Naturalismus: Unterschied zwischen den Versionen
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B. die Astrologie angesichts der modernen Kosmologie getan habe. Die <I>Identitätstheorie</I> besagt in ihrer stärkeren Variante, dass Mentales und Physisches miteinander typenidentisch seien, also jedem mentalen Zustandstyp (z. B. einer Farb- oder Schmerzempfindung) exakt ein physikalischer (neuronaler) Zustand zuzuordnen sei. Sie sieht sich freilich dem Problem ausgesetzt, dass physisch voneinander verschiedene Menschen in einem vergleichbaren mentalen Zustand sein können. Um dieses Problem der multiplen Realisierbarkeit einzuhegen, wird in einer schwächeren Variante nur eine Tokenidentität behauptet, d. h. dass ein einzelnes mentales Vorkommnis mit einem einzelnen physikalischen Vorkommnis identisch sei. Gegen diese These lässt sich einwenden, dass von einer ggf. feststellbaren <I>zeitlichen Korrelation</I> beider Arten von Vorkommnissen in reduktionistischer Absicht stillschweigend zur Behauptung ihrer <I>Identität</I> übergegangen werde. Die Vorstellung einer strikten Identität wird im <I>Funktionalismus</I> und in <I>Supervenienztheorien</I> zugunsten asymmetrischer Relationen aufgegeben. Sie gehen davon aus, dass mentale Vorkommnisse nicht ohne physikalische Basis realisiert sein können, dass aber das Verhältnis beider Ebenen komplexer ist, da verschiedene physikalische Zustände denselben Typ von mentalem Phänomen hervorrufen können. <I>Supervenienztheorien</I> gehen davon aus, dass jeder Veränderung auf mentaler Ebene eine Veränderung auf physischer Ebene zugrundeliegt, von der sie determiniert wird. Dadurch kann sich eine Nähe zum <I>Epiphänomenalismus</I> ergeben, der die Unwirksamkeit des Mentalen behauptet. Im <I>Funktionalismus</I> hingegen, der den Menschen z. T. in Analogie zu einem Computer beschreibt, sind mentale Phänomene Zustände eines Systems, die als kausale Bindeglieder zwischen dem In- und Output von Daten fungieren (z. B. Wespenstich – Schmerzerfahrung – Auftragen von Salbe). Als wichtigstes Gegenargument gegen alle genannten naturalistischen Fassungen des Leib-Seele-Problems gelten die Erlebnisqualität und Jemeinigkeit des Mentalen, die | + | Das Feld, auf dem die Debatte für und wider den N. v. a. geführt wird, ist die [[Anthropologie]] bzw. die Philosophie des Geistes mit ihrer Thematisierung des Leib-Seele- bzw. <I>mind-brain</I>-Problems ([[Analytische Philosophie]]; [[Person]]): N. tritt auf als Versuch der Naturalisierung des menschlichen Bewusstseins. Gilbert Ryles „The Concept of Mind“ (1949) mit seinem Angriff auf den cartesianischen Dualismus von Physischem und Mentalem gilt als einer der Meilensteine dieser Debatte, die sich in den folgenden Jahrzehnten weit verzweigt hat. Da sich anhand ihrer verschiedene Spielarten bzw. Grade des N. unterscheiden lassen, seien einige Positionen exemplarisch aufgeführt. Der <I>eliminative Materialismus</I> behauptet, dass es mentale Phänomene (wie Überzeugungen, Wünsche, Schmerzempfindungen) schlicht nicht gebe und die Alltagspsychologie als vermeintliche Wissenschaft des Mentalen ebenso verschwinden werde bzw. zum Verschwinden gebracht werden sollte, wie es z. B. die Astrologie angesichts der modernen Kosmologie getan habe. Die <I>Identitätstheorie</I> besagt in ihrer stärkeren Variante, dass Mentales und Physisches miteinander typenidentisch seien, also jedem mentalen