Schweizerische Volkspartei (SVP): Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 16. Dezember 2022, 06:12 Uhr
Die SVP ist seit Beginn der 2000er Jahre die wählerstärkste Partei der Schweiz und gehört im internationalen Vergleich zu den größten Parteien, die dem Rechtspopulismus zugeordnet werden. Mit ihren Abstimmungserfolgen gegen den Bau von Minaretten oder für die Begrenzung der Einwanderung hat sie über die Landesgrenzen hinaus für Aufmerksamkeit gesorgt. Maßgeblich an ihrem Aufstieg beteiligt war Christoph Blocher, ein erfolgreicher Unternehmer.
1. Entstehung und Entwicklung
Als nationale Partei gegründet wurde die SVP 1936 unter dem Namen BGB. Ihre heutige Bezeichnung erhielt sie 1971. Der Namenswechsel war Ausdruck einer Öffnung hin zur Mitte, um auf die Erosion ihrer agrarisch-ländlichen Stammwählerschaft zu reagieren und ihre Wählerbasis unter Angestellten und Arbeitern zu erweitern. Es gelang ihr jedoch nicht, ihren Wähleranteil bei den Nationalratswahlen zu erhöhen. Dieser schwankte in den 1970er und 1980er Jahren zwischen 9,9 und 11,6 %.
Zu Beginn der 1990er Jahre bewegte sich die Partei unter der Themenführerschaft der Zürcher Kantonalpartei mit ihrem damaligen Präsidenten Nationalrat C. Blocher an den rechten Rand des politischen Spektrums. Die Ablehnung des EWR-Beitritts, eine restriktive Haltung in der Migrationspolitik, wirtschaftspolitischer Liberalismus und eine Anti-Classe-Politique-Rhetorik bescherten ihr anhaltende Erfolge. Bei den Nationalratswahlen 2007 erzielte sie einen Wählerstimmenanteil von 28,9 %. So große Wählerstimmenverschiebungen hatte es im stabilen Schweizer Parteiensystem seit 1919 nicht mehr gegeben.
Motiviert durch diese Erfolge erhob die SVP Anspruch auf einen zweiten Sitz in der Landesregierung. Seit 1959 setzte sich der Bundesrat gemäß der sogenannten Zauberformel zusammen aus je zwei Mitgliedern der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP.Die Liberalen), der CVP und der SP sowie einem Mitglied der SVP. Bei den Bundesratswahlen 2003 wurde entgegen den Gepflogenheiten ein wieder kandidierendes CVP-Mitglied des Bundesrats nicht mehr gewählt. An dessen Stelle wurde C. Blocher zweiter SVP-Vertreter im Bundesrat.
Die neue Formel hatte jedoch nicht lange Bestand, v. a. weil sich die SVP kaum weniger oppositionell gebärdete. 2007 wurde C. Blocher vom Parlament nicht mehr wiedergewählt. Ersetzt wurde er durch eine moderate SVP-Politikerin, welche in der Folge aus der SVP ausgeschlossen wurde. Bei den Bundesratswahlen 2011 wurde die nun für die BDP kandidierende Bundesrätin wiedergewählt, sodass die SVP wiederum nur mit einem einzigen Sitz vertreten blieb.
Bei den Nationalratswahlen 2015 stieg der Wähleranteil der SVP erneut an und erreichte mit 29,4 % der Wählerstimmen eine neue Bestmarke. Nun wurde die zurücktretende ehemalige SVP-Vertreterin durch einen „offiziellen“ Westschweizer Vertreter der SVP ersetzt, sodass die Partei wieder mit zwei Sitzen in der Regierung vertreten ist.
In jüngerer Zeit ist die Erfolgsgeschichte der SVP, allerdings auf sehr hohem Niveau, leicht getrübt. In einzelnen Kantonen der Westschweiz sieht sie sich mit Problemen konfrontiert, welche z. T. personeller Natur sind aber zu Verlusten an Wählerstimmen bzw. Sitzen führen, und in ihren Stammlanden gelingt es ihr nicht mehr, ihre großen Wahlerfolge zu wiederholen. Bei den Nationalratswahlen 2019 verlor die SVP 3,8 % der Wählerstimmen. Sie bleibt aber mit Abstand die wählerstärkste Partei.
