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− | Z. erstreckt sich über eine Fläche von knapp 4 Mio. km<sup>2</sup>, von denen fast zwei Drittel auf Kasachstan entfallen. Gleichzeitig lebt nur rund 1 % der Weltbevölkerung in diesem Teil der Welt. Dies liegt maßgeblich an den geografischen Besonderheiten der Region. Z. zählt zu den großen Trockenregionen der Welt, in denen Wasser eine knappe und kostbare Ressource darstellt. Darüber hinaus ist es eine Binnenregion, die keinen Zugang zu den Weltmeeren aufweist und deren Flüsse in Binnenseen münden oder versanden. Das geografische Profil ist durch ausgedehnte aride und semiaride Tiefland- und Gebirgsregionen bestimmt, die als Wärme- oder Kältewüsten mit spärlicher Vegetation nur eingeschränkte Besiedlung erlauben. Der nördliche Teil der Region zählt zum eurasischen Steppengürtel, der sich von Osteuropa über Kasachstan bis in die Mongolei erstreckt und eine geschlossene Grasdecke bildet, die extensive Weidewirtschaft (<I>Pastoralismus</I>) ermöglicht. Alpine Weiden finden sich in den niederen und mittleren Lagen der Gebirge und werden für die Fernweidewirtschaft (<I>Transhumanz</I>) genutzt. Im südlichen Tiefland dagegen haben sich an den Gebirgsaustritten von Flüssen, die den Hochgebirgsgletschern des Pamir und Tienschan entspringen und zahlreiche kleinere Flüsse speisen, schon früh, d. h. seit dem 3. Jahrtausend v. Chr., Oasenstädte mit künstlicher Bewässerung und intensiver Landwirtschaft entwickelt, die auch den Anbau von Baumwolle einschloss. Die Koexistenz und gegenseitige Durchdringung von städtischer Oasenwirtschaft und Pastoralismus und die oft konflikthafte Interaktion von Nomaden und Sesshaften spielt in der Gegenwart keine Rolle mehr, hat aber die historische Dynamik in Z. wesentlich geprägt. Der transkontinentale Fernhandel, der bis zur Entdeckung des Seeweges nach Indien über die durch Z. führenden Routen der | + | Z. erstreckt sich über eine Fläche von knapp 4 Mio. km<sup>2</sup>, von denen fast zwei Drittel auf Kasachstan entfallen. Gleichzeitig lebt nur rund 1 % der Weltbevölkerung in diesem Teil der Welt. Dies liegt maßgeblich an den geografischen Besonderheiten der Region. Z. zählt zu den großen Trockenregionen der Welt, in denen Wasser eine knappe und kostbare Ressource darstellt. Darüber hinaus ist es eine Binnenregion, die keinen Zugang zu den Weltmeeren aufweist und deren Flüsse in Binnenseen münden oder versanden. Das geografische Profil ist durch ausgedehnte aride und semiaride Tiefland- und Gebirgsregionen bestimmt, die als Wärme- oder Kältewüsten mit spärlicher Vegetation nur eingeschränkte Besiedlung erlauben. Der nördliche Teil der Region zählt zum eurasischen Steppengürtel, der sich von Osteuropa über Kasachstan bis in die Mongolei erstreckt und eine geschlossene Grasdecke bildet, die extensive Weidewirtschaft (<I>Pastoralismus</I>) ermöglicht. Alpine Weiden finden sich in den niederen und mittleren Lagen der Gebirge und werden für die Fernweidewirtschaft (<I>Transhumanz</I>) genutzt. Im südlichen Tiefland dagegen haben sich an den Gebirgsaustritten von Flüssen, die den Hochgebirgsgletschern des Pamir und Tienschan entspringen und zahlreiche kleinere Flüsse speisen, schon früh, d. h. seit dem 3. Jahrtausend v. Chr., Oasenstädte mit künstlicher Bewässerung und intensiver Landwirtschaft entwickelt, die auch den Anbau von Baumwolle einschloss. Die Koexistenz und gegenseitige Durchdringung von städtischer Oasenwirtschaft und Pastoralismus und die oft konflikthafte Interaktion von Nomaden und Sesshaften spielt in der Gegenwart keine Rolle mehr, hat aber die historische Dynamik in Z. wesentlich geprägt. Der transkontinentale Fernhandel, der bis zur Entdeckung des Seeweges nach Indien über die durch Z. führenden Routen der sogenannten Seidenstraße und der in Nord-Süd-Richtung verlaufenden „Pelzstraße“ führte, war in Z. über komplexe Austauschbeziehungen zwischen den urbanen Zentren der Oasen und den mobilen Viehhirten der Steppenzone organisiert. |
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Version vom 16. Dezember 2022, 06:13 Uhr
1. Begriffsentwicklung
Als „Z.“ wird eine Region im Zentrum des eurasischen Kontinents bezeichnet, die keine klar umrissenen naturräumlich-geografischen Grenzen aufweist und deren Konturen seit dem Aufkommen des Begriffs im frühen 19. Jh. unterschiedlich weit gefasst wurden. Der Begriff Z. selbst wurde von europäischen Forschungsreisenden und Geografen geprägt und war zunächst an Gegebenheiten der physischen Geografie orientiert. Der Geograf und Chinaforscher Ferdinand Freiherr von Richthofen fasste als Z. die ausgedehnten abflusslosen Räume zwischen dem Hochland von Tibet und dem Altai, zwischen der Wasserscheide im Pamir und im Tienschan sowie dem Chingan-Gebirge. Neben dieser geografischen Bestimmung des als Z. bezeichneten Raumes, der die Mongolei und Teile Südsibiriens sowie Westchinas, nicht aber Transoxanien, d. h. die Oasenkulturen zwischen Amu- und Syrdarja (in der antiken Geografie: Oxus und Jaxartes) einschließt, entwickelte sich seit dem 19. Jh. ein Z.-Begriff, der sich an den historisch-politischen Entwicklungen orientiert. Vor dem Hintergrund der russisch-britischen Rivalität um den Zugang zum Indischen Ozean und die daran geknüpfte Kontrolle des maritimen Handels gewannen die Gebiete östlich des Kaspischen Meeres im 19. Jh. strategische Bedeutung für die Europäer. Im britisch-russischen Great Game um Handelsmonopole und politischen Einfluss kam Afghanistan und den im Norden angrenzenden Gebieten Transoxaniens eine Schlüsselrolle als Transitraum zu. Diese Konnotation Z.s als eines Raumes an der Peripherie der umliegenden Reiche, der, selbst ohne feste Grenzen, den Hegemonialmächten als Korridor zur Erschließung weiterer Räume dient, verdichtete sich zu Beginn des 20. Jh. in der Heartland-Theorie des britischen Geografen Halford John Mackinder (Geopolitik). Dieser fasste den von Russland (später der UdSSR) beherrschten Teil des eurasischen Kontinents als strategischen Angelpunkt für die Herrschaft über den Globus und seine Ressourcen. Diese geopolitische Konzeption lebt als Folie für die Wahrnehmung Z.s bis heute fort und hat im Zusammenhang mit der chinesischen Expansionspolitik an Aktualität gewonnen.
