Recht

R. kann als soziales Regelsystem, als Inbegriff der verbindlichen Normen eines Sozialverbandes verstanden werden: R. im objektiven Sinne (1.). Innerhalb dessen bezeichnet der Begriff aber auch eine individuelle Berechtigung, ein „R. auf“, einen Anspruch: R. im subjektiven Sinne (2.).

1. Recht im objektiven Sinne

Dikē und nomos, ius, diritto, droit, law, R. im objektiven Sinne meint ein soziales (bspw. staatliches, kirchliches) Regelsystem. Worin es sich von anderen Regelsystemen unterscheidet, wird uneinheitlich beantwortet. Dies liegt einerseits daran, dass der Begriff des R.s – in noch höherem Maße als der des Staates – transhistorisch und auch im Übrigen sehr unspezifisch gebraucht, nämlich auf Gesellschaften der Frühzeit ebenso angewendet wird wie auf Nationalstaaten, religiöse Verbände (insb. Kirchen), supranationale Organisationen oder die Staatengemeinschaft, was anachronistische und nivellierende Wahrnehmungen zur Folge hat. Es liegt ferner daran, dass dem R.s-Begriff je unterschiedliche Funktionen zugeordnet werden: Er kann Gegenbegriff zu Moral, Sitte oder Konvention sein, Gegenbegriff zu Politik oder Wirtschaft, Gegenbegriff zu Gesetz (etwa in Art. 20 Abs. 3 GG) oder Gegenbegriff zu Unrecht oder Willkür. Die Antwort auf die Frage nach R. hängt in hohem Maße von Kontext und Erkenntnisinteresse ab, und damit auch von der fragenden Disziplin: Geschichtswissenschaft, Soziologie, Ethnologie, dogmatische R.s-Wissenschaft, Philosophie, Theologie und Politikwissenschaft (etc.) haben zwar teils überlappende, ggf. aufeinander verweisende, aber keine deckungsgleichen Begriffe von R. Im Folgenden wird ein weiter, dachförmiger R.s-Begriff zugrunde gelegt, um viele Phänomene erfassen und zuordnen zu können. Der damit erkaufte Mangel an Präzision ist aus rechtspluralistischer Sicht sogar ein Vorteil, weil er die „definitorischen Scheuklappen“ wegfallen lässt (Seinecke 2015: 304).

1.1 Begriffliche Annäherungen

Von alters her bestimmen R.s-Denker das R. durch dessen Ziel: Nach Celsus ist R. die Praxis des Guten und Gerechten (ius est ars boni et aequi), nach Thomas von Aquin die Fähigkeit, durch die wir erkennen, was gerecht ist („ars […] qua cognoscitur quid sit iustum“ [STh II-II 57,1]). Gustav Radbruch definiert R. als „die Wirklichkeit, die den Sinn hat, der Gerechtigkeit zu dienen“ (2003: 34). Viele neuzeitliche Definitionen knüpfen dagegen – auf staatliches R. blickend – an Strukturen oder Instrumente an. So bestimmt Immanuel Kant das R. als den „Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“ (Kant 1914: 230) und stellt damit – zur Sicherung gleicher Freiheit aller – auf die Verallgemeinerbarkeit einer Regel ab. Demgegenüber dient etwa Rudolf von Jhering der Zwangscharakter der Regeln als Kriterium: R. ist „der Inbegriff der in einem Staat geltenden Zwangsnormen“, wobei „der Staat die alleinige Quelle des Rechts ist“ (1884: 320). Während im 20. Jh. Hans Kelsen die Definition des R.s als Zwangsordnung, nämlich als eine Zwangsakte statuierende Ordnung übernahm, lehnte er die etatistische Verengung ab, denn „nicht jede Rechtsordnung ist ein Staat“ (2000: 289). Bei R. von Jhering tritt ein material-teleologisches Moment hinzu, wenn er R. als „die Form der durch die Zwangsgewalt des Staates beschafften Sicherung der Lebensbedingungen der Gesellschaft“ definiert (1884: 443). Im R.s-Realismus wird R. bestimmt als „(t)he prophecies of what the courts will do in fact, and nothing more pretentious“ (Holmes 1897: 461), was die Frage aufwirft, auf welche Gerichte es ankommt (und warum nur auf sie). Max Webers Anliegen einer Abgrenzung von R. und Konvention führt ihn zu folgender berühmter Doppeldefinition: Eine Ordnung heiße „Konvention, wenn ihre Geltung äußerlich garantiert ist durch die Chance, bei Abweichung innerhalb eines angebbaren Menschenkreises auf eine (relativ) allgemeine und praktisch fühlbare Mißbilligung zu stoßen; Recht, wenn sie äußerlich garantiert ist durch die Chance des (physischen oder psychischen) Zwanges durch ein auf Erzwingung der Innehaltung oder Ahndung der Verletzung gerichtetes Handeln eines eigens darauf eingestellten Stabes von Menschen“ (Weber 2002: 17, Herv. i. O.). Normtheoretisch bedeutsam ist die Bestimmung von R. als „Einheit von primären und sekundären Regeln“ (Hart 2009: 99), d. h. von Ge- und Verboten einerseits und Ermächtigungen andererseits. Im späten 20. Jh. ist gegenüber der lange herrschenden Dominanz des Staates die Pluralität der R.s-Quellen wieder in den Blick gekommen und erleichtert die Rede von der lex mercatoria oder der lex sportiva. Resümierend definiert Ralf Seinecke R. paradox als die Relation von R. und Ordnung, wobei „Recht besteht, wenn in einer Gemeinschaft und ihrer normativ-empirischen Ordnung eine habituelle soziale Praxis vorhanden ist, die ‚Recht‘ bestimmt und die Unterscheidung ‚Recht/Unrecht‘ in einem Code prozessiert und wiederholt“ (2015: 353).

