Humanismus

  1. I. Humanismus der Frührenaissance
  2. II. Humanismus in Neuzeit, Moderne und Gegenwart
  3. III. Historisch

I. Humanismus der Frührenaissance

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Der Begriff H., geprägt von Friedrich Immanuel Niethammer 1808, bezieht sich auf die Neubelebung der studia humanitatis um 1350–1470: der sprach- und handlungsbezogenen Studien im Blick auf Aristoteles, Cicero, Quintilian oder griechische und lateinische Kirchenväter (Gregor, Hieronymus, Augustinus). Grammatik, Rhetorik, Ethik, Poetik und Dialektik/Topik dienen einer betont ethischen und politischen Praxis – als Gegengewicht gegen eine logisch-metaphysisch geprägte Scholastik. Die Neubestimmung der freien Künste und ebenso von Geschichte, Politik, Medizin, Jurisprudenz, Theologie und Anthropologie führt zu einer frühen Gesellschaftstheorie, welche die vita activa einer vita contemplativa vorzieht.

Vom aristotelisch geprägten H. zu unterscheiden ist der Neu-Platonismus der Hochrenaissance ab 1470–1600, der ausgehend von der Florentiner Platonischen Akademie (Marsilio Ficino) das gesamte Corpus Platonicum verbreitet und stärker spekulative Momente, auch Kosmologie und Naturphilosophie, einführt.

1. Philologie, Geschichte, Ethik, Gesellschaftstheorie, Dichtung, Rhetorik

Der H. tritt auf mit dem Anspruch epochaler Neuheit und lebensbezogener Unterscheidung von einer als „abstrakt“ geltenden Spätscholastik. Als Begründer gelten Francesco Petrarca, Coluccio Salutati und Leonardo Bruni; die letzteren machen als Kanzler ihre Stadt Florenz zum führenden Ort der Neuzeit. Der spätmittelalterlichen Logik/Dialektik stellen sie – teils polemisch – eine Ausbildung des ganzen Menschen in der harmonischen Einheit von Herz (Leidenschaften, Affekte), Geist (mens, ingenium) und Leib gegenüber. Die Aktivierung aller menschlichen Fähigkeiten erfordert daher ein neues Bildungsprogramm (Bildung): Die artes liberales, v. a. das sprachbezogene Trivium (Grammatik, Dialektik, Rhetorik), werden erweitert um Historie und Poesie und gipfeln in der rechten Ethik. Sie wird wesentlich Lebensführung, beflügelt durch die programmatische Neuübersetzung der „Nikomachischen Ethik“ des Aristoteles durch L. Bruni 1417.

Philologie wird im H. vorangetrieben durch die Wiederauffindung verschollener antiker Handschriften während des Konstanzer Konzils 1415–17 und den Zustrom byzantinischer Gelehrter um 1390 nach Florenz und nach dem Fall Konstantinopels 1453 nach Rom. Mit den geflüchteten Gelehrten gelangen unzählige Codices nach Westeuropa; die Kenntnis der drei „heiligen“ Sprachen Hebräisch, Griechisch und Latein wird verpflichtend für Humanisten. Erstmals entstehen Gesamtübersetzungen von Aristoteles aus den Quellen und nicht mehr aus arabisch vermittelten, oft fehlerhaft tradierten Texten.

Die Neufassung von Geschichte als eines linearen Zeitverlaufs (Geschichte, Geschichtsphilosophie) löst die mittelalterlichen Chroniken mit ihrem symbolischen Epochenschema ab zugunsten individualisierter Darstellungen von Gemeinwesen und Personen (L. Bruni: Historia del popolo fiorentino, 1410). Dies setzt eine Selbstbewusstwerdung als zeit-räumlich gebundene, geschichtlich kontingente, aber willentlich freie und gestalterische Größe voraus: Der Mensch wird eigenverantwortlich für den Gang des Geschehens.

