabe der Verfassung zu handhaben (Wechselwirkungsgrundsatz). Ist für das aPr. ein („benanntes“) Sondergrundrecht einschlägig, gelten die dortigen Schrankenregelungen. Bei vorbehaltslos gewährleisteten, d. h. eigentlich uneinschränkbaren Grundrechten ergibt sich die Begrenzung aus kollidierenden Grundrechten Dritter und anderen mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtswerten (st. Rspr. seit BVerfGE 28,243).

bb) Begrenzende Gegenrechte des aPr. können also auch kollidierende Freiheitsrechte Dritter sein. Auf keinen Fall kommt einem der in Frage stehenden Freiheitsrechte ein apriorischer Vorrang zu, auch nicht dem aPr. Im Verfassungsstaat als einem Staat der Gleichen (Paul Kirchhof) kann es keine abstrakte Rangordnung oder Hierarchie der Grundrechte geben. Der konkrete Konflikt ist durch Güterabwägung nach dem Prinzip praktischer Konkordanz (Peter Lerche) zu lösen. Das aPr. ist nicht abwägungsresistent. Die Abwägung kann als Konsequenz der notwendigen Einzelfallentscheidung auch zu Lasten des aPr.s ausfallen.

f) Das aPr. ist auch nicht eingriffsresistent. Der Staat darf selbst schwerwiegende Grundrechtseingriffe vornehmen; vorausgesetzt, dem Erfordernis des Vorbehalts des Gesetzes und des Prinzips der Verhältnismäßigkeit wird entsprochen.

aa) Ein instruktives Beispiel stellt die medizinische Zwangsbehandlung krankheitsbedingt Untergebrachter dar (BVerfGE 146,310). Grundsätzlich greift jede Zwangsbehandlung in das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit ein. Der Mensch ist prinzipiell frei, über Eingriffe in seine körperliche Integrität und über den Umgang mit seiner Gesundheit nach eigenem Gutdünken zu entscheiden. Diese Freiheit ist durch das aPr. geschützt (BVerfGE 142,339). Die grundrechtlich geschützte Freiheit schließt auch die „Freiheit zur Krankheit“ ein. Selbst wenn der Betroffene krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, die Notwendigkeit einer ärztlichen Maßnahme zu erkennen, bleibt ein etwaiger natürlicher Wille Ausdruck seines durch das aPr. geschützten Selbstbestimmungsrechts. Allerdings darf – gestützt auf Art. 2 Abs. 2 – der Staat auch gegen den erkennbaren Willen Maßnahmen zum Schutz vor schwerwiegenden Gefährdungen ergreifen. Es besteht ein qualifizierter Gesetzesvorbehalt (BVerfGE 128,311).

bb) Vom besonderen legitimationsbedürftigen Grundrechtseingriff in das aPr. zu unterscheiden ist die bloße Grundrechtsausgestaltung des Gesetzgebers in Bereichen, die das aPr. lediglich berühren. Das kann als Folge der von vornherein ausgestaltungsbedürftigen Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2) der Fall sein (BVerfGE 95,237), wenn es um das Berufsbild des privaten Rundfunkveranstalters geht. Die gesetzliche Prägung von Berufsbildern ist auch bei Art. 12 Abs. 1 geläufig (BVerfGE 13,106).

g) Das aPr. genießt im Rechtsstaat des GG effektiven gerichtlichen Schutz. Seine Realisierung ist nicht allein eine Angelegenheit erst des BVerfG. Die gerichtliche Kontrolle ist in erster Linie Aufgabe der das einfache Recht im Lichte der Verfassung auslegenden Fachgerichte (BVerfGE 138,331). Den gerichtlichen Zugang sichern der allgemeine Justizgewährungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 und der bes. Justizgewährungsanspruch aus Art. 19 Abs. 4. Das BVerfG als Hüter der Verfassung kommt im Rahmen seiner enumerativen Zuständigkeiten zum Zuge. Hat schon der Gesetzgeber möglicherweise das aPr. verletzt, sind beim BVerfG antragsabhängige Normenkontrollverfahren denkbar, in denen das fragliche Gesetz überprüft und ggf. für verfassungswidrig erklärt werden kann. Haben Fachgerichte das aPr. falsch bewertet, kann die betroffene Partei nach Rechtswegerschöpfung eine Urteils-Verfassungsbeschwerde zum BVerfG erheben (§ 90 BVerfGG).