2. Politische Ausrichtung
Der SVP ist es gelungen, Einstellungen und Stimmungen – wie das Unbehagen gegenüber der Zuwanderung, die Angst vor Kriminalität, das Gefühl der Bedrohung schweizerischer Grundwerte, das Misstrauen gegenüber einem umfassenden Wohlfahrtsstaat – aufzunehmen und gewinnbringend zu bewirtschaften. Sie wendet sich gegen praktisch alle Errungenschaften der 1968er-Bewegung und kritisiert deren Auswirkungen auf Familie, Schule, Strafvollzug, Integrationspolitik und Sozialhilfe. Ihr Programm kann über weite Strecken als national-konservativ bezeichnet werden, wobei die Partei allerdings wirtschaftspolitisch relativ liberal ist und sich für niedrige Staatsausgaben und Steuern einsetzt. In ihren Forderungen finden sich populistische Versatzstücke, wie etwa die Anti-Establishment-Rhetorik, das Insistieren auf einer absoluten Volkssouveränität, das Misstrauen gegenüber dem „Richterstaat“ und das Beklagen der schwindenden nationalstaatlichen Souveränität angesichts von Globalisierung und der wachsenden Bedeutung internationaler Vereinbarungen.
Unmittelbare Erfolge konnte die SVP in erster Linie dank der in der Schweiz stark ausgebildeten Instrumente der direkten Demokratie (Volksabstimmungen, Plebiszit) verbuchen, so etwa bei der Verhinderung des EWR-Beitritts (1992), der Anti-Minarett-Initiative (2009), der Ausschaffungsinitiative (Ausweisung wegen bestimmter Delikte straffällig gewordener Ausländer, 2010) oder der Initiative gegen die Masseneinwanderung (2014).
3. Auswirkungen auf das Parteiensystem und Ausblick
Ohne Zweifel hat das Agieren der SVP im auf Konsens ausgerichteten Schweizer Parteiensystem zu härteren politischen Auseinandersetzungen und zu einer starken Polarisierung geführt. Im Parlament hat sich die Partei aber eher isoliert. Zwar gehört sie häufig zusammen mit FDP und CVP zum siegreichen Bürgerblock. Nur auf sich selbst gestellt gelingt es ihr aber kaum, ihre Positionen durchzusetzen. Durch ihre Wahlerfolge macht sie Druck auf die ihr nahestehenden Parteien und beeinflusst deren Politik. So verfolgen bspw. CVP und FDP in der Asylpolitik heute eine deutlich schärfere Gangart als früher.
In absehbarer Zeit wird die Partei nicht aus der politischen Arena verschwinden. Europäische Integration, Zuwanderung und Staatsfinanzen werden auch künftig zentrale politische Themen sein. Zudem ist die SVP in Kantonen und Gemeinden gut verankert. Hier stellt sie viele Mandatsträger und ist häufig fest eingebunden in die Regierungsverantwortung. Entspr. gebärdet sie sich dort auch weniger oppositionell.
Wahrscheinlicher ist, dass sich die SVP aufgrund der dem politischen System der Schweiz immanenten integrativen und auf Konsens bedachten Mechanismen mäßigen wird. Eine einzige Partei allein kann sich im Parlament nicht durchsetzen. Nur wenn es gelingt, mit anderen Parteien eine Mehrheit zu finden, hat man einen direkten Einfluss auf die Entscheidungen; und je extremer sich eine Partei politisch gebärdet, desto schwieriger wird es, Verbündete zu finden.
Diskutiert wird, ob die SVP so einfach dem Lager der rechtspopulistischen Parteien und der Modernisierungsverlierer zugeschlagen werden kann. Die direkte Demokratie in der Schweiz verlangt ein gewisses Maß an Populismus, weil die Stimmbürger fast in allen Fragen das letzte Wort haben. Zudem darf nicht übersehen werden, dass die SVP über ein ausführliches Parteiprogramm verfügt und klar zu den politischen Institutionen und den demokratischen Entscheidungskompetenzen der Stimmbürger steht. Auch sucht man bei der SVP vergebens nach Versuchen, Wähler mit staatlichen Leistungen zu bedienen. Sie vertritt bei Finanz- und Steuerfragen eine restriktive Politik. Der Globalisierung stellt sie ein Modell gegenüber, das auf nationalstaatliche Souveränität setzt. Ihre Exponenten und auch ein großer Teil ihrer Wählerschaft sind ökonomisch durchaus erfolgreich und sehen die Schweiz als vielversprechenden Sonderfall, den es zu verteidigen gilt.
Literatur
A. Ladner/D. Schwarz/J. Fivaz: Politische Parteien und Parteiensystem, in: P. Yannis u. a. (Hg.): Hdb. der Schweizer Politik, 72022, 403-438 • A. Ladner: Die Schweizerische Volkspartei – Gratwanderung zwischen Nationalkonservatismus und Rechtspopulismus, in: E. Hillebrand (Hg.): Rechtspopulismus in Europa. Gefahr für die Demokratie?, 2015, 77–87.
Empfohlene Zitierweise
A. Ladner: Schweizerische Volkspartei (SVP), Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Schweizerische_Volkspartei_(SVP) (abgerufen: 25.11.2024)