Der langanhaltende Streit um den Vorrang von Medizin und Jurisprudenz (Rechtswissenschaft) vergleicht beide nicht mehr nach „ontologischem“ Rang, sondern nach dem konkreten Nutzen für den Menschen. So wird die Medizin nach ihrer dienenden Funktion gegenüber dem Leib gewichtet, während die ranghöhere Jurisprudenz für das geistige Wohl nicht nur des Einzelnen, sondern des Staates sorgt und die verbindliche Unterscheidung von Gut und Böse trifft. Medizin wie Jurisprudenz gehören daher der Ethik an, der Krönung aller Künste.

Auch der Tugend verleiht der H. eine dynamische Akzentuierung: Sie zielt nicht vorrangig auf eine selbstbezügliche Haltung, sondern auf den Aufbau der urbanen Gemeinschaft. In der Erkenntnis des Guten durch die studia humaniora und ihre Anwendung im Gemeinwesen vollzieht sich wahre humanitas. Doctrina (Wissen um seiner selbst willen) wird der bonitas (dem Gutsein, Nutzen) untergeordnet; Ziel ist nicht mehr die intellektuell erkannte veritas (Wahrheit), sondern virtus (Tüchtigkeit).

Aus diesem Grund heißt die Poesie „göttlich“, sofern sie virtus zum Gegenstand hat und über die Theorie hinaus mit Hilfe der Redekunst zur Praxis der Tugenden, zum aktiven Gutsein anregt. Daher auch die hohe Bedeutung der Rhetorik: Ihr ist das Lob des Guten in Gestalt des Nützlichen aufgetragen; an ihrer leidenschaftlichen Darstellung entzündet sich die Nachahmung, ein wesentliches Thema der affektiven Pädagogik. Rhetorik steht im Mittelpunkt der Sprachkünste; Dialektik/Topik ist nur ihr argumentatives Grundgefüge.

Insgesamt drängt der H. auf den Vorrang des Handelns vor der Betrachtung; Lorenzo Valla behauptet daher sogar das vorrangige Lebensideal der Laien gegenüber den Ordensleuten (L. Valla: De professione religiosorum, 1433). An die Stelle asketisch betonter Einstellung treten eine christlich-patristisch begründete Bejahung der Welt neben antiken Lust-Theorien (Lob des Epikureismus bei L. Valla). Der Maßstab, aus dem heraus über Würde und Rang von Wissen und Tun geurteilt wird, ist im Quattrocento stets der Beitrag zur Humanisierung und letztlich Vergöttlichung des Menschen.

2. Philosophie, Anthropologie, Theologie

Im Gegenzug zu scholastisch-aristotelischer Metaphysik und Ontologie wird Philosophie ausgerichtet auf praktisch-ethische humanitas, welche die Menschen lehrt, „gut und glücklich zu leben, sie gründet die Staaten, betrachtet die Natur und die Gottheit und ist selbst ganz göttlich“ (Müllner 1972: 79).

Die Redegattung „Über die Würde des Menschen“ kontrapunktiert bisheriges Reden „Über das Elend des Menschen“. Der Traktat „De dignitate et excellentia hominis“ (1452) Giannozzo Manettis weist dem Menschen sogar die Vollendung der Welt zu, woran das Ich aufgrund des individuellen Ingeniums zu arbeiten habe. Zwischen Philosoph, Künstler, Entdecker und Ingenieur (ingegniere) besteht ein enger Zusammenhang: Die Gottebenbildlichkeit des Menschen entfaltet sich zum Gestaltungsauftrag einer „zweiten“ Schöpfung der Welt. Der hochgespannte Begriff des Ingeniums als einer dem Intellekt und sogar dem Willen vorgeordneten Fähigkeit lässt den Schritt zur göttlichen Schöpferkraft des Menschen vollziehen und führt zum Ideal des uomo universale, des umfassend gebildeten, zu freier Entscheidung fähigen, von Gott in die Mitte der Welt gesetzten Deus secundus. Giovanni Pico della Mirandola lässt die berühmte „Oratio de hominis dignitate“ 1483 darin gipfeln: Es ist die Natur des Menschen, keine Natur zu haben; vielmehr hat er sich selbst, Geschichte und Welt zu entwerfen und zum göttlichen Ursprung emporzuführen. Wissenschaften, Künste und Techniken des urbanen Lebens vermögen Unbekanntes freizulegen oder aus der Materie Nie-Dagewesenes inventiv herauszuholen: eine noch unerschrockene Anthropozentrik der Schöpfung anstelle von Onto-Zentrik.