Für die Herausbildung des Z.-Begriffs in seiner heutigen Verwendung ist v. a. die russische Kolonialpolitik (Kolonialismus) maßgeblich. Russland hatte seit dem 16. Jh. an seinen südöstlichen Grenzen zwischen dem Kaspischen Meer und dem Altaigebirge eine grob dem 50. Breitengrad folgende Linie von Militärstützpunkten errichtet und brachte im 18. Jh. die in Konföderationen („Horden“) organisierten kasachischen Pastoralnomaden des Steppengürtels unter seine Herrschaft. Im Zuge der Erschließung neuer Handelswege dehnte Russland im 19. Jh. sein Einflussgebiet auch auf die stärker zentralisierten Stadtstaaten des transoxanischen Zweistromlandes aus. Zur Bezeichnung dieses Gebiets hatte sich im 19. Jh. der Begriff Turkestan etabliert, nach der persischen Bezeichnung für die mehrheitlich von türkischsprechenden Gruppen bewohnten Länder nördlich des Amudarja. Da sich der von ethnisch-linguistischen Kriterien geprägte Begriff Turkestan auch auf chinesische Herrschaftsgebiete erstreckte, wurde zwischen West- bzw. Russisch-Turkestan und Ost- bzw. Chinesisch-Turkestan unterschieden. In der administrativen Gliederung der von der russischen Kolonialmacht beanspruchten Territorien wurde der Begriff Turkestan bis zur Gründung der UdSSR verwendet, danach jedoch aufgegeben, da er von der politischen Bewegung der Pantürken, die für eine Autonomie Turkestans eintrat, in Anspruch genommen wurde. Stattdessen etablierte sich im russischen Schrifttum die Bezeichnung Mittelasien. Sie umfasste die Sowjetrepubliken Kirgistan, Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan, die zwischen 1924 und 1929 aus dem vormaligen Generalgouvernement Turkestan hervorgegangen waren. Die Sowjetrepublik Kasachstan, die aus Teilen des seit 1882 bestehenden Generalgouvernements der Steppe hervorgegangen war, wurde nicht zu Mittelasien im engeren Sinne gezählt, aber auch nicht zu Z. gerechnet. Unter diesem Begriff wurden vielmehr die Mongolei, Tibet und Westchina (Ost-Turkestan) subsumiert. Im deutschen und französischen Sprachraum wurde diese Begriffsverwendung übernommen und bis zur Auflösung der UdSSR (1991) beibehalten. Die englischsprachige Tradition dagegen übernahm diese Begriffsdifferenzierung nicht, sondern bezog den Begriff Z. auf alle fünf Sowjetrepubliken – eine Konvention, die sich seit 1991 allgemein durchgesetzt hat. Die heutige Begriffsverwendung ist somit eine genuin politische, die sich an staatlichen Grenzen als Grundlage für das Konstrukt einer räumlichen Einheit der Region orientiert.
2. Geografische und kulturräumliche Besonderheiten
Z. erstreckt sich über eine Fläche von knapp 4 Mio. km2, von denen fast zwei Drittel auf Kasachstan entfallen. Gleichzeitig lebt nur rund 1 % der Weltbevölkerung in diesem Teil der Welt. Dies liegt maßgeblich an den geografischen Besonderheiten der Region. Z. zählt zu den großen Trockenregionen der Welt, in denen Wasser eine knappe und kostbare Ressource darstellt. Darüber hinaus ist es eine Binnenregion, die keinen Zugang zu den Weltmeeren aufweist und deren Flüsse in Binnenseen münden oder versanden. Das geografische Profil ist durch ausgedehnte aride und semiaride Tiefland- und Gebirgsregionen bestimmt, die als Wärme- oder Kältewüsten mit spärlicher Vegetation nur eingeschränkte Besiedlung erlauben. Der nördliche Teil der Region zählt zum eurasischen Steppengürtel, der sich von Osteuropa über Kasachstan bis in die Mongolei erstreckt und eine geschlossene Grasdecke bildet, die extensive Weidewirtschaft (Pastoralismus) ermöglicht. Alpine Weiden finden sich in den niederen und mittleren Lagen der Gebirge und werden für die Fernweidewirtschaft (Transhumanz) genutzt. Im südlichen Tiefland dagegen haben sich an den Gebirgsaustritten von Flüssen, die den Hochgebirgsgletschern des Pamir und Tienschan entspringen und zahlreiche kleinere Flüsse speisen, schon früh, d. h. seit dem 3. Jahrtausend v. Chr., Oasenstädte mit künstlicher Bewässerung und intensiver Landwirtschaft entwickelt, die auch den Anbau von Baumwolle einschloss. Die Koexistenz und gegenseitige Durchdringung von städtischer Oasenwirtschaft und Pastoralismus und die oft konflikthafte Interaktion von Nomaden und Sesshaften spielt in der Gegenwart keine Rolle mehr, hat aber die historische Dynamik in Z. wesentlich geprägt. Der transkontinentale Fernhandel, der bis zur Entdeckung des Seeweges nach Indien über die durch Z. führenden Routen der sogenannten Seidenstraße und der in Nord-Süd-Richtung verlaufenden „Pelzstraße“ führte, war in Z. über komplexe Austauschbeziehungen zwischen den urbanen Zentren der Oasen und den mobilen Viehhirten der Steppenzone organisiert.
