Verfassungsgerichtsbarkeit
Verfassungsgerichte sind die „aristokratischen“ Hüter der Demokratie. Sie schützen die Freiheiten der Bevölkerung, indem sie den demokratischen Prozess beschränken. Sie agieren in einem hochpolitischen Umfeld, gelten aber als ausschließlich dem Recht verpflichtete unpolitische Institutionen. Die Bandbreite öffentlicher Reaktionen auf die Institution der V. und deren Entscheidungstätigkeit reicht von jubelnder Akklamation bis hin zu mehr oder weniger offen artikulierten Destruktionsfantasien. Damit ist das Phänomen V. zwar noch nicht einmal angerissen, jedoch in seinem Wert und seiner Problematik auf das Äußerste verknappt und überspitzt offengelegt.
1. Grundlagen
Die primäre Aufgabe der V. ist die Durchsetzung der Verfassung als verbindliches und vorrangiges Rechtsdokument im gesamten staatlichen Bereich durch eines oder mehrere gerichtliche Organe, die auf diese Aufgabe spezialisiert sind oder diese zumindest auch wahrnehmen. Diese Abgrenzung ist deshalb bedeutsam, weil in einem Verfassungsstaat alle staatlichen Organe an die Verfassung gebunden sind, es jedoch im Wesentlichen der V. zukommt zu kontrollieren, ob diese Bindung auch beachtet wird.
Zwar gibt es verschiedene Möglichkeiten, den Vorrang der Verfassung zu effektuieren, jedoch hat es in der einen oder anderen Form bei folgendem Grundkonzept zu bleiben, um von einem Verfassungsstaat sprechen zu können: Alle Rechtsakte unterhalb der Verfassungsstufe müssen auf ihre Übereinstimmung mit der Verfassung überprüft und im Falle eines Widerspruches aus dem Rechtsbestand ausgeschieden werden können oder doch zumindest unbeachtlich bleiben. Dies setzt eine hierarchische Stufung innerhalb der Rechtsordnung voraus, die eine Kontrolle von Rechtsakten am Maßstab höherrangigeren Rechts als nachvollziehbaren juristischen Vorgang möglich macht. Für Verfassungsgerichte ist regelmäßig die Verfassung als oberste Rechtsschicht jener Maßstab, an dem insb. Gesetze gemessen werden können.
Offen bleibt nach diesem Konzept die Frage, wie das mit dieser Aufgabe betraute staatliche Organ ausgestaltet ist und ob dieses als zentralisierte Instanz tätig wird. Zwar ist es möglich und in einigen Staaten auch vorgesehen, dass die Verfassungskontrolle nicht von Gerichten, sondern von anderen, z. T. explizit politischen Organen ausgeübt wird (z. B. der Grundgesetzausschuss des finnischen Parlaments). Um jedoch von V. sprechen zu können, muss das zuständige Organ als Gericht (Gerichtsbarkeit) organisiert sein, sodass dessen Mitglieder jedenfalls gegenüber allen anderen Staatsorganen in ihrer rechtsprechenden Tätigkeit unabhängig sein müssen. Ob die Verfassungskontrolle von einem zentralisierten Gericht oder von mehreren bzw. allen Gerichten eines Staates ausgeübt wird, ist je nach Rechtsordnung unterschiedlich. Zwei Grundkonzepte sind zu unterscheiden: Ist jedes Gericht dazu befugt, die anzuwendenden Rechtsvorschriften am Maßstab der Verfassung zu messen (dezentrale V.), geht damit nahezu zwangsläufig die Entscheidung einher, dass als verfassungswidrig erachtete Gesetze nicht förmlich aufgehoben, sondern im konkret zu entscheidenden Fall lediglich unangewendet bleiben (z. B. in den USA). Das im kontinentaleuropäischen Raum vorherrschende Modell einer zentralisierten V. (z. B. in Österreich und Deutschland) vermeidet unterschiedliche verfassungsrechtliche Beurteilungen durch verschiedene Gerichte und trägt damit zur Rechtssicherheit bei. Dies wird dadurch verstärkt, wenn das Verfassungsgericht ein als verfassungswidrig erkanntes Gesetz für alle verbindlich aus dem Rechtsbestand ausscheidet und dies auch in förmlicher Weise kundgemacht wird.
