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− | Diese Einsicht stellt den Nutzen der Epochenbezeichnung N. nicht per se in Frage, im Gegenteil: Gerade ein entspr. reflektiertes Begriffsverständnis von N., das um die Bindung dieser Epochenbezeichnung an den europäisch-atlantischen Raum weiß, lenkt den Blick auf mögliche europäisch-atlantische Gemeinsamkeiten bzw. Entwicklungsbewegungen und damit auf die Frage nach einer europäischen Identität. | + | Diese Einsicht stellt den Nutzen der Epochenbezeichnung N. nicht per se in Frage, im Gegenteil: Gerade ein entspr. reflektiertes Begriffsverständnis von N., das um die Bindung dieser Epochenbezeichnung an den europäisch-atlantischen Raum weiß, lenkt den Blick auf mögliche europäisch-atlantische Gemeinsamkeiten bzw. Entwicklungsbewegungen und damit auf die Frage nach einer europäischen Identität. Zugleich hat dies zu einer Debatte geführt, inwieweit es möglich sei, unter reflektierter Verwendung des N.-Begriffs zu interkulturell gültigen Epocheneinteilungen zu gelangen (Bauer 2018: 157 f.). |
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Aktuelle Version vom 16. Dezember 2022, 06:10 Uhr
1. Begriff, Herkunft und Bedeutung in der Geschichtsschreibung
Mit N. wird allgemein die jüngste Epoche der Geschichte bezeichnet, die nach vorherrschender Meinung von ca. 1500 bis zur Gegenwart reicht. Als Periodisierungsbegriff besitzt N. für das allgemeine Geschichtsverständnis und die institutionelle Struktur der Geschichtswissenschaft beträchtliche Bedeutung.
Der Epochenbegriff N. geht (als Nova Aetas: Neues Zeitalter) zurück auf die Bildungsbewegung des Humanismus, die sich seit dem 14./15. Jh. von Italien aus in Europa verbreitete. Von Seiten der Humanisten wurde Nova Aetas zunächst verwendet, um mit Empathie die sprachlich-intellektuelle Nähe ihrer eigenen, „neuen“ Zeit zur Antike (Aetas Antiqua) herauszustellen, der die höchste Wertschätzung galt und von der die Humanisten eine Mittel- oder Zwischenepoche (als Medium Aevum, Mittelalter) in abwertend gemeintem Sinne unterschieden. Seit Ende des 17. Jh. wurde die Epochentrias von Antike, Mittelalter und N. auch von der gelehrten Geschichtsschreibung als Gliederungsschema aufgegriffen, zuerst durch den Historiker und Geschichtslehrer Christoph Cellarius. Die humanistisch inspirierte Epochentrias trat damit neben die bis dahin vorherrschenden heilgeschichtlich-biblischen Verlaufsmodelle (etwa die Lehre von der Translatio Imperii der Vier Weltreiche) und löste diese als dominierendes Periodisierungsschema schließlich ganz ab. Zum Durchbruch der Epochentrias trug entscheidend bei, dass die Geschichtsschreibung im Verlauf des 18. Jh. dazu überging, die Epochenwende zwischen Mittelalter und Neuzeit um 1500 auch historisch, unter Verweis auf konkrete Vorgänge zu begründen. Der Göttinger Historiker Johann Christoph Gatterer etwa berief sich als Beleg für die Epochenwende vom Mittelalter zur Neuzeit auf die Reformation und die Entdeckung der Neuen Welt (Jäger 2009: 161).
Auch nach der Entstehung der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung im 19. Jh. blieb die Epochentrias als Periodisierungsschema und damit auch das entsprechende Verständnis von N. bestimmend. Es wurden zwar durchaus alternative Epochenmodelle entwickelt, die von der herkömmlichen Mittelalter-N.-Abfolge abwichen; sie konnten sich aber letztendlich nicht gegen das eingeführte Gliederungsschema Altertum – Mittelalter – N. durchsetzen. Dies gilt etwa für den auf Otto Brunner zurückgehenden, dann in vielfältiger Form weiterentwickelten Epochenbegriff „Alteuropa“, der die strukturellen, gesellschaftlichen wie ökonomischen Gemeinsamkeiten einer alteuropäischen Epoche zwischen dem 11. und dem 18. Jh. hervorhob und damit die traditionelle Epochentrias mit der Schwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit mit guten Gründen in Frage stellte (Schwerhoff 2012).
