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„M.“ ist ein weithin unscharf und vieldeutig verwendeter, oftmals normativ und polemisch aufgeladener Begriff, der im Kern auf die Abgrenzung des Neuen vom Alten zielt und über plausible Unterscheidungskraft verfügt. In der [[Neuzeit]] trat der Begriff um die Wende vom 17. zum 18.&nbsp;Jh. in der <I>Querelle des Anciens et des Modernes</I> auf, einem französischen Literaturstreit über die Frage, inwiefern die Antike das Vorbild für die zeitgenössische Literatur und Kunst sein könne. Im späten 19. und frühen 20.&nbsp;Jh. diente der Begriff den entstehenden {{ #staatslexikon_articlemissing: Sozialwissenschaften | Sozialwissenschaften }} zur zeitgenössischen Konzeptualisierung der umfassenden Verwandlung der Welt. Vor diesem disparaten Entstehungshintergrund fand und findet der Begriff in den Geschichtswissenschaften ganz unterschiedliche inhaltliche und zeitliche, analytische und normative Verwendung.
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„M.“ ist ein weithin unscharf und vieldeutig verwendeter, oftmals normativ und polemisch aufgeladener Begriff, der im Kern auf die Abgrenzung des Neuen vom Alten zielt und über plausible Unterscheidungskraft verfügt. In der [[Neuzeit]] trat der Begriff um die Wende vom 17. zum 18.&nbsp;Jh. in der <I>Querelle des Anciens et des Modernes</I> auf, einem französischen Literaturstreit über die Frage, inwiefern die Antike das Vorbild für die zeitgenössische Literatur und Kunst sein könne. Im späten 19. und frühen 20.&nbsp;Jh. diente der Begriff den entstehenden [[Sozialwissenschaften]] zur zeitgenössischen Konzeptualisierung der umfassenden Verwandlung der Welt. Vor diesem disparaten Entstehungshintergrund fand und findet der Begriff in den Geschichtswissenschaften ganz unterschiedliche inhaltliche und zeitliche, analytische und normative Verwendung.
 
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Die beiden enger gefassten Konzepte von „M.“ wurden inhaltlich durch die entstehende wissenschaftliche {{ #staatslexikon_articlemissing: Soziologie | Soziologie }} im späten 19. und frühen 20.&nbsp;Jh. grundgelegt. Ferdinand Tönnies stellte die Ablösung von {{ #staatslexikon_articlemissing: Tradition | Tradition }}, [[Glaube]] und Gemeinschaftssinn durch Dynamik und [[Mobilität]], Verwissenschaftlichung, Kommerzialisierung und Individualisierung heraus. Georg Simmel betonte den Prozess der Individualisierung als Loslösung des [[Individuum|Individuums]] aus früheren kollektiven Bindungen, etwa aus der Großfamilie und dem Dorf der Agrargesellschaft, und hob somit auf Differenzierung und individuelle [[Freiheit]] ab. Bes. Prominenz gewann Max Webers These von der Rationalisierung, der zunehmenden kognitiven Beherrschung der Wirklichkeit durch den Menschen und der „Entzauberung der Welt“, sowie vom Arbeitsethos einer streng rationalen Arbeitsdisziplin, das die Industrialisierung ([[Industrialisierung, Industrielle Revolution]]) und M. in Europa auf kultureller Ebene erst ermöglicht habe.
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Die beiden enger gefassten Konzepte von „M.“ wurden inhaltlich durch die entstehende wissenschaftliche [[Soziologie]] im späten 19. und frühen 20.&nbsp;Jh. grundgelegt. Ferdinand Tönnies stellte die Ablösung von [[Tradition]], [[Glaube]] und Gemeinschaftssinn durch Dynamik und [[Mobilität]], Verwissenschaftlichung, Kommerzialisierung und Individualisierung heraus. Georg Simmel betonte den Prozess der Individualisierung als Loslösung des [[Individuum|Individuums]] aus früheren kollektiven Bindungen, etwa aus der Großfamilie und dem Dorf der Agrargesellschaft, und hob somit auf Differenzierung und individuelle [[Freiheit]] ab. Bes. Prominenz gewann Max Webers These von der Rationalisierung, der zunehmenden kognitiven Beherrschung der Wirklichkeit durch den Menschen und der „Entzauberung der Welt“, sowie vom Arbeitsethos einer streng rationalen Arbeitsdisziplin, das die Industrialisierung ([[Industrialisierung, Industrielle Revolution]]) und M. in Europa auf kultureller Ebene erst ermöglicht habe.
 
