Rechtsprechung

Die R. gehört zu den konstituierenden rechtsstaatlichen Funktionen des gewaltenteiligen, föderativen Verfassungsstaates des GG mit seinen supranationalen Implikationen. Der Rechtsbegriff R. löst eine Reihe von Assoziationen zu thematisch verwandten Schlüsselbegriffen von ebenfalls lexikalischer Relevanz aus.

1. Rechtliche Grundlagen

Das GG widmet der R. den gesamten IX. Abschnitt, der zahlreiche Regelungen der Gerichtsorganisation und der Gerichtsverfassung enthält. In Art. 92 GG wird die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut. Sie wird durch das BVerfG, durch die in diesem GG vorgesehenen Bundesgerichte und die Gerichte der Länder ausgeübt. Die Richter sind nur dem Gesetz unterworfen (Art. 97 Abs. 1 GG). Ihre Stellung ist durch Unabhängigkeit, Unabsetzbarkeit und Unparteilichkeit (Neutralität) gekennzeichnet. In diesen Kontext gehört der Grundsatz der Passivität des Richters, der nicht von Amts wegen (ex officio), sondern nur auf Antrag tätig wird. Die rechtsprechende Gewalt ist allein den Richtern, keinem anderen anvertraut. Es besteht ein R.s-Monopol der Richter und der Gerichtsbarkeit. Die für Deutschland maßgebliche R. wird von den Gerichten der Fachgerichtsbarkeit wahrgenommen; das sind die Spruchkörper der ordentlichen, der Verwaltungs-, der Sozial-, der Arbeits- und der Finanzgerichtsbarkeit, für die Art. 95 GG eine Funktionsgarantie enthält. Für Deutschland sind als supranationale Gerichte zuständig der EuGH in Rechtsfragen der EU und der EGMR auf der Grundlage der EMRK, die die Qualität einfachen Bundesrechts hat.

Andere verfassungsrechtliche Ansatzpunkte für R.s-Funktionen finden sich in grundrechtsaffinen Rechtswegklauseln (Art. 14 Abs. 3 S. 4; Art. 34 S. 3 GG) und Richtervorbehalten (Art. 13 Abs. 2 und 6; Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG). Von fundamentaler Bedeutung ist Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG, der generell die Dreiteilung der Staatsgewalten statuiert, die Art. 92 GG für den Bereich der Judikative verstärkt und gegen Durchbrechungen sichert. Die Bindung aller drei Staatsfunktionen an die Grundrechte ordnet schon Art. 1 Abs. 3 GG an. Herausragende Relevanz haben die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG sowie der allgemeine Justizgewährleistungsanspruch. Insgesamt bezieht sich das GG ausnahmslos auf die staatliche rechtsprechende Gewalt, also auf die R. als Staatsfunktion. Nicht erfasst werden private Schiedsgerichte, Vereins-, Verbands- und Parteigerichte. Deren Legitimation ist die grundrechtliche Privatautonomie (Autonomie). Die damit verbundenen Konflikte können die staatlichen Gerichte beschäftigen. Einen gegen Art. 92 und 97 GG abzuhebenden Sonderstatus haben Kirchengerichte (Kirchliche Gerichtsbarkeit).

