Sozialrecht

1. Begriff

Der Begriff des S.s dient dazu, einen Ausschnitt der Rechtsordnung, die im sozialen Rechtsstaat auch auf die Leitvorstellungen der sozialen Gerechtigkeit und der sozialen Sicherheit ausgerichtet ist, zu umschreiben. Ein allgemeingültiger und in allen Belangen überzeugender Begriff des S.s in diesem Sinne besteht allerdings bis heute nicht und erscheint letztlich angesichts der stets zeit- und situationsbedingten Wandelbarkeit der sozialen Sicherung auch nicht möglich. Hans Friedrich Zacher stellte 1978 bereits fest: „Der Sozial- und Rechtsstaat kommt ohne den Begriff des Sozialrechts nicht mehr aus. Dieser aber ist durch die Allgemeinheit seiner Bestandteile ‚sozial‘ und ‚Recht‘, durch den weitgreifenden Wandel, den der Begriff im Verlauf der letzten Jahrhunderte, v. a. aber seit der Mitte des 19. Jh., erlebt hat, aber auch durch die Vielfalt der Bedeutungen, mit denen ‚Sozialrecht‘ auch heute verbunden ist, im äußersten Maße mehrdeutig. Diese Mehrdeutigkeit läßt sich nicht durch Anordnung, auch nicht durch wissenschaftliche Wunschvorstellungen ausräumen. Sie läßt sich auch nicht durch wissenschaftliche Argumente überwinden, mit denen sich der eine oder andere Begriffsinhalt als optimal – und in Steigerung dessen als allein ‚richtig‘ – erweisen ließe“ (Zacher 1978: 380). An diesem Befund hat sich im Grundsatz bis heute nichts geändert. Dennoch bleibt, wie auch H. F. Zacher damals feststellte, ein Bedürfnis für eine Begriffsbildung: „Das Bedürfnis, von ‚Sozialrecht‘ zu reden, ist alt. Im Sozialstaat der Gegenwart hat die Nachfrage nach dem Terminus ‚Sozialrecht‘ jedoch einen neuen, für Staat, Gesellschaft und Recht zentralen Sinn. Sozialpolitik ist seine vielleicht wichtigste politische Dimension. Das Recht ist schon unter den allgemeinen Bedingungen moderner staatlicher Steuerungstechnik das zentrale Medium der Realisierung von Sozialpolitik. Und es ist dies erst recht im Rechtsstaat. Somit drängt sich die Frage auf, wo im Recht der spezifische Ort des Sozialstaats ist; und so liegt es nahe, danach als nach dem ‚Sozialrecht‘ zu fragen“ (Zacher 1978: 371). Folgerichtig fehlt es nicht an Versuchen, den Begriff des S.s zu definieren.