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Andere Schwerpunkte setzten die Modernisierungstheorien nach 1945. Vor dem Hintergrund des Sieges der westlichen Alliierten über den [[Nationalsozialismus]] im Zweiten Weltkrieg und des Systemkonflikts der liberalkapitalistischen Staaten ([[Kapitalismus]]) mit dem sowjetischen [[Kommunismus]] entwickelte Walt Whitman Rostow das Modell der „Stages of Economic Growth“ (Rostow 1960), ein lineares ökonomisches Entwicklungsmodell, das auch zur Grundlage der US-amerikanischen Politik gegenüber dem globalen Süden wurde. Auch auf politischer Ebene gingen die amerikanisch inspirierten Sozialwissenschaften der Nachkriegszeit von der Verbreitung politischer [[Partizipation]] nach einem bestimmten Verlaufsmodell hin zu einer freiheitlich-demokratischen Ordnung aus, für das (eher allg. angenommen als trennscharf expliziert) die Entwicklungen in den USA, in Frankreich und dem Vereinigten Königreich als der {{ #staatslexikon_articlemissing: „Westen“ | Westen }} zugrunde gelegt wurden. Diesem Modell folgte auch die programmatische Ausrichtung der Geschichtsschreibung als „historische Sozialwissenschaft“ durch die neu aufkommende Sozialgeschichte der 1960er/70er Jahre, die ihren Niederschlag insb. in Hans-Ulrich Wehlers fünfbändiger Deutscher Gesellschaftsgeschichte (1987–2008) fand. In historischer Perspektive stellen sich diese Ansätze selbst als Quellen einer normativen, vom Glauben an einen rationalen, universalistischen [[Fortschritt]] getragenen zeitgenössischen Vorstellung dar, wie sie Jürgen Habermas mit der M. als „unvollendete[m] Projekt“ (Habermas 1990) formulierte.
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Andere Schwerpunkte setzten die Modernisierungstheorien nach 1945. Vor dem Hintergrund des Sieges der westlichen Alliierten über den [[Nationalsozialismus]] im Zweiten Weltkrieg und des Systemkonflikts der liberalkapitalistischen Staaten ([[Kapitalismus]]) mit dem sowjetischen [[Kommunismus]] entwickelte Walt Whitman Rostow das Modell der „Stages of Economic Growth“ (Rostow 1960), ein lineares ökonomisches Entwicklungsmodell, das auch zur Grundlage der US-amerikanischen Politik gegenüber dem globalen Süden wurde. Auch auf politischer Ebene gingen die amerikanisch inspirierten Sozialwissenschaften der Nachkriegszeit von der Verbreitung politischer [[Partizipation]] nach einem bestimmten Verlaufsmodell hin zu einer freiheitlich-demokratischen Ordnung aus, für das (eher allgemein angenommen als trennscharf expliziert) die Entwicklungen in den USA, in Frankreich und dem Vereinigten Königreich als der [[Westen|„Westen“]] zugrunde gelegt wurden. Diesem Modell folgte auch die programmatische Ausrichtung der Geschichtsschreibung als „historische Sozialwissenschaft“ durch die neu aufkommende Sozialgeschichte der 1960er/70er Jahre, die ihren Niederschlag insb. in Hans-Ulrich Wehlers fünfbändiger Deutscher Gesellschaftsgeschichte (1987–2008) fand. In historischer Perspektive stellen sich diese Ansätze selbst als Quellen einer normativen, vom Glauben an einen rationalen, universalistischen [[Fortschritt]] getragenen zeitgenössischen Vorstellung dar, wie sie Jürgen Habermas mit der M. als „unvollendete[m] Projekt“ (Habermas 1990) formulierte.
 
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Einen anderen, analytischen Zugang wählte Detlev Peukert, der statt eines linearen Fortschrittsmodells die Ambivalenz krisenhafter Modernisierungsprozesse ([[Krise]]) herausstellte und die Weimarer Republik als „Krisenjahre der klassischen Moderne“ (Peukert 1987) interpretierte. In diese Richtung zielt auch Ulrich Herberts Konzept der „Hochmoderne“, die zeitlich von der Hochindustrialisierung im ausgehenden 19.&nbsp;Jh. bis (im Hinblick auf ihr Ende weniger trennscharf) zum letzten Drittel des 20.&nbsp;Jh. reicht. Gekennzeichnet war sie durch die etablierte Industrie- und Massengesellschaft, einen alle Lebenswelten erfassenden technologischen Wandel und eine nie gekannte Beschleunigung. Diese Entwicklungen setzten eine (durch den Ersten Weltkrieg radikalisierte) Krise der bürgerlichen Gesellschaft frei und brachten die Suche nach einem Ordnungsmodell hervor, um die unabsehbaren Veränderungen zu bewältigen. Die Folge waren Rivalität ganzheitlicher Ordnungsentwürfe, Sozialtechnokratie und staatliche Gewalt, um eine neue Ordnung durchzusetzen; in dieser Perspektive firmieren die {{ #staatslexikon_articlemissing: Totalitarismen | Totalitarismus }} ebenso als Teil der M. wie marktwirtschaftlich-demokratische Ordnungen.
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Einen anderen, analytischen Zugang wählte Detlev Peukert, der statt eines linearen Fortschrittsmodells die Ambivalenz krisenhafter Modernisierungsprozesse ([[Krise]]) herausstellte und die Weimarer Republik als „Krisenjahre der klassischen Moderne“ (Peukert 1987) interpretierte. In diese Richtung zielt auch Ulrich Herberts Konzept der „Hochmoderne“, die zeitlich von der Hochindustrialisierung im ausgehenden 19.&nbsp;Jh. bis (im Hinblick auf ihr Ende weniger trennscharf) zum letzten Drittel des 20.&nbsp;Jh. reicht. Gekennzeichnet war sie durch die etablierte Industrie- und Massengesellschaft, einen alle Lebenswelten erfassenden technologischen Wandel und eine nie gekannte Beschleunigung. Diese Entwicklungen setzten eine (durch den Ersten Weltkrieg radikalisierte) Krise der bürgerlichen Gesellschaft frei und brachten die Suche nach einem Ordnungsmodell hervor, um die unabsehbaren Veränderungen zu bewältigen. Die Folge waren Rivalität ganzheitlicher Ordnungsentwürfe, Sozialtechnokratie und staatliche Gewalt, um eine neue Ordnung durchzusetzen; in dieser Perspektive firmieren die [[Totalitarismus|Totalitarismen]] ebenso als Teil der M. wie marktwirtschaftlich-demokratische Ordnungen.
 