Zustandstyp (z. B. einer Farb- oder Schmerzempfindung) exakt ein physikalischer (neuronaler) Zustand zuzuordnen sei. Sie sieht sich freilich dem Problem ausgesetzt, dass physisch voneinander verschiedene Menschen in einem vergleichbaren mentalen Zustand sein können. Um dieses Problem der multiplen Realisierbarkeit einzuhegen, wird in einer schwächeren Variante nur eine Tokenidentität behauptet, d. h. dass ein einzelnes mentales Vorkommnis mit einem einzelnen physikalischen Vorkommnis identisch sei. Gegen diese These lässt sich einwenden, dass von einer ggf. feststellbaren <I>zeitlichen Korrelation</I> beider Arten von Vorkommnissen in reduktionistischer Absicht stillschweigend zur Behauptung ihrer <I>Identität</I> übergegangen werde. Die Vorstellung einer strikten Identität wird im <I>Funktionalismus</I> und in <I>Supervenienztheorien</I> zugunsten asymmetrischer Relationen aufgegeben. Sie gehen davon aus, dass mentale Vorkommnisse nicht ohne physikalische Basis realisiert sein können, dass aber das Verhältnis beider Ebenen komplexer ist, da verschiedene physikalische Zustände denselben Typ von mentalem Phänomen hervorrufen können. <I>Supervenienztheorien</I> gehen davon aus, dass jeder Veränderung auf mentaler Ebene eine Veränderung auf physischer Ebene zugrundeliegt, von der sie determiniert wird. Dadurch kann sich eine Nähe zum <I>Epiphänomenalismus</I> ergeben, der die Unwirksamkeit des Mentalen behauptet. Im <I>Funktionalismus</I> hingegen, der den Menschen z. T. in Analogie zu einem Computer beschreibt, sind mentale Phänomene Zustände eines Systems, die als kausale Bindeglieder zwischen dem In- und Output von Daten fungieren (z. B. Wespenstich – Schmerzerfahrung – Auftragen von Salbe). Als wichtigstes Gegenargument gegen alle genannten naturalistischen Fassungen des Leib-Seele-Problems gelten die Erlebnisqualität und Jemeinigkeit des Mentalen, die sogenannten Qualia. |
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− | Von einem ethischen N. kann generell gesprochen werden, wenn eine [[Ethik]] ausschließlich auf Ergebnisse der Naturwissenschaften, z. B. der Evolutionsbiologie, gegründet wird ([[Evolution]]). Im engeren terminologischen Sinn handelt es sich um eine Position, die v. a. im Modus ihrer Ablehnung durch George Edward Moores Diagnose eines „naturalistischen Fehlschlusses“ in den „Principia Ethica“ (1903) und der sich daran anschließenden meta-ethischen Diskussion im 20. Jh. prominent gewesen ist. Ein solcher N. zeichnet sich dadurch aus, dass er das Wort „gut“ durch Bezugnahme auf andere gegebene Eigenschaften einer Entität bzw. einer Handlung zu definieren sucht, z. B. „nützlich“ oder „lustvoll“. G. E. Moores sprachphilosophische Argumentation zielt darauf, dass eine solche Identifikation entweder eine Tautologie sei oder in einen infiniten Regress führe, da stets neu die Frage gestellt werden könne, ob man wirklich die Bedeutung von „gut“ getroffen habe ( | + | Von einem ethischen N. kann generell gesprochen werden, wenn eine [[Ethik]] ausschließlich auf Ergebnisse der Naturwissenschaften, z. B. der Evolutionsbiologie, gegründet wird ([[Evolution]]). Im engeren terminologischen Sinn handelt es sich um eine Position, die v. a. im Modus ihrer Ablehnung durch George Edward Moores Diagnose eines „naturalistischen Fehlschlusses“ in den „Principia Ethica“ (1903) und der sich daran anschließenden meta-ethischen Diskussion