2. Definition und Reichweite

Die Begriffe R. bzw. rechtsprechende Gewalt, bei denen es sich im Wesentlichen um Synonyme handelt, werden im GG nicht definiert, sondern vorausgesetzt. Dasselbe gilt für juristisch seriöse umgangssprachliche Entsprechungsbegriffe wie Judikative, Jurisdiktion und dritte Gewalt. Wenig Präzision eignet dem Begriff Justiz. Unter diesem wird auch die Staatsanwaltschaft gehandelt, die aber kein Organ der R., sondern der Rechtspflege ist. Staatsanwaltschaft ist Exekutive. Staatsanwälte sind keine Richter, sondern Beamte. Der Begriff der rechtsprechenden Gewalt ist auch durch die Verfassungs-R. nicht abschließend geklärt. Ob die Wahrnehmung einer Aufgabe als R. anzusehen ist, hängt wesentlich von verfassungsrechtlichen Vorgaben sowie von traditionellen oder durch den Gesetzgeber vorgenommenen Qualifizierungen ab. Von der Ausübung rechtsprechender Gewalt kann in rein organisationsrechtlicher Betrachtung nicht schon dann gesprochen werden, wenn ein staatliches Gremium mit unabhängigen Richtern besetzt ist. Die rechtsprechende Gewalt wird vielmehr maßgeblich von der konkreten sachlichen Tätigkeit her, somit materiell bestimmt. Um R. im materiellen Sinne handelt es sich, wenn bestimmte hoheitsrechtliche Befugnisse bereits durch die Verfassung Richtern zugewiesen sind oder wenn es sich von der Sache her um einen traditionellen Kernbereich der R. handelt, z. B. Strafgerichtsbarkeit (BVerfGE 103,136 ff.). Rechtsprechende Gewalt ist gegeben, wenn der Gesetzgeber für einen Sachbereich eine Ausgestaltung wählt, die bei funktioneller Betrachtung nur der rechtsprechenden Gewalt zukommen kann. In funktioneller Sicht handelt es sich um R., wenn der Gesetzgeber ein gerichtsförmiges Verfahren hoheitlicher Streitbeilegung vorsieht und den dort zu treffenden Entscheidungen eine Rechtswirkung verleiht, die nur unabhängige Gerichte herbeiführen können. Zu den wesentlichen Begriffsmerkmalen der R. gehört das Element der Entscheidung, der letztverbindlichen, der Rechtskraft fähigen Feststellung und des Ausspruchs dessen, was im konkreten Fall rechtens ist (BVerfGE 60,269 f.). Doch ist nicht allein die Spruchrichtertätigkeit R. Auch die grundrechtssichernden Richtervorbehalte (Art. 13 Abs. 2 GG) gehören dazu (BVerfGE 149,245). Nicht zur R. rechnen die zulässigen administrativen Aktivitäten der Justizverwaltung im Personal- und Beschaffungsbereich. Sie gehören funktionell zur Exekutive.

3. Gewaltenteilungsaspekte

Das durch die richterliche Unabhängigkeit bekräftigte R.s-Monopol führt nicht zu einer Dominanz der dritten Gewalt, die mit der Dreiteilung der Staatsgewalt (Gewaltenteilung) unvereinbar wäre. Die rechtsprechende Gewalt ist an Gesetz und Recht gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). Mit der strikten Gesetzesbindung der rechtsanwendenden Staatsfunktionen wird der Autorität des demokratisch legitimierten Gesetzgebers Rechnung getragen, aber zugleich ein Parlamentsmonismus verhindert. Im GG gilt das Prinzip der Gewaltenverschränkung, das Reibungen zwischen Gesetzgebung und R. auszuschließen bemüht ist. Das betrifft auch das sensible Verhältnis von Gesetzgeber und BVerfG.

a) Die Gesetzesbindung macht den Richter nicht zum bloßen Subsumtionsautomaten. Er ist entgegen Charles de Montesquieu nicht nur der Mund des Gesetzes und damit irgendwie auf Null reduziert. Der zum Gesetzesvollzug zur Rechtsanwendung verpflichtete Richter hat – entgegen Weimarer Zweifeln – unter dem GG ein allgemeines richterliches Prüfungsrecht. Das schließt die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit sogar eines parlamentsautorisierten, also formellen Gesetzes ein. Art. 100 Abs. 1 GG setzt diese Befugnis voraus. Allerdings reicht das Prüfungsrecht nicht so weit, dass jeder Fachrichter ein für seinen Fall entscheidungserhebliches Gesetz für unmaßgeblich halten und nicht beachten darf. Es geht um die Rechtsgültigkeit des vom Richter anzuwendenden Gesetzes, meist um dessen Verfassungsmäßigkeit. Der Richter darf die Gültigkeit des Gesetzes aus eigener Kompetenz bejahen. Anders liegt es, wenn er das Gesetz für verfassungswidrig hält und es aus seiner Sicht auch nicht mehr einer verfassungskonformen Interpretation zugänglich ist. Dieser Befund ist von seinem Prüfungsrecht gedeckt. Handelt es sich um ein Parlamentsgesetz, darf ihm der Richter nicht einfach die Gefolgschaft versagen. Ihm fehlt die Verwerfungskompetenz, also die Befugnis zur Nichtbeachtung des formellen Gesetzes. Vielmehr muss der Richter nach Art. 100 Abs. 1 GG die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes dem BVerfG vorlegen, das allein die Befugnis hat, das Gesetz für verfassungswidrig und für nichtig, also für unanwendbar zu erklären. Das Verwerfungsmonopol des BVerfG bei formellen Gesetzen ist der Autorität des Gesetzgebers geschuldet (BVerfGE 138,90 f.). Die Vorlagepflicht des Fachrichters zum BVerfG dient noch dem weiteren Ziel, mittels der alleinigen Normverwerfungskompetenz des BVerfG Rechtsunsicherheit und Rechtszersplitterung infolge divergierender Entscheidungen der Fachgerichte zu vermeiden. Die Entscheidung des BVerfG erwächst in gesetzesgleicher Allgemeinverbindlichkeit (§ 31 Abs. 2 BVerfGG). Sie ist von jedermann zu respektieren.