Die Frage nach dem R.s-Begriff ist aber nicht nur ein Dauerthema von R.s-Theorie, Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie, sondern stellt sich auch immanent, etwa in der R.s-Dogmatik, so bei der Frage nach „Gesetz“ i. S. d. bürgerlichen R.s (bspw. §§ 125 ff., 134 f. BGB). Hierzu definiert Art. 2 EGBGB: „Gesetz im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs und dieses Gesetzes ist jede Rechtsnorm“. Unter R.s-Norm in diesem Sinne versteht man neben Verfassung, Gesetz, Rechtsverordnung, Satzung, Tarifverträgen und unmittelbar geltendem EU-R. auch Gewohnheitsrecht, nicht dagegen Handelsbrauch, Verkehrssitte oder Vereinssatzungen.

1.2 Erscheinungsformen

Der (nicht etatistisch verengte) R.s-Begriff bezeichnet eine Erscheinung, die verschiedene Träger und Adressaten haben kann und daher u. a. als religiöses R., staatliches R., Völker-R., Europa-R. und R. der Wirtschaft vorkommt. Er ist nicht nur träger-, sondern auch formindifferent, insoweit er geschriebenes wie ungeschriebenes R. (etwa: Gewohnheits-R., Richter-R.) umfasst. Eine Sonderrolle spielt als funktionales Widerlager das Natur-R.