im 20. Jh. prominent gewesen ist. Ein solcher N. zeichnet sich dadurch aus, dass er das Wort „gut“ durch Bezugnahme auf andere gegebene Eigenschaften einer Entität bzw. einer Handlung zu definieren sucht, z. B. „nützlich“ oder „lustvoll“. G. E. Moores sprachphilosophische Argumentation zielt darauf, dass eine solche Identifikation entweder eine Tautologie sei oder in einen infiniten Regress führe, da stets neu die Frage gestellt werden könne, ob man wirklich die Bedeutung von „gut“ getroffen habe (sogenanntes <I>open question</I>-Argument). Mithin vollzögen meta-ethische Naturalisten einen Fehlschluss. Da sich diese Problematik nicht nur auf natürliche, sondern auch auf übernatürliche Eigenschaften erstreckt (wie G. E. Moore selbst darlegt), sollte nach Richard Mervyn Hare besser von einem deskriptivistischen als einem naturalistischen Fehlschluss gesprochen werden. Nach einer langen Phase der Dominanz an G. E. Moore anschließender Entwürfe gibt es in jüngerer Zeit nennenswerte Versuche einer Rehabilitierung des meta-ethischen N., bspw. bei Philippa Foot. |
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Aktuelle Version vom 16. Dezember 2022, 06:10 Uhr
1. Der zeitgenössische Naturalismus in wissenschaftstheoretischer Perspektive
Mit N. im heute gebräuchlichen Sinn wird eine weltanschauliche Position bzgl. der Struktur der Wirklichkeit bezeichnet, die von einem Großteil akademischer Philosophen explizit oder implizit vertreten wird und die zugleich als eine der prägenden Strömungen des Zeitgeistes sowie als wissenschaftspolitische Agenda anzusehen ist. Sie besteht in der Grundüberzeugung, dass alles, was es gibt, Natur sei, und dass die empirischen Wissenschaften bzw. die Naturwissenschaften den einzigen Weg zur Wahrheit darstellten. Häufig tritt der N. als Physikalismus auf, der die Physik zur Leitwissenschaft erklärt und bei dem das sogenannte Prinzip der wirkkausalen Geschlossenheit der Welt eine zentrale Rolle spielt.
Positionen, die in der Natur bzw. der Materie die gesamte Wirklichkeit erschöpft sehen, gibt es seit der Antike (Materialismus). Das lateinische Wort naturalista und seine Derivate im Deutschen, Englischen und Französischen bezeichnen bis ins 19. Jh. den Naturforscher. Daneben etabliert sich im 17./18. Jh. der Gebrauch dieses Wortes als polemische Fremd- oder kämpferische Selbstbezeichnung für eine Person, die in Fragen der Religion eine göttliche Offenbarung oder das Wirken göttlicher Gnade leugnet. Dies muss noch nicht die Leugnung der Existenz eines personalen Gottes bedeuten (Atheismus), auch wenn diese Gleichsetzung möglich ist und von apologetischer Seite insinuiert wird. Ein prominentes Beispiel für einen religionstheoretischen N. im Sinne der Verteidigung einer „natürlichen“ Religion der Vernunft im Unterschied zu einer geoffenbarten Religion ist Matthew Tindals „Christianity as Old as the Creation“ (1730). Die „Metaphysica“ (1757) Alexander Gottlieb Baumgartens definiert einen Naturalisten im weiteren Sinne als jemanden, der „alle übernatürlichen Ereignisse in dieser Welt leugnet“ (§ 493), im engeren Sinne als den, der speziell eine göttliche Offenbarung leugnet (§ 999), unterscheidet beide Positionen aber vom radikaleren Atheismus (§ 999). Eine affirmative terminologische Zusammenführung von N. und Atheismus findet sich im 11. Kap. des 2. Teils des „Système de la Nature“ (1770) von Paul-Henri Thiry d’Holbach.