b) Rechtsfortbildung ist der R. anlässlich der Auslegung und Anwendung der Gesetze nicht verwehrt. Das BVerfG hat die Befugnis der Gerichte zur Rechtsfortbildung stets anerkannt. Die Weiterentwicklung des geschriebenen Rechts kommt namentlich bei einer Änderung der sozialen Verhältnisse und der gesellschaftlichen Anschauungen in Betracht. Das Altern von Kodifikationen begünstigt derartige Tendenzen. Legendär ist die Soraya-Entscheidung (BVerfGE 34,269 ff.): Die R. der Zivilgerichte, wonach bei schweren Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Ersatz in Geld auch für immaterielle Schäden beansprucht werden kann, obwohl § 253 BGB dies nicht vorsah, wurde vom BVerfG gebilligt. Die Kompetenz zur Rechtsfortbildung ist nicht unbegrenzt. Grenze ist der klare Wortlaut des Gesetzes. Der Richter darf sich nicht aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben (BVerfGE 128,210). Positive Aspekte hat die Rechtsfortbildung des Richters, wenn Gesetze planwidrige Lücken aufweisen, die geschlossen werden müssen. Zulässige Rechtsfortbildung mehr im Gehalt einer zeitgerechten Anpassung an veränderte Umstände betreibt das BVerfG bei der Auswertung der Freiheitsrechte. Grundrechte sind von Hause aus lapidare Generalklauseln, die auf Konkretisierung und Adjustierung angelegt sind. Sie sind keine Momentaufnahmen des letzten Jahrhunderts. Sie müssen für die Abwehr neuartiger Gefährdungen offen sein. Zu Recht hat das BVerfG das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 GG herausgearbeitet. Es ist nichts anderes als Datenschutzrecht (Datenschutz) das seinerseits aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgt. Der Vorwurf einer reinen Rechtserfindung ist abwegig. Ansätze einer zulässigen Rechtsfortbildung eröffnen sich im BVerfGG. Es ist bewusst lückenhaft konzipiert und auf Ergänzung durch das BVerfG angelegt.

c) Reibungsflächen zwischen R. und Gesetzgeber ergeben sich auch im Verhältnis BVerfG und Legislative.

aa) Am Anfang steht die Normenkontrollkompetenz des BVerfG. Sie ist Kernkompetenz moderner Verfassungsstaatlichkeit. Auch die Legislative ist schließlich an Verfassungsrecht gebunden (Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG). Sie bedarf einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle durch ein bes. qualifiziertes und seinerseits demokratisch legitimiertes Gericht. So liegt es beim BVerfG, das ein Gericht ist und nur ein Gericht und dem die Normenkontrollkompetenzen durch Gesetz zugewiesen sind. Bei den Normenkontrollen bleibt der R.s-Charakter erhalten, weil und wenn das Gericht allein am Maßstab des Rechts orientiert ist und sich nicht als politischer Akteur geriert. Falsch ist die unausrottbare Charakterisierung der gerichtlichen Normverwerfung (Nichtigkeitserklärung) als eine Art negativer Gesetzgebung. Gesetz wird das Verwerfungsurteil auch nicht dadurch, dass es in Gesetzeskraft (Allgemeinverbindlichkeit) erwächst (Art. 94 Abs. 2 GG).

bb) Die zwischen beiden Senaten des BVerfG umstrittene Frage ist, ob der Gesetzgeber, nachdem ein Gesetz mit Gesetzeskraft für nichtig erklärt wurde, die Norm erneut unverändert beschließen darf oder ob ein Normwiederholungsverbot besteht. Richtigerweise darf der Gesetzgeber das BVerfG nicht brüskieren oder desavouieren (sogenanntes Obstruktionsverbot). Er darf nicht gegen das Gebot der Verfassungsorgantreue verstoßen. Die Normwiederholung bedarf also eines triftigen Grundes.