Verfassungsgerichte sind neben der vorgenannten regelmäßig mit weiteren Kompetenzen ausgestattet, die sich nicht in das Modell der Rechtmäßigkeitskontrolle genereller Normen (Normenkontrolle) bringen lassen. Zu diesen Aufgaben zählen z. B. die Entscheidung über Streitigkeiten zwischen obersten Staatsorganen (Organstreitverfahren), die Anklage derselben („Ministerverantwortlichkeit“) sowie die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit bedeutender Wahlen. In aller Regel handelt es sich um Angelegenheiten, die für das Funktionieren des demokratischen Prozesses bes. wichtig sind, jedoch nicht (mehr ausschließlich) in der politischen Arena ausgetragen werden sollen, sondern in gewisser Weise verrechtlicht werden. Teilweise wird hier von Verfahren der Staatsgerichtsbarkeit gesprochen.
2. Entwicklung
Verfassungsgerichte nach dem vorgenannten Modell treten ideengeschichtlich im 19. Jh. auf; als etablierte Staatsorgane sind sie ein Phänomen des 20. Jh. nach dem Ersten bzw. verstärkt nach dem Zweiten Weltkrieg. Als Geburtsstunde der V. gilt eine Entscheidung des Supreme Court der USA aus dem Jahr 1803 (Marbury v Madison). In dieser wurde ein richterliches Prüfungsrecht von Gesetzen am Maßstab der Verfassung (judicial review) postuliert, sodass damit der Sache nach das Konzept einer V. etabliert war. In weiterer Folge wurden in Europa spezialisierte Gerichte geschaffen (z. B. das im Jahr 1867 errichtete österreichische RG), welche einerseits staatsrechtliche Streitigkeiten einer gerichtlichen Lösung zuführen und andererseits den Schutz der Grundrechte effektuieren sollten. Insgesamt war das 19. Jh. jedoch die Zeit der Entwürfe und Überlegungen (z. B. in der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49).
Die ersten beiden zentralisierten europäischen Verfassungsgerichte nach heutiger Vorstellung waren Produkte der zerfallenden Habsburgermonarchie: 1919 wurden das tschechoslowakische und das – wesentlich durch Hans Kelsen konzipierte – österreichische Verfassungsgericht geschaffen, die zwar beide insb. mit der Kompetenz zur Gesetzesprüfung ausgestattet wurden, diese jedoch nur in Österreich zur Blüte gelangte („österreichisches Modell der V. “). In dieser ersten Phase stand die gerichtliche Schlichtung föderaler Auseinandersetzungen im Vordergrund. Darin lag etwa auch der Schwerpunkt des durch die WRV errichteten StGH für das Deutsche Reich (Art. 108 WRV). Die weitere Entwicklung erfolgte wellenförmig: Nach dem Zweiten Weltkrieg sind insb. die Schaffung des BVerfG sowie der italienischen Corte Costituzionale hervorzuheben. Diese Entwicklung wurde durch die zurückliegenden Unrechtserfahrungen deutlich angetrieben, wobei insb. die Grundrechte und deren gerichtliche Durchsetzung impulsgebend werden sollten. In dieser Zeit und der nachfolgenden Rechtsprechung der neuen Verfassungsgerichte liegt der Ursprung von deren rhetorischer Gleichsetzung mit „Grundrechts- bzw. Bürgergerichten“. Die zweite Welle war die flächendeckende Errichtung von Verfassungsgerichten in den ehemals kommunistischen Staaten Mittel- und Osteuropas. Mit deren Etablierung gilt das Modell einer zentralisierten V. mit der Kompetenz zur Gesetzesprüfung nahezu als europäischer Standard und nach herrschender zentraleuropäischer Auffassung gegenüber den verbliebenen Systemen mit dezentralisierter oder ohne V. (z. B. Großbritannien bzw. einige nordische Staaten) als überlegen.