Das neuartige Selbstbegreifen des Menschen führt zur Subjektivierung in der Kunst: An die Stelle typisierter Idealbilder treten Individualporträts (Jan van Eyck). Der Übergang von gotischer Raumferne zu neuzeitlicher Räumlichkeit – auch des Leibes – ist an Lorenzo Ghibertis Bronzetüren des Baptisteriums von Florenz zu studieren. Tommaso Masaccio arbeitet in der Florentiner Brancacci-Kapelle souverän sowohl mit der perspektivischen Raumverkürzung als auch mit dem Individualporträt. Das Ego erschließt und verändert Welt aus der Perspektive des Menschen: Das einbrechende Raumgefühl – ars perspectiva als achte freie Kunst – befruchtet als epochaler Vorgang viele Einzelwissenschaften und wird zu einer Vielzahl naturwissenschaftlicher Entdeckungen führen (Erdglobus; Heliozentrik).

In der Theologie vollzieht sich ein analoger Wandel: Als letzte Aufgipfelung der Wissenschaften stützt sie zunehmend die Intention, den Menschen über seine Ebenbildlichkeit göttlich-schöpferisch mit individuell zu bestimmender Lebensaufgabe zu sehen. Nicolaus Cusanus als überragender Denker der Zeit entwickelt im Blick auf Gott, Universum und Mensch einen Zusammenhang von intellectus, ratio (Vernunft – Verstand) und Unendlichkeit. Menschliche mens/ratio wird in der unendlichen Beziehungswelt des Universums messend und maßsetzend tätig – der Mensch, funktionale Mitte der Welt, entwickelt die quantitative Vergleichsmessung als Basismethode aller künftigen Naturwissenschaft. Mit intellectus aber rührt er an die Schau der ursprünglichen Einheit alles Geschaffenen in Gott, an dessen alles einbegreifende lebendige Subjektivität und unerschöpflichen Selbstvollzug. Gott ist in seiner trinitarischen Struktur (Vater – Sohn – Geist) Ursprung aller infiniten Relationen; zugleich ist er absolutes Selbst-Sein. N. Cusanus entwickelt daraus über die aristotelische Ding-Ontologie hinaus eine Relationsontologie: Analog zur Trinität sind die Dinge nicht durch ihr isoliertes Dasein bestimmbar, sondern durch ihre unendliche Vernetzung untereinander – ein Konzept, das bis zum Deutschen Idealismus und darüber hinaus wirksam bleibt.

II. Humanismus in Neuzeit, Moderne und Gegenwart

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Der Begriff H. steht in der späten Neuzeit und Moderne für eine Vielzahl einander z. T. erheblich widerstrebender Strömungen in der Philosophie. Um 1800 erstmals formuliert, bezeichnet H. ein Bildungsprogramm, das der utilitaristischen Pädagogik der Spätaufklärung ein Konzept einer in der antiken Philosophie verwurzelten allgemeinen Bildung des Menschen entgegensetzt. Im Neu-H. des ausgehenden 18. und frühen 19. Jh. wird das im H. der Renaissance des 14. und 15. Jh. artikulierte Interesse an den studia humanitatis verbunden mit Einsichten der Philosophie von Gottfried Wilhelm Leibniz, Immanuel Kant und Johann Gottlieb Fichte und führt bei Johann Joachim Winckelmann, beim jungen Friedrich Schlegel, bei Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Friedrich Hölderlin und Wilhelm von Humboldt zur Formulierung des Ideals der Menschheit, an das spätere Autoren wie die Linkshegelianer Bruno Bauer, Arnold Ruge, Ludwig Feuerbach oder Karl Marx kritisch anschließen konnten. Die Ideen des Neu-H. führten im 19. Jh., insb. in der Schulpolitik Bayerns und Preußens, zu einer Wiederbelebung des altsprachlichen Unterrichts an den Gymnasien. Zu Beginn des 20. Jh. bezog der Dritte H. bei konservativen Autoren wie Werner Jaeger oder Eduard Spranger aus einer Rezeption des Bildungsprogramms der Antike reaktionäre Motive für eine die europäische Aufklärung insgesamt ablehnende Kultur- und Gesellschaftskritik an der Moderne.

