Arbeitslosenversicherung
1. Geschichte und Aufgabe
Die A. ist eine überwiegend beitragsfinanzierte Sozialversicherung basierend auf der Rechtsgrundlage des SGB III. Für sozialversicherungspflichtige Beschäftigte stellt die A. eine Pflichtversicherung dar. Träger der A. ist die BA. Die primäre Aufgabe besteht in der Existenzsicherung der Versicherten während des Arbeitsfindungsprozesses sowie in Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung.
Die A. wurde nicht wie die Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung (Krankenversicherung, Unfallversicherung, Rentenversicherung) bereits Ende des 19. Jh. unter Otto von Bismarck, sondern erst nach der Hyperinflation in Deutschland im Jahr 1927 eingeführt. Vor der Einführung war die (finanzielle) Fürsorge von beschäftigungslosen Arbeitnehmern karitativen Einrichtungen und Gewerkschaften bzw. Arbeitgeberverbänden einzelner Berufsgruppen vorbehalten.
Die wesentlichen Merkmale der heutigen A. basieren auf dem AFG von 1969, welches im Jahr 1998 durch das SGB III ersetzt wurde. Die genaue Ausgestaltung der Versicherung, insb. bzgl. der Beitragssätze und Auszahlungsbeträge sowie der Dauer der Leistungen, wurde in der jüngeren Vergangenheit der 2000er Jahre insb. im Rahmen der Hartz-Gesetze verändert.
2. Versichertenkreis und Finanzierung
Der Kreis der pflichtversicherten Personen umfasst alle Personen, die einer bezahlten, nicht-geringfügigen Beschäftigung nachgehen oder zur Berufsausbildung beschäftigt sind. Dieser Personenkreis umfasst u. a. Beschäftigte, welche andere Leistungen wie Mutterschaftsgeld oder Krankengeld beziehen sowie Wehrdienstleistende und sich in Altersteilzeit befindende Beschäftigte. Von der Versicherungspflicht befreit sind hingegen u. a. Beamte, Soldaten (Soldat) und geringfügig Beschäftigte.
Seit 2006 besteht die Möglichkeit der freiwilligen Versicherung („Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag“) für Selbstständige, pflegende Angehörige sowie für Beschäftigte außerhalb der EU. Der Antragsteller muss zudem weitere Voraussetzungen erfüllen, bspw. in mindestens zwölf der letzten 24 Monate vor Aufnahme der Tätigkeit in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden haben.
Der Beitragssatz wurde in der Vergangenheit mehrfach angepasst. Nach einer Steigerung von 2% auf 6,5% (1992) ging der Beitragssatz zwischen 2006 und 2011 auf 3% der Beitragsbemessungsgrundlage zurück. Die Beitragsbemessungsgrundlage ist das Arbeitsentgelt der Beschäftigten (beitragspflichtige Einnahme), das bis zur Beitragsbemessungsgrenze (Stand 2016: alte Bundesländer jährlich 74 400 Euro und neue Bundesländer jährlich 64 800 Euro) berücksichtigt wird. Die Beiträge sind zusammen mit den Beiträgen zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung (Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Rentenversicherung) als Gesamtsozialversicherungsbeitrag von den Arbeitgebern an die Krankenkassen (Einzugsstelle) zu zahlen. Diese leiten die für die A. bestimmten Beiträge an die BA weiter.
Die Beiträge zur A. werden bei abhängig Beschäftigten zu gleichen Teilen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gezahlt. Im Gegensatz dazu haben Selbstständige, welche freiwillig versichert sind, einen monatlichen Beitrag in Höhe von 82,95 Euro (West) bzw. 70,35 Euro (Ost) selbst zu bezahlen.
Da die Beitragszahlungen der Versicherungsnehmer in Zeiten schwacher Konjunktur durch eine gesteigerte Anzahl an Arbeitslosen und eine geringere Zahl an Beitragszahlern nicht immer zur vollständigen Deckung der Ausgaben ausreichen, ist der Bund laut Art. 120 GG in diesem Fall zu finanzieller Unterstützung verpflichtet. Daher ist die A. keine Versicherung im klassischen Sinn, welche ausschließlich beitragsfinanziert ist.
3. Leistungen
Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, wer arbeitslos ist, sich bei der BA arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Die Anwartschaftszeit hat erfüllt, wer in mindestens zwölf der vergangenen 24 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Arbeitslos ist, wer vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht, eine versicherungspflichtige Beschäftigung sucht und dabei den Vermittlungsbemühungen der BA zur Verfügung steht (Arbeitsverwaltung), daher bereit ist jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen. Somit soll die A. gegen das Risiko der Arbeitslosigkeit versichern, wenn diese nicht durch die Person des Arbeitslosen begründet ist.
