Europäische Agrarpolitik: Unterschied zwischen den Versionen
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− | Die Agrarpolitik war stets Resultat politischer Prozesse und stand seit je unter latentem Reformdruck. Diese Politisierung wird am grundlegenden Dilemma der GAP deutlich, dass ökonomisch sinnvolle Regelungen aufgrund politischer Widerstände und Partikularinteressen nicht umgesetzt werden können. Der Ursprung des Politikfeldes ist vor dem Hintergrund der bes.n Situation der Nachkriegsjahre einzuordnen, in der der landwirtschaftliche Sektor durch strukturelle Probleme und eine sozioökonomisch schwierige Lage der Landwirte gekennzeichnet war. Zur ausreichenden Versorgung der Bevölkerung waren Nahrungsmittelimporte nötig. Angesichts dieser unsicheren Versorgungslage zeichnete sich unter den europäischen Staaten rasch ein Konsens zu einer gemeinsamen Politik im Rahmen des [[Europäischer Integrationsprozess|europäischen Integrationsprozesses]] ab, nicht zuletzt, um die Abhängigkeit vom Weltmarkt zu verringern. Darüber hinaus gilt allg., dass die Erschließung des Politikfeldes auf einen deutsch-französischen Verhandlungskompromiss bei der Gründung der EWG zurückzuführen ist. Beide Länder schlossen demnach eine informelle Vereinbarung, die Frankreich Absatzmärkte für Agrargüter in Deutschland sowie Unterstützung des landwirtschaftlichen Sektors zusicherte. Als Gegenleistung sollte Deutschland Exportmöglichkeiten für Industrieerzeugnisse nach Frankreich erhalten. Aus diesen Gründen fiel der Politik bereits in der Frühphase der europäischen Integration eine Sonderstellung zu. Auf der Konferenz von Stresa (3.7.1958) einigten sich die EWG-Gründungsstaaten auf die drei Grundprinzipien: Einheit des Marktes (europaweit einheitliche Regelungen für einen freien Warenaustausch), Gemeinschaftspräferenz (Vorrang für Gemeinschaftsprodukte, Schutz vor Niedrigpreisen sowie Schwankungen des Weltmarktes) und gemeinschaftliche, solidarische Finanzierung. Durch das Inkrafttreten der Gemeinschaftspolitik 1962 wurden sie umgesetzt. Sie wurden mittels der GMO mit hoher Regelungsintensität angewendet. Im Einzelnen umfassten sie gemeinsame Wettbewerbsregeln, bindende Koordinierungen der einzelstaatlichen und der europäischen Marktordnungen (wie z. B. die Einführung der Zuckermarktordnung 1958/59). Im Laufe der Zeit war die e. A. immer wieder Gegenstand von Veränderungen und Reformbemühungen. Mit dem Mansholt-Plan (1968) wurde erstmalig eine nachhaltige Reform versucht, welche die landwirtschaftliche Erwerbsbevölkerung binnen zehn Jahren um etwa die Hälfte verringern sollte, indem größere und effizientere Betriebe ([[Betrieb]]) gefördert wurden. Weitere Anpassungsmaßnahmen strebten eine Modernisierung und die Bekämpfung der Überproduktion an. Ein wesentliches Problem der 1970er Jahre war die Überschreitung der Schwelle zur Eigenversorgung. Da die erzeugten Überschüsse weiterhin abgekauft wurden, die Lagerkapazitäten jedoch begrenzt waren (so wurden 1985 70 kg Getreide für jeden Bürger bevorratet), mussten die Überschüsse vernichtet werden („Butterberge und Milchseen“). Als Lösung galt der Export: Da aber die Weltmarktpreise i. d. R. unter den Binnenmarktpreisen lagen, waren Exportbeihilfen zu leisten. Deren Finanzierung wurde anfangs durch {{ #staatslexikon_articlemissing: Zölle | Zoll }} auf notwendige Agrarimporte (Abschöpfungen) in die Zollunion der EWG gewährleistet, die sich später jedoch stark verringerten. Insgesamt