Herkömmlich wird dabei zwischen einem formellen Begriff und einem materiellen Begriff unterschieden. Der formelle Begriff definiert das S. unabhängig von seinem Inhalt als Summe der Rechtssätze, die der Gesetzgeber dem SGB ausdrücklich zugewiesen hat. Danach gehören zum S. alle Normen, die im Sozialgsetzbuch (SGB) (I-XII) enthalten sind oder gemäß § 68 SGB I als bes. Teile des SGB anzusehen sind. Der materielle Begriff des S.s zielt dagegen darauf ab, die Rechtsmaterie des S.s – gesetzesunabhängig – anhand ihres Inhalts zu definieren. Der formelle Begriff des S.s erscheint zwar auf den ersten Blick praktisch, weil er für eine gegenständliche Klarheit zu sorgen scheint. Der allgemeine Sprachgebrauch und die Rechtspraxis dürften daher wohl meist diesen formellen Begriff vor Augen haben, wenn von S. die Rede ist. In der Sache selbst ist der formelle Begriff aber ungenau, kann er doch dynamische Entwicklungen außerhalb des SGB nicht erfassen, obwohl sie möglicherweise für den Sozialstaat und seine Aufgaben von Bedeutung sind. Rechtsmaterien, die der Gesetzgeber – aus welchen Gründen auch immer – nicht in das SGB (auch nicht über § 68 SGB I) integriert hat, bleiben außen vor und gehören begrifflich nicht zum S. Insofern plädierte H. F. Zacher schon früh dafür, das S. von seiner Funktion und seinem Zweck her als Mittel der Sozialpolitik zu verstehen. Aber auch eine materielle Begriffsbildung des S.s bleibt schwierig, v. a. wenn man bedenkt, dass im internationalen Kontext auch das Arbeitsrecht nicht selten dem S. zugerechnet wird. Eine gewisse Annäherung an eine materielle Umschreibung des S.s kann daher nur bei der deutschen Rechtsordnung ansetzen. Anhaltspunkte lassen sich insofern aus § 1 Abs. 1 SGB I entnehmen. Die dort formulierten Ziele der sozialen Gerechtigkeit und der sozialen Sicherheit sind zugleich auch Ziele des Sozialstaats. Das S. zeichnet sich demnach dadurch aus, dass es auf die Verwirklichung des verfassungsrechtlichen Sozialstaatsprinzips ausgerichtet ist. Das Sozialstaatsprinzip verpflichtet als Staatszielbestimmung den Staat, „für einen Ausgleich der sozialen Gegensätze und damit für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen“ (BVerfGE 22,180 [204]; 69,272 [314]). Die wesentlichen Leitgedanken des Sozialstaatsprinzips sind damit angedeutet, nämlich der soziale Ausgleich, die soziale Sicherheit und die soziale Gerechtigkeit. Das S. soll dazu beitragen, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, gleiche Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit zu schaffen, die Familie zu schützen und zu fördern, den Erwerb des Lebensunterhalts durch eine frei gewählte Tätigkeit zu ermöglichen und bes. Belastungen des Lebens abzuwenden oder auszugleichen (§ 1 Abs. 1 S. 2 SGB I). In diesem Sinne kann das S. durchaus als das Recht angesehen werden, das mit der Lösung sozialer Probleme spezifisch soziale Zwecke verwirklichen soll. Eine absolut trennscharfe Abgrenzung zwischen S. und Nicht-S. ist damit aber auch nicht verbunden.