1.2.1 Religiöses Recht

In Glaubensgemeinschaften können Regeln kraft Offenbarung und/oder kraft menschlicher Setzung als R. gelten. Paradigmatisch für ersteres ist das Judentum, in dem – weit über den Dekalog (Zehn Gebote) hinaus – zahlreiche kult- und gesellschaftsbezogene Vorschriften die Tora (Weisung) bilden, wobei sich kasuistische und apodiktische Gesetze unterscheiden lassen. Die halachische Tradition kennt 248 Gebote und 365 Verbote; sie werden ohne Lehramt durch rabbinische Lehren diskursiv entfaltet. Deshalb ist jüdisches R. als „ein Recht ohne Staat, ohne institutionalisierte Hierarchie und mit umfassender ‚Ewigkeitsklausel‘“ bezeichnet worden; „religiöse und rechtliche Exegese fallen zusammen“ (Daniels 2009: VII f.). Ein Gegenmodell bildet die R.s-Theologie der katholischen Kirche, wie sie etwa in der Hochscholastik (Scholastik) von Thomas entfaltet wird: In einer Zeit, die die Befugnis von Papst und Kaiser entdeckte, R. zu setzen (leges condere), identifizierte Thomas neben der lex aeterna als übergreifendem göttlichem Ordnungsplan, der lex divina als dem im AT und NT geoffenbarten Gesetz und der lex naturalis als dem in der menschlichen Vernunft widergespiegelten Teil der lex aeterna (als participatio legis aeternae in rationali creatura [STh I-II, 91]) die lex humana als positives menschliches R. In Anknüpfung an spätscholastische Kategorien sieht die Kanonistik das geltende katholische Kirchenrecht auf ius divinum positivum, aber auch ius divinum naturale und ius humanum (ius mere ecclesiasticum) gegründet. Das Kirchen-R. kennt wie das weltliche R. positives R. und Gewohnheits-R. (cann. 23 ff. CIC, cann. 1506 ff. CCEO); daneben werden als R.s-Quellen die Kanonistik und die R.-Sprechung genannt. Islamisches R. speist sich aus der Scharia (Gottes Botschaft, Gottes-R.), die ihrerseits v. a. auf dem Koran, der Prophetentradition (Sunna), den Überlieferungen (Hadithen) und dem Gelehrtenkonsens basiert. Als festgefügter Block hat islamisches R. nie existiert. Die Scharia weist ein weites thematisches Spektrum – die fünf Säulen des Islam, Reinheitsgebote, Vorschriften für R.s-Geschäfte, Körperstrafen für bestimmte Handlungen u. a. – auf. Entfaltet wird sie durch die Jurisprudenz (fiqh). Hierbei konkurrieren verschiedene R.s-Schulen; vereinheitlichende Institutionen wie ein Lehramt, eine Gelehrtenhierarchie oder zentralisierende Gerichte sind wenig ausgeprägt. Dass der Kalif als Herrscher politische wie religiöse Aufgaben hat, erinnert an die politisch-religiöse Einheitlichkeit des R.s im Islam, das daher nur unter Vorbehalt als religiöses R. bezeichnet werden kann.

1.2.2 Staatliches Recht

Die westliche Tradition unterscheidet religiöses und weltliches R. (Mt 22,21: „So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!“). Als Hauptaufgabe des weltlichen R.s wird bereits in der Scholastik, nicht erst seit den Konfessionskriegen, die Friedenssicherung angesehen: „Legis enim humanae finis est temporalis tranquillitas civitatis, ad quem finem pervenit lex cohibendo exteriores actus, quantum ad illa mala quae possunt perturbare pacificum statum civitatis“ (STh I-II, 98,1). Diese Aufgabe verwirklicht das heutige staatliche R. durch Ausrichtung auf mehrere konkrete Ziele, die die Friedenssicherung zugleich unterstützen und ergänzen. So identifizierte G. Radbruch als spannungsreiche Bestandteile der R.s-Idee Gerechtigkeit, Rechtssicherheit und Zweckmäßigkeit. Staatliches R. ist arbeitsteilig auf diese Ziele ausgerichtet: in modernen Verfassungsstaaten durch die Unterscheidung von Verfassungs-R., Gesetzes-R. und untergesetzlichem R. (in der BRD z. B. R.s-Verordnungen, Satzungen, Tarifverträge, Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses u. a. Normen); im kontinentaleuropäischen R.s-Kreis durch die Unterscheidung von Privatrecht (dem R. zur Regelung der Verhältnisse zwischen Privat-R.s-Subjekten) und Öffentlichem R. (dem R. zur Regelung der Verhältnisse zwischen Privat-R.s-Subjekten und Gemeinschaft), zu dem systematisch auch das Straf-R. zu zählen ist; in Bundesstaaten schließlich durch die Unterscheidung des R.s des Bundes und der Einzelstaaten mit ihrer diversitätssichernden, gewaltenteilenden, freiheitsschützenden und erkenntnisfördernden Funktion. Manche R.s-Normen – etwa die Grund- und Menschenrechte (als R.e im subjektiven Sinne) – schützen elementare Interessen und Güter und sichern so Gerechtigkeit. Andere R.s-Normen – etwa das Rechtsfahrgebot in der Straßenverkehrsordnung – sind dagegen bloße Richtungsnormen, Ordnungsvorschriften: Sie treffen inhaltlich indifferente Entscheidungen, die Verhaltensweisen ordnen und damit das Zusammenleben erleichtern; damit verwirklichen sie R.s-Sicherheit und Zweckmäßigkeit. Wieder andere R.s-Normen haben konkrete positive Steuerungsanliegen (wie das Erreichen von Klimaschutzzielen), die sich sowohl als Fragen der Zweckmäßigkeit als auch der Gerechtigkeit ansehen lassen. Der Inbegriff aller R.s-Normen eines Staates wird als R.s-Ordnung bezeichnet – ein Begriff, der die vielfältigen Spannungen und Widersprüche innerhalb des staatlichen R.s vergessen lässt oder jedenfalls zu überwinden verspricht („Einheit der R.s-Ordnung“); im sich ständig ändernden R. der BRD des 21. Jh. ist der Begriff der R.s-Unordnung angemessener. Dieser Zustand stellt auch die Beschreibungskraft der Konzeption Niklas Luhmanns in Frage, nach dem das R. normative Erwartungen stabilisiert: Die Norm ist „kontrafaktisch stabilisierte Verhaltenserwartung“ (Luhmann 1993: 134). Auf diese Weise soll R. – auch von der Systemtheorie nicht griffig definierbar – ein zentraler Faktor zur Schaffung und Regeneration gesellschaftlichen Vertrauens sein. Doch je mehr R. steuern will, desto weniger steuert es tatsächlich (Steuerung).