ergaben sich daraus nachteilige Wirkungen auf das Budget: Der Anteil der Agrarausgaben im Gemeinschaftshaushalt stieg von 8 % im Jahr 1965 auf 80 % im Jahr 1969. Außerdem waren die Exportsubventionen mit Hinsicht auf die WTO-Regeln problematisch. Als erste Reaktion auf die Krisenphase wurden Produktionskontrollen etabliert. Durch angebotsbeschränkende Maßnahmen sollten die Überschüsse verkleinert werden. So wurden 1988 freiwillige Flächenstilllegungen mit entspr.en Prämienzahlungen zur Überkompensation des Einkommensverlustes eingeführt. Eine wichtige Zäsur stellte die MacSharry-Reform (1992) dar, deren Anliegen die Senkung der garantierten Abnahmepreise und deren sukzessive Ersetzung durch produktionsunabhängige Direktbeihilfen (Prämien pro Fläche) waren. Die Reform erfolgte unter dem Eindruck der EG-Haushaltskrisen sowie der Uruguay-Verhandlungsrunde der {{ #staatslexikon_articlemissing: WTO | Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) }}, die auf die Abschaffung der Exportsubventionen abzielte. Wichtiger Bestandteil der MacSharry-Strategie waren neben zeitlich unbegrenzten Ausgleichszahlungen auch Prämien für obligatorische Flächenstilllegungen, die Förderung des Marktmechanismus, Vorruhestandszahlungen, nationale Garantiemengen, Festlegung von Produktionsobermengen und Maßnahmen des {{ #staatslexikon_articlemissing: Umweltschutzes | Umweltschutz }}. Statt direkt in den Preismechanismus zu intervenieren, entfaltet die neue Agrarpolitik ihre Steuerungswirkung mittels Beihilfen. Mit der Reform sollten Anreize geschaffen werden, Produktion stärker an den Erfordernissen des | + | Die Agrarpolitik war stets Resultat politischer Prozesse und stand seit je unter latentem Reformdruck. Diese Politisierung wird am grundlegenden Dilemma der GAP deutlich, dass ökonomisch sinnvolle Regelungen aufgrund politischer Widerstände und Partikularinteressen nicht umgesetzt werden können. Der Ursprung des Politikfeldes ist vor dem Hintergrund der bes.n Situation der Nachkriegsjahre einzuordnen, in der der landwirtschaftliche Sektor durch strukturelle Probleme und eine sozioökonomisch schwierige Lage der Landwirte gekennzeichnet war. Zur ausreichenden Versorgung der Bevölkerung waren Nahrungsmittelimporte nötig. Angesichts dieser unsicheren Versorgungslage zeichnete sich unter den europäischen Staaten rasch ein Konsens zu einer gemeinsamen Politik im Rahmen des [[Europäischer Integrationsprozess|europäischen Integrationsprozesses]] ab, nicht zuletzt, um die Abhängigkeit vom Weltmarkt zu verringern. Darüber hinaus gilt allg., dass die Erschließung des Politikfeldes auf einen deutsch-französischen Verhandlungskompromiss bei der Gründung der EWG zurückzuführen ist. Beide Länder schlossen demnach eine informelle Vereinbarung, die Frankreich Absatzmärkte für Agrargüter in Deutschland sowie Unterstützung des landwirtschaftlichen Sektors zusicherte. Als Gegenleistung sollte Deutschland Exportmöglichkeiten für Industrieerzeugnisse nach Frankreich erhalten. Aus diesen Gründen fiel der Politik bereits in der Frühphase der europäischen Integration eine Sonderstellung zu. Auf der Konferenz von Stresa (3.7.1958) einigten sich die EWG-Gründungsstaaten auf die drei Grundprinzipien: Einheit des Marktes (europaweit einheitliche Regelungen für einen freien Warenaustausch), Gemeinschaftspräferenz (Vorrang für Gemeinschaftsprodukte, Schutz vor Niedrigpreisen sowie Schwankungen des Weltmarktes) und gemeinschaftliche, solidarische