Begriffsgeschichtlich betrachtet ist die ursprünglich philosophische Verwendungsweise des Wortes N. also aus der religionskritischen Opposition zum theologischen Supra-N. zu verstehen. Dieser Umstand mag in der zeitgenössischen Debatte nicht immer thematisiert werden, es handelt sich aber durchaus um ein prägendes Motiv. Das Manifest des Wiener Kreises (1929) versteht die eigene „wissenschaftliche Weltauffassung“ (Stöltzner/Uebel 2006) programmatisch als Fortführung der Aufklärung im Kampf gegen theologischen Obskurantismus. In den Arbeiten von Daniel Dennett und Ansgar Beckermann ist der Kampf gegen die Überzeugung, dass es übernatürliche Entitäten oder Ereignisse gebe, bis heute bestimmend.
Angesichts der Vielfalt zeitgenössischer Naturalismen wird häufig die folgende klassifikatorische Dreiteilung vorgenommen:
a) Ein ontologischer N. basiert auf der Annahme, dass gewisse natürliche Elemente die gesamte Wirklichkeit strukturieren und bestimmen, wie Atome bzw. Moleküle im Falle des Physikalismus. Nicht nur erklärte Naturalisten können eine solche Position vertreten, sondern sie wird häufig unterschwellig auch von denjenigen in Anspruch genommen, die sich als Post-Metaphysiker einer Aussage über die Struktur der Wirklichkeit eigentlich enthalten wollen.
b) Ein methodologischer N. fokussiert auf die Hoheit der empirischen Wissenschaften in Sachen Welterklärung und will die Philosophie möglichst an sie angleichen. Ein solcher Szientismus verzichtet auf eine „Erste Philosophie“ (Quine 1981: 21 und 27), die sich anmaßen würde, in die empirischen Wissenschaften hineinzuregieren, und sieht deren hypothetisch-deduktive Methode als einzigen Weg zur Wahrheit über die Welt an. Er kann, muss aber nicht eine einzige Wissenschaft privilegieren.
c) Ein semantischer oder analytischer N. schließlich verfolgt das Ziel, Sätze, die in einem nicht-naturalistischen Vokabular formuliert sind, in ein naturalistisches Vokabular zu überführen. Einer stärkeren Variante zufolge, wie sie z. B. im Wiener Kreis vertreten worden ist, können Sätze der Alltagssprache so analysiert werden, dass aus ihnen Sätze der Physik werden; sofern das nicht gelingt, müssen sie als sinnlos verabschiedet werden. In einer schwächeren Variante wird darauf vertraut, dass der faktische Gang der empirischen Wissenschaften nach und nach Theorien hervorbringt, die Sätze in nicht-naturalistischem Vokabular überflüssig machen.
Die drei genannten Klassen können unterschiedlich miteinander kombiniert werden. So versteht sich Willard Van Orman Quine als Naturalist i. S. v. b) und c); zwar ist er auch von einem ontologischen Physikalismus überzeugt, sieht sich aber aufgrund der prinzipiellen Unabgeschlossenheit wissenschaftlicher Forschung verpflichtet, ihn nicht apodiktisch behaupten zu dürfen. Donald Davidson hingegen tritt unter dem Titel eines „anomalen Monismus“ (Davidson 1980: 214) als ontologischer Physikalist i. S. v. a) auf, der zugleich in einem nicht-naturalistischen Vokabular bemerkenswerte Reflexionen über die menschlich-intersubjektive Erkenntnispraxis anstellt.
Wissenschaftstheoretische Kritik (Wissenschaftstheorie) am N. zielt v. a. auf den Nachweis, dass er ein verkürztes Verständnis der naturwissenschaftlichen Praxis veranschlage. Der N. bzw. sein Szientismus seien selbst kein empirisches Ergebnis, sondern eine dogmatische Setzung. Es wird betont, dass empirische Wissenschaften Teil eines umfassenderen sozialen und normativen Handlungszusammenhangs sind, die zurecht mit Abstraktionen und unter Laborbedingungen arbeiten, welche jedoch nur gewisse quantitative Aspekte der Wirklichkeit erfassen können. Das naturwissenschaftliche respektive naturalistische Vokabular sei abhängig von lebensweltlichen interpersonalen Verwendungsweisen. Vor diesem Hintergrund erweise sich auch das Prinzip der kausalen Geschlossenheit der physischen Welt als eine legitime naturwissenschaftliche Abstraktion unter Ceteris-paribus-Vorbehalt, die aber keine naturalistische Totalisierung erzwinge.