Für die Entwicklung Z.s in der Moderne ist eine andere naturräumliche Besonderheit bestimmend: der Reichtum an natürlichen Rohstoffen, v. a. fossilen Brennstoffen sowie Mineralien und Metallen, die seit dem 20. Jh. systematisch ausgebeutet werden. Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan verfügen über rund 4 bzw. 6 % der global nachgewiesenen und förderbaren Bestände an Erdöl bzw. Erdgas. Für alle drei Länder ist der Export dieser Rohstoffe heute die wichtigste Einnahmequelle. Darüber hinaus weisen v. a. Usbekistan und Kasachstan bedeutende Gold- und Uranvorkommen auf. Bei der Produktion von Natururan steht Kasachstan weltweit an erster Stelle, Usbekistan ist ebenfalls unter den zehn größten Produzenten des Schwermetalls. Da die Staaten der Region infolge der Binnenlage keinen direkten Zugang zu den Weltmärkten haben, ist der Export der Rohstoffe aufwändig und kostspielig. Die erforderliche Infrastruktur – Pipelines, Überlandstraßen und Schienenwege – wird erst seit Beginn des 21. Jh. mit Hilfe ausländischer Investoren systematisch ausgebaut.
3. Vorkoloniale Geschichte
Bis ins 6. Jh. v. Chr. dominierten in Z. Sprecher indo-iranischer (sogdischer) Idiome. Die ersten städtischen Siedlungen am Südrand der Region gehen auf solche Gruppen zurück, ebenso wie die Domestikation des Pferdes. Diese Kulturleistung hat nicht nur die Herausbildung der großräumig-mobilen Weidewirtschaft als spezialisierter Lebensform ermöglicht, sondern ab dem 1. Jahrtausend v. Chr. auch die Kriegführung revolutioniert. Das Reiterkriegertum und die damit in Zusammenhang stehenden technologischen Innovationen (Waffen und Kampftechniken) stellten bis in die Neuzeit eine Herausforderung für die agrarisch geprägten Reiche an den Rändern Z.s – China, Persien, Russland – dar. Im 8. Jh. leitete die Eroberung Transoxaniens durch die Araber eine Epochenwende ein, indem sie die Grundlage für die Islamisierung der Region legte, der chinesischen Westexpansion für viele Jahrhunderte ein Ende setzte und das Kalifat mit der Hauptstadt Bagdad zum politischen Bezugspunkt der lokalen Eliten machte. In der Folge etablierten sich islamisierte lokale Dynastien im Zweistromland, darunter die Samaniden, deren Verwaltungsgebiet (mit der Hauptstadt Buchara) auch Teile Irans umfasste. Während der bis 999 dauernden Herrschaft der Samaniden und in den folgenden vier Jahrhunderten entwickelte sich das Zweistromland zu einem wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum der islamischen Welt, von dem bedeutende Impulse für die Entwicklung des islamischen Rechts (hanafitische Rechtsschule), der Philosophie (Avicenna), der Naturwissenschaften (Abū Nasr Muhammad al-Fārābī, Abu r-Raihan Muhammad ibn Ahmad al-Bīrūnī) und der neupersischen Sprache und Literatur ausgingen. Die Weidegebiete des zentralasiatischen Steppengürtels teilten sich türkische Verbände, die im Zuge einer Ost-West-Migration seit dem 10. Jh. in die Region vorgedrungen waren und für die der Zwischenhandel, über den der Warenverkehr quer durch den eurasischen Kontinent organisiert war, eine bedeutende ökonomische Ressource bildete.
Die mongolische Eroberung im 13. Jh. integrierte Z. in ein Landimperium, das während seiner größten Ausdehnung in der ersten Hälfte des 13. Jh. von China bis nach Osteuropa und von Anatolien bis zum Indus reichte. Die Pax Mongolica etablierte nicht nur ein neues Militär-, Verwaltungs- und Rechtssystem, sondern ermöglichte erstmals auch direkte Kontakte zwischen Europa und dem Fernen Osten. In den nach dem Tod des Reichsgründers (Dschingis Khan) von dessen Nachkommen regierten Herrschaftsbereichen differenzierten sich jene politischen Entitäten aus, die für die Usbeken und Kasachen der Gegenwart namengebend wurden. Ein weiteres Mal wurden diese Herrschaftsgebiete im ausgehenden 14. Jh. unter dem turko-mongolischen Warlord Timur (Tamerlan) zu einem Imperium zusammengeführt. Samarkand, die Kapitale des Timuridenreichs und andere Städte im heutigen Usbekistan waren architektonisch bis in die Gegenwart von dieser Epoche geprägt. Unter Timur und seinen Nachfolgern gewann darüber hinaus der Sufismus in Z. an Bedeutung, der eine wichtige Rolle bei der Islamisierung der nördlichen Steppengebiete spielte. Die Herrschaft in Transoxanien übernahmen am Ende des 15. Jh. die Usbeken (Özbek) und andere aus der mongolischen Aristokratie hervorgegangene Dynastien. Im Steppengürtel dominierten die mobilen Stammesverbände der Kasachen, die sich nur temporär zu zentralisierten militärisch-politischen Einheiten (Khanaten) zusammenschlossen und deren Weidegebiete sich im Südosten mit denen der Kirgisen überlappten.
