Postmoderne

Die Debatte um P. und Moderne wurde v. a. in den 70er und 80er Jahren des 20. Jh. heftig geführt. Im Zentrum standen Architektur und Philosophie. Charles Jencks war von 1975 an der maßgebliche Propagator der P. in der Architektur. Die philosophische P.-Diskussion begann 1979 mit Jean-François Lyotards Schrift „La Condition postmoderne“ (in der deutschen Version unter dem Titel „Das postmoderne Wissen“ [1986] erschienen). Der moderne Wissenstypus hatte auf eine „Meta-Erzählung“ gezielt, d. h. auf eine Gesamtidee, welche sämtliches Einzelwissen umfassen und auf ein politisches und soziales Ziel ausrichten sollte. Inzwischen aber sind die modernen Meta-Erzählungen – Emanzipation durch Wissenschaft in der Aufklärung, Teleologie des Geistes im Idealismus, Befreiung der Menschheit durch proletarische Revolution im Marxismus, Beglückung aller durch Reichtum im Kapitalismus – allesamt unglaubwürdig geworden: „In äußerster Vereinfachung kann man sagen: ‚Postmoderne‘ bedeutet, dass man den Meta-Erzählungen keinen Glauben mehr schenkt“ (Lyotard 1986: 7). Diese neue Sichtweise entspricht den grundlegenden Revisionen, welche das Wissen im 20. Jh. von Seiten der Wissenschaft erfahren hatte (Unbestimmtheitstheorem der Quantenphysik, Relativitätstheorie, Gödelscher Unvollständigkeitssatz). Den neuen Wissenstypus, der nicht mehr auf Einheit, sondern auf Pluralität und Unabschließbarkeit setzt, bezeichnet J.-F. Lyotard als postmodern. Der philosophischen P. geht es also nicht um ein Abrücken von den Errungenschaften des 20. Jh. (um Anti-Modernismus), sondern umgekehrt um die Realisierung avancierter Tendenzen der Moderne. Und nicht nur die wissenschaftlichen, sondern auch die künstlerischen Avantgarden des frühen 20. Jh. zielten J.-F. Lyotard zufolge auf die Sprengung der alt-modernen Totalitätshoffnungen: „Was seit einem Jahrhundert in der Malerei oder in der Musik geschehen ist, antizipiert gewissermaßen die Postmoderne, die ich meine“ (Lyotard u. a. 1985: 38). Die P. beginnt, wo die Sehnsucht nach dem Einen und Ganzen der Anerkennung des Vielen Platz macht.

Während die P. im Blick auf architektonische und gesellschaftliche Tendenzen zunehmend mit Eklektizismus, Nostalgie und Beliebigkeit gleichgesetzt wurde, plädierte J.-F. Lyotard gegen derlei konsumistische und relativistische Tendenzen für eine „achtenswerte Postmoderne“ (Lyotard 1987: 11). Zentral war für ihn das Motiv des „Widerstreits“ (Lyotard 1987) zwischen unterschiedlichen Lebensformen, Handlungslogiken oder Weltsichten. Für gewöhnlich wird, was in Wahrheit ein Widerstreit (ein Dissens aufgrund verschiedener Grundüberzeugungen) ist, als bloßer Konflikt (als Meinungsunterschied auf gemeinsamer Basis) angesehen und dann nach den Regeln der dominierenden Lebensform bzw. Diskursart entschieden. Dadurch aber wird die andere Partei zum Opfer der Unformulierbarkeit ihrer Ansprüche innerhalb des vorherrschenden Diskurses. Dagegen gilt es, Sensibilität für Widerstreitsphänomene zu entwickeln und Hegemonieanmaßungen einzelner Lebensformen bzw. Diskursarten entgegenzutreten. Darin sah J.-F. Lyotard die Aufgabe einer postmodernen Literatur, Philosophie und Politik.

Als weitere Vertreter einer philosophischen P. gelten Jacques Derrida, Michel Foucault, Gilles Deleuze, Jean Baudrillard und Gianni Vattimo.

J. Derrida stellte den herkömmlichen Glauben an die Substantialität des Sinns infrage. Sinn ist nie gänzlich präsent, sondern immer unerfüllt, aufgeschoben, verzweigt. Nichts hat einfach aus sich Sinn, sondern immer nur als ein Kreuzungspunkt in mannigfachen und vielschichtigen Verzweigungen. J. Derrida, der in Seminaren und Gesprächen einer der glasklarsten Denker war, neigte im öffentlichen Auftritt zu Mäandern und Hyperbeln – was ihm den Ruf eintrug, eher ein Schamane als ein Vertreter von Rationalität zu sein. Da half alle Versicherung J. Derridas nichts, dass seine Kritik an Vernunft (Vernunft – Verstand) keine Tendenz zu Irrationalismus bedeute, sondern das uralte Geschäft der Philosophie aufnehme, scheinbare Selbstverständlichkeiten und Erkenntnisstände kritisch zu befragen. J. Derrida blieb für die Verteidiger der Moderne eine Reizfigur, auf die sie ihre Irrationalismusvorwürfe gegen die P. projizierten.