R. stellt nicht nur eine Verhaltenssteuerungsordnung, sondern auch eine Symbolordnung dar: Insb. Verfassungen symbolisieren die gemeinsamen Grundüberzeugungen einer Gesellschaft („Werte“), was die bundesverfassungsgerichtliche Rede von den Grund-R.en als „objektiver Werteordnung“ so suggestiv macht (BVerfGE 7,198 [198]). Verfassungen sollen damit auch eine edukative, ja ethische Funktion erfüllen. Damit spiegeln sie eine Entwicklung wider, die sich für das deutsche R. insgesamt beobachten lässt: seine Ethisierung. Nur eine homogene Gesellschaft wird das R. als „ethisches Minimum“ (Jellinek 1967: 42) betrachten; ethisch plurale Gesellschaften sind auf R. als Ersatzmoral angewiesen, was die Gefahr der Überforderung des R.s mit sich bringt. Denn soziologische und normative Geltung von R. (d. h. tatsächliche gesellschaftliche Wirksamkeit und Wirkungsanspruch des R.s) sind kostbare Güter, über deren Voraussetzungen keineswegs Einigkeit besteht.

Warum weltliches R. normativ gilt (d. h. warum es Befolgung beanspruchen kann), beschäftigt R.s-Philosophie und R.s-Theorie seit über 2000 Jahren. Schon in der Antike wurde die These vertreten, R. basiere auf Konvention: Nach dem Sophisten Lykopron ist das Gesetz „bloße Konvention“ (vgl. Aristoteles, Politik, [III], 1280 b 8). Als neuzeitliche Vertragstheoretiker (Vertragstheorien) werden Thomas Hobbes, John Locke und Jean-Jacques Rousseau betrachtet. Anders akzentuiert, wer auf Anerkennung abstellt; ein wichtiger Vertreter der Anerkennungstheorien ist Ernst Rudolf Bierling. Willens- und Machttheorien stellen eine Willensentscheidung (und damit letztlich Autorität oder andere Formen von Macht) ins Zentrum. Als Vertreter derartiger Strömungen lassen sich John Austin und Carl Schmitt nennen. Während Verfahrenstheorien die Beachtung bestimmter Prozeduren für maßgeblich halten, stellen materiale Geltungstheorien auf bestimmte R.s-Inhalte, bspw. Vernünftigkeit oder Gerechtigkeit ab (hierzu dürfte G. Radbruch zu zählen sein). Insofern kann man auch Naturrechtslehren als materiale Geltungstheorien betrachten. Radikal anders ist die Rückführung des R.s auf eine Grundnorm, die die Normativität des R.s als Grundannahme sichtbar macht. Für Jürgen Habermas hat modernes R. nicht nur kommunikative, sondern auch integrative Funktionen, indem es die Sinnstiftung bieten soll, die einst die Religion bot. Seine Geltung basiert auf dem „Bündnis, das die Positivität des Rechts mit dem Anspruch auf Legitimität eingeht“, auf einer „Verschränkung der tatsachenbegründenden Akzeptanz mit der beanspruchten Akzeptabilität von Geltungsansprüchen“ (Habermas 1992: 57 f.).

