Terror
1. Die Entstehung des Terrors
Mit T. wird ein Zustand bezeichnet, bei dem Menschen in Angst und Schrecken versetzt werden – und zwar aus taktischen bzw. strategischen Gründen (Strategie). Der Begriff (von lateinisch terror = Schrecken bzw. terrere = in Schrecken versetzen) hat von Beginn seiner Verwendung an nicht nur eine soziologisch-psychologische, sondern v. a. auch eine militärische Funktion. Denn es ist die physische Gewalt, welche die psychologische Dimension auslöst und in den Ängsten der Beteiligten, nicht nur der Opfer von T.-Maßnahmen, sondern hier bes. auch der Unbeteiligten mehrdimensional gesteigert wird. Deshalb ist T. ein taktisches Mittel im Krieg, um die jeweilige Gegenseite, den Feind, nicht nur in seiner militärischen Substanz zu schwächen, sondern auch seine Energie und geistigen Ressourcen zu destabilisieren. Der jeweilige Gegner wird mit bestimmten Maßnahmen, meist Attacken aus dem Hinterhalt oder der systematischen Tötung von Zivilisten, terrorisiert, um damit seine normative Motivation für den Krieg zu destruieren. T. ist in dieser Hinsicht Mittel zum Zweck, egal, worin das jeweilige politische Ziel inhaltlich bestehen mag. Alle Kriege der Geschichte zeichnen sich diesbezüglich durch vom T. flankierte Gewaltexzesse aus, die bis hin zu systematischen Massakern oder sogar Genoziden (Völkermord) reichen können. Diese Gewaltexzesse sind keineswegs zufällig oder entspringen einer mangelnden Ordnung in der kämpfenden Truppe, sondern sie werden systematisch erzeugt, d. h. der T. ist nicht willkürlich, sondern perspektivisch einkalkuliert. Am stärksten tritt der T. in Szenarien des Bürgerkriegs auf, wovon insb. die Geschichte der Römischen Republik nachhaltig geprägt worden ist. Die Proskriptionslisten Sullas haben im Jahr 81 v. Chr. die Namen sämtlicher adeliger Familien verzeichnet, die der Gegenseite des römischen Feldherrn zugerechnet wurden und deshalb umgebracht werden sollten. Mit T. hat der römische Staat auch die Christen in der Frühphase des Christentums verfolgt, indem die Anhänger der neuen Religion zu Tausenden in den öffentlichen Arenen bestialisch hingerichtet worden sind (Christenverfolgung). Die Folter ist in dieser Hinsicht von der Antike bis zur frühen Neuzeit nicht nur ein juristisches Mittel gewesen, sondern zugleich das Medium, mit dem die jeweilige Obrigkeit Angst und Schrecken in die Gesellschaft trug. T. ist damit zugleich auch ein Herrschaftsinstrument (Herrschaft) der politischen Ordnung generell.