3. Die allgemeine Handlungsfreiheit

a) Das Grundrecht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit umfasst neben dem aPr. auch die aHf. (BVerfGE 141,201). Für diese Tatbestandsvariante findet anders als beim aPr. keine Anbindung an Art. 1 Abs. 1 statt. Immerhin geht es auch bei der auf Art. 2 Abs. 1 gestützten aHf. um ein Recht der Persönlichkeit. Beim Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 handelt es sich also um ein Doppelgrundrecht oder um ein Grundrecht mit zwei Teilgewährleistungen, die sich zwar in Randbereichen inhaltlich überlappen (können), aber jedenfalls nicht identisch sind. Was bringt nun die aHf., was das aPr. nicht hat? Die Antwort könnte sein: Art. 2 Abs. 1 ist in seiner Gesamtheit das materielle Hauptfreiheitsrecht. Es dient dem Prinzip der Lückenlosigkeit des Grundrechtsschutzes, das auch in Art. 1 Abs. 3 zum Ausdruck kommt. Wenn ein kapitaler Teil dieses gemeinsamen Anliegens schon vom aPr. getragen wird, müssen für die aHf. inhaltliche Schutzfunktionen bestehen, die das aPr. allein nicht erfüllen kann. Solche lückenfüllenden Schutzfunktionen treten in verschiedenen Konstellationen in Erscheinung.

b) Zu allererst geht es um die Ergänzung des als defizitär erkannten Grundrechtskatalogs. Wenn und soweit die Spezialgrundrechte thematische Freiheitsbereiche nicht erfassen, greift das Auffanggrundrecht des Art. 2 Abs. 1 ein. Klassischer Fall ist die Ausreisefreiheit. Da Art. 11 mit der dort gewährleisteten Freizügigkeit nur den „freien Zug“ im Bundesgebiet meint, fällt die Ausreisefreiheit unter die lex generalis des Art. 2 Abs. 1 (BVerfGE 6,32).

c) Ein anderer Aspekt betrifft die inhaltliche Qualität der Freiheitsentfaltung.

aa) Die aHf. ist nicht nur auf edle und elitäre Emanationen des autonomen Persönlichkeitskerns bezogen. Der Schutzbereich spart keinesfalls (scheinbar) triviale, banale oder profane Aktivitäten aus. Auch das Autofahren, das Reiten im Walde und das Trinken von Alkohol (Recht auf Rausch?) werden von der Freiheit des Einzelnen zur Beliebigkeit, ja zur Willkür (!) geschützt. Jedermann kann eben im Rahmen der Gesetze tun und lassen, was er will, so hieß einmal eine frühe Fassung des späteren Art. 2. Die aHf. verkommt damit nicht zur Resterampe des dritten Standes. Dem Staat ist schlicht der Gegenbeweis der Belanglosigkeit verwehrt.

bb) Natürlich hat die freie Fahrt des freien Bürgers keinen Ewigkeitswert. Der Staat darf auf Grund des Schrankenvorbehalts Einschnitte vornehmen, also auch massive Geschwindigkeitsbeschränkungen anordnen. Die Überlegung liegt nahe, es handele sich dann doch nur um ein bloßes Schattengefecht, wenn zwar jedes noch so triviale Verhalten dem freiheitsrechtlichen Schutzbereich zugerechnet wird, die Freiheit dann aber über den Schrankenvorbehalt kräftig minimiert wird. Ein solcher Einwand trägt nicht. Immerhin handelt es sich auch beim gemeinwohlverträglichen Fahrverbot um einen Grundrechtseingriff, für den sich der Staat nach der Kleiderordnung des rechtsstaatlichen Verteilungsprinzips rechtfertigen muss (Verhältnismäßigkeitsprinzip!).