Diese Entwicklungen auf innerstaatlicher Ebene sind um ein – jüngeres und rechtlich kaum ausgebildetes – Phänomen zu ergänzen, das mit dem Begriff „Verfassungsgerichtsverbund“ beschrieben wird. Gemeint ist die Zusammenarbeit von nationalen Verfassungsgerichten untereinander, verstärkt um eine Kooperation mit dem EuGH sowie dem EGMR. Insb. bei Grundrechtsfragen, deren Beantwortung in zunehmendem Ausmaß durch ein Ineinandergreifen von innerstaatlichen, unions- bzw. völkerrechtlichen Rechtsquellen komplexer wird, kommt es zu gegenseitigen Bezugnahmen und Rücksichtnahmen in der Rechtsprechung, die durch einen informellen Austausch der beteiligten Gerichte stark vorgeprägt sind. Wenngleich die Mechanismen dieses „Verbundes“ noch nicht detailliert ausgeleuchtet sind, kann man von einem Trend zur Vereinheitlichung des grundrechtlichen Schutzniveaus im europäischen Rechtsraum sprechen, wobei sich Konflikte zwar nicht vermeiden lassen, diese jedoch – jedenfalls ab einer allgemein anerkannten Machtposition der beteiligten Gerichte – tendenziell konsensual gelöst werden.
3. Verdienste
Die Institution V. leistet in funktionierenden demokratischen Rechtsstaaten, dass politische Konflikte zwar ergebnisoffen ausgetragen werden, sich jedoch die handelnden Akteure an jene rechtlichen Spielregeln halten müssen, die für den Fortgang des demokratischen Prozesses notwendig sind. V. begrenzt staatliche, auch demokratische Macht, damit diese sich nicht permanent setzt und der Minderheit die Chance abschneidet, in Zukunft die Mehrheit zu erringen. Neben diesem gewissermaßen staatsorganisatorischen Minderheitenschutz sind Verfassungsgerichte auch die Hüter der verfassungsrechtlich verbürgten Rechte und Freiheiten der Bevölkerung. In klassischer Lesart der Grundrechte wird hier ein staatsfreier Raum geschaffen, dessen Wahrung gerichtlich überprüft werden kann. Grundrechte verpflichten den Staat mitunter aber auch zu einem positiven Tun, das zwar regelmäßig weniger streng, aber dennoch in einem gewissen Umfang gerichtlich überprüfbar ist.
Die Rechtsprechung vieler Verfassungsgerichte hat die staatsorganisatorische Seite der Verfassung auch in politischen Konflikten effektuiert und die tendenziell allgemein formulierten Grundrechte mit Leben erfüllt. In manchen Fällen können Verfassungsgerichte als treibende Kraft beim Ausbau des Grundrechtsschutzes gelten und zwar insb. auch in Fällen, in denen der Gesetzgeber entweder das Schutzniveau nicht an neue Gefährdungslagen anpasst bzw. bei historisch tradierten oder neuen Diskriminierungen untätig bleibt. Die damit verbundenen Grenzziehungen gegenüber dem bzw. die Vorgaben für den politischen Prozess sind in etablierten Demokratien grundsätzlich anerkannt und akzeptiert, mitunter in der öffentlichen Diskussion begrüßt oder gar bejubelt, sodass den jeweiligen verfassungsgerichtlichen Entscheidungen ein hohes Maß an Autorität zukommt. Es kann daher mit guten Gründen auch von einer den politischen Frieden sichernden Funktion der V. gesprochen werden. Als Beispiel mögen die Entscheidungen mehrerer europäischer Verfassungsgerichte zum Konflikt zwischen negativer Religionsfreiheit und der Verpflichtung zur Anbringung von Kruzifixen bzw. Kreuzen in Erziehungseinrichtungen gelten: Die zu diesem Thema oft emotional geführten Diskussionen wurden durch die Verfassungsgerichte zwar nicht beendet, jedoch sind nach deren Befassung die rechtlichen Rahmenbedingungen nunmehr weitgehend – und von den widerstreitenden Akteuren grundsätzlich akzeptiert – geklärt.