M. Foucault, der schon 1966 durch seine These, dass die alles auf den Menschen beziehende Wissensform der Moderne verfehlt sei und ihrem Ende entgegengehe, größte Aufmerksamkeit gewonnen hatte, erlangte bleibende Wirksamkeit (insb. in den Human- und Kulturwissenschaften) durch seine Mahnung, dass das Wissen nicht eo ipso der Macht entgegengesetzt ist, sondern selber eine Machtstrategie darstellt. Das führte ihn zu pessimistischen Einschätzungen: „Heute […] gibt es zum ersten Mal auf der Welt nicht einen einzigen Punkt, durch den das Licht einer Hoffnung scheinen könnte. Es gibt keine Orientierung mehr“ (Foucault 1977: 67). Auch eine solch fundamentale Desorientierung gehörte zur P.

G. Deleuze griff ähnlich wie J. Derrida die Kategorie des Sinns an. Sinn steht ihm zufolge immer in einer Beziehung zu Nicht-Sinn, wobei der Nicht-Sinn nicht einfach ein Gegenphänomen zu Sinn, sondern ein sinnvorgängiges Moment darstellt, das sich der Abwesenheit von Sinn widersetzt und so Sinnstiftungen hervorruft. Mitte der 70er Jahre entwickelte G. Deleuze unter dem Bild des „Rhizome“ (Deleuze/Guattari 1976) zusammen mit Félix Guattari das Modell einer neuen, zeitgenössischen Ontologie. Ein Rhizom bringt in seiner Ausbreitung ständig neue Differenzierungen hervor, die jedoch zugleich miteinander verbunden bleiben. So bietet es ein Modell dafür, wie man Vielheit und Einheit zusammenbringen kann. Es eröffnet einen Mittelweg zwischen der Skylla bloßer Einheit (Standard-Moderne) und der Charybdis bloßer Vielheit (Vulgär-P.).

J. Baudrillard wurde v. a. durch seine Theorie der Simulation bekannt. Demnach sind die Zeichen heute referenzlos geworden, sie bilden nicht mehr eine unabhängig bestehende Wirklichkeit ab, sondern die Wirklichkeit ist mit ihnen verschmolzen. Diese von Künstlichkeit durchzogene Wirklichkeit bezeichnet J. Baudrillard als „Hyperrealität“ (Baudrillard 1982: 112). Sie betrifft sowohl den Alltag als auch die Ökonomie und die Medien. Die postmoderne Welt der Simulation kennt keine eigentliche Realität mehr.

G. Vattimo vertrat die These, dass eine schwache Vernunft – eine nicht mehr einheitlich-starke, sondern in viele Einzelformen auseinandergetretene Vernunft – mehr Freiheit ermöglicht als eine starke Vernunftform, die sich immer an der Grenze zum Totalitären (Totalitarismus) bewegt. Historisch sei ein solcher Schwächungsprozess in Philosophie, Religion und Kunst, aber auch in den Sphären von Recht und Moral festzustellen. Ein schwaches, vielheitsfähiges Subjekt ist das zeitgemäßere in einer Epoche, wo die Moderne selbst sich zunehmend auflöst („Ende der Moderne“, Vattimo 1990).

Gemeinsam war den P.-Vertretern die Kritik an den allzu simplistischen Rationalitätsnormen und -berufungen von Apologeten der Moderne. Während die Rezeption der Postmodernisten in Europa auf enge Kreise beschränkt war, erlangten sie in den USA zunehmende Popularität und wurden in der Folge zu weltweiten Stars. Zunehmend stand „P.“ nicht mehr nur für neuere Tendenzen in Literatur, Architektur und Philosophie, sondern ebenso in Soziologie, Anthropologie, Ökonomie, Historie, Psychiatrie, Pädagogik und Theologie. Die Vokabel reüssierte zu einem zentralen Terminus des zeitgenössischen Selbstverständnisses.

Die deutsche Kritik war heftig. Jürgen Habermas erhob Vorwürfe des Irrationalismus und Konservatismus, und Manfred Frank schreckte selbst vor Parallelisierungen mit dem Nationalsozialismus nicht zurück. Die französischen Autoren monierten umgekehrt, dass ihre deutschen Opponenten eine antiquierte Auffassung von Moderne und Rationalität verträten und insgeheim totalitären Tendenzen zuneigten. Eine Vermittlung zwischen Moderne und P. schlug Wolfgang Welsch 1987 („Unsere postmoderne Moderne“) vor: die P. sei keine Anti-Moderne, sondern die zeitgenössisch fällige Form der Moderne; sie gebe genau die Veränderungspotenziale an die Hand, derer die Moderne inzwischen gegen ihre eigenen Erstarrungstendenzen bedürfe.

Mittlerweile ist der damals erbittert und z. T. allzu polemisch geführte Streit abgeebbt. Die Modernisten interpretieren die Moderne inzwischen selbst weitgehend anhand postmoderner Kategorien wie Pluralität, Komplexität und Widerstreit. Die Moderne hat sich ihr postmodernes Gewand zu eigen gemacht.

Im 21. Jh. wurde die Frage aufgenommen, wie denn – wenn die P. nur die Aktualform der Moderne war – ein tatsächliches Hinausgehen über die Denkform der Moderne möglich wäre. Dazu müsste der für die Moderne typische Dualismus von Mensch und Welt überwunden werden. C. Jencks wurde erneut zum Wegweiser eines neuen, diesmal holistischen Paradigmas für die Architektur: „Es geht um eine neue Weltanschauung, die Natur und Kultur gleichermaßen in der Geschichte des Universums verwurzelt sieht“ (Jencks 2003: 37). Vor dem Hintergrund neuerer Diskussionen hat W. Welsch philosophisch dargelegt, wie die über die Denkweise der Moderne hinausführende genuine Verbundenheit von Mensch und Welt im Licht der Evolution begreiflich wird (Welsch 2012 und 2015).