Stabilisierung

1. Stabilisierung und Stabilisierungspolitik

Seit Richard Abel Musgrave (1969) werden die Aufgaben des Staates zur Gestaltung der Marktwirtschaft in die Bereiche Allokation, Distribution und S. unterteilt. Das Aktivitätsfeld der S.s-Politik ist relativ jung. Es wurde im Rahmen der sogenannten Globalsteuerung in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre in Deutschland und auch auf europäischer Ebene mit dem Werner-Plan zu einer stufenweisen Verwirklichung einer Währungsunion in Europa populär. Letzterer empfahl eine vollständige Zentralisierung der Fiskalpolitik auf europäischer Ebene zur Sicherung einer flexiblen S.s-Politik mit Ermessensspielräumen.

Generell wird der Staat seit der Great Depression von 1929 bis 1932 und John Maynard Keynes’ „General Theory“ (1936) in vielen westlichen Volkswirtschaften über die Allokations- und Distributionsfunktion hinaus mit der Aufgabe bedacht, das Marktsystem zu stabilisieren.

Die Begriffe der S. und S.s-Politik in Volkswirtschaften haben mehrere Dimensionen. Vorrangiges Ziel von Zentralbanken, wie der EZB, ist die Stabilität des Preisniveaus. Hierdurch soll die Kaufkraftstabilität der Währung im Inland sichergestellt werden. Diese sogenannte innere Stabilität wird i. d. R. durch die Bekämpfung von Inflation und Deflation durchgesetzt (Inflation Targeting). Äußere Stabilität, d. h. eine konstante Kaufkraft der heimischen Währung im Ausland, wird nach allgemeinem Verständnis durch die S. der Wechselkurse gegenüber dem Ausland durch Minimierung von Schwankungen, die nicht fundamental begründet sind, erreicht. Beide Varianten der Stabilität bedingen einander.

Zusätzlich geht es aber auch um die wirtschaftliche Stabilität einzelner Märkte, bspw. der internationalen Rohstoffmärkte und – spätestens seit Ausbruch der globalen Finanzkrise (Finanzmarktkrise) – auch der Finanzmärkte im Allgemeinen, sowie um die S. der Gesamtwirtschaft, gemessen an der Minimierung der (zyklischen) Abweichungen der Arbeitslosenrate von ihrem gleichgewichtigen natürlichen Niveau und der (zyklischen) Abweichungen des Wirtschaftswachstums von seinem langfristigen Trend.

Eine wichtige Erkenntnis aus der globalen Finanzkrise ist, dass die Finanzstabilität eine wesentliche Voraussetzung für Preisstabilität und gesamtwirtschaftliche Stabilität darstellt. Sie hat deshalb als bedeutende Vorgabe Einzug in den neuen Handlungsrahmen von Zentralbanken und Regierungen gefunden.

Nach traditioneller Auffassung beinhaltet der Begriff der S.s-Politik im weiteren Sinne (auch Stabilitätspolitik genannt) alle staatlichen Maßnahmen zur Erreichung eines makroökonomischen Gleichgewichts mit angemessenem und stetigem Wirtschaftswachstum, hohem Beschäftigungsstand und stabilem Preisniveau.

Die S.s-Politik im engeren Sinne, oft synonym mit dem keynesianisch (Keynesianismus) geprägten Begriff der Konjunkturpolitik verwendet, umfasst alle prozesspolitischen Maßnahmen zur Beeinflussung des Wirtschaftsablaufs.

Ordnungspolitische Aktivitäten (Ordnungspolitik), die den Handlungsrahmen der Wirtschaft verändern, werden hingegen der Wachstumspolitik und der Angebotspolitik (Angebotsökonomik) zugeordnet. Dabei geht es darum, durch die Schaffung freien Wettbewerbs, die Entfesselung des Unternehmertums und die Förderung technischen Fortschritts den Angebotsspielraum der Volkswirtschaft zu erhöhen.

Die Effekte der S.s-Politik betreffen also die kurze Frist und, nach Abschluss aller Anpassungsvorgänge an die stabilisierungspolitischen Impulse, auch die mittlere Frist. Die Effekte der Wachstumspolitik zielen hingegen auf die lange Frist, also das Trendwachstum.

In § 1 des am 8.6.1967 als Reaktion auf die erste größere deutsche Nachkriegsrezession eingeführten StabG wurde entspr. festgehalten, dass Bund und Länder bei ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen (Finanzpolitik) die Erfordernisse des sogenannten gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten haben. Diese Erfordernisse sind auch als magisches Viereck bekannt. Die vier „Ecken“ bestehen aus der Preisniveaustabilität, einem hohen Beschäftigungsstand, außenwirtschaftlichem Gleichgewicht und einem stetigen angemessenen Wirtschaftswachstum. Bei der Erreichung dieser Ziele werden häufig Zielkonflikte ausgemacht, die Kompromisse bei der S.s-Politik erfordern. So thematisiert bspw. die Theorie optimaler Währungsräume S.s-Verluste aus dem Wegfall einer souveränen Geldpolitik und eines flexiblen Wechselkurses der eigenen Währung. Genau dies ist ein Problem für alle heutigen Euro-Mitgliedsländer, die nicht über das „Ersatzventil“ flexibler Löhne und Preise verfügen und/oder ihre fiskalpolitischen S.s-Instrumente nicht mehr hinreichend nutzen können, weil sie schon zu stark verschuldet sind.

Zu den direkten Zielen der S.s-Politik zählt das Erreichen eines angemessenen und stetigen Trendwachstums der Wirtschaft nicht, da dies die Kernaufgabe einer längerfristigen angelegten Wachstumspolitik ist.