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<I>b)</I> [[Individualisierung]] besagt, dass Individuen aus traditionellen sozialen Beziehungen und normierenden Vorgaben der Kollektivität ihrer unmittelbaren Umgebung, etwa aus dem ländlichen Dorf und der Familie, freigesetzt wurden, während [[Aufklärung]] und bürgerlicher Lebensentwurf auf die Selbstbestimmung ([[Autonomie]]) der Individuen setzten.
 
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Dass die [[Emanzipation]] des Menschen von der Natur begleitet wird von einer immer größeren Abhängigkeit von der {{ #staatslexikon_articlemissing: Technik | Technik }}, markiert Paradoxien der Modernisierung auf allen Ebenen (z.&nbsp;B. die Entstandardisierung von Lebensläufen bei gleichzeitiger Uniformisierung von [[Konsum]] und Alltagspraktiken) und beschreibt die unhintergehbaren Ambivalenzen der M.
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Dass die [[Emanzipation]] des Menschen von der Natur begleitet wird von einer immer größeren Abhängigkeit von der [[Technik]], markiert Paradoxien der Modernisierung auf allen Ebenen (z.&nbsp;B. die Entstandardisierung von Lebensläufen bei gleichzeitiger Uniformisierung von [[Konsum]] und Alltagspraktiken) und beschreibt die unhintergehbaren Ambivalenzen der M.
 
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Hinzu kommt, dass modernisierungstheoretische Ordnungsvorstellungen selbst Teil der M. bzw. von Modernisierungsprozessen geworden sind: von Sozialtechnokratie und [[Eugenik]] über die funktionalistisch-abstrakte Architektur und {{ #staatslexikon_articlemissing: Stadtplanung | Stadtplanung }} der Nachkriegszeit bis zur wissenschaftlichen Zukunftsplanung und der keynesianischen Globalsteuerung ([[Keynesianismus]]) der Wirtschaft der 1960er Jahre, wobei diese ganzheitlichen Entwürfe in den westlichen Gesellschaften mit dem Ende des Nachkriegsbooms zu Beginn der siebziger Jahre an ihr Ende kamen, während die kollektivistisch-kommunisitschen Ordnungsvorstellungen 1989/90 kollabierten. Als sich die westlichen Gesellschaften vom schwerindustriellen Paradigma hin zu digitalisierten und vernetzten Dienstleistungsgesellschaften bewegten, kam seit dem Ende der 1970er Jahre die Diskussion auf, ob diese M. in ein neues Stadium einer „zweiten“ oder [[Postmoderne|„Postmoderne“]] übergehe, in der „radikale Pluralität“ (Welsch 2002:&nbsp;4) eingelöst werde und an die Stelle jener ganzheitlichen Sinnentwürfe trete, die trotz ihres Basisprozesses der Differenzierung ein wesentliches Kennzeichen der Hoch-M. gewesen waren.
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Hinzu kommt, dass modernisierungstheoretische Ordnungsvorstellungen selbst Teil der M. bzw. von Modernisierungsprozessen geworden sind: von Sozialtechnokratie und [[Eugenik]] über die funktionalistisch-abstrakte Architektur und [[Stadtplanung]] der Nachkriegszeit bis zur wissenschaftlichen Zukunftsplanung und der keynesianischen Globalsteuerung ([[Keynesianismus]]) der Wirtschaft der 1960er Jahre, wobei diese ganzheitlichen Entwürfe in den westlichen Gesellschaften mit dem Ende des Nachkriegsbooms zu Beginn der siebziger Jahre an ihr Ende kamen, während die kollektivistisch-kommunisitschen Ordnungsvorstellungen 1989/90 kollabierten. Als sich die westlichen Gesellschaften vom schwerindustriellen Paradigma hin zu digitalisierten und vernetzten Dienstleistungsgesellschaften bewegten, kam seit dem Ende der 1970er Jahre die Diskussion auf, ob diese M. in ein neues Stadium einer „zweiten“ oder [[Postmoderne|„Postmoderne“]] übergehe, in der „radikale Pluralität“ (Welsch 2002:&nbsp;4) eingelöst werde und an die Stelle jener ganzheitlichen Sinnentwürfe trete, die trotz ihres Basisprozesses der Differenzierung ein wesentliches Kennzeichen der Hoch-M. gewesen waren.
 