4. Russische und sowjetische Herrschaft
Die russische Eroberung Z.s ab dem 18. Jh. bedeutete nach der arabischen Eroberung die zweite große historische Zäsur. In der Folge etablierte sich nicht nur die russische Sprache als lingua franca in Z.; die russische Kolonisation, v. a. aber die Integration Z.s in die UdSSR beeinflusste Z.s Kultur nachhaltig und legte den Grundstein für die heutige politische Gliederung der Region und die Herausbildung der modernen Nationalstaaten.
4.1 Zaristische Politik
Die russische Kolonisation begann mit der Eroberung der Steppe und ihrer Eingliederung in die zaristische Territorialverwaltung. Auch Transoxanien („Turkestan“) wurde sukzessive Teil des russischen Herrschaftsbereichs, der Ende des 19. Jh. bis an die Grenze Afghanistans reichte. Anders als die Steppengebiete, die direkt der Befehlsgewalt russischer Militärbeamter (Generalgouverneure) unterstellt wurden, blieben die zentral regierten Oasenstaaten (Khanate, Emirate) des Zweistromlandes nominell unabhängig, wurden aber de facto zu russischen Protektoraten. Die zaristische Macht verfolgte in Z. vorwiegend ökonomische Interessen. Zum einen ging es darum, die handels- und militärstrategisch wichtige Region für den russischen Markt zu erschließen, zum anderen um die Nutzung Z.s als Lieferant von Baumwolle, deren Kultivierung ab dem ausgehenden 19. Jh. durch die Einführung für die industrielle Produktion geeigneter amerikanischer Sorten systematisch ausgeweitet wurde. Rohbaumwolle aus Z. versorgte die russische Textilindustrie zu Beginn des ersten Weltkrieges mit der Hälfte des Gesamtbedarfes. Der Transport des Rohstoffs nach Russland wurde durch den Ausbau des Eisenbahnnetzes ermöglicht, das Ende des 19. Jh. Taschkent und das Ferganatal einschloss und zur Gründung industrieller Betriebe führte. Die Expansion der Baumwollwirtschaft und die damit einhergehende Integration Z.s in die imperiale Ökonomie des Russischen Reiches veränderten das Wirtschaftsleben in Z. nachhaltig. Sie führten in den Oasen des Ferganatals zu einer Verdrängung des Getreideanbaus und zu einer Abhängigkeit von russischen Importen. Der massenhafte, von St. Petersburg ermutigte Zustrom russischer Siedler und (während des Ersten Weltkriegs) von Kriegsflüchtlingen zog die Erschließung immer neuer Anbaugebiete durch den Ausbau der künstlichen Bewässerung und die Enteignung von Land und Weidegründen nach sich. Dies führte zu sozialen Konflikten mit den Einheimischen und wiederholten Revolten gegen die zaristischen Machthaber, die sich häuften, als Russland begann, die Bevölkerung der Kolonien zum Erhalt kriegsnotwendiger Infrastruktur heranzuziehen. V. a. das Jahr 1916 war von Gewalt geprägt, die zu einem Exodus Hunderttausender Zentralasiaten nach Afghanistan, Persien und China führte.
4.2 Sowjetische Herrschaft
Nachdem im Oktober 1917 die Bolschewiki in Taschkent die Macht übernommen hatten, riefen muslimische Reformer im Ferganatal eine Provisorische Regierung des Autonomen Turkestan aus, die jedoch schon im Frühjahr 1918 von der Roten Armee niedergeschlagen wurde. In den Folgejahren festigten die Bolschewiki ihre Herrschaft in Z. durch die systematische Einbindung lokaler Kader in die Verwaltungsstrukturen (Indigenisierung) und die Nutzung nationalistischer Rhetorik zur Mobilisierung der Bevölkerung für die Politik der neuen Machthaber. Die administrative Neugliederung der Region nach linguistischen und (vielfach konstruierten) ethnischen Gesichtspunkten mündete zwischen 1924 und 1929 in die Gründung der fünf zentralasiatischen Sowjetrepubliken, deren territoriale Delimitation weitgehend den heutigen Grenzen entspricht.
Die Etablierung der Sowjetmacht und die damit einhergehende Modernisierung und ökonomische Erschließung des zentralasiatischen Hinterlands waren von Terror und Chaos überschattet. Die Einführung der neuen Ordnung begann 1926 mit der Zerschlagung der traditionellen Bildungsstrukturen. Die höheren islamischen Lehranstalten (Medressen) wurden geschlossen, Moscheen zerstört oder umfunktioniert, das religiöse Personal in die Verbannung geschickt oder ermordet und damit eine jahrhundertealte Tradition der Erzeugung und Weitergabe von Wissen zerstört. Stattdessen wurden ein säkulares Schulwesen nach russischem Vorbild aufgebaut und (in den 1930ern) angepasste kyrillische Alphabete für die zuvor in persischen Lettern geschriebenen und im Zuge der Indigenisierung zu Nationalsprachen erhobenen Idiome Z.s eingeführt. Einen zentralen Angriffspunkt der Kulturrevolution bildeten gewohnheitsrechtlich verankerte Praktiken wie Zwangsverheiratung und Polygamie sowie die traditionelle Geschlechtertrennung und die daran geknüpfte weibliche Körperverhüllung. Um die religiösen und traditionalen Bindungen durch das Bekenntnis zur Ideologie der KPdSU zu ersetzen, wurden wie überall in der UdSSR die Künste (v. a. das Theater), neuartige Rituale und nicht zuletzt die Wissenschaften genutzt. Auch Städteplanung und Architektur dienten als Mittel der Formung eines neuen Typs von Gesellschaft. Dadurch veränderten sich die Städte Z.s nachhaltig. Dennoch gelang es nicht, die neue Ideologie vollständig in Z. zu verankern. Zum einen beruhte die Politik der Indigenisierung auf klar definierten nationalen Identitäten, die im Zuge der Konstruktion von Nationalhistorien, Nationalsprachen und Nationalkulturen geschaffen wurden und die die Konservierung vorsowjetischer kultureller Traditionen begünstigten; zum anderen wurde während des Zweiten Weltkrieges die Religionspolitik modifiziert und mit der Einrichtung einer Geistlichen Verwaltung der Muslime in Zentralasien und Kasachstan eine Struktur geschaffen, die religiöse Aktivität in einem kontrollierten Rahmen ermöglichte. Muslimische Ritualpraxis und damit verbundene Verhaltensnormen wurden so in den privaten Raum abgedrängt, jedoch ihres intellektuellen Fundaments weitgehend beraubt.