Spätestens seit der globalen Finanzkrise wird jedoch deutlich, dass die von Vertretern der traditionellen S.s-Politik vorgenommene klare Trennung von Trend und Zyklus zunehmend verschwimmt. Bspw. liefern neuere Forschungsergebnisse Evidenz dafür, dass die aktuelle Wachstumsrate des BIP sein zukünftiges Trendwachstum oder die aktuelle Arbeitslosenrate die zukünftige Höhe der natürlichen Rate mitbestimmt („Hysterese“). Dann aber wird auch die Einschränkung der Definition einer S.s-Politik auf rein prozesspolitische Maßnahmen zur Beeinflussung des Wirtschaftsablaufs kaum noch zu halten sein. Denn es ergeben sich unter Umständen permanente Effekte temporärer S.s-Politik, wodurch auch die antizyklische S.s-Politik wieder teilweise rehabilitiert werden könnte.

2. „Staatliche“ Stabilisierung

Die Stabilitätspolitik im engeren Sinne basiert v. a. auf dem antizyklischen Einsatz der Geld- und der Fiskalpolitik zur S. konjunktureller Schwankungen. Dieser kann um Elemente einer Einkommenspolitik erweitert werden, um dem Einfluss von Einkommensungleichheit auf Arbeitslosigkeit und Wirtschaftswachstum Rechnung zu tragen.

Träger der Geldpolitik ist in den meisten führenden Industrieländern eine von der Regierung formal unabhängige Zentralbank. In der Eurozone werden die Aufgaben der Geldpolitik von der EZB wahrgenommen. Diese verfolgt ein mittelfristiges Stabilitätsziel für das Preisniveau, was eine Nutzung der Geldpolitik für kurzfristige S.s- bzw. Konjunkturpolitik ausschließt. Mithilfe der geldpolitischen Instrumente (Offenmarkt-, Zins-, Mindestreservepolitik u. a.) kann die Zentralbank die Geldversorgung der Wirtschaft und die Geldmarktzinssätze beeinflussen. Durch Liquiditätsverknappung und Zinserhöhung kommt es tendenziell zu einem Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, damit kurzfristig zu einer Senkung der Kapazitätsauslastung und der Beschäftigung und zu einer Dämpfung des Preisauftriebs und vice versa.

Die öffentlichen Haushalte können mit den ihnen zur Verfügung stehenden Instrumenten der Fiskalpolitik ebenfalls Einfluss auf die wirtschaftlichen Aktivitäten nehmen. Durch Verringerung der öffentlichen Ausgaben oder durch Erhöhung der öffentlichen Einnahmen wird die öffentliche bzw. die private Nachfrage gedämpft (restriktive Fiskalpolitik). Geschieht genau dies zielgerichtet im Boom und werden spiegelbildlich in einer Rezession staatliche Ausgaben erhöht und öffentliche Einnahmen verringert (expansive Fiskalpolitik), spricht man von antizyklischer Fiskalpolitik. Durch die antizyklische S.s-Politik soll in Zeiten der Rezession fehlende private Nachfrage durch staatliche Nachfrage ersetzt werden, um den Konjunkturzyklus (Konjunktur) zu glätten. Empirische Untersuchungen belegen jedoch bei hohen Schuldenständen der betroffenen Staaten genau das Gegenteil, dass nämlich eine fiskalpolitische Anpassung überschuldeter Staaten, also eine restriktive Fiskalpolitik, wegen zukünftig erwarteter niedriger Zinsen und Steuern zukünftig zu mehr privater Konsum- und Investitionsnachfrage führt (expansionary fiscal contraction).

Umstritten ist die Frage, ob sich die S.s-Politik als Stabilitätspolitik auf die Preisstabilität beschränken und diese Aufgabe nur einem Träger der Wirtschaftspolitik, der Zentralbank, zugeordnet werden soll. Die Antwort hierauf hängt von der makroökonomischen Denkschule ab.

Nach der monetaristisch geprägten Auffassung, dass die Geldpolitik zumindest mittelfristig nur die Inflationsrate beeinflusst, nicht aber die Beschäftigung, ist der Inflationsbekämpfung höchstes Gewicht einzuräumen und dieser Bereich der Stabilitätspolitik dem Zentralbanksystem zuzuordnen. Dieses sollte eine allein an der Preisstabilität ausgerichtete Geldpolitik verfolgen. Die übrigen Träger staatlicher Wirtschaftspolitik sollten sich darauf beschränken, verlässliche Rahmenbedingungen für den privaten Sektor zu setzen und sich einer aktiven S.s-Politik enthalten. Zumal die Effektivität einer antizyklischen S.s-Politik von einer genauen, nicht zu leistenden Kenntnis der Entscheidungs- und Wirkungsverzögerungen dieser Politik abhängt. Dieser Sichtweise folgten vor der globalen Finanzkrise nahezu alle internationalen Zentralbanken, indem sie ein System des Inflation Targeting implementierten.

Dagegen vertreten Keynesianer die Sichtweise, die Geldpolitik habe auch mittelfristig Einfluss auf die Beschäftigung. Deshalb sei dem Beschäftigungsziel ein höherer Rang einzuräumen. In diesem Fall wären die Instrumente der Geld- und der (antizyklischen) Fiskalpolitik von ihren Trägern i. S. einer Globalsteuerung der Wirtschaft abzustimmen. Dies wirft im Euroraum bes. Probleme auf, da die Geldpolitik von der EZB verantwortet wird und ausschließlich auf das Ziel der Preisniveau-S. (und seit der Finanzkrise auch auf die Finanzstabilität) gerichtet ist, während die Fiskalpolitik im Wesentlichen weiterhin von den einzelnen Mitgliedsstaaten betrieben wird, in denen erhebliche Auffassungsunterschiede über Möglichkeiten und Grenzen einer fiskalpolitischen Steuerung von Produktion und Beschäftigung bestehen.