Finanzierung. Durch das Inkrafttreten der Gemeinschaftspolitik 1962 wurden sie umgesetzt. Sie wurden mittels der GMO mit hoher Regelungsintensität angewendet. Im Einzelnen umfassten sie gemeinsame Wettbewerbsregeln, bindende Koordinierungen der einzelstaatlichen und der europäischen Marktordnungen (wie z. B. die Einführung der Zuckermarktordnung 1958/59). Im Laufe der Zeit war die e. A. immer wieder Gegenstand von Veränderungen und Reformbemühungen. Mit dem Mansholt-Plan (1968) wurde erstmalig eine nachhaltige Reform versucht, welche die landwirtschaftliche Erwerbsbevölkerung binnen zehn Jahren um etwa die Hälfte verringern sollte, indem größere und effizientere Betriebe ([[Betrieb]]) gefördert wurden. Weitere Anpassungsmaßnahmen strebten eine Modernisierung und die Bekämpfung der Überproduktion an. Ein wesentliches Problem der 1970er Jahre war die Überschreitung der Schwelle zur Eigenversorgung. Da die erzeugten Überschüsse weiterhin abgekauft wurden, die Lagerkapazitäten jedoch begrenzt waren (so wurden 1985 70 kg Getreide für jeden Bürger bevorratet), mussten die Überschüsse vernichtet werden („Butterberge und Milchseen“). Als Lösung galt der Export: Da aber die Weltmarktpreise i. d. R. unter den Binnenmarktpreisen lagen, waren Exportbeihilfen zu leisten. Deren Finanzierung wurde anfangs durch {{ #staatslexikon_articlemissing: Zölle | Zoll }} auf notwendige Agrarimporte (Abschöpfungen) in die Zollunion der EWG gewährleistet, die sich später jedoch stark verringerten. Insgesamt ergaben sich daraus nachteilige Wirkungen auf das Budget: Der Anteil der Agrarausgaben im Gemeinschaftshaushalt stieg von 8 % im Jahr 1965 auf 80 % im Jahr 1969. Außerdem waren die Exportsubventionen mit Hinsicht auf die WTO-Regeln problematisch. Als erste Reaktion auf die Krisenphase wurden Produktionskontrollen etabliert. Durch angebotsbeschränkende Maßnahmen sollten die Überschüsse verkleinert werden. So wurden 1988 freiwillige Flächenstilllegungen mit entspr.en Prämienzahlungen zur Überkompensation des Einkommensverlustes eingeführt. Eine wichtige Zäsur stellte die MacSharry-Reform (1992) dar, deren Anliegen die Senkung der garantierten Abnahmepreise und deren sukzessive Ersetzung durch produktionsunabhängige Direktbeihilfen (Prämien pro Fläche) waren. Die Reform erfolgte unter dem Eindruck der EG-Haushaltskrisen sowie der Uruguay-Verhandlungsrunde der {{ #staatslexikon_articlemissing: WTO | Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) }}, die auf die Abschaffung der Exportsubventionen abzielte. Wichtiger Bestandteil der MacSharry-Strategie waren neben zeitlich unbegrenzten Ausgleichszahlungen auch Prämien für obligatorische Flächenstilllegungen, die Förderung des Marktmechanismus, Vorruhestandszahlungen, nationale Garantiemengen, Festlegung von Produktionsobermengen und Maßnahmen des {{ #staatslexikon_articlemissing: Umweltschutzes | Umweltschutz }}. Statt direkt in den Preismechanismus zu intervenieren, entfaltet die neue Agrarpolitik ihre Steuerungswirkung mittels Beihilfen. Mit der Reform sollten Anreize geschaffen werden, Produktion stärker an den Erfordernissen des [[Markt|Marktes]] auszurichten, ohne jedoch zugl. die Einkommenssicherheit der Landwirte zu gefährden. Alle anschließenden Reformen folgten dieser Linie und änderten die Architektur der Agrarpolitik grundlegend. Die Reformen spiegeln auch den gesellschaftlichen Bewusstseinswandel, nicht mehr die Effizienz der Produktion im Vordergrund zu