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A. Rödder: Moderne, I. Historische Perspektiven, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon<sup>8</sup> online, URL: {{fullurl:Moderne}} (abgerufen: {{CURRENTDAY2}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})
 
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Den inhaltlichen Ausgangs- und Angelpunkt der M. bilden die Vorstellungen autonomer Vernunft ({{ #staatslexikon_articlemissing: Vernunft – Verstand | Vernunft – Verstand }}) und subjektiver [[Freiheit]]. [[Reformation]] und [[Revolution]] sind ihre historischen Kristallisationspunkte, [[Säkularisierung]] und politische [[Emanzipation]] Prozesse ihrer geschichtlichen Realisierung. Mit dem Orientierungswandel in der Befreiung von politischen und religiösen Autoritäten gehen zivilisatorische Prozesse einher, die ihren Niederschlag in der Transformation sozialer Lebensformen, gesellschaftlich-politischer Strukturen und kultureller Verständigung haben. Dazu zählen technische und ökonomische Entwicklungen, industrielle Revolution ([[Industrialisierung, Industrielle Revolution]]), Ausbreitung von Bildung und Verkehr, Ausbildung der bürgerlichen Gesellschaft und der Nationalstaaten, Kolonisation ([[Kolonialismus]]), gesellschaftliche und politische Emanzipationsbewegungen. Im Kulturellen entstehen neue Theorien und Ausdrucksformen in Literatur, bildender Kunst, Musik; die Wissenschaft erfährt ein gesteigertes Wachstum, mit dem eine zunehmende disziplinäre Ausdifferenzierung einhergeht. Nicht zuletzt entsteht ein neues historisches Bewusstsein, das teils die Zeitgebundenheit sozialer Strukturen und Normen reflektiert, teils die alle Lebensbereiche durchdringende Veränderung als gerichteten [[Fortschritt]] zum Besseren interpretiert. Allerdings kontrastiert der im Aufklärungszeitalter ([[Aufklärung]]) vorherrschende Fortschrittsoptimismus schon bald mit der Wahrnehmung von Vereinseitigungen und [[Krise|Krisen]], in Diagnosen des moralischen Verfalls ([[Kulturkritik]]), der zunehmenden Ungleichheit und sozialen [[Entfremdung]], der [[Risiko|Risiken]] und Rückschläge der technischen Entwicklung und Naturbeherrschung.
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Den inhaltlichen Ausgangs- und Angelpunkt der M. bilden die Vorstellungen autonomer Vernunft ([[Vernunft – Verstand]]) und subjektiver [[Freiheit]]. [[Reformation]] und [[Revolution]] sind ihre historischen Kristallisationspunkte, [[Säkularisierung]] und politische [[Emanzipation]] Prozesse ihrer geschichtlichen Realisierung. Mit dem Orientierungswandel in der Befreiung von politischen und religiösen Autoritäten gehen zivilisatorische Prozesse einher, die ihren Niederschlag in der Transformation sozialer Lebensformen, gesellschaftlich-politischer Strukturen und kultureller Verständigung haben. Dazu zählen technische und ökonomische Entwicklungen, industrielle Revolution ([[Industrialisierung, Industrielle Revolution]]), Ausbreitung von Bildung und Verkehr, Ausbildung der bürgerlichen Gesellschaft und der Nationalstaaten, Kolonisation ([[Kolonialismus]]), gesellschaftliche und politische Emanzipationsbewegungen. Im Kulturellen entstehen neue Theorien und Ausdrucksformen in Literatur, bildender Kunst, Musik; die Wissenschaft erfährt ein gesteigertes Wachstum, mit dem eine zunehmende disziplinäre Ausdifferenzierung einhergeht. Nicht zuletzt entsteht ein neues historisches Bewusstsein, das teils die Zeitgebundenheit sozialer Strukturen und Normen reflektiert, teils die alle Lebensbereiche durchdringende Veränderung als gerichteten [[Fortschritt]] zum Besseren interpretiert. Allerdings kontrastiert der im Aufklärungszeitalter ([[Aufklärung]]) vorherrschende Fortschrittsoptimismus schon bald mit der Wahrnehmung von Vereinseitigungen und [[Krise|Krisen]], in Diagnosen des moralischen Verfalls ([[Kulturkritik]]), der zunehmenden Ungleichheit und sozialen [[Entfremdung]], der [[Risiko|Risiken]] und Rückschläge der technischen Entwicklung und Naturbeherrschung.
 
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<h3>2. Moderne Philosophie</h3>
 