Als „rückständig“ galt auch der Nomadismus, dessen Mobilität die Grundlagen moderner Staatlichkeit infrage stellt. Die Kollektivierung der Landwirtschaft, die eine rasche Industrialisierung ermöglichen und die dafür nötigen Ressourcen bereitstellen sollte, und die damit verbundene Sesshaftmachung der kirgisischen und kasachischen Nomaden führten unter letzteren Ende 1932/33 zu einer Hungersnot sowie zu einer neuerlichen Fluchtbewegung nach China. Die Kasachen wurden in diesen Jahren um etwa die Hälfte auf rund zwei Mio. Menschen dezimiert und das Titularvolk zu einer Minderheit in der Republik, der Massendeportationen und Zwangsumsiedlungen (u. a. der Wolgadeutschen) während des Zweiten Weltkriegs ein multiethnisches Gepräge verliehen. Nach dem Krieg begann man die kasachische Steppe im Zuge der Neulandgewinnung für den Getreideanbau und zur Gewinnung energiewirtschaftlicher Rohstoffe (u. a. Erdöl, Steinkohle) zu erschließen und zu industrialisieren. In den südlichen Republiken (Usbekistan, Tadschikistan, Turkmenistan) setzten die Sowjets auf die Ausweitung der künstlichen Bewässerung zur maximalen Ausweitung des Baumwollanbaus. Der Bau von großangelegten Bewässerungsprojekten (Kanäle, Staudämme), der von wiederkehrenden Politikwechseln begleitet war, ermöglichte schließlich die industrielle Produktion von Baumwolle, die im Wesentlichen auf Zwangsarbeit beruhte. Die in immer ausgedehnteren Monokulturen angebaute cash crop wurde nicht vor Ort verarbeitet, sondern in den europäischen Teil der UdSSR exportiert. Die südlichen Republiken blieben daher agrarisch geprägt. Im Austausch für die Lieferung von Rohstoffen unterstützte Moskau die Republiken Z.s durch Subventionen und Steuererleichterungen. Vor Ort wurden die Ressourcenströme durch informelle Netzwerke innerhalb des Staats- und Parteiapparats kontrolliert, die dadurch stabile Machtstrukturen aufbauen konnten. Dies gilt bes. für die Zeit nach 1960. Die unter Nikita Sergejewitsch Chruschtschow in Z. eingesetzten Parteichefs behielten ihre Ämter bis in die Ära Michail Sergejewitsch Gorbatschows, dessen Antikorruptionskampagnen im Zuge der Perestroika in Z. nationalistischen Stimmungen (Nationalismus) Auftrieb gaben.
5. Zentralasien seit 1991
5.1 Politik
Als sich nach dem gescheiterten Putsch gegen M. S. Gorbatschow im August 1991 das Ende der UdSSR abzeichnete, erklärten die zentralasiatischen Republiken ihre Unabhängigkeit. Noch im selben Jahr wurden in Kirgistan, Kasachstan und Usbekistan, 1992 auch in Turkmenistan, formale Präsidentschaftswahlen durchgeführt, die die bisherigen Parteivorsitzenden bzw. (seit 1990) Präsidenten der Unionsrepubliken im Amt bestätigten. In Tadschikistan, wo in den 1980er Jahren säkulare Intellektuelle und religiös-konservative Kräfte politisch erstarkt waren, mündete der Machtkampf zwischen der nun Vereinigten Tadschikischen Opposition und den Postkommunisten in einen Bürgerkrieg, der erst 1997 beendet wurde und auch hier einem Vertreter des ehemaligen kommunistischen Lagers ins Präsidentenamt verhalf. Die in den fünf Republiken zwischen 1992 und 1995 verabschiedeten Verfassungen bekennen sich zu Säkularismus, Rechtsstaatlichkeit (Rechtsstaat) und Gewaltenteilung sowie zu Parteienpluralismus und freien Wahlen. Doch räumen sie den Präsidenten umfängliche Kontroll- und Leitungsbefugnisse für alle staatlichen Funktionen ein. Durch diese unumschränkte Machtfülle der zentralen Führungsinstanz wird das Prinzip der Gewaltenteilung ad absurdum geführt. Eine unabhängige Gerichtsbarkeit existiert nirgendwo, die Parlamente fungieren als ausführende Organe zur Umsetzung von Vorgaben der Exekutive.
Während sich in Kirgistan und Kasachstan anfänglich parteipolitischer Wettbewerb entfalten konnte, bestanden solche Spielräume in Usbekistan und Turkmenistan nicht. Dort war von Anfang an nur eine Partei zugelassen, in Usbekistan wurden oppositionelle Gruppierungen, darunter auch islamistische Akteure (Islamismus), ab 1992 ausgeschaltet und verlagerten ihre Aktivitäten ins Ausland. Dort radikalisierte sich die islamistische Opposition und verübte wiederholt Anschläge in Usbekistan, zuletzt 2004. Allein in Tadschikistan konnte sich infolge des Friedensabkommens von 1997 eine echte Oppositionspartei, die Partei der Islamischen Wiedergeburt, bis 2015 legal betätigen. Ab Mitte der 1990er Jahre festigen die amtierenden Präsidenten in den zentralasiatischen Republiken ihre Macht, indem sie Referenden durchführen ließen, die es ihnen ermöglichen, sich beliebig oft zur Wiederwahl zu stellen. Politische Freiheiten wurden immer weiter beschnitten und oppositionelle Kräfte an den Rand gedrängt oder verboten. Auf diese Weise haben sich in ganz Z. konsolidierte autoritäre Systeme herausgebildet, die sich lediglich graduell unterscheiden. Dass die in Usbekistan seit 2016 umgesetzten Reformen eine Trendumkehr einleiten, ist unwahrscheinlich. In Kirgistan wurde die Festigung des Autoritarismus 2005 durch eine Revolte unterbrochen, die zum Sturz des Präsidenten führte; doch setzte dessen Nachfolger den autoritären Kurs mit umso größerer Härte fort. Eine weitere Revolte führte 2010 zu einem neuerlichen Regierungswechsel und zu einer Verfassungsänderung. Als einziges Land in Z. ist Kirgistan seither eine parlamentarische Republik (Parlament, Parlamentarismus), in der kompetitive Wahlen durchgeführt werden. Doch auch hier ist der Staatsapparat weitgehend unter der Kontrolle der jeweils regierenden Partei und informeller Netzwerke in deren Umfeld.