stellen, sondern Landwirtschaft an ökologische und gesundheitliche Standards zu binden. Die Agenda 2000 war eine Reaktion auf die bevorstehenden Erweiterungen der EU um die postsozialistischen Staaten mit ihren überdimensionierten aber nicht wettbewerbsfähigen Agrarsektoren. Sie setzte die Schritte der vorhergehenden Reform fort (insb. Verringerung der [[Kosten]] durch weitere Preisabsenkungen und verstärkte Förderung der Lebensmittelsicherheit). Neu war hingegen die Konditionierung der Kapitalhilfen hinsichtlich der Einhaltung von Umwelt- und Tierschutzanforderungen <I>(Cross Compliance</I><I>)</I>. Dennoch wurde noch keine vollständige Entkopplung erzielt, da sich die Zahlungen weiterhin an produktionsbezogenen Kennziffern orientierten. Die Agrarreform von 2003 (Luxemburger Beschlüsse) sah eine weitere Entkopplung der Direktzahlungen von der Produktion und den verstärkten Gebrauch der Cross Compliance vor. Das produktbezogene Prämiensystem wurde schließlich ab 2005 endgültig ersetzt. Stattdessen erfolgen Zahlungen seitdem unabhängig von der tatsächlichen Bewirtschaftung der Flächen. Mit der Zuckermarktreform (2006) wurde beschlossen, die Ordnungspreise im Zuckermarkt schrittweise zu verringern und anschließend gänzlich abzuschaffen. Infolge des „Health Check“ (2008) fand eine Beschleunigung der Agenda-2000-Maßnahmen bei zeitgleicher Begrenzung der EU-Agrarausgaben und der Plafonierung der Direktzahlungen statt. Seit 2014 gilt eine obligatorische Anbaudiversifizierung und Zahlungen sind an eine Flächennutzung im Umweltinteresse <I>(Greening</I><I>)</I> gebunden. Weiterer Schwerpunkt ist die [[Liberalisierung]] des Sektors für Milchprodukte, der nach wie vor vergleichsweise stark reglementiert ist (z. B. durch die Milchquoten). Für den Finanzrahmen 2014–20 wird die Reformpolitik mit sinkender Mittelausstattung fortgeführt, wobei die Finanzressourcen zunehmend von der ersten zur zweiten Säule umgeschichtet werden (Modulation). Die gegenwärtige Agrarpolitik weist trotz aller Reformen anhaltend Dysfunktionalitäten auf: Der Verteilungsmechanismus bevorzugt die Eigentümer relativ großer landwirtschaftlicher Flächen, die auch nicht notwendigerweise als Landwirte tätig sein müssen. Auch behindern die weiterhin starken Interventionen der EU den sich vollziehenden Strukturwandel und befördern somit die Dringlichkeit weiterer Reformen. |
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Version vom 4. Januar 2021, 11:07 Uhr
1. Ziele und Struktur
Die e. A., auf die rund 38 % der Ausgaben des Gemeinschaftshaushaltes entfallen, ist ein wesentliches Politikfeld der EU, das sowohl eine weitgehende Supranationalisierung als auch ein hohes Maß an Marktinterventionen aufweist. Sie ist primärrechtlich verankert und verfolgt gemäß Art. 39 AEUV, seit den Römischen Verträgen in nahezu unveränderter Form, mannigfaltige Zwecke: Das Wachstumsziel zielt auf die Steigerung der Produktivität, das Verteilungsziel soll durch Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens eine angemessene Lebenshaltung gewährleisten und die Belieferung der Verbraucher mit Nahrungsmittel zu niedrigen Preisen sicherstellen, das Stabilitätsziel soll die Agrarmärkte konsolidieren und das Sicherheitsziel die Versorgung der Konsumenten garantieren. Einfluss auf die konkrete Gestaltung der Agrarpolitik haben darüber hinaus die Bestimmungen im Kontext der Handelspolitik (Art. 206 AEUV), die v. a. das Gebot des Abbaus von Handelshemmnissen umfassen.