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Die moderne Philosophie artikuliert sich mit Bezug auf dieselben Prinzipien, welche das Zeitalter prägen: Subjektivität und Freiheit. Nicht eine vorgegebene objektive Vernunft, sondern das Selbstbewusstsein und die Selbstbestimmung des Einzelnen ([[Autonomie]]) sind Angelpunkte des modernen Denkens. Klassische Gründergestalten sind René Descartes und Thomas Hobbes, welche die neuen Fundamente der theoretischen und politischen Philosophie legen. Die Ausformulierung der modernen Philosophie in empiristischen und rationalistischen Ansätzen des 17.–19.&nbsp;Jh. findet ihren Kulminationspunkt bei Immanuel Kant und den Vertretern des Deutschen [[Idealismus]] (Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Georg Wilhelm Friedrich Hegel). Für G.&nbsp;W.&nbsp;F. Hegel, der nach Jürgen Habermas als erster einen „klaren Begriff“ der M. (Habermas 1985: 13) entwickelt und deren Selbstvergewisserung als „das Grundproblem seiner Philosophie“ (Habermas 1985: 26) erkennt, reichen die Wurzeln der modernen Vernunftidee bis an die Ursprünge, zu Sokrates als dem „Hauptwendepunkt“ (Hegel 1970: 441) der Philosophie zurück. Ein bes.s Profil gewinnt der moderne Geist bei G.&nbsp;W.&nbsp;F. Hegel in der praktischen Philosophie, in der Herausbildung des auf subjektiver {{ #staatslexikon_articlemissing: Verantwortung | Verantwortung }} gegründeten „moralischen Standpunkts“ (Hegel 1970a: 205) und der Differenzierung zwischen staatlicher Gemeinschaft und „bürgerlicher Gesellschaft“ (Hegel 1970a: 339), deren Prinzip das Eigenrecht der Individuen ist.
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Die moderne Philosophie artikuliert sich mit Bezug auf dieselben Prinzipien, welche das Zeitalter prägen: Subjektivität und Freiheit. Nicht eine vorgegebene objektive Vernunft, sondern das Selbstbewusstsein und die Selbstbestimmung des Einzelnen ([[Autonomie]]) sind Angelpunkte des modernen Denkens. Klassische Gründergestalten sind René Descartes und Thomas Hobbes, welche die neuen Fundamente der theoretischen und politischen Philosophie legen. Die Ausformulierung der modernen Philosophie in empiristischen und rationalistischen Ansätzen des 17.–19.&nbsp;Jh. findet ihren Kulminationspunkt bei Immanuel Kant und den Vertretern des Deutschen [[Idealismus]] (Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Georg Wilhelm Friedrich Hegel). Für G.&nbsp;W.&nbsp;F. Hegel, der nach Jürgen Habermas als erster einen „klaren Begriff“ der M. (Habermas 1985: 13) entwickelt und deren Selbstvergewisserung als „das Grundproblem seiner Philosophie“ (Habermas 1985: 26) erkennt, reichen die Wurzeln der modernen Vernunftidee bis an die Ursprünge, zu Sokrates als dem „Hauptwendepunkt“ (Hegel 1970: 441) der Philosophie zurück. Ein besonderes Profil gewinnt der moderne Geist bei G.&nbsp;W.&nbsp;F. Hegel in der praktischen Philosophie, in der Herausbildung des auf subjektiver [[Verantwortung]] gegründeten „moralischen Standpunkts“ (Hegel 1970a: 205) und der Differenzierung zwischen staatlicher Gemeinschaft und „bürgerlicher Gesellschaft“ (Hegel 1970a: 339), deren Prinzip das Eigenrecht der Individuen ist.
 
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Zugl. artikuliert G.&nbsp;W.&nbsp;F. Hegel exemplarisch den Zwiespalt der M., indem er das Prinzip der subjektiven Freiheit in seiner Höherwertigkeit wie seiner falschen Verabsolutierung (als Willkür, Ironie, Terror) und seiner Unselbständigkeit gegenüber der substantiellen Bindung zur Geltung bringt. Während G.&nbsp;W.&nbsp;F. Hegel die abstrakte Verstandesaufklärung im spekulativen Denken zu überwinden beansprucht, postuliert J.&nbsp;Habermas, für den die Ausdifferenzierung der Geltungssphären von {{ #staatslexikon_articlemissing: Wissenschaft | Wissenschaft }}, [[Moral]] und [[Kunst]] das Scharnier der modernen Vernunft bildet, die Ablösung des Subjektdenkens durch das Paradigma der Intersubjektivität als begrifflichen Hebel der Selbstkorrektur der vereinseitigten M. Für andere wurzelt die Falschheit der M. noch tiefer, in der mythischen Naturbeherrschung, der sokratischen Wissenskultur oder dem Irrweg der klassischen Metaphysik, so dass auch die Korrektur eine radikalere sein muss. Dezidiert jenseits der modernen Vernunft, die im Zeichen der Universalität, Einheit, Sinnesferne und Formalität wahrgenommen wird, situieren sich „postmoderne“ Konzepte ([[Postmoderne]]), die auf die Offenheit und Pluralität, [[Kontingenz]] und Materialität des Denkens setzen.
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Zugleich artikuliert G.&nbsp;W.&nbsp;F. Hegel exemplarisch den Zwiespalt der M., indem er das Prinzip der subjektiven Freiheit in seiner Höherwertigkeit wie seiner falschen Verabsolutierung (als Willkür, Ironie, Terror) und seiner Unselbständigkeit gegenüber der substantiellen Bindung zur Geltung bringt. Während G.&nbsp;W.&nbsp;F. Hegel die abstrakte Verstandesaufklärung im spekulativen Denken zu überwinden beansprucht, postuliert J.&nbsp;Habermas, für den die Ausdifferenzierung der Geltungssphären von [[Wissenschaft]], [[Moral]] und [[Kunst]] das Scharnier der modernen Vernunft bildet, die Ablösung des Subjektdenkens durch das Paradigma der Intersubjektivität als begrifflichen Hebel der Selbstkorrektur der vereinseitigten M. Für andere wurzelt die Falschheit der M. noch tiefer, in der mythischen Naturbeherrschung, der sokratischen Wissenskultur oder dem Irrweg der klassischen Metaphysik, so dass auch die Korrektur eine radikalere sein muss. Dezidiert jenseits der modernen Vernunft, die im Zeichen der Universalität, Einheit, Sinnesferne und Formalität wahrgenommen wird, situieren sich „postmoderne“ Konzepte ([[Postmoderne]]), die auf die Offenheit und Pluralität, [[Kontingenz]] und Materialität des Denkens setzen.
 