Für die Debatten des 20. Jh. erwiesen sich die frühen Schriften von K. Marx als bedeutsam, insb. sein Postulat eines „vollendeten Humanismus“ (MEW 40: 536) in den Pariser Manuskripten aus dem Jahr 1844. Mit seiner Kritik an einem „bürgerlichen“ Konzept von H. legte K. Marx in seinen Schriften die theoretischen Grundlagen für einen im 20. Jh. politisch wirksam werdenden sozialistischen H., der weltweit für die kommunistischen und sozialistischen Parteien (Kommunismus, Sozialismus) ein kämpferisch-atheistisches Programm (Atheismus) mit einem normativen Begründungsanspruch für die jeweils verfolgten politischen Ziele formulierte. Die sozialistische Politik blieb jedoch deutlich hinter den romantisch-sozialrevolutionären Visionen der Pariser Manuskripte des jungen K. Marx zurück und so wurden diese Texte immer wieder auch zum Anlass einer innermarxistischen Kritik im Namen eines vermeintlich umfassenderen kritischen H., so z. B. bei Henri Lefèbvre oder Roger Garaudy in Frankreich, bei Adam Schaff oder Leszek Kolakowski in Polen. Motive aus der Philosophie des Existentialismus führten bei Albert Camus, Maurice Merleau-Ponty oder Jean-Paul Sartre zur Formulierung eines neuen, sich selbst ebenfalls als gesellschaftskritisch verstehenden H. Dabei vertrat insb. ein Autor wie J.-P. Sartre einen strikt atheistischen H., in dessen Mitte „der Mensch“ steht, der sich bewusst an die Stelle „Gottes“ gesetzt habe. Diesem Konzept eines atheistischen H. widersprachen in Frankreich vehement Jacques Maritain und Henri de Lubac.

Anders als in der französischen Diskussion entwickelte sich die Diskussion in Deutschland. Hier ist es Martin Heidegger, der in der Nachfolge von Friedrich Nietzsche den H. rundherum ablehnt, indem er im Konzept des H. eine Folge der Metaphysik und ihrer Frage nach dem „Wesen des Menschen“ (Heidegger 1954: 53) sieht. M. Heidegger zufolge liegt diesem Denken eine Verwechslung von „Sein“ und „Seiendem“ (Heidegger 1954: 58) und, wie er in seinem „Brief über den Humanismus“ (Heidegger 1954) ausführt, eine fatale Unterordnung des „Denkens“ unter die „Technik“ zugrunde (Heidegger 1954: 88). Dem H. stellt M. Heidegger programmatisch eine Philosophie entgegen, die versucht, die menschliche „Ek-sistenz“ (Heidegger 1954: 67) aus dem von M. Heidegger vertretenen Hören auf den „Ruf“ (Heidegger 1954: 90) des Sein zu erschließen. Der Mensch soll in dieser Philosophie das Denken der Metaphysik und des H. durch ein Leben in der „Lichtung des Seins“ (Heidegger 1954: 67) überwinden. Aus dieser Konzeption von Philosophie bei M. Heidegger folgt in der Philosophie des sogenannten Poststrukturalismus bzw. der Postmoderne bei Jacques Derrida oder Michel Foucault die Position eines programmatischen Anti-H., der maßgeblich beeinflußt von der Philosophie Nietzsches aus einer Dekonstruktion der neuzeitlichen Subjektphilosophie das „Ende des Menschen“ (Foucault 1971: 460), zumindest seiner vom klassischen H. der Renaissance formulierten Sonderstellung im Kosmos postuliert. Auch in manchen Strömungen des postkolonialen Denkens (Postkolonialismus) werden die Vorstellungen des neuzeitlichen H. als eine theoretische Überhöhung der neuzeitlichen Subjektivität und als Apologie der kolonialen Unterwerfung der Welt durch die Mächte Europas kritisiert.