2. Geschichte

Die Anfänge des S.s im heutigen Sinne, d. h. als sozialstaatliche Verpflichtung, stehen in engem Zusammenhang mit der Industrialisierung (Industrialisierung, Industrielle Revolution) im 19. Jh. In der vorindustriellen Gesellschaft wurde die soziale Sicherung grundsätzlich privat durch Besitz von Gütern vermittelt, die bei Bedarf verkauft oder beliehen werden konnten. Zudem hat sich in fast allen Kulturen die materielle und immaterielle Sorge für Arme und sonstige Bedürftige aus Mitleid und sittlich-religiöser Verpflichtung als sozialethische Norm und Praxis herausgebildet. Eine bes. Rolle haben dabei frühzeitig die Kirchen (Bischöfe und Klöster) übernommen, gehört die Sorge um Bedürftige doch zum Grundauftrag der Kirchen. Erst seit dem Spätmittelalter nahmen sich auch die Kommunen der Sorge für Bedürftige an, vermischten dies aber zugleich auch mit säkularen (Ordnungs-)Zwecken. Die kommunale Armenfürsorge nahm so nur in begrenztem Maße die Aufgabe einer sozialen Sicherung wahr. Sie hatte auch diskriminierende Züge, denn ihr lag der Gedanke zugrunde, dass Armut regelmäßig auf individuelles Fehlverhalten zurückzuführen sei und Unterstützung grundsätzlich nur solchen Personen gewährt werden dürfe, die unverschuldet in Armut geraten sind und sich nicht selbst helfen können. Dieser Gedanke spiegelt sich auch im ALR von 1794 wider, wo die Armenfürsorge erstmals als gesetzliche Pflicht normiert wurde (Zweiter Teil, 19. Titel – Von Armenanstalten, und andern milden Stiftungen). Es heißt dort in § 1: „Dem Staate kommt es zu, für die Ernährung und Verpflegung derjenigen Bürger zu sorgen, die sich ihren Unterhalt nicht selbst verschaffen, und denselben auch von andern Privatpersonen, welche nach besondern Gesetzen dazu verpflichtet sind, nicht erhalten können“. Es bestand damit jedoch weder ein Rechtsanspruch des Armen noch wurde eine umfassende soziale Absicherung begründet. Auch wälzte der Staat die Aufgaben- und Finanzierungslast auf die Kommunen ab und beschränkte sich auf die Wahrnehmung von Aufsichtsfunktionen (Zweiter Teil, 19. Titel, §§ 10, 27, 40 ALR). Schon in den sich direkt anschließenden Normierungen (§§ 2–5) zeigt sich jedoch der – aus heutiger Sicht diskriminierende – Ordnungscharakter: „§ 2. Denjenigen, welchen es nur an Mitteln und Gelegenheit, ihren und der ihrigen Unterhalt selbst zu verdienen, ermangelt, sollen Arbeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten gemäß sind, angewiesen werden. § 3. Diejenigen, die nur aus Trägheit, Liebe zum Müßiggange, oder andern unordentlichen Neigungen, die Mittel, sich ihren Unterhalt selbst zu verdienen, nicht anwenden wollen, sollen durch Zwang und Strafen zu nützlichen Arbeiten unter gehöriger Aufsicht angehalten werden. § 4. Fremde Bettler sollen in das Land nicht gelassen, oder darin geduldet, und wenn sie sich gleichwohl einschleichen, sofort über die Gränze zurückgeschafft werden. § 5. Auch einheimischen Armen soll das Betteln nicht gestattet, sondern dieselben an den Ort, wohin sie gehören, und wo für sie nach den Vorschriften des gegenwärtigen Titels gesorgt werden muß, zurückgeschafft werden“. Vereinzelt gab es schon vor der Industrialisierung auch Vorformen der heutigen Sozialversicherung (z. B. die im Wege freiwilliger Selbsthilfe gegründeten Kassen der Handwerksgesellschaften und der Bergleute [Knappschaftskassen]). In der Gewerbeordnung von 1845 wurde den Gemeinden dann erstmals das Recht zugestanden, Gesellen und Gehilfen zum Beitritt zu den genannten Kassen zu zwingen. Wenig später wurde diese Möglichkeit auf Fabrikarbeiter erstreckt. Während die Gemeinde von der durch das Gesetz, betreffend die gewerblichen Unterstützungskassen vom 3.4.1854 (PrGS 1854: 138) eingeräumten Möglichkeit, selbst gewerbliche Unterstützungskassen zu gründen, kaum Gebrauch machten, gründeten Unternehmer größerer Betriebe eigene Fabrikkrankenkassen, die ebenfalls durch Beitrittszwang und lohnbezogenen Beitrag gekennzeichnet waren. Die Risiken der Industriearbeiter in Bezug auf Armut, etwa durch Arbeitslosigkeit und Alter, blieben ungesichert.