cc) Das BVerfG darf nicht das Handwerk des Gesetzgebers übernehmen. Appellentscheidungen sind gleichwohl möglich, wenn es beim bloßen Appell bleibt. Anders zu bewerten ist die an die Adresse des Parlaments gerichtete Normsetzungsdirektive, die auf das Vollstreckungsrecht des BVerfG gestützt wird (§ 35 BVerfGG). An Stelle einer sofortigen totalen Nichtigerklärung eines verfassungswidrigen Gesetzes kann das Gericht dessen vorübergehende Weitergeltung verfügen, um bis zum Erlass eines neuen Gesetzes ein unerträgliches Rechtsvakuum zu verhindern. Einen exzeptionellen Fall der Setzung normvertretenden Übergangsrechts durch das BVerfG lösten die sogenannten § 218 StGB-Entscheidungen aus. Das BVerfG ordnete zum Schutz der ungeborenen Leibesfrucht vor Schwangerschaftsabbrüchen eigene Strafrechtsregelungen an, da der parlamentarische Gesetzgeber untätig geblieben war (BVerfGE 39,1 ff.; 88,203 ff.). Das war zulässig, denn das Lebensrecht der Leibesfrucht musste geschützt werden und der primär zuständige Strafgesetzgeber konnte jederzeit das Karlsruher Interims-Notrecht ablösen, was er dann in der Folgezeit auch tat.

4. Grundrechtsschutz durch die Rechtsprechung

a) Der Verfassungsstaat des GG ist grundrechtsgeprägt. Die Grundrechte sind der eigentliche Kern der freiheitlich-demokratischen Ordnung des staatlichen Lebens (BVerfGE 43,167). Der wegen Art. 79 Abs. 3, Art. 1 Abs. 1 GG unabdingbar gebotene Grundrechtsschutz gehört zur Verfassungsidentität des GG (BVerfGE 140,341). Die R. leistet einen substantiellen Beitrag zum Grundrechtsschutz. Diese auf die Freiheits- und Gleichheitsrechte bezogene Schutzpflicht der rechtsprechenden Gewalt wird in unterschiedlichen Relationen und Konstellationen relevant; sie ist nicht erst für die Verfassungsgerichtsbarkeit akut; auch die Fachgerichte sind durch die Grundrechte in Pflicht genommen. Die Bindungswirkung wird quasi betriebstypisch durch die Justizgrundrechte ausgelöst. Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden (Art. 101 Abs. 1 GG). Die Strafgerichte trifft das Verbot der Mehrfachbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG). Besonderes Gewicht hat der rechtsstaatliche Grundsatz, dass jede Bestrafung nur auf gesetzlicher Grundlage erfolgen darf (Art. 103 Abs. 2 GG); mit dem populären neulateinischen Grundsatz nulla poene sine lege sind auch das strafrechtliche Rückwirkungs- und das Analogieverbot verbunden. Darüber hinaus ist den Fachgerichten auch bei der Rechtsfindung und Rechtsanwendung die Beachtung der materiellen Freiheitsrechte aufgegeben. Bei der Auslegung und Anwendung des für die Fachgerichte in erster Linie maßgebenden einfachen (also nicht des Verfassungs-)Rechts sind auch interpretationsleitend die grundrechtlichen Implikationen der Sache einzubeziehen. Beispiele: Bei jeder verwaltungsgerichtlichen Klage auf Zulassung zum Studium steht Art. 12 Abs. 1 GG im Hintergrund, der das Grundrecht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte gewährleistet. Bei einer Klage auf Erteilung der Baugenehmigung ist die Eigentumsgarantie des Bauherrn mitzureflektieren. So mancher Verwaltungsrechtsfall gerät darum mittelbar zum Verfassungsrechtsfall. Das ist kein Systembruch, sondern im Gegenteil Ausweis der Ausstrahlungswirkung der Grundrechte. Die Gefahr ist allerdings eine Konstitutionalisierung des Verwaltungsprozesses.

Auch bei Streitigkeiten zwischen Privaten, die nach den Regeln des bürgerlichen Rechts auszutragen sind, können Grundrechte eine Rolle spielen.

Beispiel: Der Hauswirt verbietet dem auf seine Meinungsfreiheit pochenden Mieter, vom Wohnungsfenster aus für eine bestimmte politische Partei zu werben. Darf Art. 5 Abs. 1 GG überhaupt hier herangezogen werden, wo es doch nicht der Staat als klassischer Grundrechtsgegner ist, der den Mieter drangsaliert?

Die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht ist inzwischen anerkannt (seit BVerfGE 7,198; zuletzt etwa BVerfG NVwZ 2020: 59 Rdnr. 75 ff.). Der Zivilrichter muss sich also neben dem Privatrecht auch mit den grundrechtlichen Implikationen der Sache befassen. Das stellt keinen Übergriff in den Bereich des BVerfG als dem eigentlichen Hüter der Grundrechte dar. Im Gegenteil: Das mit Verfassungsbeschwerden überhäufte und von der unterlegenen Partei angerufene BVerfG verlangt sogar, dass vorher der fachgerichtliche Rechtsweg erschöpft wird, in dem auch die Grundrechtsrelevanz, hier des Mietrechtsstreits, mitbehandelt wird (§ 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG).