2. Binnendifferenzierung
Erheblich größere Wirksamkeit erlangten Ansätze, die auf eine weitere Binnendifferenzierung der N. zielten. Bereits einer der Gründerväter der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung, Leopold von Ranke, unterschied zwischen einer „Neueren Zeit“, unter der er die Zeit zwischen dem 16. und dem 18. Jh. verstand, und einer „Neuesten Zeit“, die mit der Revolutionsepoche begonnen habe und bis zur Gegenwart fortdauere. In Anknüpfung daran gewann seit dem späten 19. Jh. in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft die Vorstellung einer von der übrigen N. unterschiedenen, die Zeit seit dem 19. Jh. umfassenden „Moderne“ an Bedeutung (Heimpel 1957). Eine weitere Ausdifferenzierung dieser Moderne als Teilabschnitt der N. stellte in diesem Zusammenhang die Herausbildung der „Zeitgeschichte“ dar. Gemäß einer von Hans Rothfels entwickelten und breit rezipierten Begriffsdefinition ist darunter die „Epoche der Mitlebenden“ (Rothfels 1953: 2) zu verstehen; es handelt sich also um eine chronologisch nicht klar fixierte, sondern mit den lebenden Generationen wandernde Epoche. Bemerkenswerterweise wurde in der englischen und französischen Historiographie der entsprechende Sprachgebrauch von „Moderne“ und „Zeitgeschichte“ als „erlebte Geschichte“ nicht übernommen. Histoire contemporaine bzw. contemporary history bezeichnet hier das gesamte 19. und 20. Jh. (Osterhammel 2006) Histoire moderne bzw. Modern History umfasst im französischen und englischen Sprachgebrauch sogar die gesamte N.
Als ein weiterer, heute international weithin akzeptierter Versuch der Binnendifferenzierung der N. ist die Herausbildung der sogenannten vom 16. bis 18. Jh. reichenden „Frühen N.“ zu nennen. Seit den 1950er Jahren wurde von Seiten der N.-Forschung mit wachsendem Nachdruck darauf hingewiesen, dass dieser Abschnitt eine gewisse Eigenständigkeit innerhalb der N. beanspruchen könne und dies auch in der institutionellen Struktur der Geschichtswissenschaft seinen Niederschlag finden müsse. Auf der einen Seite sei diese Frühe N. davon geprägt, dass traditionelle Lebensformen in Hinblick auf die gesellschaftlich-ständische Ordnung und die weiterhin wesentlich agrarisch geprägte Wirtschaftsweise dominiert hätten. Andererseits sei gemeinsames Kennzeichen der Frühen N., dass hier bereits fundamentale Entwicklungsprozesse sichtbar und wirksam geworden seien, die dann die Moderne vorbereitet und geprägt hätten. Konkret wird auf die Staatsbildung, die mit den europäischen Entdeckungen und der überseeischen Landnahme einsetzende erste Phase der Globalisierung, die Entstehung unterschiedlicher Konfessionskirchen (Konfessionalisierung), die mit der Entwicklung des Buchdrucks einhergehende sogenannte Medienrevolution sowie die Entwicklung von Bildung, Wissenschaft und Ökonomie hingewiesen. Der akademischen Diskussion folgte die institutionelle Verfestigung der Frühen N., die seit den 1950er Jahren an den meisten historischen Instituten mit eigenen Lehrstühlen bzw. Lehreinheiten vertreten ist.
In engem Zusammenhang mit der Herausbildung einer eigenständigen Frühen N. setzte eine – bezeichnenderweise gerade in Deutschland geführte – Diskussion über die Frage ein, wie tiefgreifend die Zäsur zwischen Früher N. und Moderne um 1800 gewesen ist und ob es überhaupt noch eine „Einheit […] der Neueren Geschichte“ gebe (Nolte 1997). Dazu trug wesentlich das von Reinhart Koselleck entwickelte Konzept einer „Sattelzeit“ zwischen der Mitte des 18. und der Mitte des 19. Jh. bei. Kennzeichen dieser „Sattelzeit“ sei eine fundamentale Transformation aller politischen, sozialen und wirtschaftlichen Lebensbereiche gewesen, die dann entspr. ihren Niederschlag in der politisch-sozialen Sprache gefunden habe. Über die grundsätzliche Rechtfertigung und chronologische Verortung einer solchen Sattelzeit hat die Geschichtswissenschaft noch keinen Konsens erzielen können (Jordan 2010). Die Frage, wie „modern“ die Frühe N. gewesen ist, und wie stark andererseits traditionelle Lebens- und Vorstellungsmuster in der Moderne fortgelebt haben, ist seither kontrovers geblieben.