Bis zur Bismarckschen Sozialgesetzgebung in den 80er Jahren des 19. Jh. hielt sich der Staat – trotz des erkennbaren Problems der Massenarmut in der Folge der Industrialisierung – mit einer qualifizierten Sozialgesetzgebung sehr zurück. Eingeleitet wurde die Bismarcksche Sozialgesetzgebung als Reaktion auf die bestehende soziale Notlage der Arbeiterschaft und der damit verbundenen Gefahr für den sozialen Frieden mit der Kaiserlichen Botschaft vom 17.11.1881 (vollständig abgedruckt in: ZSR 27/2 [1981]:730–735). Auf diese Botschaft wurde zunächst am 15.6.1884 das Gesetz, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter erlassen. Ihm folgten am 6.7.1884 das Unfallversicherungsgesetz und am 22.6.1889 das Gesetz, betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung. Diese drei Gesetze wiesen bereits Strukturmerkmale auf, die auch die heutige Sozialversicherung kennzeichnen: Rechtsansprüche auf Leistungen, Gewährung von Leistungen im Versicherungsfall ohne Bedürftigkeitsprüfung, Abhängigkeit der Beitragshöhe vom Arbeitslohn, gemeinsame Verwaltung der Kassen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Nach einer Reihe von inhaltlichen Modifikationen wurden die bestehenden drei Versicherungszweige im Jahre 1911 in der Reichsversicherungsordnung zusammengefasst. Ebenfalls im Jahre 1911 wurde das AVG verabschiedet, das die Angestellten – mit günstigeren Leistungen als für Arbeiter – in die Rentenversicherung einbezog. Die Trennung von Angestellten und Arbeitern in der Rentenversicherung wurde erst 2004 aufgegeben. In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg wurden weitere Bereiche gesetzlich geregelt: 1920 die Versorgung der Kriegsopfer, 1922 die Jugend- und Sozialhilfe (Fürsorge), 1927 die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. In der Zeit des Nationalsozialismus blieben wesentlich Strukturen des bis dahin geltenden Sozial(-versicherungs-)rechts erhalten. Die diskriminierende Rassenpolitik machte aber vor dem S. nicht halt und führte u. a. zu einem Ausschluss der Juden aus der Sozialversicherung.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhr die Sozialgesetzgebung in beiden Teilen Deutschlands einen erheblichen Aufschwung, wobei die Entwicklung in der DDR und der BRD unterschiedlich verlief. In der BRD wurde das System sozialer Sicherheit auf der Grundlage der historisch gewachsenen Strukturen fortgeführt und weiterentwickelt. Ein wesentlicher Schritt war zunächst die Rentenreform im Jahre 1957, mit der v. a. das bis dahin geltende Kapitaldeckungsverfahren durch das auf einem „Generationenvertrag“ aufbauende Umlageverfahren ersetzt wurde. Das bisherige Fürsorgerecht wurde 1961 durch das BSHG ersetzt, welches seinerseits 2015 als SGB XII in das SGB integriert wurde. In den folgenden Jahren wurden mit Kindergeld, Wohngeld, Erziehungsgeld und Ausbildungsförderung weitere wichtige Sozialleistungsbereiche geschaffen. 1969 löste das AFG das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung von 1927 ab. Im gleichen Jahr begannen mit der Regierungserklärung von Bundeskanzler Willy Brandt auch die Arbeiten an einer Gesamtkodifikation des S.s, dem SGB. Bis heute sind folgende Sozialleistungsbereiche in das SGB einbezogen: die Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II), die Arbeitslosenversicherung (SGB III), die gesetzliche Krankenversicherung (SGB V), die gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI), die gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII), die Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII), die Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen (SGB IX), die soziale Pflegeversicherung (SGB XI) sowie die Sozialhilfe (SGB XII). Gemäß § 68 SGB I gelten noch weitere Bereiche bis zur ihrer formalen Einordnung als bes. Teile des SGB. Am 3.10.1990 trat mit dem Beitritt der ostdeutschen Länder dort das S. der BRD in Kraft. Seit Mitte der 90er Jahre steht die Sozialgesetzgebung schwerpunktmäßig im Zeichen der finanziellen Konsolidierung, was u. a. zu Leistungseinschränkungen und erhöhten Zuzahlungen in der Krankenversicherung sowie der Anhebung der Altersgrenzen in der Rentenversicherung führte. In der Tat bedarf der Sozialstaat in der BRD fortwährend der Reform und Anpassung. Mitunter wird er in der Krise gesehen. Neben neuen Herausforderungen, wie z. B. Veränderungen in der Arbeitswelt, bleibt die Frage nach einer wirtschaftlich sinnvollen Finanzierung ein drängendes Thema.