Gegen die problematischen Einseitigkeiten eines bürgerlichen Neu-H. des 19. Jh., gegen die ideologischen Prämissen eines sozialistischen und atheistischen H. im 20. Jh., aber auch gegen die konservativ-reaktionären Ideen des Dritten H. sowie gegen die selbstwidersprüchliche Kritik eines zeitgenössischen Anti-H. gewandt artikulieren sich in der zeitgenössischen Philosophie neue Einsichten und Positionen. Sie lassen in der Sache weiterführende Beiträge zur Begründung eines „neuen H.“ (vgl. Karl Jaspers u. a.) erkennen. Dies gilt etwa für die erkenntnis- und wissenschaftstheoretisch wichtige Einsicht in die kognitive Unhintergehbarkeit der menschlichen Sprache und der Praxis der intersubjektiven Kommunikation des Alltags. Von hier kommt die Philosophie der Gegenwart auf unterschiedlichen Wegen zu der Erkenntnis des weltkonstitutiven und welterschließenden Beitrags der Bewusstseinsleistungen des Menschen und seines kommunikativ-sprachlich verfassten Alltagshandelns. Das welterschließenden Vermögen des Menschen kann, so das zentrale Argument, von keiner um Exaktheit bemühten positivistischen Wissenschaftssprache ersetzt oder naturalistisch durch den Versuch eliminiert werden, alle kognitiven Akte des Menschen als neurologisch streng determiniert auszuweisen. Auch im Blick auf die Frage der Begründung moralischer Normen erweist sich der philosophische Rückgang auf die Lebenswelt des Menschen und seine Praxis als unverzichtbar.

Mit diesen Reflexionen in der zeitgenössischen Philosophie ist eine Einsicht in die zentrale Stellung des Menschen sowohl für die Objekterkenntnis der Wissenschaften von der Natur als auch für die Begründung der normativen Grundlagen von Moral, Kultur und Recht verbunden. Diese Sonderstellung des Menschen und seiner mit Sprache verbunden Alltagspraxis können der zeitgenössische Naturalismus und der Anti-H. der Gegenwart nur um den Preis eines performativen Selbstwiderspruchs leugnen (vgl. die Kritik von Jürgen Habermas). Diese neuen Zugänge zu einer vertieften Einsicht in die bes. Rolle des Menschen, der von der Tradition der Philosophie seit Aristoteles und Thomas von Aquin als „animal rationabile“ (Kant 1968: 321) und als „animal sociale et politicum“ (Thomas 1948: 1) bezeichnet worden war, ist geeignet, eine philosophische Begründung für einen zeitgenössischen H. vorzubereiten, in dessen Zentrum eine Begründung der unbedingten Achtung der Menschenrechte und der Menschenwürde steht.

III. Historisch

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1. Begriff

Der um 1800 entstandene Name, der zunächst das Bildungsprogramm des später sogenannten Neu-H. bezeichnet, leitet sich, wie das Programm, von den studia humanitatis der Renaissance her: einem Verbund der Fächer Grammatik, Rhetorik, Poesie, Historie und Ethik, die, durchgängig im Rekurs auf die einschlägigen Autoren der römischen und griechischen Antike, an Gymnasien und Universitäten ein propädeutisches studium generale bieten. Seitdem wird der H.-Begriff historisch vorab der Renaissance zugeordnet (Renaissance-H.).