d) Lückenlosigkeit des Grundrechtsschutzes bedeutet andererseits nicht, dass jedwedes Verhalten und jede Aktivität dem Schutzbereich äußerstenfalls des Art. 2 Abs. 1 zugeordnet werden müsste. Tatbestandssperren und Regressverbote bestehen schon.

aa) Das Verbot eines bestimmten Verhaltens durch den einfachen Gesetzgeber genügt für die Verneinung schon des Schutzbereichs nicht; auch nicht die Sanktionierung des Verbots durch Strafgesetz. Es ist ja gerade die Frage, ob Verbot und Sanktionierung überhaupt durch Gesetz zulässig sind (Stichwort: Rauchverbot). Auch bei Art. 12 Abs.1 darf der Schutz nicht von vornherein nur auf erlaubte Tätigkeiten bezogen sein (BVerfGE 7,397). Anders verhält es sich bei Tätigkeiten, die schon ihrem Wesen nach als verboten anzusehen sind, weil sie aufgrund ihrer Sozial- und Gemeinschaftsschädlichkeit schlechthin nicht am Schutz durch Grundrechte teilhaben können. Solchen Aktivitäten ist schon der Schutzbereich eines Grundrechts versagt (BVerfGE 115,300). Das Schrifttum benennt exemplarisch als Fall menschen- und sozialfeindlichen Individualverhaltens Menschenhandel, Kindesmissbrauch, Kannibalismus. Der diese Exzesse treffende Tatbestandsausschluss bezieht sich nicht nur auf ein Spezialgrundrecht. Er beinhaltet auch ein Regressverbot auf den Auffangtatbestand des Art. 2 Abs. 1.

bb) Die Überlegungen sind für andere Fälle eines möglichen Regressverbots auf Art. 2 Abs. 1 einschlägig. Unfriedliche oder bewaffnete Versammlungen sind durch die tatbestandlichen Grenzen des Art. 8 Abs. 1 nicht nur vom Schutz dieses Grundrechts, sondern vom Grundrechtsschutz überhaupt ausgeschlossen. Das Verbot lässt keinen Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 in dessen Funktion als Auffangtatbestand zu. Nicht ganz so eindeutig liegt es bei der Lüge; also bei einer bewusst unwahren Tatsachenäußerung. Wenn Art. 5 Abs. 1 S. 1 bestimmte falsche Tatsachenbehauptungen als historisch widerlegt und evident sozialschädlich vom grundrechtlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit ausnimmt (BVerfGE 90,249), kommt auch ein Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 nicht in Frage.

e) Art. 2 Abs. 1 in der Sicht des BVerfG (BVerfGE 6,37) hat die Einsicht dafür geschaffen, dass ein kompetenzwidriges Gesetz mit Eingriffscharakter zugleich einen Grundrechtsverstoß darstellt. Dem liegt die Prämisse zugrunde, dass Art. 2 Abs. 1 oder ein Spezialfreiheitsrecht (BVerfGE 24,400) das Grundrecht des Bürgers enthält, nur aufgrund solcher Vorschriften mit einem Nachteil belastet zu werden, der formell und materiell der Verfassung gemäß ist, und dass schon der Kompetenzverstoß die Grundrechtsverletzung begründet. Der Bürger muss nur Grundrechtseingriffe dulden, die auf verfassungsgemäßen Gesetzen beruhen. Ist das nicht der Fall, darf er gegen die ihn belastende Maßnahme gerichtlich vorgehen; äußerstenfalls Verfassungsbeschwerde erheben. Damit nimmt er sein Grundrecht der Eingriffsfreiheit, genauer sein Grundrecht auf Freiheit von ungesetzlichem Zwang wahr (BVerfGE 139,347). Der Bürger mutiert damit nicht zum störenden Popularkläger.

4. Fazit

Das allgemeine P. und die allgemeine Handlungsfreiheit sind als ambivalente Grundrechtsfiguren in Art. 2 Abs. 1 Beleg für die notwendige Multifunktionalität der Grundrechte im Verfassungsstaat des GG.