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E. Angehrn: Moderne, II. Philosophische Aspekte, Version 14.08.2021, 13:00 Uhr, in: Staatslexikon<sup>8</sup> online, URL: {{fullurl:Moderne}} (abgerufen: {{CURRENTDAY2}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})
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E. Angehrn: Moderne, II. Philosophische Aspekte, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon<sup>8</sup> online, URL: {{fullurl:Moderne}} (abgerufen: {{CURRENTDAY2}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})
 
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Aktuelle Version vom 5. Juli 2023, 09:26 Uhr

  1. I. Historische Perspektiven
  2. II. Philosophische Aspekte

I. Historische Perspektiven

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„M.“ ist ein weithin unscharf und vieldeutig verwendeter, oftmals normativ und polemisch aufgeladener Begriff, der im Kern auf die Abgrenzung des Neuen vom Alten zielt und über plausible Unterscheidungskraft verfügt. In der Neuzeit trat der Begriff um die Wende vom 17. zum 18. Jh. in der Querelle des Anciens et des Modernes auf, einem französischen Literaturstreit über die Frage, inwiefern die Antike das Vorbild für die zeitgenössische Literatur und Kunst sein könne. Im späten 19. und frühen 20. Jh. diente der Begriff den entstehenden Sozialwissenschaften zur zeitgenössischen Konzeptualisierung der umfassenden Verwandlung der Welt. Vor diesem disparaten Entstehungshintergrund fand und findet der Begriff in den Geschichtswissenschaften ganz unterschiedliche inhaltliche und zeitliche, analytische und normative Verwendung.

1. „Moderne“ als Epochenbezeichnung

Im französischen und angelsächsischen Sprachgebrauch bezeichnet „modern history“ bzw. „l’histoire moderne“ den Zeitraum vom Ende des Mittelalters bis zur Französischen Revolution, für den im Deutschen der Begriff der (Frühen) Neuzeit üblich ist. In einem engeren Sinne wird der Begriff der „M.“ für die von Europa ausgehende umfassende kulturelle, ökonomische, gesellschaftliche und politische Transformation von Agrar- zu Industriegesellschaften im 19. und 20. Jh. verwendet. Und in einem noch spezifischeren Sinne wird mit „klassischer“ oder Hoch-M. die Zeit der voll ausgebildeten Industriegesellschaft in Westeuropa und den USA seit dem ausgehenden 19. Jh. bezeichnet, die seit den siebziger Jahren des 20. Jh. in die digitalisierte Dienstleistungsgesellschaft überging.

2. Konzeptualisierungen

2.1 Frühe Soziologie

Die beiden enger gefassten Konzepte von „M.“ wurden inhaltlich durch die entstehende wissenschaftliche Soziologie im späten 19. und frühen 20. Jh. grundgelegt. Ferdinand Tönnies stellte die Ablösung von Tradition, Glaube und Gemeinschaftssinn durch Dynamik und Mobilität, Verwissenschaftlichung, Kommerzialisierung und Individualisierung heraus. Georg Simmel betonte den Prozess der Individualisierung als Loslösung des Individuums aus früheren kollektiven Bindungen, etwa aus der Großfamilie und dem Dorf der Agrargesellschaft, und hob somit auf Differenzierung und individuelle Freiheit ab. Bes. Prominenz gewann Max Webers These von der Rationalisierung, der zunehmenden kognitiven Beherrschung der Wirklichkeit durch den Menschen und der „Entzauberung der Welt“, sowie vom Arbeitsethos einer streng rationalen Arbeitsdisziplin, das die Industrialisierung (Industrialisierung, Industrielle Revolution) und M. in Europa auf kultureller Ebene erst ermöglicht habe.

2.2 Modernisierungstheorien und normative Konzepte

Andere Schwerpunkte setzten die Modernisierungstheorien nach 1945. Vor dem Hintergrund des Sieges der westlichen Alliierten über den Nationalsozialismus im Zweiten Weltkrieg und des Systemkonflikts der liberalkapitalistischen Staaten (Kapitalismus) mit dem sowjetischen Kommunismus entwickelte Walt Whitman Rostow das Modell der „Stages of Economic Growth“ (Rostow 1960), ein lineares ökonomisches Entwicklungsmodell, das auch zur Grundlage der US-amerikanischen Politik gegenüber dem globalen Süden wurde. Auch auf politischer Ebene gingen die amerikanisch inspirierten Sozialwissenschaften der Nachkriegszeit von der Verbreitung politischer Partizipation nach einem bestimmten Verlaufsmodell hin zu einer freiheitlich-demokratischen Ordnung aus, für das (eher allgemein angenommen als trennscharf expliziert) die Entwicklungen in den USA, in Frankreich und dem Vereinigten Königreich als der „Westen“ zugrunde gelegt wurden. Diesem Modell folgte auch die programmatische Ausrichtung der Geschichtsschreibung als „historische Sozialwissenschaft“ durch die neu aufkommende Sozialgeschichte der 1960er/70er Jahre, die ihren Niederschlag insb. in Hans-Ulrich Wehlers fünfbändiger Deutscher Gesellschaftsgeschichte (1987–2008) fand. In historischer Perspektive stellen sich diese Ansätze selbst als Quellen einer normativen, vom Glauben an einen rationalen, universalistischen Fortschritt getragenen zeitgenössischen Vorstellung dar, wie sie Jürgen Habermas mit der M. als „unvollendete[m] Projekt“ (Habermas 1990) formulierte.