Die e. A. besteht aus zwei Säulen: Die erste Säule wird durch Direktzahlungen, Maßnahmen zur Regulierung der Agrarmärkte und die gemeinsamen Marktordnungen für einzelne Erzeugnisse gebildet. Die zweite Säule ergänzt die Agrarpolitik seit 1999 und dient der Entwicklung des ländlichen Raums. Sie umfasst nicht-produktbezogene Maßnahmen und ist eine Kombination verschiedener Strategien (Infrastruktur-, Umwelt- und Sozialpolitik). Während die erste Säule vollständig durch den EU-Haushalt finanziert wird, werden die Mittel der zweiten Säule durch nationale Beiträge ergänzt (Ko-Finanzierung). Instrumentell wurden die beiden Säulen anfangs durch den EAGFL umgesetzt. Hierbei war der EAGFL sowohl mit der Abteilung „Garantie“ für Anwendungen der Markt- und Preispolitik (erste Säule) als auch mit der Abteilung „Ausrichtung“ für strukturpolitische Maßnahmen (zweite Säule) ausgestattet. Ab 2007 erfolgte eine Neustrukturierung in zwei Fonds, dem EGFL und dem ELER, die allerdings inhaltlich die beiden Abteilungen des EAGFL fortführen. Während der EGFL die Finanzierung der Direktzahlungen bewirkt, soll der ELER die Wettbewerbsfähigkeit fördern und zur Verbesserung des Umwelt- und Tierschutzes beitragen. Im Zeitraum des mehrjährigen finanziellen Rahmens 2014–20 werden für die Agrarpolitik voraussichtlich rund 420 Mrd. Euro aufgewendet. Davon entfallen ungefähr 313 Mrd. Euro auf marktbezogene Ausgaben und Direktbeihilfen (entspr. ca. 75 % der Mittel der Agrarpolitik und 29 % des Gesamthaushaltes) sowie rund 96 Mrd. Euro auf die Entwicklung des ländlichen Raums (entspr. 22 % der Mittel für Agrarpolitik und 10 % des Gesamthaushaltes). Die restlichen Mittel werden durch andere Instrumente, wie dem Europäischen Meeres- und Fischereifonds, verausgabt. Die größten Empfängerländer waren im Jahr 2012 Frankreich (rund 9,35 Mrd. Euro), Deutschland (6,8 Mrd. Euro) und Spanien (6,7 Mrd. Euro). Die Höhe der Ausgaben steht im offenkundigen Widerspruch zur gesamtwirtschaftlichen Bedeutung des Agrarsektors, dessen Anteil an der wirtschaftlichen Wertschöpfung sich seit den 1950er Jahren drastisch verringerte. Während er in Deutschland im Jahr 1955 rund 8 % zum BIP beitrug und 18,5 % aller Beschäftigten aufwies, waren es 2009 nur noch 0,5 % bzw. 1,7 %. Obwohl die e. A. weiterhin über eine überproportional hohe Mittelausstattung verfügt, nahm ihr Anteil am Etat von zeitweise bis zu 90 % in den 1970er Jahren seither stetig ab.
2. Instrumente
Die e. A. war seit Beginn ihrer Gründung von einem komplizierten Interventionssystem geprägt. Neben Produktionsquoten waren Preisstützungen für viele landwirtschaftliche Erzeugnisse (wie Getreide, Milchprodukte, Rind- und Kalbfleisch sowie Zucker) die wesentlichen Instrumente in der Periode bis 1992. Preisstützung erfolgte durch drei Verfahren:
a) Abnahmegarantien für alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse zu einem von den EG-Agrarministern festgelegten Mindestpreis (Interventionspreis). Falls also der entspr.e Weltmarktpreis (der tatsächlich regelmäßig zwischen 50 % und 100 % niedriger war) unter den Interventionspreis fiel, kaufte die Gemeinschaft die Güter auf. Die eingelagerten Produkte wurden bei passender Marktlage (auch auf dem Weltmarkt) verkauft oder aber vernichtet.
b) Importabschöpfungen: Gelangte Weltmarktware preislich vergleichsweise günstiger in die Gemeinschaft, erhob diese von den Importeuren die Differenz zwischen Weltmarktpreis und Binnenmarktpreis als eine Art Zoll. Auf diese Weise hatten Produkte von außerhalb der Gemeinschaft nie ein niedrigeres Preisniveau als die europäischen.