2. Die Feinddoktrin
Der T. als Grundstruktur des Krieges wird erstmals kritisch reflektiert in den Illustrationen des französischen Künstlers Jacques Callot, der in seinen Radierungen zum Dreißigjährigen Krieg 1632/36 die Kleinen und Großen Schrecken des Krieges (Les misères de la guerre) paradigmatisch festgehalten hat. Im Prinzip ist der T. im Kontext der Diskurse zur Aufklärung mit der Etablierung der stehenden Heere kriegstechnisch gesehen eher eingehegt worden. Umso paradoxer ist jedoch dann die Verwendung des T.s als systematische Strategie zur Bekämpfung Andersdenkender in der Französischen Revolution. Hier wird terreur erneut Mittel zum Zweck – dieses Mal jedoch in einer Totalität, die über das traditionelle Kriterium taktischer Ziele weit hinaus geht. Der T. der Revolutionäre geschah nicht nur aus fanatischer Intoleranz heraus oder aus ideologischem Übereifer, er geschah auch schlicht aus der Angst heraus, dass der Feind obsiegen würde, wenn man ihm nicht mit allen Mitteln Einhalt gebiete. In der Einschätzung der Gefahr einer adeligen Gegenrevolution waren die Revolutionäre (allen voran hier Maximilien Robespierre) schonungslos: Der Andere als der Feind war nicht mehr ein Bürger, geschweige denn ein Mitmensch. Der politische Gegner wurde geradezu zum Unmenschen degradiert. Also wurden die öffentlich proklamierten Feinde der Revolution zu Tausenden mit der Guillotine hingerichtet. Die Bekämpfung der aufständischen Bauern in der Vendée durch die Revolutionsarmee bekam mit Massenerschießungen fast schon genozitäre Züge. In einer programmatischen Rede verteidigte M. Robespierre diese terreur als strategische Zielsetzung, indem er den T. mit der Tugend (zur Revolution) auf eine Stufe hob. Die Selbstgerechtigkeit der Revolutionäre war schonungslos, weil ihr jegliche Selbstkritik fehlte. Man kann diesen T. den Strukturbedingungen des Bürgerkriegs zuordnen. Doch sollte man damit nicht das Ausmaß des T.s und den systematischen Anspruch, der von den Revolutionären in Frankreich ausgeht, relativieren.
3. Der Rote Terror
Die Kennzeichnung des politischen Gegners als Feind, der um der Richtigkeit der Sache willen rücksichtlos liquidiert werden muss, setzte sich seit dem Paradigma der Französischen Revolution bei allen revolutionären Bewegungen der Moderne fort. Insb. die Russische Revolution zeichnete sich durch eine Feinddoktrin aus, in welcher der Rote T. zur wirkungsvollen Agenda der kommunistischen Ideologie (Kommunismus) wurde. Die Feinde der Revolution mussten nach Wladimir Iljitsch Lenins Auffassung sofort und unbarmherzig liquidiert werden. „Glauben Sie denn wirklich,“ so W. I. Lenin in einem Gespräch während des Russischen Bürgerkriegs, „daß wir ohne grausamen Terror als Sieger aus der Revolution hervorgehen werden?“ (hier zit. n. Wolkogonow 1994: 250). W. I. Lenin und Leo Trotzki vertraten ein Programm zur revolutionären Tat, die bis zum Äußersten an Gewalt führen sollte. Nur die Tat ist Revolution – und sonst nichts. Und zur Tat gehört terroristische Gewalt. Die Genese der Sowjetunion bedingt sich durch den uneingeschränkten Einsatz von T., dem im Bürgerkrieg Mio. Menschen zum Opfer fielen, der aber auch darüber hinaus fortgesetzt wurde in Form eines Staats-T.s, der dann insb. unter Josef W. Stalin in immer wieder neuen Verhör-, Folter- und Liquidierungswellen die Sowjetgesellschaft in einem Zustand permanenter Angst und Schrecken gefangen hielt. Wie schon in der Französischen Revolution zeigte sich auch im Stalinismus, dass man durch systematischen T. gegen die eigene Gesellschaft eine totale Mobilisierung der Massen erreichen kann. Mit Angst und Schrecken wird nicht nur der Gegner überwunden, sondern damit wird auch die eigene Anhängerschaft stimuliert und stabilisiert.