2.3 Analytische Konzepte (1): „klassische“ und „Hochmoderne“

Einen anderen, analytischen Zugang wählte Detlev Peukert, der statt eines linearen Fortschrittsmodells die Ambivalenz krisenhafter Modernisierungsprozesse (Krise) herausstellte und die Weimarer Republik als „Krisenjahre der klassischen Moderne“ (Peukert 1987) interpretierte. In diese Richtung zielt auch Ulrich Herberts Konzept der „Hochmoderne“, die zeitlich von der Hochindustrialisierung im ausgehenden 19. Jh. bis (im Hinblick auf ihr Ende weniger trennscharf) zum letzten Drittel des 20. Jh. reicht. Gekennzeichnet war sie durch die etablierte Industrie- und Massengesellschaft, einen alle Lebenswelten erfassenden technologischen Wandel und eine nie gekannte Beschleunigung. Diese Entwicklungen setzten eine (durch den Ersten Weltkrieg radikalisierte) Krise der bürgerlichen Gesellschaft frei und brachten die Suche nach einem Ordnungsmodell hervor, um die unabsehbaren Veränderungen zu bewältigen. Die Folge waren Rivalität ganzheitlicher Ordnungsentwürfe, Sozialtechnokratie und staatliche Gewalt, um eine neue Ordnung durchzusetzen; in dieser Perspektive firmieren die Totalitarismen ebenso als Teil der M. wie marktwirtschaftlich-demokratische Ordnungen.

2.4 Analytische Konzepte (2): Individualisierung und Differenzierung, Rationalisierung und Domestizierung – Ambivalenzen und Paradoxien

Wiederum anders gelagert ist das Konzept der Modernisierung von Hans van der Loo und Willem van Reijen. Sie verstehen Modernisierung als eine Kombination von vier Basisprozessen.

a) Differenzierung und Pluralisierung bedeuten, dass größere Einheiten in einzelne selbständige Teile aufgespalten werden; so entwickelten sich aus dem mittelalterlichen Spital für alle Kranken und Randständigen Krankenanstalten mit unterschiedlichen Fachabteilungen, Psychiatrien, Waisenhäuser, Altenheime, Armenhäuser und Gefängnisse mit speziell geschultem Personal und eigener Verwaltung.

b) Individualisierung besagt, dass Individuen aus traditionellen sozialen Beziehungen und normierenden Vorgaben der Kollektivität ihrer unmittelbaren Umgebung, etwa aus dem ländlichen Dorf und der Familie, freigesetzt wurden, während Aufklärung und bürgerlicher Lebensentwurf auf die Selbstbestimmung (Autonomie) der Individuen setzten.

c) Rationalisierung schließt an M. Webers These an und bezeichnet das Ordnen und Systematisieren der Wirklichkeit, z. B. durch neu entstehende Wissenschaften, aber auch im ökonomischen Bereich, z. B. in der Gestaltung von Arbeitszeit durch Stechuhr statt durch den Sonnenstand oder von Marktbeziehungen durch Preise, die sich nach Angebot und Nachfrage richten; in diesen Zusammenhang fällt auch die „Entzauberung der Welt“: Seuchen, Krankheiten oder Naturkatastrophen wurden nicht mehr als Gottesstrafe gedeutet, sondern naturwissenschaftlich erklärt und zunehmend beherrschbar. Damit ist

d) das Phänomen der Domestizierung der Natur und der Überwindung ihrer Grenzen durch Wissen und moderne Technologien angesprochen; die Eisenbahn löste Fortbewegung zu Lande von Muskelkraft und eröffnete dadurch kategorial neue Erfahrungen ebenso wie die Elektrizität und die moderne Medizin.

Dass die Emanzipation des Menschen von der Natur begleitet wird von einer immer größeren Abhängigkeit von der Technik, markiert Paradoxien der Modernisierung auf allen Ebenen (z. B. die Entstandardisierung von Lebensläufen bei gleichzeitiger Uniformisierung von Konsum und Alltagspraktiken) und beschreibt die unhintergehbaren Ambivalenzen der M.

3. Grenzen der Moderne

Hinzu kommt, dass modernisierungstheoretische Ordnungsvorstellungen selbst Teil der M. bzw. von Modernisierungsprozessen geworden sind: von Sozialtechnokratie und Eugenik über die funktionalistisch-abstrakte Architektur und Stadtplanung der Nachkriegszeit bis zur wissenschaftlichen Zukunftsplanung und der keynesianischen Globalsteuerung (Keynesianismus) der Wirtschaft der 1960er Jahre, wobei diese ganzheitlichen Entwürfe in den westlichen Gesellschaften mit dem Ende des Nachkriegsbooms zu Beginn der siebziger Jahre an ihr Ende kamen, während die kollektivistisch-kommunisitschen Ordnungsvorstellungen 1989/90 kollabierten. Als sich die westlichen Gesellschaften vom schwerindustriellen Paradigma hin zu digitalisierten und vernetzten Dienstleistungsgesellschaften bewegten, kam seit dem Ende der 1970er Jahre die Diskussion auf, ob diese M. in ein neues Stadium einer „zweiten“ oder „Postmoderne“ übergehe, in der „radikale Pluralität“ (Welsch 2002: 4) eingelöst werde und an die Stelle jener ganzheitlichen Sinnentwürfe trete, die trotz ihres Basisprozesses der Differenzierung ein wesentliches Kennzeichen der Hoch-M. gewesen waren.