5.2 Wirtschaft, Ökologie
Die politischen Ökonomien der Staaten Z.s sind maßgeblich von der Rohstoffausstattung geprägt. In den ressourcenreichen Staaten Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan verdankt sich die Wirtschaftsleistung im Wesentlichen der rohstoffbasierten Produktion und den aus dem Export fossiler und mineralischer sowie landwirtschaftlicher Ressourcen gewonnenen Einkünften. In Kasachstan und Usbekistan kontrollieren oligarchisch strukturierte Eliten die strategischen Sektoren der Wirtschaft, in Turkmenistan (und Tadschikistan) ist es die führende Familie. Wichtigster Abnehmer der Rohstoffe ist mittlerweile China. Chinesische Staatsunternehmen investierten seit der Jahrtausendwende massiv in den Bau von Pipelines, die den heimischen Markt mit Erdöl und Erdgas aus Z. beliefern; in Tadschikistan hat sich China die Schürfrechte im Gold- und Silberbergbau gesichert. Mit Ausnahme Kasachstans und Kirgistans haben die zentralasiatischen Staaten nach dem Zerfall der UdSSR wesentliche Elemente der Planwirtschaft (Zentralverwaltungswirtschaft) beibehalten. Auch in Kasachstan, das bereits in den 1990er Jahren zu liberalen Wirtschaftsreformen überging, wurde ausländisches Investitionskapital überwiegend in die Exploration von Erdölfeldern und mineralischen Ressourcen gesteckt. Die Diversifizierung der Wirtschaft wurde dem gegenüber vernachlässigt, so dass die Wirtschaft stark an den Ölpreis gebunden bleibt und entspr. krisenanfällig ist. Usbekistan, das seit 2017 seine Wirtschaftspolitik neu ausrichtet und sich marktwirtschaftlichen Reformen öffnet, sucht mit Hilfe in- und ausländischer Investoren eine diversifizierte Wirtschaftsstruktur aufzubauen und, ebenso wie Kasachstan, den Anteil der industriellen Produktion am Export zu stärken. Die ressourcenarmen Staaten Kirgistan und Tadschikistan sind seit der Auflösung der UdSSR weitgehend von ausländischen Unterstützungsleistungen abhängig: Diese tragen zur staatlichen Stabilisierung bei, bedeuten aber eine enorme Auslandsverschuldung. Der wichtigste Kreditor ist China. In Tadschikistan machten die Auslandsschulden Anfang 2019 fast 40 % des BIP aus, etwa die Hälfte davon schuldet das Land China. Die Erzeugung und der Export von Elektrizität aus Wasserkraft haben allerdings seit der Jahrtausendwende in beiden Ländern zugenommen; die Mittel für die Bereitstellung der dafür nötigen Infrastruktur kommen v. a. von russischen, aber auch von westlichen Gebern sowie Entwicklungsbanken. Mit Ausnahme Kasachstans ist die Wirtschaft in Z. nach wie vor stark agrarisch geprägt. In Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan wird ein hoher Anteil am BIP durch die saisonale Arbeitsmigration (v. a. in Russland) erwirtschaftet; bes. in Tadschikistan besteht eine ausgeprägte Abhängigkeit von den Rücküberweisungen der Gastarbeiter. Große Bedeutung für die wirtschaftliche Modernisierung wird überall der Digitalisierung beigemessen. China ist dabei neben Russland der wichtigste Investor und Kooperationspartner. In Kasachstan, Usbekistan und Kirgistan soll künftig verstärkt in den Ausbau erneuerbarer Energien investiert werden. Zu den Kooperationspartnern zählt dabei auch die EU, die diesen Sektor in den einschlägigen Regionalstrategien stark gewichtet.
Die Entwicklung von Green Energy ist für Z. nicht zuletzt vor dem Hintergrund der ökologischen Problematik relevant. Die groß angelegte Erschließung der hydroenergetischen Ressourcen während der Sowjetzeit und die Exploration der fossilen und mineralischen Energieträger, darunter der Kohle- und Uranbergbau, haben enorme Folgeschäden hinterlassen. Die für die großflächige Kultivierung von Baumwolle erforderliche intensive Bewässerung hat v. a. in den südlichen Republiken zur Austrocknung von Flüssen und zur Versalzung von Böden geführt, die zudem durch den Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln verseucht wurden. Wasser hat sich dadurch in den ariden Regionen zusätzlich verknappt. Sichtbarste Folge des ökologischen Raubbaus ist die Austrocknung des Aralsees. Maßnahmen zu Rettung des Sees sind bisher an der unzureichenden Kooperation der Anrainer gescheitert.