Verfassungsgerichten kommt daher eine gegenüber demokratischer Allmacht grundsätzlich retardierende, zuweilen aber auch eine gegenüber dem Gesetzgeber antreibende Funktion zu. Daher ist der Vergleich mit einer zweiten, mitunter aristokratisch besetzten Parlamentskammer als Gegengewicht zur unmittelbar demokratisch besetzten Volkskammer zwar naheliegend, dennoch verfehlt man damit zumindest zwei entscheidende Punkte: Zunächst kontrolliert ein Verfassungsgericht den Gesetzgeber weder nach genuin politischen, noch nach sonstigen Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit. Verfassungsgerichtliches Handeln ist stets und strikt an die Verfassung als Maßstab gebunden, sodass der gerichtliche Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum heteronom determiniert bleibt und letztlich durch den Verfassungsgesetzgeber unabhängig vom Willen des jeweiligen Verfassungsgerichts geändert werden kann. Darüber hinaus kontrollieren Verfassungsgerichte nicht gleichsam automatisch alle beschlossenen Gesetze und in aller Regel kommt auch eine selbstständig eingeleitete verfassungsgerichtliche Kontrolle nicht in Frage. Deren Antragsbedürftigkeit stellt die lediglich passive Rolle der Verfassungsgerichte im politischen Prozess ebenso sicher wie die Unzulässigkeit selbstständiger Gestaltung der Rechtslage über die Vernichtung von Rechtsvorschriften hinaus. Im Unterschied zu aristokratisch besetzten zweiten Parlamentskammern ist zudem auf die – unterschiedlich ausgestaltete – demokratische Bestellung der Verfassungsrichter sowie eine nicht durch unveränderliche persönliche Merkmale begrenzte Auswahl derselben hinzuweisen. Die richterliche Unabhängigkeit (Richter) insb. in Verbindung mit einer langen Amtsdauer, die geforderte hohe fachliche Qualifikation sowie die faktische Absenz vom politischen Tagesgeschäft verleihen den Verfassungsrichtern jedoch durchaus einen aristokratischen Nimbus im ursprünglichen Sinne.
4. Entgrenzungen
Die Geschichte der V. ist auch eine Geschichte der selbstbewussten Wahrnehmung der den Verfassungsgerichten zugewiesenen Kompetenzen. Bereits die berühmte und gemeinhin als Ausgangspunkt richterlicher Verfassungskontrolle geltende Entscheidung Marbury v Madison muss letztlich als rechtlich nur dünn begründete Selbstermächtigung gewertet werden. In der Folge muss man unterscheiden: Seltener ist der vorgenannte Fall, dass sich ein Verfassungsgericht formal eine Kompetenz zueignet, die dem Gericht nach dem Text der Verfassung (möglicherweise) nicht (explizit) zugewiesen ist. Als notorischer Konflikt in Staaten mit selbstbewussten Verfassungsgerichten gilt indes die gerichtliche Entwicklung dichter verfassungsrechtlicher Standards, die den Gestaltungsspielraum des demokratischen Gesetzgebers mitunter deutlich einschränken. Zunächst leiten Verfassungsgerichte insb. aus den Grundrechten z. T. detaillierte Aufträge an den Gesetzgeber ab, die tief in (gesellschafts-)politische Fragen (Gesellschaftspolitik) hineinreichen, deren Beantwortung grundsätzlich den Parlamenten (Parlament, Parlamentarismus) zugewiesen ist. Als Beispiele mögen hier die Ableitung des Rechts auf Eheschließung von gleichgeschlechtlichen Paaren (Ehe) aus dem allgemeinen Gleichheitssatz durch den VerfGH im Jahr 2017 sowie die aus dem Menschenwürdegrundsatz (Menschenwürde) abgeleiteten konkreten Vorgaben für die Zumessung des Arbeitslosengeldes („Hartz IV“) durch das BVerfG ab dem Jahr 2010 dienen.