4. Der Braune Terror
Der gleiche Effekt zeigte sich auch beim T., den das NS-Regime (Nationalsozialismus) im Rahmen seiner Rassenideologie (Rassismus) bei der Verfolgung der Juden, aber auch gegen politisch Andersdenkende, systematisch als Staats-T. eingesetzt hat. Dieser Braune T. steht dem Roten T. in nichts nach und setzte mit der „Endlösung der Judenfrage“ auf einen monströs-maschinellen, im Fabrikstil betriebenen Genozid (Shoa). Ihm fielen ca. 6 Mio. Juden in Europa zwischen 1940 und 1945 in den KZ-Anlagen (Konzentrationslager) des Dritten Reiches zum Opfer. Im Kontext dieses eliminatorischen Antisemitismus wurden auch zu Hunderttausenden politische Gegner sowie Angehörige von nationalen Eliten der durch die Wehrmacht eroberten Staaten (etwa in Polen) systematisch verfolgt, gefoltert und eliminiert. Neben dem KZ-System, für das die Vernichtungsanlage in Auschwitz paradigmatisch steht, war es v. a. die Rolle der Gestapo, die ihrerseits als politische Polizei für systematische Verunsicherung, Bespitzelung, Folter und Liquidierung zuständig war und damit das T.-Regime des deutschen NS nachhaltig in der nationalen Gesellschaft wie auch in den während der Kampfhandlungen des Zweiten Weltkrieges eroberten Ländern vorangetrieben und etabliert hat.
5. Der Terror der Moderne
T. durch den Staat ist ein Kennzeichen der Moderne geworden, das im Grunde für jede Diktatur des 20. Jh. (so z. B. für die Militärdiktaturen in Chile, 1973–90, und Argentinien, 1976–83) sowie in der Gegenwart gilt. Je totalitärer (Totalitarismus) ein politisches Regime mit seinem ideologischen Herrschaftsanspruch auftritt, desto terroristischer sind die Methoden und Institutionen, die sich mit der Durchsetzung und Aufrechterhaltung von Angstzuständen beschäftigen. Schon bei L. Trotzki war der T. durch die Bolschewiki das maßgebliche Instrument, um die permanente Revolution aufrechtzuerhalten. Mao Zedong hat dieses Muster in China bei seinem Großen Sprung nach Vorn (1958–62) und der Kulturrevolution (1966–76) befolgt, ebenso Pol Pot, der mit der Herrschaft der Roten Khmer in Kambodscha (1975–78) ca. 2,2 Mio. Menschen als Feinde des Staates auf den Reisfeldern, den Killing Fields, durch systematisches Verhungern und Erschießen, liquidieren ließ. Permanent muss die revolutionäre Dynamik erneuert werden. Dies geschah mithilfe des T.s durch den Staat und seinen hierfür eigens geschaffenen Institutionen. Damit konnte man sich, wie im Übrigen auch bei der Stasi in der DDR, sukzessive immer wieder gegen neue Formationen des Klassenfeindes oder der Konterrevolutionäre präventiv ausrichten. De facto war es dann oft die Intelligenz (symbolisch in Kambodscha alle Brillenträger), die hierbei systematisch in ihrer sozialen Existenz degradiert, wenn nicht sogar grundsätzlich vernichtet wurden.
6. Der Terror von unten und von extremen Gegenentwürfen
So beherrschend der T. durch den Staat bei Diktaturen im 20. Jh. war und teilweise in der Gegenwart (etwa in China oder im Iran) auch wieder zum Vorschein kommt, so haben sich doch seit der zweiten Hälfte des 20. Jh. die Erscheinungsformen verändert. Denn nunmehr tritt in Form eines asymmetrischen Krieges auch der T. von unten bzw. von den extremen Rändern der Gesellschaft hervor. Seit den 1960er Jahren waren es meist marxistisch ausgerichtete T.-Formationen, die zunächst in einzelnen Nationalstaaten gegen die jeweilige Regierung operierten, aber schon sehr bald internationale Netzwerke (auch über den Komplex der organisierten Kriminalität) untereinander herstellen. Erneut erweist sich der T. als Mittel zum Zweck, die jeweils attackierte Gesellschaft und ihr politisches System zu destabilisieren, um letztlich zu obsiegen. Die im Rahmen einer Guerillastrategie (Guerilla) platzierten Überfälle, Attentate, Geiselnahmen und Bombenanschläge verfolgen alle das Endziel einer massiven Erschütterung der hierdurch angegriffenen sozial-politischen Ordnung. Der islamistische T. (Islamismus) ist hier nur ein weiterer Erscheinungstypus dieser allgemeinen Entwicklung, die zunehmend international und (seit dem Anschlag von 9/11) betont auch transnational ausgerichtet ist. Im Krieg gegen den Westen verstehen sich die diversen islamistischen T.-Organisationen nach ihrem Selbstverständnis als Freiheitskämpfer für die wahre politische Ordnung, die in logischer Konsequenz der Theologie vom IS als ein Kalifat ausgelegt wird.