1.2.3 Völkerrecht

Das zwischen den Staaten bzw. Staaten und internationalen Organisationen geltende R. heißt Völker-R. (ius gentium, diritto internazionale, public international law, droit international). Während es bis ins 20. Jh. Private – insb. Individuen – nicht adressierte, diese vielmehr durch Staaten und internationale Organisationen mediatisierte, berechtigt das Völker-R. heute durch die Menschen-R.e als Teil des humanitären Völker-R.s auch Individuen unmittelbar. Die R.s-Quellen des Völker-R.s werden meist anhand von Art. 38 des Statuts des IGH bestimmt: „internationale Übereinkünfte allgemeiner oder besonderer Natur, in denen von den streitenden Staaten ausdrücklich anerkannte Regeln festgelegt sind“ (Völkervertrags-R.), „das internationale Gewohnheitsrecht als Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung“ (Völkergewohnheits-R.) und die „von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze“; hinzu treten „richterliche Entscheidungen und die Lehrmeinung der fähigsten Völkerrechtler der verschiedenen Nationen als Hilfsmittel zur Feststellung von Rechtsnormen“. Innerhalb des Völker-R.s lassen sich universales und regionales Völker-R. unterscheiden. Auch letzteres hat i. d. R. keine mit dem religiösen oder dem staatlichen R. vergleichbare Dichte. Ferner weichen die Instrumente zur Durchsetzung des Völker-R.s vom staatlichen R. ab. Es fehlen zentrale Durchsetzungsmechanismen, insb. eine obligatorische Gerichtsbarkeit. An die Stelle treten diplomatische Verfahren, etwa negotiation, mediation, good offices, inquiry und conciliation, ferner schiedsgerichtliche oder – bei Unterwerfungserklärung der jeweiligen Völker-R.s-Subjekte – auch gerichtliche Verfahren. In engen Grenzen – Gewaltverbot und Verhältnismäßigkeit – akzeptiert das Völker-R. die Selbsthilfe, insb. in den Formen Selbstverteidigung (Art. 51 UN-Charta), Gegenmaßnahme (Repressalie, countermeasure) und unfreundlicher Akt (Retorsion). Mehr als bei staatlichem R. hängt die Wahrung des Völker-R.s also von Akzeptanz ab. Wegen der anderen Akteure und R.s-Quellen müssen auch die Methoden des Völker-R.s andere sein als im innerstaatlichen R. So hat die R.s-Anwendung der Mehrsprachigkeit der internationalen Praxis, der historischen Kontingenz von Gewohnheits-R. und den kulturellen Divergenzen im internationalen Verkehr Rechnung zu tragen. Völker-R. ist daher in Strukturen und Methoden nicht vom staatlichen R. her, sondern nach seinen eigenen Sachgesetzlichkeiten zu beschreiben.