3. Einteilung

Vergleichbar der Diskussion um den Begriff sind auch immer wieder Versuche unternommen worden, das S. in einzelne Bereiche zu untergliedern und zu systematisieren. Ziel einer solchen Systematisierung ist das bessere Verständnis der Rechtsmaterie als solcher und das Erkennen übergreifender Leitlinien innerhalb des S.s. Vollständig überzeugende Lösungen sind bislang aber noch nicht gefunden worden und lassen sich wohl auch nicht finden. Denn die Sozialgesetzgebung im Sozialstaat folgt keinem „Masterplan“ (Becker 2018: 53), sondern reagiert oft situativ, was zu diversen Zufälligkeiten führen kann. Bemühungen um eine Systematisierung des S.s können sich an verschiedenen Kriterien orientieren, etwa an den Leistungsbereichen des S.s, dem Leistungsgrund oder dem Leistungszweck. Klassisch wurde dabei in Deutschland zwischen Sozialversicherung, Versorgung und Fürsorge unterschieden, einer Einteilung, die auch dem GG zugrunde liegt. So ist in Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG (aber auch in Art. 87 Abs. 2 GG und Art. 120 Abs. 1 S. 4 GG) von der Sozialversicherung die Rede. Art. 73 Abs. 1 Nr. 13 GG handelt von der Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen und der Fürsorge für die ehemaligen Kriegsgefangenen (Kriegsopferversorgung). Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG spricht von der öffentlichen Fürsorge. Diese klassische Einteilung – nach dem Leistungsgrund – wird mittlerweile weitgehend als unzureichend empfunden und weithin durch eine stärker an die Funktion der jeweiligen Leistung (§§ 1–10 sowie 18–29 SGB I) anknüpfende Dreiteilung ersetzt, nämlich in Vorsorge, Entschädigung sowie Hilfe- und Förderleistungen. Bei der Vorsorge geht es um den Schutz vor bestimmten sozialen Risken (u. a. Krankheit, Alter, Arbeitsunfall). Realisiert wird dies durch die Sozialversicherung (SGB V [Krankenversicherung], VI [Rentenversicherung], VII [Unfallversicherung], XI [Pflegeversicherung] und SGB III [soweit Arbeitslosenversicherung]). Die soziale Vorsorge ist beitragsbezogen und setzt zur Leistungsgewährung den Versicherungsfall voraus. Auf eine Bedürftigkeit kommt es nicht an. Der Bereich der Entschädigung (vgl. § 5 SGB I) erfasst neben der klassischen (Kriegsopfer-)Versorgung alle Sozialleistungen, die wegen einer besonderen Verantwortung der Allgemeinheit für einen Gesundheitsschaden erbracht werden. Soziale Entschädigungsleistungen sind wegen der Verantwortung der Allgemeinheit steuerfinanziert und verlangen lediglich dem Leistungsgrund nach Kausalität, nicht aber eine Bedürftigkeit. Das soziale Entschädigungsrecht ist nicht in einem eigenen Buch kodifiziert. Die einschlägigen Einzelgesetze gelten gemäß § 68 Nr. 7 und 8 SGB I aber als bes. Teile des SGB. Der Komplex der Hilfe und Förderung erfasst einerseits die Sozialhilfe, die eine bes. Leistungsschwäche und Bedürftigkeit auffangen (§ 9 SGB I), andererseits die soziale Förderung, die soziale Entfaltungsmöglichkeiten und Chancengleichheit (Chancengerechtigkeit, Chancengleichheit) herstellen soll (z. B. Kindergeld, Wohngeld, Ausbildungsförderung, § 3 Abs. 1 sowie §§ 6–8 SGB I; vgl. auch § 68 Nr. 1, 9, 10, 15). Der Bereich „Hilfe“ dient als „Auffangnetz“ in den Situationen, in denen sich Menschen nicht selbst ihren Lebensunterhalt sichern können. Sie wird als Sozialhilfe oder Grundsicherung bezeichnet und ist im SGB II, SGB XII und im AsylbLG geregelt. Letzteres ist bisher weder in das SGB aufgenommen worden noch wird es über § 68 SGB I als besonderer Teil des SGB behandelt. Mittlerweile wird auch eine Vierteilung vertreten, die zwischen Sozialversicherung, sozialer Entschädigung, sozialer Hilfe und Förderleistungen differenziert.