5.3 Sozialstrukturelle Indikatoren
Die Bevölkerung Z.s ist seit 1991 um fast 25 Mio. auf knapp 74,5 Mio. Einwohner gestiegen, fast die Hälfte davon siedelt in Städten. Bei einem jährlichen Durchschnittswachstum um 1,8 % werden 2050 über 100 Mio. Menschen in Z. leben. Für das Wachstum sind neben der gestiegenen Lebenserwartung hohe Geburtenraten in Tadschikistan und Usbekistan verantwortlich; nur in Kasachstan stagnieren die Zahlen. Rund 30 % der Bevölkerung sind jünger als 15 Jahre, das Durchschnittsalter beträgt 27,6 Jahre. Der Lebensstandard hat, nach einem anfänglichen Einbruch in der ersten Dekade nach der Unabhängigkeit, kontinuierlich zugenommen, v. a. seit 2000 haben sich die Bedingungen, gemessen an den Indikatoren des HDI, stark verbessert. Beim Pro-Kopf-Einkommen liegt Z. aber deutlich hinter Russland und der Ukraine. Ausgeprägte Ungleichheiten bestehen bei der Verteilung des Reichtums und der gesellschaftlichen Teilhabe (Partizipation). Mit Ausnahme Kasachstans ist die Arbeitslosigkeit, v. a. unter Jugendlichen, hoch; ein großer Teil der Bevölkerung ist prekär beschäftigt, vielfach als Saisonarbeiter im Ausland. Mit Ausnahme Kasachstans bestehen gravierende Defizite im Bildungswesen, v. a. in Turkmenistan, Tadschikistan und Kirgistan. Das Gesundheitssystem ist überall unterfinanziert, vielfach fehlt es an qualifiziertem Personal.
5.4 Identitätspolitik
Die Verfassungen der Staaten Z.s bekennen sich grundsätzlich zum Prinzip einer staatsbürgerlichen Identifikation. Gleichzeitig ist das historische und kulturelle Selbstverständnis der zentralasiatischen Staaten maßgeblich durch die von den Sowjets vorgenommene Aufteilung der Region in nationale Republiken und die damit einhergehende Kompilation von Nationalgeschichten nach ethno-kulturellen Kriterien geprägt. Historische Persönlichkeiten aus vorsowjetischen Epochen, die auf dem Gebiet der heutigen Nationalstaaten wirkten, wurden zu Gründungs- und Symbolfiguren der modernen Staaten stilisiert, deren Nationalkulturen durch die jeweilige Titularmehrheit repräsentiert sind (die Kasachen haben diesen Status erst 1999 aufgrund der Abwanderung von Russen und Ukrainern seit 1991 und der Rückholung von Kasachen aus China erlangt). Dadurch werden Identitätsbildungen anhand sub-staatlicher, ethnischer und linguistischer Kriterien in den multinational zusammengesetzten Staaten festgeschrieben. Konflikte, etwa um die Nutzung von Land und Wasser, entladen sich deshalb oft in inter-ethnischer Gewalt (Ethnische Konflikte), v. a. in den dicht besiedelten Gebieten und Grenzregionen des Ferganatals. Gleichzeitig ist das Verhältnis zur russischen Kolonialzeit und zur sowjetischen Epoche durchwegs ambivalent. Zwar wurden Gedächtnisorte umgewidmet und sowjetische Toponyme durch solche aus der jeweiligen Nationalkultur ersetzt, doch eine kritische Aufarbeitung der russischen und sowjetischen Fremdherrschaft und der an ihrer Ausübung beteiligten und mit ihr identifizierten indigenen Kader ist bisher ausgeblieben.
Eine höchste ambivalente Rolle spielt der Islam im Selbstverständnis der zentralasiatischen Staaten, deren Bevölkerungen mehrheitlich sunnitische Muslime sind. Die kulturellen Leistungen muslimischer Gelehrter des Mittelalters gelten als bedeutender Teil des historischen Erbes, doch der gelebte Islam der Gegenwart stellt für die Regierungen in Z. ein Problem dar. Seit 1991 erstarkten überall Akteure, die muslimischen Ordnungs- und Wertvorstellungen stärkere, auch politische Geltung verschaffen wollen. Das Spektrum dieser Akteure reicht von pazifistischen Missionsgesellschaften bis hin zu radikalen, international vernetzten dschihadistischen Gruppen. Gleichzeitig wächst in der Bevölkerung ein Bedürfnis nach religiöser Orientierung. Die staatliche Religionspolitik sucht der Herausforderungen durch gezieltes Monitoring der religiösen Landschaft zu begegnen und einen staatskonformen Islamdiskurs durchzusetzen, ohne jedoch das Feld vollständig kontrollieren zu können.
6. Zentralasien in der internationalen Politik
6.1 USA und Europa
Z. rückte erst nach 1991 in den Fokus der internationalen Politik. Dies war zum einen durch die reichen Rohstoffreserven bedingt, an deren Ausbeutung sich zahlreiche ausländische Konzerne beteiligen. Auch mittelständische Unternehmen aus Europa, den USA und dem Nahen Osten entdeckten Z. als Produktionsstandort und Absatzmarkt. Zum anderen war den Westmächten nach dem Ende der UdSSR daran gelegen, Z. in die euro-atlantische Welt einzubinden und einer demokratischen Entwicklung den Weg zu bereiten. Große Bedeutung kommt dabei der OSZE zu, der die zentralasiatischen Republiken als Nachfolgestaaten der UdSSR seit der Überführung der KSZE in die OSZE im Jahr 1995 ebenfalls angehören. Als wichtigstes Instrument der Demokratieförderung gelten die Wahlbeobachtungen des Office for Democratic Institutions and Human Rights der OSZE. Mit Beginn des in Afghanistan geführten Krieges der USA gegen die al-Qāida (ab Oktober 2001) rückte Z. auch sicherheitspolitisch ins Blickfeld des Westens. Militärbasen in Kirgistan und Usbekistan waren in die Versorgungslogistik der von der NATO gestellten Unterstützungstruppe ISAF integriert, von strategischer Bedeutung war (und ist) aufgrund seiner langen Grenze mit Afghanistan auch Tadschikistan. Der Bedeutungszuwachs von Z. für Europa mündete 2007 in einer Z.-Strategie der EU (neu aufgelegt 2019), die seit 1999 Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit den Staaten Z.s unterhält. Die Stoßrichtung ist v. a. eine ökonomische, die Abkommen beinhalten aber auch eine politische (Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Zivilgesellschaft als Elemente demokratischer Entwicklung) und neuerdings auch eine klimapolitische Dimension (Green Energy). Das westliche Engagement kam den Staaten Z.s ökonomisch wie politisch zugute und bestärkte sie in ihrer „multivektoralen“ Außenpolitik, die auf eine strategische Balance abzielt, möglichst große Spielräume offenhält und ein breites Spektrum von Partnerschaften ermöglicht.