2. Renaissance

Der H. ist von der Renaissance nicht zu trennen, aber keineswegs mit ihr identisch. Die Renaissance ist das umfassendere Phänomen: eine ganze Epoche der okzidentalen Geschichte, die vom 13. bis zum 17. Jh. dauert und auf den Übergang zur Moderne hinausläuft. Die Leitlinie bilden dabei staatlich-politische Auflösungsprozesse, die das hierarchisch-feudale System der mittelalterlichen res publica christiana unterminieren und schließlich sprengen. Der Staat zerreißt in langwierigen inneren und äußeren Kämpfen bisherige Bindungen und stellt sich fortan ganz auf sich selbst; die neuen Schlagworte lauten Souveränität, Staatsinteresse, Staatsräson. Entscheidend ist, dass diese Prozesse nicht isoliert ablaufen, sondern, vorangetrieben von den materiellen und legitimatorischen Bedürfnissen des neuen Staates, alle anderen Sphären des gesellschaftlichen Lebens erfassen, die ihrerseits einer analogen Bewegungsrichtung folgen. Der Staat der Renaissance erweitert sich damit zu einer Kultur der Renaissance. Jacob Burckhardt hat ihre erste Ausprägung, die „Cultur der Renaissance in Italien“ (Burckhardt 1860), klassisch beschrieben. Zug um Zug greift dieses Modell alsbald auf Frankreich, England, Deutschland, auf das ganze lateinische Europa über und erfährt dabei von Land zu Land, je nach den historischen Umständen, beträchtliche Modifikationen, die aber die Einheit des Phänomens und der Epoche nicht in Frage stellen. Die Hauptsache ist, dass auch hier aus jeweils eigenen Voraussetzungen Ansätze frühmoderner Staatlichkeit entstehen, die mit den neuen politischen Bildungen in Italien prinzipiell kompatibel sind.

3. Programm und Funktion

Der H. ist ein Teilphänomen dieser Renaissance-Kultur, von eigener Herkunft und mit eigenem Anspruch, aber zugleich in mannigfachen Kommunikations- und Funktionszusammenhängen stehend. Er proklamiert eine doppelte Erneuerung, und zwar beide Male im Gegensatz zur Spätscholastik: eine Erneuerung der Bildung, die er auf nichttheologische, innerweltliche Prinzipien gründet, und eine Erneuerung des klassischen Altertums, in dem ihm die unvergänglichen Muster dieser Bildung zu liegen scheinen. Ursprung dieses Erneuerungswillens ist ein ästhetisches Motiv: der Glaube an Sprachschönheit als Inbegriff vollendeter „Humanität“, die Klage über den Verfall der klassischen lateinischen Sprache, die den Humanisten als lingua nobilissima gilt, und der Entschluss, sie durch das erneuerte Studium der klassischen Autoren wiederzugewinnen. Zu diesem ästhetischen Motiv kommt ein historisches. Die Humanisten werden sich dessen bewusst, dass die Antike durch einen ungeheuren Zeitabstand von der Gegenwart getrennt ist und daher der Wiederbelebung aus den von ihr noch vorhandenen Überresten bedarf. Sie entwickeln daraus, zunächst im Umgang mit den literarischen Quellen, Verfahren der Überlieferungskritik und der historischen Interpretation, die zur Begründung der modernen Klassischen Philologie, ihrer wissenschaftlichen Hauptleistung, führen. Gleichzeitig werden sie damit überhaupt erstmals der Historizität des Menschen inne. Das erklärt auch, warum sie in ihrer eigenen literarischen Produktion die Geschichtsschreibung bevorzugen. Das ästhetisch-historische Bildungskonzept der Humanisten beansprucht universale Geltung. Sie erwarten von einer Erneuerung der Bildung eine Erneuerung der Welt. Die studia humanitatis stellen einen schulmäßigen Extrakt aus diesem Bildungskonzept dar, das weit darüber hinausreicht. Der H. liefert mit alledem der Renaissance-Kultur ihre Rechtfertigung. Er legitimiert v. a. die neuen Herrscher, die nach dem Verlust der bisherigen Legitimationsmuster dessen dringend bedürftig sind. Er profitiert von solchen funktionalen Zusammenhängen, bleibt aber eine Potenz sui generis, die sich dafür durch das ihr zugewachsene Prestige empfiehlt. Sein Anspruch auf Erneuerung der Welt wird von der Welt honoriert.