4. Zuständigkeitsverteilung nach dem GG

Die Verteilung der Kompetenzen bzgl. der Sozialgesetzgebung folgt den allgemeinen Vorgaben der Art. 70 ff. GG. Das S. ist danach in erster Linie Bundesrecht, wobei aber eine umfassende Kompetenzbestimmung, die dem Bund das S. zuweist, fehlt. So hat der Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für die Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen sowie die Fürsorge für die ehemaligen Kriegsgefangenen (Art. 73 Abs. 1 Nr. 13 GG). Der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit (Art. 74 Abs. 1 GG) unterfallen u. a.: die öffentliche Fürsorge mit Ausnahme des Heimrechts (Nr. 7), die Kriegsgräber und Gräber anderer Opfer des Krieges und Opfer der Gewaltherrschaft (Nr. 10), das Arbeitsrecht einschließlich des Arbeitsschutzes und der Arbeitsvermittlung sowie die Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung (Nr. 12), die Regelung der Ausbildungsbeihilfen und die Förderung wissenschaftlicher Forschung (Nr. 13), das Wohngeldrecht (Nr. 18). Das BVerfG legt die einzelnen Kompetenzen überwiegend weit aus und versteht insb. den Begriff der Sozialversicherung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG als einen weit gefassten Gattungsbegriff. Neue Lebenssachverhalte können daher in das System „Sozialversicherung“ einbezogen werden, wenn die neuen Sozialleistungen in ihren wesentlichen Strukturelementen, insb. in der organisatorischen Durchführung und hinsichtlich der abzudeckenden Risiken, dem Bild entsprechen, das durch die klassische Sozialversicherung geprägt ist (BVerfGE 11,105 [112]; 75,108 [146]; 88,203 [313]). Unter öffentlicher Fürsorge i. S. d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG ist die gesamte öffentliche Fürsorge, einschließlich der Mutterschafts-, Säuglings-, Jugend- und Behindertenfürsorge zu verstehen. Es geht um „eine besondere Situation zumindest potenzieller Bedürftigkeit […], auf die der Gesetzgeber reagiert“ (Papier/Shirvani 2018: 139 mit Verweis auf BVerfGE 140,65 Rdnr. 29). Insgesamt hat das BVerfG bislang aus keiner der Kompentenzregelungen des GG eine Kompetenz für das gesamte S. oder für den Gesamtbereich der sozialen Sicherheit abgeleitet. Für die Länder bleiben angesichts der weitgehenden Bundeskompetenzen nur wenige Spielräume zur Sozialgesetzgebung (z. B. Versorgungswerke der Angehörigen freier Berufe und einzelne landerechtliche Leistungen, z. B. Blindengeld in NRW). Gestaltungrechte bestehen für den Landesgesetzgeber im Krankenhausrecht, Pflegerecht sowie Kinder- und Jugendhilferecht. Das BVerfG hat jedoch im Jahre 2010 ausgeführt, dass der Bund nach der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung die Verantwortung für die Sicherstellung des gesamten menschenwürdigen Existenzminimums hat (BVerfGE 125,175 ff.).