2. Naturalistische Theorien über menschliches Bewusstsein
Das Feld, auf dem die Debatte für und wider den N. v. a. geführt wird, ist die Anthropologie bzw. die Philosophie des Geistes mit ihrer Thematisierung des Leib-Seele- bzw. mind-brain-Problems (Analytische Philosophie; Person): N. tritt auf als Versuch der Naturalisierung des menschlichen Bewusstseins. Gilbert Ryles „The Concept of Mind“ (1949) mit seinem Angriff auf den cartesianischen Dualismus von Physischem und Mentalem gilt als einer der Meilensteine dieser Debatte, die sich in den folgenden Jahrzehnten weit verzweigt hat. Da sich anhand ihrer verschiedene Spielarten bzw. Grade des N. unterscheiden lassen, seien einige Positionen exemplarisch aufgeführt. Der eliminative Materialismus behauptet, dass es mentale Phänomene (wie Überzeugungen, Wünsche, Schmerzempfindungen) schlicht nicht gebe und die Alltagspsychologie als vermeintliche Wissenschaft des Mentalen ebenso verschwinden werde bzw. zum Verschwinden gebracht werden sollte, wie es z. B. die Astrologie angesichts der modernen Kosmologie getan habe. Die Identitätstheorie besagt in ihrer stärkeren Variante, dass Mentales und Physisches miteinander typenidentisch seien, also jedem mentalen Zustandstyp (z. B. einer Farb- oder Schmerzempfindung) exakt ein physikalischer (neuronaler) Zustand zuzuordnen sei. Sie sieht sich freilich dem Problem ausgesetzt, dass physisch voneinander verschiedene Menschen in einem vergleichbaren mentalen Zustand sein können. Um dieses Problem der multiplen Realisierbarkeit einzuhegen, wird in einer schwächeren Variante nur eine Tokenidentität behauptet, d. h. dass ein einzelnes mentales Vorkommnis mit einem einzelnen physikalischen Vorkommnis identisch sei. Gegen diese These lässt sich einwenden, dass von einer ggf. feststellbaren zeitlichen Korrelation beider Arten von Vorkommnissen in reduktionistischer Absicht stillschweigend zur Behauptung ihrer Identität übergegangen werde. Die Vorstellung einer strikten Identität wird im Funktionalismus und in Supervenienztheorien zugunsten asymmetrischer Relationen aufgegeben. Sie gehen davon aus, dass mentale Vorkommnisse nicht ohne physikalische Basis realisiert sein können, dass aber das Verhältnis beider Ebenen komplexer ist, da verschiedene physikalische Zustände denselben Typ von mentalem Phänomen hervorrufen können. Supervenienztheorien gehen davon aus, dass jeder Veränderung auf mentaler Ebene eine Veränderung auf physischer Ebene zugrundeliegt, von der sie determiniert wird. Dadurch kann sich eine Nähe zum Epiphänomenalismus ergeben, der die Unwirksamkeit des Mentalen behauptet. Im Funktionalismus hingegen, der den Menschen z. T. in Analogie zu einem Computer beschreibt, sind mentale Phänomene Zustände eines Systems, die als kausale Bindeglieder zwischen dem In- und Output von Daten fungieren (z. B. Wespenstich – Schmerzerfahrung – Auftragen von Salbe). Als wichtigstes Gegenargument gegen alle genannten naturalistischen Fassungen des Leib-Seele-Problems gelten die Erlebnisqualität und Jemeinigkeit des Mentalen, die sogenannten Qualia.