1.2.4 Europarecht

Während das Europa-R. im weiteren Sinne das R. des Europarats (insb. die EMRK) umfasst, versteht man unter Europa-R. im engeren Sinne das R. der EU. Obwohl das Unions-R. historisch-genetisch in völkerrechtlichen Verträgen (Römische Verträge, Vertrag von Maastricht, Vertrag von Lissabon etc.) gründet, so hat es sich doch nach Auffassung des EuGH von diesen Grundlagen gelöst und stellt eine autonome R.s-Ordnung dar. Das BVerfG führt dagegen nicht nur die Genese, sondern auch die Geltung des europäischen Vertrags-R.s auf den R.s-Anwendungsbefehl zurück, den die Mitgliedstaaten („Herren der Verträge“) im jeweiligen Vertragsgesetz erteilt haben. Das Europa-R. gliedert sich in das Primär-R. (die Verträge unter Einschluss der EuGRC) und das Sekundär-R. (d. h. abgeleitetes Unions-R., insb. Verordnungen und Richtlinien nach Art. 288 AEUV), z. T. wird hiervon nochmals „Tertiär-R.“ (als das auf der Basis von Sekundär-R. durch Unionsorgane erlassene R.) unterschieden. Hauptgesetzgeber sind dabei das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union, wobei das Initiativ-R. i. d. R. der Europäischen Kommission zukommt. Bislang ist das Unions-R. aber auch in hohem Maße durch Richterrecht (v. a. die R.-Sprechung des EuGH) geprägt. Als ungeschriebenes Europa-R. hat der EuGH früh Gemeinschaftsgrund-R.e anerkannt; heute zählen zu ungeschriebenem Unions-R. bspw. ungeschriebene Schutzbereichsbegrenzungen (oder Rechtfertigungsgründe) bei den Grundfreiheiten sowie ein unionsrechtlicher Ersatzanspruch Privater gegen ihren Mitgliedstaat, wenn dieser gegen Unions-R. verstößt. Die Dynamik des Unions-R.s verdankt sich derzeit weniger der R.-Sprechung des EuGH als der intensiven Sekundär- und Tertiär-R.-Setzung, die fast alle Lebensbereiche in den Mitgliedstaaten betrifft. Während das Unions-R. dabei lange kaum sichtbar war, weil es sich vornehmlich der Richtlinien bediente, also R.s-Akte, die durch nationales R. umgesetzt werden müssen, lässt sich eine Tendenz zur Nutzung der (in den Mitgliedstaaten unmittelbar geltenden) Verordnung beobachten.

1.2.5 Recht der Wirtschaft

Zwar wird der Vertrag überwiegend nicht als R.s-Quelle im technischen Sinne angesehen. Doch setzen nach einer viel vertretenen Meinung die Parteien eines Vertrags mit den vertraglichen Regelungen untereinander R. Das gilt zumal für Binnenregelungen privatrechtlicher Organisationen wie den Gesellschaftsvertrag einer GmbH oder die Satzung einer AG. Dagegen verstand man unter dem „selbstgeschaffenen Recht der Wirtschaft“ (Großmann-Doerth 1933) v. a. Erscheinungen wie AGB, d. h. einseitige Regelungen der Außenbeziehungen. Heute sind internationale Handelsbräuche – die lex mercatoria – wirkmächtige Ordnungsfaktoren des Wirtschaftslebens und werden als transnationales R. betrachtet. Protagonisten seiner Entwicklung sind die Wirtschaftssubjekte, Schiedsgerichte (Schiedsgerichtsbarkeit), internationale Organisationen wie UNIDROIT und die Wissenschaft.

1.2.6 Naturrecht

Seit der griechischen Sophistik wird die Polarität eines sich der Macht verdankenden gesatzten („positiven“) R.s und eines die Macht korrigierenden und begrenzenden ungeschriebenen R.s diskutiert, letzteres über Jahrhunderte unter der Bezeichnung Naturrecht. Naturgemäß schwanken die Vorstellungen davon, was als „Natur“ Maßstab ist, und ebenso davon, was genau das Rechtliche des Natur-R.s bedeutet. Unter den sehr verschiedenen Ansätzen von Natur-R. finden sich Konzepte, die der Vorstellung eines (eher subsidiär greifenden) Vernunft-R.s ähneln, wie auch die eines Natur-R.s mit wechselndem Inhalt. In der unabgeschlossenen Kontroverse um Inhalt und Verbindlichkeit eines Natur-R.s scheint die Diskussion um universale Menschen-R.e der These von der ewigen Wiederkehr des Natur-R.s Recht zu geben.