4. Ausbreitung

Die Portalfigur des H. ist Francesco Petrarca. Sein spektakulärer Erfolg lässt eine förmliche humanistische Bewegung entstehen, die zunächst in Florenz konzentriert ist, sich von dort auf weitere italienische Städte ausdehnt und schließlich Rom erreicht. Der europaweite Siegeszug des H. seit dem 15. Jh. vollzieht sich in steter Auseinandersetzung mit dem italienischen Vorläufer. Einerseits ist Italien nicht nur Vorbild, sondern meist auch direkter Lehrmeister; eine Schlüsselrolle spielt dabei, v. a. in Deutschland, Enea Silvio Piccolomini. Andererseits herrscht von vornherein ein nicht selten von Ressentiments genährtes Konkurrenzverhältnis gegenüber den Italienern, das sich zu einer kulturnationalen Rivalität steigert und bes. auf dem Feld der nationalen Geschichtsschreibung ausgetragen wird. Dessen ungeachtet wissen sich die Humanisten aller Länder als Angehörige einer einzigen res publica litteraria. Sie wird um 1500 von dem niederdeutsch-holländischen Humanisten Erasmus von Rotterdam personifiziert.

5. Das soziale Erscheinungsbild

Die humanistische res publica litteraria besteht aus Gelehrten, Schriftstellern, Literaten, Intellektuellen, die alle dasselbe Ziel einer antikisch fundierten Erneuerung der Bildung verfolgen; sie hat in dieser Zielsetzung und den daraus fließenden Prinzipien ihre Einheit. Diese Genossenschaft stellt ein eigenes soziales Gebilde dar, das quer zur herrschenden ständischen Gliederung der Gesellschaft steht. Wer sich zu ihren Zielen bekennt, gehört ihr an, ganz gleich, welchen Standes er ist. Nur die wenigsten Humanisten, wie F. Petrarca oder Erasmus, sind allerdings zu einer „freischwebenden“ Existenz in der Lage. Die meisten müssen ihr Auskommen in „Brotberufen“ suchen, als Kanzlisten, Sekretäre oder Schul-und Hauslehrer; das bleibt nicht ohne Einfluss auf ihre literarische Produktion, lässt aber ihren spezifischen sozialen Status unberührt. Die Humanisten stehen untereinander in engen Beziehungen. Das wichtigste Mittel sind nach allen Seiten mit epistolographischer Sorgfalt geführte Briefwechsel, die im Ganzen einer Selbstdarstellung der res publica litteraria gleichkommen. Daneben existieren andere Formen der Kommunikation: Gesprächskreise, gelehrte Gesellschaften, Akademien. Der deutsche H. ist um 1500, hauptsächlich auf Initiative von Konrad Celtis, in einem ganzen Netz von sodalitates litterariae organisiert, die, außer ihren internen Aktivitäten, immer wieder an die Öffentlichkeit gehen, auch um ihre Sache gegen Anfeindungen von außen zu vertreten.

6. Späthumanismus

Diese letzte Phase des H. wird gewöhnlich auf den Zeitraum von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 17. Jh. datiert. Sein Beginn fällt mit dem Anbruch des konfessionellen Zeitalters (Konfessionalisierung), sein Ende mit den Anfängen der Frühaufklärung zusammen. Es handelt sich dabei um eine Epoche, in der Religion und Theologie über ihre bisherige Geltung hinaus alles menschliche Zusammenleben dominieren, bis sie neuen Vorstellungen von Vernunft (Vernunft – Verstand) und Naturrecht zu weichen beginnen. Der H. tritt in den Dienst dieser Mächte. Das bringt ihm zunächst neue Entfaltungsmöglichkeiten: von der Bibelphilologie, die die Theologen beider Konfessionen benötigen, über Neostoizismus und Tacitismus, die die beginnende Abkehr vom konfessionellen Denken begleiten, bis zur flächendeckenden Errichtung humanistischer Gymnasien, die die künftigen Führungsschichten qualifizieren sollen. Andererseits macht der H. nach 1550 einen fundamentalen Gestaltwandel durch. Bisher ist er eine selbständige Potenz, die mit anderen selbständigen Potenzen interagiert. Dagegen entwickelt er sich jetzt, mitsamt der von ihm wiederbelebten Antike, zu einer abgeleiteten oder nachgeordneten Größe, die einer bis dahin unbekannten strukturellen Instrumentalisierung unterliegt. Sein sinnfälliger Repräsentant wird Justus Lipsius, der im Laufe seiner Karriere allen Konfliktparteien der Epoche dient.