Mit der Debatte um die Naturalisierbarkeit des menschlichen Bewusstseins verwandt ist diejenige um Kompatibilität oder Inkompatibilität menschlicher Willensfreiheit mit naturgesetzlichem Determinismus.
3. Naturalismus der „zweiten Natur“
Angesichts der Herausforderung durch einen „harten“, reduktionistischen N. sind in der jüngeren Vergangenheit Vorschläge für einen „weichen“ N. gemacht worden, der einerseits die Hoheit der empirischen Wissenschaften in Sachen Welterklärung akzeptiert, andererseits die legitime Eigenständigkeit lebensweltlicher Zusammenhänge verteidigt. Auf diese Weise hat bspw. Jürgen Habermas seine Diskursethik abzusichern gesucht. Unter Einbezug aristotelischer und hegelianischer Motive vertritt John McDowell einen N. der „zweiten Natur“ (McDowell 1994: 86) des Menschen, die sich in sprachlichen, gesellschaftlichen, normativen Praxen Ausdruck verschaffe. Durch diese Neujustierung, bei der auf mentalistisches Vokabular weitgehend verzichtet wird, sollen die klassischen Probleme der Philosophie des Geistes umschifft werden. Mit dem harten N. teilt ein N. der zweiten Natur die Ablehnung von Supra-N. und cartesianischem Dualismus. Dies scheint der Hauptgrund zu sein, warum trotz einer eigentlich anti-naturalistischen Stoßrichtung an der Bezeichnung N. festgehalten wird. Ein Problem dieser Entwürfe könnte darin bestehen, dass sie sich metaphysischer Aussagen über die Struktur der Wirklichkeit enthalten wollen und so implizit doch vor einem harten ontologischen N. kapitulieren.
4. Die meta-ethische Diskussion um den „naturalistischen Fehlschluss“
Von einem ethischen N. kann generell gesprochen werden, wenn eine Ethik ausschließlich auf Ergebnisse der Naturwissenschaften, z. B. der Evolutionsbiologie, gegründet wird (Evolution). Im engeren terminologischen Sinn handelt es sich um eine Position, die v. a. im Modus ihrer Ablehnung durch George Edward Moores Diagnose eines „naturalistischen Fehlschlusses“ in den „Principia Ethica“ (1903) und der sich daran anschließenden meta-ethischen Diskussion im 20. Jh. prominent gewesen ist. Ein solcher N. zeichnet sich dadurch aus, dass er das Wort „gut“ durch Bezugnahme auf andere gegebene Eigenschaften einer Entität bzw. einer Handlung zu definieren sucht, z. B. „nützlich“ oder „lustvoll“. G. E. Moores sprachphilosophische Argumentation zielt darauf, dass eine solche Identifikation entweder eine Tautologie sei oder in einen infiniten Regress führe, da stets neu die Frage gestellt werden könne, ob man wirklich die Bedeutung von „gut“ getroffen habe (sogenanntes open question-Argument). Mithin vollzögen meta-ethische Naturalisten einen Fehlschluss. Da sich diese Problematik nicht nur auf natürliche, sondern auch auf übernatürliche Eigenschaften erstreckt (wie G. E. Moore selbst darlegt), sollte nach Richard Mervyn Hare besser von einem deskriptivistischen als einem naturalistischen Fehlschluss gesprochen werden. Nach einer langen Phase der Dominanz an G. E. Moore anschließender Entwürfe gibt es in jüngerer Zeit nennenswerte Versuche einer Rehabilitierung des meta-ethischen N., bspw. bei Philippa Foot.
Vom naturalistischen Fehlschluss ist das „Hume’sche Gesetz“ zu unterscheiden, dem zufolge keine Schlüsse vom dem, was ist, auf das, was sein soll, gezogen werden dürfen, und das somit eine Herausforderung an eine sich im Naturrecht verankernde Ethik darstellt.