1.3 Alternative Perspektiven auf Recht

Um R. geht es der R.s-Wissenschaft, als deren besonderes Markenzeichen in Deutschland die Dogmatik gilt, mit ihren vielen Subdisziplinen, etwa den Grundlagenfächern R.s-Philosophie, R.-Theorie, R.s-Soziologie, R.s- und Verfassungsgeschichte, Juristische Methodenlehre, Gesetzgebungslehre (bzw. R.-Setzungslehre) und R.s-Ökonomik („Law and Economics“), ferner den Teilbereichen Zivil-R.s-Lehre, Staats-R.s-Lehre und Straf-R.s-Wissenschaft bzw. Kriminalwissenschaften. Allerdings hat die R.s-Wissenschaft kein Monopol auf die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem R., und ihre Erkenntnisse und Erkenntnisinteressen werden durch die Perspektiven anderer Disziplinen erweitert und bereichert.

1.3.1 Recht als Kultur

R. wurde in der Vergangenheit häufig als Gegenüber der Kultur verstanden: als ein gesellschaftliches Subsystem, das dasjenige der „Kultur“ (ein nicht minder vieldeutiger Begriff) schützen mag, zu ihm aber auch in einem Spannungsverhältnis steht. Ausdruck dessen sind Forschungsrichtungen wie Law and Literature, Law and Culture, Law and Cinema, Law and Religion. Daneben machte bes. die R.s-Vergleichung immer deutlicher, dass R.s-Ordnungen auch R.s-Kulturen mit sich führen, d. h. ein Gesamt an vorausgesetzten und unausgesprochenen Weltsichten, Wertungen und Praktiken. In diesem Sinne impliziert R. eine spezifisch rechtsbezogene Kultur. Durch die Kulturwissenschaften wurde unabhängig davon seit dem späten 20. Jh. die Kulturalität des R.s betont: R. ist nicht nur durch Kultur(en) geprägt (also ein Gegenüber von Kultur), sondern selbst ein Produkt und eine Erscheinungsform von Kultur („Law as culture“). Dies erforschen weitgehend unabhängig von der R.s-Wissenschaft bspw. Literaturwissenschaften, Medienwissenschaften, Theologien und Religionswissenschaften. Den Voraussetzungsreichtum und die Prämissen der R.s-Systeme zu erkennen, ist eine wertvolle Hilfe auch für die R.s-Arbeit; insofern ergänzt die das R.s-System transzendierende die immanente (rechtsdogmatische) Perspektive.

1.3.2 Recht als Kommunikations- und Motivationsmittel

Durch R.s-Normen kommuniziert der R.-Setzer mit den R.s-Unterworfenen. Dieser Kommunikationsprozess ist vielfach und aus verschiedensten Richtungen untersucht worden: etwa durch die R.-Setzungslehre, die Juristische Methodenlehre, die juristische Rhetorik und die R.s-Linguistik. Weniger erforscht ist dagegen der umgekehrte Kommunikationsweg: die Kommunikation des R.s-Unterworfenen mit dem R.-Setzer durch Verhalten – ein Forschungsfeld für R.s-Soziologie, R.s-Ethnologie und R.s-Ökonomik. Auch die motivationale Seite des R.s. ist nicht in ihrer Breite untersucht. Die Kriminalwissenschaften, insb. die Kriminologie, die Polizeiwissenschaften, die allgemeine R.s-Soziologie und Bereiche der R.s-Psychologie befassen sich seit langen mit motivierenden Wirkungen des R.s. (oder bestimmter seiner Teilbereiche); auch die Ökonomik und die Governance-Forschung (Governance) beschäftigen sich mit R. als einem von vielen formellen und informellen Verhaltenssteuerungsinstrumenten. Eine integrierende Aufarbeitung der fundamentalen Funktion des R.s, Verhalten zu motivieren, fehlt indes.