Die Ausführung der Sozialgesetze obliegt nach Art. 83 GG grundsätzlich den Ländern. Da die Sozialversicherungen aber von Selbstverwaltungsträgern selbst ausgeführt werden, kommt den Ländern kein großer Anteil zu. Die Länder führen u. a. das SGB XII, das SGB VIII (KJHG), das BEEG, das WoGG und die Kriegsopferversorgung aus. Daneben sind die Verwaltungskompetenzen des Bundes nach Art. 87 Abs. 2 und 3 GG sowie Art. 91e GG zu beachten. Die jeweils zuständigen Leistungsträger für einzelne Sozialleistungen sind im Übrigen aus den §§ 18–29 SGB I ersichtlich, so z. B. die Agenturen für Arbeit und die sonstigen Dienststellen der BA (Arbeitsverwaltung) bei den Leistungen der Arbeitsförderung (§ 19 Abs. 2 SGB I).

5. Internationale Bezüge

Das S. weist in vielfältiger Form Bezüge zum internationalen Recht auf. Es geht dabei meist um koordinierende Regelungen, wenn ein Sachverhalt über die nationalen Grenzen hinaus Bedeutung hat. Zunehmend geht es aber auch um materielle Vorgaben für die nationalen Staaten.

Betroffen ist zunächst das nationale Recht selbst, wenn es um grenzüberschreitende Sachverhalte geht. Man spricht insofern vom Internationalen S. In Anlehnung an das Internationale Privatrecht kann das Internationale S. als Gesamtheit solcher sozialrechtlichen Normen verstanden werden, die bestimmen, welches nationale Recht zur Anwendung kommt, ohne aber selbst eine materielle Regelung zu treffen. Bezogen auf das deutsche Recht ist dabei v. a. § 30 SGB I zu nennen, der den Geltungsbereich des SGB festlegt. Allerdings gibt es nach § 37 SGB vielfache Ausnahmen von § 30 SGB I, insb. im Sozialversicherungsrecht (z. B. §§ 4 und 5 SGB IV). Tendenziell verliert das Internationale S. im beschriebenen Sinne zudem, bedingt durch viele Sozialversicherungsabkommen und supranationale Regelungen der EU, an Bedeutung.

Einen weiteren Bereich internationaler Bezüge stellen die vielfältigen Sozialversicherungsabkommen dar. Dies sind zwischenstaatliche Übereinkünfte, also völkerrechtliche Staatsverträge, die der Transformation gemäß Art. 59 Abs. 2 GG bedürfen. Sie enthalten koordinierende Regelungen.

Von erheblicher Bedeutung ist mittlerweile das EU-Recht (Europarecht). Zu beachten ist dabei, dass die Begrifflichkeiten im einschlägigen EU-Recht insgesamt recht unterschiedlich sind. Titel X des AEUV (Art. 151–161) ist mit „Sozialpolitik“ überschrieben und enthält Zielvorgaben auch für das Arbeitsrecht. Enger dürfte der Begriff der sozialen Sicherheit (z. B. Art 48, 153 Abs. 4 AEUV) zu verstehen sein. Bzgl. der Kompetenzen der EU im Bereich des S.s ist auf Art. 48 AEUV sowie die Art. 151 ff. AEUV (Art. 153, 157 AEUV) zu verweisen. Die EuGRC enthält in Titel IV (Solidarität) soziale Grundrechte. Für das S. sind dabei v. a. Art. 34 (Soziale Sicherung und soziale Unterstützung) und 35 (Gesundheitsschutz) EuGRC einschlägig.

Auf globaler bzw. europäischer Ebene spielen sozialrechtliche Bezüge als Recht auf soziale Sicherheit v. a. unter dem Gesichtspunkt des Menschenrechtsschutzes eine Rolle. Zu nennen ist hier auf globaler Ebene v. a. die AEMR (Art. 22, 25) sowie der IPwskR (Art. 9). Auf europäischer Ebene sind die ESC (Art. 12 f.) sowie die EMRK zu nennen, auch wenn letztere keine eigenständigen Vorgaben enthält. Hingewiesen sei schließlich noch auf die ILO, die seit ihrer Gründung eine Vielzahl von Konventionen zu Fragen der sozialen Sicherheit verabschiedet hat.