Für eine Reihe schwerer Grundrechtseingriffe, namentlich durch die Exekutive bestehen präventive Richtervorbehalte. Der prominenteste Fall ist in Art. 104 GG geregelt: Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Das betrifft nicht nur strafrechtlich bedingte Inhaftierungen. Auch Eingriffe in die körperliche Bewegungsfreiheit von krankheitshalber zwangsweise Untergebrachten kommen in Frage, z. B. in Gestalt der Zwangsfixierung von Patienten (BVerfGE 149,293). Fälle der richterlichen Kontrolle der Durchsuchung und akustischen Überwachung von Wohnungen regeln Art. 13 Abs. 2 und 3 GG.

b) Die entscheidende Rolle der Grundrechtssicherung durch die R. ist dem BVerfG aufgegeben. Die Gewährleistung eines wirksamen Grundrechtsschutzes gehört zu seinen zentralen Aufgaben. Seinen Ausdruck findet das in der Urteilsverfassungsbeschwerde als der die Arbeit des BVerfG in besonderer Weise prägenden Verfahrensart. Die Verfassungsbeschwerde ist bewusst weit und umfassend konzipiert. Beschwerdeberechtigt und -befugt ist nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a jede Person, die behauptet, in ihren Grundrechten verletzt zu sein, und Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde kann jeder Akt der öffentlichen Gewalt sein. Dem Anspruch nach bildet die Verfassungsbeschwerde so einen umfassenden Grundrechtsschutz gegenüber der gesamten deutschen Staatsgewalt in allen ihren Ausprägungen (BVerfG NVwZ 2020: 67 Rdnr. 58). Von den Konstellationen der Verfassungsbeschwerde kommt die größte praktische Bedeutung der Urteilsverfassungsbeschwerde gegen letztinstanzliche fachgerichtliche Entscheidungen zu. Die Verfassungsbeschwerde ergänzt so den fachgerichtlichen Grundrechtsschutz um eine eigene verfassungsgerichtliche Kontrolle. Mit ihr ist zusätzlich und bundeseinheitlich eine auf die grundrechtliche Perspektive spezialisierte Kontrolle gegenüber den Fachgerichten eröffnet. Verfahrensziel ist es, den Grundrechten gegenüber dem einfachen Recht ihr spezifisches Gewicht zu sichern und so den Grundrechtsträgern diesbezüglich besonderen Schutz zukommen zu lassen. Als Garant eines umfassenden innerstaatlichen Grundrechtsschutzes hat das BVerfG die Fachgerichte zu kontrollieren. Es hat das letzte Wort (BVerfGE 40,88 ff.).

5. Justizgewährungsansprüche

Das GG enthält auch grundrechtlich orientierte Prinzipien über die Justizgewährungspflicht des Staates und die damit verbundenen Zugangsansprüche von Rechtsuchenden. Solche den staatlichen Rechtsschutz eröffnenden Justizgewährungsansprüche verbürgen Art. 19 Abs. 4 GG und das Rechtsstaatsprinzip. Der prominenteste Fall war von Beginn des GG an Art. 19 Abs. 4: Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Die Vorschrift wurde als Schlussstein im Gewölbe des Rechtsstaats, als (wichtigstes) formelles Hauptgrundrecht, das dem Art. 2 Abs. 1 GG als wichtigstem materiellen Hauptfreiheitsrecht zur Seite tritt, gefeiert. Art. 19 Abs. 4 GG enthält ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen gerichtlichen Schutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (BVerfGE 138,39). Zur öffentlichen Gewalt gehört allerdings nicht die formelle (also parlamentarische) Gesetzgebung. Ebenso zählen dazu nicht Akte der R., denn die Bestimmung gewährt nach einer griffigen Faustregel zwar Schutz durch den Richter, aber nicht gegen den Richter. Positiv wird der Schutz gegen Akte der Exekutive (Verwaltung) eröffnet und erweist sich dieser bes. Justizgewährungsanspruch als Kraftfeld der Verwaltungsgerichtsbarkeit und Zentralnorm des Verwaltungsprozesses. Daneben gibt es auch einen die Öffnung des Zugangs zum Gericht sichernden allgemeinen Justizgewährungsanspruch (BVerfGE 107,401). Er sichert den Rechtsschutz in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten durch die Zivil- und Arbeitsgerichtsbarkeit. Er wurzelt in den Grundrechten und im Rechtsstaatsprinzip. Gewährleistet ist nicht nur der Zugang zu einem Gericht, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes (BVerfGE 122,270 f.).