6.2 Russland und China
Diese außenpolitische Haltung resultiert nicht zuletzt aus der strategischen Bedeutung, die Z. für Russland und China besitzt. Für beide Regionalmächte steht dabei der Zugang zu Rohstoffen, Märkten und Handelswegen im Vordergrund. Russland, das neben China der wichtigste Wirtschaftsakteur in der Region ist, beansprucht seit Wladimir Wladimirowitsch Putins Machtübernahme 2000 eine privilegierte Position in Z. Dies bezieht sich neben der wirtschaftlichen Zusammenarbeit v. a. auf die Militär- und Sicherheitspolitik (Nutzung von Militärbasen in Kirgistan und Tadschikistan), schließt aber auch innenpolitische Aspekte ein, die russische Interessen berühren. Eine bedeutende Funktion kommt dabei den von Russland ins Leben gerufenen Regionalorganisationen zu, die v. a. der Wahrung des russischen Einflusses dienen. Die traditionelle Bedeutung Russlands wird zunehmend durch China infrage gestellt, das seine Beziehungen mit den zentralasiatischen Staaten unter dem konzeptionellen Dach der 2013 ins Leben gerufenen „neuen Seidenstraße“ (Belt and Road Initiative) erheblich ausgebaut hat. In diesem Konzept fungiert Z. als strategischer Korridor nach Europa und Westasien, aber auch als Absatzmarkt für chinesisches Kapital sowie Waren und Arbeitskräfte. Auch chinesische Investitionen in die digitalen Infrastrukturen und die Implementierung von Überwachungstechnologien aus China festigen die Bindungen zwischen Z. und China, das dort auch politisch zunehmend selbstbewusst auftritt.
6.3 Regionale Zusammenarbeit und Bündnisse
Die regionale Kooperation ist maßgeblich durch die Einbindung in von Russland dominierte multilaterale Formate bestimmt. Während die GUS im Zuge der politischen Fragmentierung des postsowjetischen Raumes an Gestaltungskraft verloren hat, ist die 2002 gegründete Organisation des Vertrags über Kollektive Sicherheit (OVKS) weiterhin das wichtigste Format für die militär- und sicherheitspolitische Zusammenarbeit Russlands mit den zentralasiatischen Mitgliedstaaten Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan (sowie Armenien und Weißrussland). Kasachstan und Kirgistan sind (neben Armenien und Weißrussland) auch in die 2015 gegründete EWU eingebunden. Usbekistan, das zeitweise der OVKS angehörte, hat die Organisation 2012 verlassen, ist jedoch der EWU 2020 als Beobachter beigetreten. Turkmenistan, das 1995 seine permanente Neutralität in der Verfassung festgeschrieben hat, gehört keiner dieser Regionalorganisationen an. Im Gegensatz zu seinen zentralasiatischen Nachbarn ist Turkmenistan auch kein Mitglied der SCO (gegr. 1996 bzw. 2001), die den wohl wichtigsten Mechanismus zur Wahrung eines strategischen Gleichgewichts zwischen China und Russland auf dem eurasischen Kontinent darstellt.
Bis vor kurzem war die regionale Zusammenarbeit der Staaten Z.s von ausgeprägten Interessensgegensätzen überschattet. Diese betrafen v. a. umstrittene Grenzverläufe und die Nutzung der Wasserressourcen durch die Ober- und Unterlieger der großen Ströme Amudarja und Syrdarja, die für die Stromerzeugung bzw. Landwirtschaft der einzelnen Staaten von vitaler Relevanz sind. Zudem begünstigten die der Region von externen Akteuren zugeschriebene Relevanz und das damit verbundene monetäre Engagement in Z. unilaterale und konfrontative Politikstile. Anreize zu einer verstärkten regionalen Zusammenarbeit, gar zur Gründung eines genuin zentralasiatischen Kooperationsformats, wurden nicht zuletzt durch die Einbindungspolitik Russlands unterminiert. Mit dem Politikwechsel in Usbekistan 2016 und den von Taschkent ausgehenden außenpolitischen Initiativen ist jedoch ein Prozess in Gang gekommen, der eine problemlösungsorientierte regionale Zusammenarbeit in Z. in den Bereich des Möglichen rückt.
Literatur
A. Schmitz: Die Transformation Usbekistans: SWP-Studie 13 (2020) • M. Russell: The EU’s new Central Asia Strategy, 2019 • P. Sartori: Of Saints, Shrines, and Tractors. Untangling the Meaning of Islam in Soviet Central Asia, in: JIS 30/3 (2019), 367–405 • J. Reeves: China’s Silk Road Economic Belt Initiative. Network and Influence Formation in Central Asia, in: JCC 27/112 (2018), 502–518 • C. Teichmann: Macht der Unordnung. Stalins Herrschaft in Zentralasien 1920–1950, 2016 • R. Kindler: Stalins Nomaden. Herrschaft und Hunger in Kasachstan, 2014 • S. N. Cummings: Understanding Central Asia. Politics and Contested Transformations, 2012 • J. Paul: Neue Fischer Weltgeschichte, Bd. 10, 2012 • M. Sapper/V. Weichsel/A. Huterer (Hg.): Machtmosaik Zentralasien, Osteuropa 8–9 (2007) • J. Stadelbauer: Mittelasien – Zentralasien. Raumbegriffe zwischen wissenschaftlicher Strukturierung und politischer Konstruktion, in: PGM 147/5 (2003), 58–63.
Empfohlene Zitierweise
A. Schmitz: Zentralasien, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Zentralasien (abgerufen: 22.11.2024)