c) Exporterstattungen: Exporteure konnten sich die Differenz zwischen Weltmarktpreis und Interventionspreis von den EG erstatten lassen. Der Effekt dieser Preisstützungen war ambivalent: Zwar wurden hohe Versorgungssicherheit und gesicherte Einkommen der Landwirte erreicht, jedoch wurden auch Anreize zur größtmöglichen Ausweitung der Produktion ohne Berücksichtigung negativer Externalitäten gesetzt. Aufgrund ihrer höheren Produktionskapazität und Effizienz profitierten hiervon insb. die großen Erzeuger (mehr als die Hälfte der Zahlungen im Rahmen der Agrarpolitik gingen an wenige, relativ große Höfe) und das Einkommen vieler kleinerer Landwirte blieb weiterhin niedrig. Dieser Stimulus zur Überproduktion und die Industrialisierung der Landwirtschaft führten zu einem erheblichen Anstieg der europäischen Erzeugnisse. Die Agrarpolitik bewirkte darüber hinaus oftmals die Vernichtung von Agrarprodukten, gravierende Umweltschäden und eine Schädigung lokaler Märkte in Entwicklungsländern infolge der Dumpingpreise. Ebenso verursachten die Interventionen hohe Kosten, die vorwiegend die Konsumenten durch hohe Verbraucherpreise zu tragen hatten und die zugl. den EG-Haushalt belasteten. Mit der späteren Entkopplung von Produktion und Mittelzahlung wurde der Übergang zu Marktpreisen eingeleitet. Dieser Systemwechsel wurde aus politischen Gründen jedoch lange herausgezögert. Zur Umsetzung musste den Landwirten ihre Zustimmung vergolten werden, indem Kompensationszahlungen eingeführt wurden. Diese Direktzahlungen orientierten sich an den jeweils bisher empfangenen Zahlungen im Rahmen der Preisstützungen. Seit 2003 sind Zahlungen und Produktion infolge der Implementierung des BPS vollständig entkoppelt.
3. Entstehung und Reformen
Die Agrarpolitik war stets Resultat politischer Prozesse und stand seit je unter latentem Reformdruck. Diese Politisierung wird am grundlegenden Dilemma der GAP deutlich, dass ökonomisch sinnvolle Regelungen aufgrund politischer Widerstände und Partikularinteressen nicht umgesetzt werden können. Der Ursprung des Politikfeldes ist vor dem Hintergrund der bes.n Situation der Nachkriegsjahre einzuordnen, in der der landwirtschaftliche Sektor durch strukturelle Probleme und eine sozioökonomisch schwierige Lage der Landwirte gekennzeichnet war. Zur ausreichenden Versorgung der Bevölkerung waren Nahrungsmittelimporte nötig. Angesichts dieser unsicheren Versorgungslage zeichnete sich unter den europäischen Staaten rasch ein Konsens zu einer gemeinsamen Politik im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses ab, nicht zuletzt, um die Abhängigkeit vom Weltmarkt zu verringern. Darüber hinaus gilt allg., dass die Erschließung des Politikfeldes auf einen deutsch-französischen Verhandlungskompromiss bei der Gründung der EWG zurückzuführen ist. Beide Länder schlossen demnach eine informelle Vereinbarung, die Frankreich Absatzmärkte für Agrargüter in Deutschland sowie Unterstützung des landwirtschaftlichen Sektors zusicherte. Als Gegenleistung sollte Deutschland Exportmöglichkeiten für Industrieerzeugnisse nach Frankreich erhalten. Aus diesen Gründen fiel der Politik bereits in der Frühphase der europäischen Integration eine Sonderstellung zu. Auf der Konferenz von Stresa (3.7.1958) einigten sich die EWG-Gründungsstaaten auf die drei Grundprinzipien: Einheit des Marktes (europaweit einheitliche Regelungen für einen freien Warenaustausch), Gemeinschaftspräferenz (Vorrang für Gemeinschaftsprodukte, Schutz vor Niedrigpreisen