Schon immer war es für T.-Gruppen (Terrorismus) wichtig, ihre Taten auch als symbolische Akte zu kommunizieren. Doch das Besondere und Neue am IS-T. ist seine mit hochmodernen Mitteln aufbereitete Medienarbeit im Internet. Wie keine andere dschihadistische T.-Formation zuvor hat sich der IS darum bemüht, Angst und Schrecken (und damit zugleich die heimliche Attraktion für seine Bewunderer) weltweit mittels digitaler Medien zu verbreiten. Nicht nur die spektakulären, blutrünstigen Enthauptungen westlicher Geiseln im Irak haben dies illustriert, sondern auch Massenerschießungen und Enthauptungen von sunnitischen wie schiitischen Soldaten des irakischen Regimes, die schonungslos vor laufender Kamera vollzogen wurden. Tatsächlich verändert sich durch fortlaufende Berichterstattung über den T. die Qualität der nationalen Identität: Sie wird geradezu in ihren Basiswerten herausgefordert. Dies gilt für die Effekte von 9/11 wie auch (noch in stärkerem Maße) durch permanent wiederholte T.-Anschläge. Die Surrealität des T.s dringt damit angesichts der Groteske seiner medialen Wirkung in das Diskursbewusstsein der hierdurch attackierten Gesellschaften ein und verändert sie nachhaltig in ihren Wertepräferenzen. Medien und ihre Art und Weise der öffentlichen Perzeption von T. spielen insofern eine ganz zentrale Rolle. Dies um so mehr, weil T. als taktisches Mittel sowohl von Seiten diktatorischer Regime als auch von extremistischen Gruppierungen (Extremismus) ebenso das 21. Jh. bestimmen wird. Die Gegenstrategie, wie etwa der von Bush-Administration ausgerufene War on T. (2001), ist dann allerdings militärisch betrachtet (z. B. der Einsatz von Drohnen zur Bekämpfung von Terroristen) auch so etwas wie ein Gegen-T. zum T.
Literatur
L. Cutler: President Obama’s Counterrorism Strategy in the War on Terror, 2017 • C. Dams/M. Stolle: Die Gestapo. Herrschaft und Terror im Dritten Reich, 42017 • R. DeFoster: Terrorizing the Masses. Identity, Mass Shootings, and the Media Construction of „Terror“, 2017 • P. R. Neumann: Der Terror ist unter uns. Dschihadismus und Radikalisierung in Europa, 2017 • G. Steinberg: Kalifat des Schreckens. IS und die Bedrohung durch den islamistischen Terror, 2015 • J. Baberowski/R. Kindler (Hg.): Macht ohne Grenzen. Herrschaft und Terror im Stalinismus, 2014 • F. Dikötter: Maos großer Hunger. Massenmord und Menschenexperimente in China (1958–1962), 2014 • D. Andress: The Course of the Terror, 1793–94, in: P. McPhee (Hg.): A Companion to the French Revolution, 2013, 293–309 • L. Trotzki: Terrorismus und Kommunismus. Anti-Kautsky, in: U. Kohlmann u. a. (Hg.): Politik und Moral. Die Zweck-Mittel-Debatte in der neueren Philosophie und Politik, 2001, 85–112 • P. Gueniffey: La Politique de la Terreur. Essai sur la Violence Révolutionnaire 1789–1794, 2000 • D. A. Wolkogonow: Lenin. Utopie und Terror, 1994.
Empfohlene Zitierweise
P. Nitschke: Terror, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Terror (abgerufen: 21.11.2024)