Literatur
M. Hähnel (Hg.): Aristotelischer Naturalismus, 2017 • K. J. Clark (Hg.): The Blackwell Companion to Naturalism, 2016 • T. Müller: Naturwissenschaftliche Perspektive und menschliches Selbstverständnis, in: ders./T. M. Schmidt (Hg.): Abschied von der Lebenswelt?, 2015, 31–52 • W. Simon: Lebenswelt oder Natur. Schwacher Naturalismus und Naturbegriff bei Jürgen Habermas, 2015 • H.-D. Mutschler: Halbierte Wirklichkeit. Warum der Materialismus die Welt nicht erklärt, 2014 • T. Müller: Ist die Welt kausal geschlossen?, in: ZphF 67/1 (2013), 89–111 • L. Rudder Baker: Naturalism and the First-Person-Perspective, 2013 • A. Beckermann: Aufsätze, 2 Bde., 2012 • W. Löffler: Naturalismus und Anti-Naturalismus, in: H.-G. Nissing (Hg.): Natur, 2010, 149–165 • A. Fritz: Der naturalistische Fehlschluss, 2009 • A. Beckermann: Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes, 32008 • W.-J. Cramm/G. Keil (Hg.): Der Ort der Vernunft in einer natürlichen Welt, 2008 • P. Bieri (Hg.): Analytische Philosophie des Geistes, 42007 • S. Gardner: The Limits of Naturalism and the Metaphysics of German Idealism, in: E. Hammer (Hg.): German Idealism, 2007, 19–49 • L. Honnefelder/M. C. Schmidt: Naturalismus als Paradigma, 2007 • T. Sukopp: Naturalismus, 2006 • M. Stöltzner/T. Uebel (Hg.): Wiener Kreis, 2006 • D. Sturma (Hg.): Philosophie und Neurowissenschaften, 2006 • H. Tetens: Das Labor als Grenze der exakten Naturforschung, in: PN 43/1 (2006), 31–48 • D. Dennett: Sweet Dreams. Philosophical Obstacles to a Science of Consciousness, 2005 • J. Kim: Physicalism, or Something Near Enough, 2005 • P. Foot: Natural Goodness, 2001 • G. Keil/H. Schnädelbach (Hg.): Naturalismus, 2000 • W. Löffler: Naturalisierungsprogramme und ihre methodologischen Grenzen, in: J. Quitterer/E. Runggaldier (Hg.): Der neue Naturalismus, 1999, 30–76 • J. Kim: Mind in a Physical World, 1998 • D. Chalmers: The Conscious Mind, 1996 • W. V. O. Quine: Naturalism; Or, Living Within One’s Means, in: Dial 49/2–4 (1995), 251–261 • J. McDowell: Mind and World, 1994 • G. Keil: Kritik des Naturalismus, 1993 • J. Kim: Supervenience and Mind, 1993 • D. Papineau: Philosophical Naturalism, 1993 • D. Dennett: Consciousness Explained, 1991 • W. V. O. Quine: Theories and Things, 1981 • D. Davidson: Essays on Actions and Events, 1980 • O. Höffe: Naturrecht ohne naturalistischen Fehlschluss, 1980 • T. Nagel: What Is It Like to Be a Bat, in: PhRev 83/4 (1974), 435–450 • W. V. O. Quine: Ontological Relativity, 1969 • R. M. Hare: The Language of Morals, 1952 • G. Ryle: The Concept of Mind, 1949 • W. K. Frankena: The Naturalistic Fallacy, in: Mind 48/19 (1939), 464–477 • G. E. Moore: Principia Ethica, 1903 • P. T. d’Holbach: Système de la Nature, 1770 • A. G. Baumgarten: Metaphysica, 31757 • D. Hume: A Treatise of Human Nature. Book III, 1740 • M. Tindal: Christianity as Old as the Creation, 1730.
Empfohlene Zitierweise
T. Hanke: Naturalismus, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Naturalismus (abgerufen: 24.11.2024)