Das Kernproblem verfassungsgerichtlicher Verdichtung der Vorgaben für den Gesetzgeber liegt vordergründig in der gegenüber den Parlamenten geringeren demokratischen Legitimation der Verfassungsgerichte, die gerade keine aktive politische Gestaltung der Rechtslage erlaubt. Weitaus diffiziler ist jedoch die Beantwortung der Frage, inwieweit es sich bei der hier in Rede stehenden Rechtsprechung schlicht um vertretbare Ableitungen aus dem Verfassungstext oder um eigenmächtige Veränderungen des heteronom vorgegebenen Prüfungsmaßstabes handelt. An dieser Stelle sind zwei Gesichtspunkte entscheidend: Zunächst sind gerade Verfassungsgerichte dazu angehalten, ihre Entscheidungen in rechtlich nachvollziehbarer Weise zu begründen, weil (auch) davon deren Akzeptanz abhängt. Letztlich ist jedoch der Grad rechtsstaatlicher Kultur in einem konkreten Staat maßgeblich: Wenn die Verfassung z. T. nur sehr allgemeine Maßstäbe vorgibt und diese vom jeweiligen Verfassungsgericht letztverbindlich ausgelegt werden müssen, sind auch Deutungen zu akzeptieren, die möglicherweise anfechtbar oder auch schlicht falsch sind. Bei vermuteten Fehlentscheidungen eines Verfassungsgerichtes ist die Nichtbeachtung der konkreten Entscheidung aus rechtsstaatlichen Gründen keinesfalls das Mittel der Wahl, sondern die parlamentarische Änderung des das Verfassungsgericht bindenden Maßstabes. Darin liegt in letzter Konsequenz die sicherste demokratische Rückbindung der V., die jedoch dann prekär wird, wenn entweder das verfassungsändernde Verfahren praktisch undurchführbar ist (z. B. in den USA) oder auch das verfassungsändernde Gesetz selbst inhaltlich geprüft werden darf und der dafür maßgebliche Maßstab (de jure oder praktisch) unabänderlich ist (z. B. in Deutschland die „Ewigkeitsklausel“ des Art. 79 Abs. 3 GG).
5. Gefährdungen
In westlichen Demokratien sind Verfassungsgerichte in aller Regel im politischen Prozess geachtete und in der Öffentlichkeit mitunter sogar beliebte Staatsorgane. Daran ändert (auch scharf artikulierte) Kritik an einzelnen Entscheidungen ebenso wenig wie gelegentlich geäußerter Unmut über die Bestellung umstrittener Persönlichkeiten zu Verfassungsrichtern. Derartige Auseinandersetzungen sind nicht Krisensymptom, sondern Lebenszeichen funktionierender Interorgankontrolle bzw. demokratischer Meinungsbildungsprozesse. Auch die rechtspolitische Diskussion über institutionelle Fragen der V. darf nicht tabuisiert werden (z. B. über die konkrete Kompetenzausstattung der jeweiligen Verfassungsgerichte). Gleiches gilt für Verfassungsänderungen, die einer als unzweckmäßig wahrgenommenen Rechtsprechung entgegenwirken sollen. Stets notwendig ist dabei einerseits die strikte Beachtung rechtlicher Vorgaben sowie eine gewisse Mäßigung bei direkter Kritik durch politische Akteure an den Verfassungsgerichten, weil sich diese ihrem Selbstverständnis entspr. am öffentlich ausgetragenen Kampf um das bessere Argument nicht beteiligen können.
In jüngerer Zeit sind in einigen europäischen Staaten diese Regeln gebrochen worden. Als paradigmatischer Fall muss die Sabotage des polnischen Verfassungsgerichts durch die politische Mehrheit seit dem Jahr 2015 angesehen werden. In diesem Fall wurde das Verfassungsgericht durch mehr oder weniger subtile, größtenteils rechtswidrige Gesetzesänderungen bzw. sonstige Handlungen seiner wesentlichen Funktion als Hüter der Verfassung weitgehend entkleidet. Hier zeigt sich die größte Schwäche von Verfassungsgerichten: Verlieren diese ihre ausschließlich durch die Macht des Wortes in ihrer Entscheidungstätigkeit gewonnene Autorität, stellen sie sich als in höchstem Maße verletzliche Akteure im politischen Prozess dar. Verfassungsgerichte können aber nur in äußerst beschränktem Umfang auf das rechtsstaatliche Bewusstsein der politischen Akteure einwirken, sodass hier das Diktum Ernst-Wolfgang Böckenfördes abgewandelt in besonderem Maße gilt: Die V. lebt von Voraussetzungen, die sie selbst nicht garantieren kann.
Literatur
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Empfohlene Zitierweise
M. Vašek: Verfassungsgerichtsbarkeit, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Verfassungsgerichtsbarkeit (abgerufen: 21.11.2024)