2. Recht im subjektiven Sinne

2.1 Rechte als Berechtigungen

R. kann in der Neuzeit auch Berechtigung („subjektives R.“) bedeuten. Subjektive Berechtigungen und Verpflichtungen zählten schon im Mittelalter „zu den elementaren Bausteinen der Rechtsordnung“ (Bauer 1986: 27), jedoch mit anderen Grundstrukturen, anderer inhaltlicher Ausrichtung und in anderen Erscheinungsformen. Vorformen des subjektiven R.s im heutigen Sinne werden bei Wilhelm von Ockham identifiziert (R. als legitime Macht, potestas licita), die Unterscheidung von R. als Gesetz und R. als Anspruch bei Francisco Suárez und T. Hobbes; ob der Sinn dieser neuzeitlichen Unterscheidung in der Bekräftigung eines Primats der subjektiven R.e vor dem objektiven R. zu sehen ist, erscheint fraglich. Doch leitet die These von den R.en als Trümpfen über zur Kritik der subjektiven R.e. Rechtsdogmatisch unterscheidet man heute absolute und relative R.e: Erstere richten sich gegen jedermann, wie etwa das zivilrechtliche Eigentum. So kann nach § 903 BGB der Eigentümer einer Sache „soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen“. Relative R.e greifen dagegen nur gegenüber bestimmten Personen, etwa dem Vertragspartner. Eine solche Berechtigung ist ein Anspruch. Ihn definiert das Bürgerliche R. als das „Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen“ (§ 194 Abs. 1 BGB). Subjektive R.e können aus dem Privat-R. fließen, etwa aus privatrechtlichen Verträgen, aber auch aus dem Öffentlichen R.; solche R.e werden subjektive öffentliche R.e genannt. Hierzu zählen R.e aus öffentlich-rechtlichen Verträgen oder aus Gesetzen (etwa der Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen), v. a. aber die Grund-R.e (etwa aus der EuGRC, dem GG und den Landesverfassungen) sowie die sogenannten grundrechtsgleichen R.e (wie das Widerstands-R. [ Widerstand ] des Art. 20 Abs. 4 GG, die staatsbürgerlichen R.e des Art. 33 GG, das Wahl-R. aus Art. 38 GG und die justiziellen Verbürgungen der Art. 101, 103 und 104 GG). Schließlich sind auch die Menschen-R.e Verbürgungen in Form von Berechtigungen. Vielfältige völkerrechtliche Verträge haben den Schutz von Menschen-R.en zum Programm, und einige Menschen-R.e gehören zum Völkergewohnheits-R. Aus philosophischer Sicht gehört es dagegen „zum Begriff der Menschenrechte, nicht in juridischen Rechten aufzugehen“ (Menke/Pollmann 2007: 27). Insofern liegt ihre Identifikation und ihr Schutz nicht nur bei der Politik, sondern auch der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft (den Theologien, der Philosophie, der Politikwissenschaft, der R.s-Wissenschaft u. a.n Disziplinen). Dabei sollte die freiheitsschützende Bedeutung der kategorialen Unterscheidung von R. und Moral beachtet werden.

2.2 Kritik der subjektiven Rechte

Eine R.s-Ordnung kann subjektive R.e als vorgelagert anerkennen oder aber gewähren – aus Erwägungen der Gerechtigkeit oder der Zweckmäßigkeit, etwa, um die Durchsetzung des objektiven R.s zu sichern. In allen Fällen sind individuelle R.e „politische Trümpfe“ (Dworkin 1990: 14). Daran und an der separierenden Wirkung subjektiver R.e entzündet sich seit langem Kritik. Karl Marx bezeichnete Menschen-R.e als „die Rechte des Mitglieds der bürgerlichen Gesellschaft, d. h. des egoistischen Menschen, des vom Menschen und vom Gemeinwesen getrennten Menschen“ (1976: 364). Seither ist die Kritik an der Konzeption subjektiver R.e nicht abgerissen (Duncan Kennedy, Christoph Menke, Joseph Halevi Horowitz Weiler). Ihr ist zuzugeben, dass R. nicht in subjektiven R.en aufgeht: R.en müssen Pflichten des Gegenüber korrespondieren. Auch im Übrigen wäre die Reformulierung allen objektiven R.s in subjektive R.e eine Überforderung des R.s-Systems. Schließlich darf der auch das R.s-Denken prägende epistemologische Individualismus nicht mit einem substantiellen Individualismus kurzgeschlossen werden. R. ist daher mehr als die Summe subjektiver R.e und der kehrseitigen Verpflichtungen.