sowie Schwankungen des Weltmarktes) und gemeinschaftliche, solidarische Finanzierung. Durch das Inkrafttreten der Gemeinschaftspolitik 1962 wurden sie umgesetzt. Sie wurden mittels der GMO mit hoher Regelungsintensität angewendet. Im Einzelnen umfassten sie gemeinsame Wettbewerbsregeln, bindende Koordinierungen der einzelstaatlichen und der europäischen Marktordnungen (wie z. B. die Einführung der Zuckermarktordnung 1958/59). Im Laufe der Zeit war die e. A. immer wieder Gegenstand von Veränderungen und Reformbemühungen. Mit dem Mansholt-Plan (1968) wurde erstmalig eine nachhaltige Reform versucht, welche die landwirtschaftliche Erwerbsbevölkerung binnen zehn Jahren um etwa die Hälfte verringern sollte, indem größere und effizientere Betriebe (Betrieb) gefördert wurden. Weitere Anpassungsmaßnahmen strebten eine Modernisierung und die Bekämpfung der Überproduktion an. Ein wesentliches Problem der 1970er Jahre war die Überschreitung der Schwelle zur Eigenversorgung. Da die erzeugten Überschüsse weiterhin abgekauft wurden, die Lagerkapazitäten jedoch begrenzt waren (so wurden 1985 70 kg Getreide für jeden Bürger bevorratet), mussten die Überschüsse vernichtet werden („Butterberge und Milchseen“). Als Lösung galt der Export: Da aber die Weltmarktpreise i. d. R. unter den Binnenmarktpreisen lagen, waren Exportbeihilfen zu leisten. Deren Finanzierung wurde anfangs durch Zölle auf notwendige Agrarimporte (Abschöpfungen) in die Zollunion der EWG gewährleistet, die sich später jedoch stark verringerten. Insgesamt ergaben sich daraus nachteilige Wirkungen auf das Budget: Der Anteil der Agrarausgaben im Gemeinschaftshaushalt stieg von 8 % im Jahr 1965 auf 80 % im Jahr 1969. Außerdem waren die Exportsubventionen mit Hinsicht auf die WTO-Regeln problematisch. Als erste Reaktion auf die Krisenphase wurden Produktionskontrollen etabliert. Durch angebotsbeschränkende Maßnahmen sollten die Überschüsse verkleinert werden. So wurden 1988 freiwillige Flächenstilllegungen mit entspr.en Prämienzahlungen zur Überkompensation des Einkommensverlustes eingeführt. Eine wichtige Zäsur stellte die MacSharry-Reform (1992) dar, deren Anliegen die Senkung der garantierten Abnahmepreise und deren sukzessive Ersetzung durch produktionsunabhängige Direktbeihilfen (Prämien pro Fläche) waren. Die Reform erfolgte unter dem Eindruck der EG-Haushaltskrisen sowie der Uruguay-Verhandlungsrunde der WTO, die auf die Abschaffung der Exportsubventionen abzielte. Wichtiger Bestandteil der MacSharry-Strategie waren neben zeitlich unbegrenzten Ausgleichszahlungen auch Prämien für obligatorische Flächenstilllegungen, die Förderung des Marktmechanismus, Vorruhestandszahlungen, nationale Garantiemengen, Festlegung von Produktionsobermengen und Maßnahmen des Umweltschutzes. Statt direkt in den Preismechanismus zu intervenieren, entfaltet die neue Agrarpolitik ihre Steuerungswirkung mittels Beihilfen. Mit der Reform sollten Anreize geschaffen werden, Produktion stärker an den Erfordernissen des Marktes auszurichten, ohne jedoch zugl. die Einkommenssicherheit der Landwirte zu gefährden. Alle anschließenden Reformen folgten dieser Linie und änderten die Architektur der Agrarpolitik grundlegend. Die Reformen spiegeln auch den gesellschaftlichen Bewusstseinswandel, nicht mehr die Effizienz der Produktion im Vordergrund zu stellen, sondern Landwirtschaft an ökologische und gesundheitliche Standards zu binden. Die Agenda 2000 war eine Reaktion auf die bevorstehenden Erweiterungen der EU um