3. Aktuelle Debatte
In jüngerer Zeit ist ein weiterer Aspekt des Epochenbegriffs bzw. der gesamten Epochentrias verstärkt thematisiert worden, nämlich wie mit dem N.-Begriff im Zuge einer stärker globalhistorischen Orientierung der Geschichtswissenschaft umzugehen sei. Es dürfte inzwischen unbestritten sein, dass Begriff und Vorstellung der N. in engem Zusammenhang mit spezifischen Fundamentalprozessen des europäisch-atlantischen Raums stehen, entsprechende Periodisierungsansätze also nicht einfach im Sinne einer Europäisierung der Welt universale Gültigkeit beanspruchen können.
Diese Einsicht stellt den Nutzen der Epochenbezeichnung N. nicht per se in Frage, im Gegenteil: Gerade ein entspr. reflektiertes Begriffsverständnis von N., das um die Bindung dieser Epochenbezeichnung an den europäisch-atlantischen Raum weiß, lenkt den Blick auf mögliche europäisch-atlantische Gemeinsamkeiten bzw. Entwicklungsbewegungen und damit auf die Frage nach einer europäischen Identität. Zugleich hat dies zu einer Debatte geführt, inwieweit es möglich sei, unter reflektierter Verwendung des N.-Begriffs zu interkulturell gültigen Epocheneinteilungen zu gelangen (Bauer 2018: 157 f.).
Insgesamt ist kaum zu erwarten, dass die vielschichtige Diskussion über Fragen der Periodisierung des Geschichtsverlaufs und damit auch über Binnendifferenzierung, den räumlichen Geltungsanspruch und die zeitliche Erstreckung der N. in absehbarer Zeit abgeschlossen werden kann, besteht doch kein Zweifel darüber, dass Epocheneinteilungen immer Konstruktionen sind, die stets auch von der spezifischen Perspektive des Betrachters abhängen. Genauso wenig ist zu bezweifeln, dass Epocheneinteilungen unverzichtbar sind, um historische Befunde zu gliedern bzw. zu ordnen und zu einer pragmatischen Ausdifferenzierung der Geschichtswissenschaft zu gelangen. Damit prägen Periodisierungen stets Geschichtsbilder und Geschichtsverständnisse. Gerade wegen ihrer ungebrochenen Wirksamkeit ist somit die weitere kritische Reflektion der Epochentrias Antike – Mittelalter – N. und der N.-Epoche selbst bleibende Aufgabe der Geschichtswissenschaft.
Literatur
T. Bauer: Warum es kein islamisches Mittelalter gab. Das Erbe der Antike und der Orient, 2018 • G. Schwerhoff: Alteuropa – Ein unverzichtbarer Anachronismus, in: C. Jaser/U. Lotz-Heumann/M. Pohlig (Hg.): Alteuropa – Vormoderne – Neuzeit, 2012, 27–45 • S. Jordan: Sattelzeit, in: ENz, Bd. 11, 2010, 610–613 • F. Jäger: Neuzeit, in: ENz, Bd. 9, 2009, 158–181 • J. Osterhammel: Über die Periodisierung der neueren Geschichte, in: BBAW: Berichte und Abhandlungen, Bd. 10, 2006, 45–64 • J. Burkhardt: Frühe Neuzeit, in: R. van Dülmen (Hg.): Fischer Lexikon Geschichte, 2003, 438–465 • W. Reinhard: Periodisierungsprobleme, in: ders. (Hg.): Gebhardt. Hdb. deutscher Geschichte, Bd. 9, 102001, 47–64 • P. Nolte: Gibt es noch eine Einheit in der Neueren Geschichte?, in: ZHF 24/3 (1997), 377–399 • W. Schulze: „Von den Anfängen des neuen Welttheaters“. Entwicklungen, neuere Ansätze und Aufgaben der Frühneuzeitforschung, in: GWU 44/1 (1993), 3–18 • R. Koselleck: „Neuzeit“. Zur Semantik moderner Bewegungsbegriffe, in: ders. (Hg.): Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, 1979, 300–348 • H. Heimpel: Über die Epochen der mittelalterlichen Geschichte, in: ders. (Hg.): Der Mensch in seiner Gegenwart, 21957, 42–66 • H. Rothfels: Zeitgeschichte als Aufgabe, in: VfZ 1/1 (1953), 1–8 • C. Cellarius [= Keller]: Historia universalis breviter et perspicue exposita, in antiquam, et medii aevi ac novam divisa […], 1702.
Empfohlene Zitierweise
C. Kampmann: Neuzeit, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Neuzeit (abgerufen: 21.11.2024)