Die Höhe des Arbeitslosengeldes beläuft sich für Arbeitslose mit Kind auf 67%, für Arbeitslose ohne Kind auf 60% des Nettoentgelts. Bemessungsgrundlage ist das Bruttoarbeitsentgelt der letzten zwölf Monate, abzüglich einer Sozialversicherungspauschale von 21%, Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag, wobei manchmal ein Bruttoarbeitsentgelt in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt wird. Die Dauer des Anspruchs ist abhängig von Alter und Dauer der vorausgehenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Seit 2008 beträgt die maximale Auszahlungsdauer vor Vollendung des 50. Lebensjahres ein Jahr. Diese kann für ältere Arbeitslose mit längerer vorausgehender Anwartschaftszeit auf bis zu zwei Jahre ausgeweitet werden. Bis 2006 betrug die maximale Bezugsdauer unter Berücksichtigung beider Bedingungen 32 Monate.
Im Fall eines vorübergehenden konjunkturellen Einbruchs können Arbeitgeber bei der BA Kurzarbeit beantragen, sodass Arbeitnehmer – nach Genehmigung des Antrags – konjunkturelles Kurzarbeitergeld erhalten können. Die Bezugsdauer beträgt dabei höchstens sechs Monate (in Ausnahmefällen bis zu 24 Monate), wobei sich die Höhe auf 67% (bzw. 60%) der Nettoentgeltdifferenz im Anspruchszeitraum beläuft.
Beispiel: Ein Arbeitnehmer, der vor Kurzarbeit ganztags gearbeitet hat, kann bei Teilzeitbeschäftigung (50% der Arbeitszeit) etwa 80% seines bisherigen Einkommens aus der Kombination reduziertes Nettogehalt plus Kurzarbeitergeld realisieren. Weitere Entgeltersatzleistungen sind u. a. Leistungen für witterungsbedingte Arbeitsausfälle (Saison-Kurzarbeitergeld) oder Insolvenzgeld im Falle der Insolvenz des Arbeitgebers.
Die Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik lassen sich in vier Kategorien einordnen:
a) Unterstützung bei der Arbeitssuche,
b) Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen,
c) Lohnsubventionen,
d) öffentliche Beschäftigung.
Die Wirkung der aktiven Arbeitsmarktpolitik ist insgesamt positiv zu bewerten, was ihren Effekt auf die Reduzierung der Arbeitslosigkeit und die Erhöhung der Beschäftigungschancen von Arbeitslosen betrifft. Insb. die Unterstützung bei der Arbeitssuche ist kurzfristig wirksam und kosteneffizient. Langfristig wirken Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen positiv, öffentliche Beschäftigung wirkt sich jedoch negativ auf die Beschäftigungschancen von Arbeitslosen aus.
4. Ökonomische Wirkungen der Arbeitslosenversicherung
Aus makroökonomischer Sicht wirkt die A. als automatischer Stabilisator. Denn in einem konjunkturellen Abschwung mit zunehmender Arbeitslosigkeit wirkt sie dem gesamtwirtschaftlichen Nachfragerückgang entgegen, weil das verfügbare Einkommen der Arbeitslosen nicht so stark sinkt wie in einer Welt ohne A.
Aus mikroökonomischer Sicht ist insb. die Dauer der Leistungsgewährung und die Höhe der Leistung entscheidend. Zahlreiche empirische Studien kommen zu dem Ergebnis, dass insb. die Dauer des Leistungsbezugs zur Verlängerung der Arbeitslosigkeit beiträgt. Im Rahmen der sogenannten Hartz-Gesetze wurde dieser Einsicht Rechnung getragen, in dem zum einen die zeitlich unbefristete Arbeitslosenhilfe gestrichen und die Dauer des Arbeitslosengeldbezugs deutlich verkürzt wurde.
Literatur
J. W. Althammer/H. Lampert: Lehrbuch der Sozialpolitik, 92014 • G. Bäcker u. a.: Sozialpolitik und soziale Lage in Deutschland, Bd. 1, 42007 • J. Kluve: Aktive Arbeitsmarktpolitik, 2013 • BA: Jahres- und Monatsberichte.
Empfohlene Zitierweise
A. Spermann: Arbeitslosenversicherung, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Arbeitslosenversicherung (abgerufen: 21.11.2024)