die postsozialistischen Staaten mit ihren überdimensionierten aber nicht wettbewerbsfähigen Agrarsektoren. Sie setzte die Schritte der vorhergehenden Reform fort (insb. Verringerung der Kosten durch weitere Preisabsenkungen und verstärkte Förderung der Lebensmittelsicherheit). Neu war hingegen die Konditionierung der Kapitalhilfen hinsichtlich der Einhaltung von Umwelt- und Tierschutzanforderungen (Cross Compliance). Dennoch wurde noch keine vollständige Entkopplung erzielt, da sich die Zahlungen weiterhin an produktionsbezogenen Kennziffern orientierten. Die Agrarreform von 2003 (Luxemburger Beschlüsse) sah eine weitere Entkopplung der Direktzahlungen von der Produktion und den verstärkten Gebrauch der Cross Compliance vor. Das produktbezogene Prämiensystem wurde schließlich ab 2005 endgültig ersetzt. Stattdessen erfolgen Zahlungen seitdem unabhängig von der tatsächlichen Bewirtschaftung der Flächen. Mit der Zuckermarktreform (2006) wurde beschlossen, die Ordnungspreise im Zuckermarkt schrittweise zu verringern und anschließend gänzlich abzuschaffen. Infolge des „Health Check“ (2008) fand eine Beschleunigung der Agenda-2000-Maßnahmen bei zeitgleicher Begrenzung der EU-Agrarausgaben und der Plafonierung der Direktzahlungen statt. Seit 2014 gilt eine obligatorische Anbaudiversifizierung und Zahlungen sind an eine Flächennutzung im Umweltinteresse (Greening) gebunden. Weiterer Schwerpunkt ist die Liberalisierung des Sektors für Milchprodukte, der nach wie vor vergleichsweise stark reglementiert ist (z. B. durch die Milchquoten). Für den Finanzrahmen 2014–20 wird die Reformpolitik mit sinkender Mittelausstattung fortgeführt, wobei die Finanzressourcen zunehmend von der ersten zur zweiten Säule umgeschichtet werden (Modulation). Die gegenwärtige Agrarpolitik weist trotz aller Reformen anhaltend Dysfunktionalitäten auf: Der Verteilungsmechanismus bevorzugt die Eigentümer relativ großer landwirtschaftlicher Flächen, die auch nicht notwendigerweise als Landwirte tätig sein müssen. Auch behindern die weiterhin starken Interventionen der EU den sich vollziehenden Strukturwandel und befördern somit die Dringlichkeit weiterer Reformen.
Literatur
R. Baldwin/C. Wyplosz: The Economics of European Integration, 42012 • U. Koester: Grundzüge der landwirtschaftlichen Marktlehre, 42010 • A.-C. Knudsen: Farmers on Welfare. The Making of Europe’s Common Agricultural Policy, 2009 • K. Patel (Hg.): Fertile Ground for Europe. The History of European Integration and the Common Agricultural Policy since 1945, 2009 • M. Farmer: The possible Impacts of Cross Compliance on Farm Costs and Competitiveness, Institute for European Environmental Policy, 2007 • I. Garzon: Reforming the Common Agricultural Policy, 2006 • A. Greer: Agricultural policy in Europe, 2005 • R. Ackrill: The Common Agricultural Policy, 2001 • A. Burrel/A. Oskam (Hg.): Agrigultural Policy and Enlargement of the European Union, 2000 • R. Anderegg: Grundzüge der Agrarpolitik, 1999 • W. Grant: The Common Agricultural Policy, 1997 • J. Keeler: Agricultural Power in the European Community: Explaining the Fate of CAP and GATT Negotiations, in: CP 28/2 (1996), 127–149 • R. Fennel: The Common Agricultural Policy of the European Community, 21987 • D. Halverson: Factory Farming: the Experiment That Failed, 1987.
Empfohlene Zitierweise
J. Dörr: Europäische Agrarpolitik, Version 22.10.2019, 17:30 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Europ%C3%A4ische_Agrarpolitik (abgerufen: 22.11.2024)