II. Philosophische Aspekte

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Die M. ist in der Philosophie sowohl als historische Epoche wie als Standpunkt des philosophischen Denkens thematisch.

1. Moderne Zeit

Den inhaltlichen Ausgangs- und Angelpunkt der M. bilden die Vorstellungen autonomer Vernunft (Vernunft – Verstand) und subjektiver Freiheit. Reformation und Revolution sind ihre historischen Kristallisationspunkte, Säkularisierung und politische Emanzipation Prozesse ihrer geschichtlichen Realisierung. Mit dem Orientierungswandel in der Befreiung von politischen und religiösen Autoritäten gehen zivilisatorische Prozesse einher, die ihren Niederschlag in der Transformation sozialer Lebensformen, gesellschaftlich-politischer Strukturen und kultureller Verständigung haben. Dazu zählen technische und ökonomische Entwicklungen, industrielle Revolution (Industrialisierung, Industrielle Revolution), Ausbreitung von Bildung und Verkehr, Ausbildung der bürgerlichen Gesellschaft und der Nationalstaaten, Kolonisation (Kolonialismus), gesellschaftliche und politische Emanzipationsbewegungen. Im Kulturellen entstehen neue Theorien und Ausdrucksformen in Literatur, bildender Kunst, Musik; die Wissenschaft erfährt ein gesteigertes Wachstum, mit dem eine zunehmende disziplinäre Ausdifferenzierung einhergeht. Nicht zuletzt entsteht ein neues historisches Bewusstsein, das teils die Zeitgebundenheit sozialer Strukturen und Normen reflektiert, teils die alle Lebensbereiche durchdringende Veränderung als gerichteten Fortschritt zum Besseren interpretiert. Allerdings kontrastiert der im Aufklärungszeitalter (Aufklärung) vorherrschende Fortschrittsoptimismus schon bald mit der Wahrnehmung von Vereinseitigungen und Krisen, in Diagnosen des moralischen Verfalls (Kulturkritik), der zunehmenden Ungleichheit und sozialen Entfremdung, der Risiken und Rückschläge der technischen Entwicklung und Naturbeherrschung.

2. Moderne Philosophie

Die moderne Philosophie artikuliert sich mit Bezug auf dieselben Prinzipien, welche das Zeitalter prägen: Subjektivität und Freiheit. Nicht eine vorgegebene objektive Vernunft, sondern das Selbstbewusstsein und die Selbstbestimmung des Einzelnen (Autonomie) sind Angelpunkte des modernen Denkens. Klassische Gründergestalten sind René Descartes und Thomas Hobbes, welche die neuen Fundamente der theoretischen und politischen Philosophie legen. Die Ausformulierung der modernen Philosophie in empiristischen und rationalistischen Ansätzen des 17.–19. Jh. findet ihren Kulminationspunkt bei Immanuel Kant und den Vertretern des Deutschen Idealismus (Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Georg Wilhelm Friedrich Hegel). Für G. W. F. Hegel, der nach Jürgen Habermas als erster einen „klaren Begriff“ der M. (Habermas 1985: 13) entwickelt und deren Selbstvergewisserung als „das Grundproblem seiner Philosophie“ (Habermas 1985: 26) erkennt, reichen die Wurzeln der modernen Vernunftidee bis an die Ursprünge, zu Sokrates als dem „Hauptwendepunkt“ (Hegel 1970: 441) der Philosophie zurück. Ein besonderes Profil gewinnt der moderne Geist bei G. W. F. Hegel in der praktischen Philosophie, in der Herausbildung des auf subjektiver Verantwortung gegründeten „moralischen Standpunkts“ (Hegel 1970a: 205) und der Differenzierung zwischen staatlicher Gemeinschaft und „bürgerlicher Gesellschaft“ (Hegel 1970a: 339), deren Prinzip das Eigenrecht der Individuen ist.

Zugleich artikuliert G. W. F. Hegel exemplarisch den Zwiespalt der M., indem er das Prinzip der subjektiven Freiheit in seiner Höherwertigkeit wie seiner falschen Verabsolutierung (als Willkür, Ironie, Terror) und seiner Unselbständigkeit gegenüber der substantiellen Bindung zur Geltung bringt. Während G. W. F. Hegel die abstrakte Verstandesaufklärung im spekulativen Denken zu überwinden beansprucht, postuliert J. Habermas, für den die Ausdifferenzierung der Geltungssphären von Wissenschaft, Moral und Kunst das Scharnier der modernen Vernunft bildet, die Ablösung des Subjektdenkens durch das Paradigma der Intersubjektivität als begrifflichen Hebel der Selbstkorrektur der vereinseitigten M. Für andere wurzelt die Falschheit der M. noch tiefer, in der mythischen Naturbeherrschung, der sokratischen Wissenskultur oder dem Irrweg der klassischen Metaphysik, so dass auch die Korrektur eine radikalere sein muss. Dezidiert jenseits der modernen Vernunft, die im Zeichen der Universalität, Einheit, Sinnesferne und Formalität wahrgenommen wird, situieren sich „postmoderne“ Konzepte (Postmoderne), die auf die Offenheit und Pluralität, Kontingenz und Materialität des Denkens setzen.