Wehrpflicht: Unterschied zwischen den Versionen
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− | Als Geburtsstunde der Idee der modernen | + | Als Geburtsstunde der Idee der modernen allgemeinen W. gilt die französische <I>Levée en masse</I> von 1793 im Gefolge der [[Französische Revolution|Französischen Revolution]]. Angesichts der Überlegenheit der damit ermöglichten Massenheere folgten andere Staaten dem französischen Beispiel, insb. Preußen, das auch nach dem Ende der napoleonischen Kriege an der W. festhielt. Auch die Reichsverfassung von 1871 schrieb die W. fest. Historisch steht die moderne W. damit in einem engen Zusammenhang mit der Nationalstaatsbildung und der Überwindung der feudalen Staats- und Gesellschaftsordnung ([[Feudalismus]]). Nach dem Ersten Weltkrieg verfügte der Versailler Vertrag die Abschaffung der W. in Deutschland. Im Zuge der Remilitarisierung durch die Nationalsozialisten wurde sie 1935 wieder eingeführt. Bei der Wiederbewaffnung der BRD nach dem Zweiten Weltkrieg wählte man ebenfalls das W.-Modell. Dahinter standen nicht nur militärische Gründe, sondern auch das Bestreben, die Streitkräfte fest in der Gesellschaft zu verankern. |
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− | Die verfassungsrechtliche Grundlage zur Einführung einer W. war 1954 im Zuge der ersten Wehrrechtsnovelle zunächst im Kompetenztitel des Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG angesiedelt und 1956 um weitere Vorgaben zum Ersatzdienst in Art. 12 Abs. 2 f. GG a.F. ergänzt worden. Mit der Notstandsverfassung von 1968 ([[Notstand]]) wurde der Regelungskomplex im neuen Art. 12a GG zusammengeführt. Demnach können Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im BGS oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden. Einfachgesetzlich wurde dies mit dem WPflG von 1956 umgesetzt, das eine | + | Die verfassungsrechtliche Grundlage zur Einführung einer W. war 1954 im Zuge der ersten Wehrrechtsnovelle zunächst im Kompetenztitel des Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG angesiedelt und 1956 um weitere Vorgaben zum Ersatzdienst in Art. 12 Abs. 2 f. GG a.F. ergänzt worden. Mit der Notstandsverfassung von 1968 ([[Notstand]]) wurde der Regelungskomplex im neuen Art. 12a GG zusammengeführt. Demnach können Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im BGS oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden. Einfachgesetzlich wurde dies mit dem WPflG von 1956 umgesetzt, das eine allgemeine W. begründete. Die DDR folgte 1962 mit der Einführung der W. Auch nach der Wiedervereinigung und dem Ende des Kalten Krieges hielt Deutschland zunächst an der W. fest. |
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− | Als Wehrdienstausnahmen sehen §§ 9–13b WPflG neben der fehlenden Wehrdienstfähigkeit ein relativ breites Spektrum von Befreiungen bzw. Befreiungsmöglichkeiten (z. B. Geistliche, dritte Kinder oder verheiratete Personen) und Zurückstellungsmöglichkeiten vor (z. B. bei Vorliegen einer | + | Als Wehrdienstausnahmen sehen §§ 9–13b WPflG neben der fehlenden Wehrdienstfähigkeit ein relativ breites Spektrum von Befreiungen bzw. Befreiungsmöglichkeiten (z. B. Geistliche, dritte Kinder oder verheiratete Personen) und Zurückstellungsmöglichkeiten vor (z. B. bei Vorliegen einer besonderen Härte). Bei einer vierjährigen Verpflichtung zum [[Zivilschutz|Zivil]]- oder [[Katastrophenschutz]] bzw. einer zweijährigen Verpflichtung zum Entwicklungsdienst erfolgt ebenfalls keine Heranziehung zum Wehrdienst. Die Administration der W. mit der Aufgabe der Musterung und Einberufung obliegt den Wehrersatzbehörden (§§ 14–24b WPflG). Die vorangehende Erfassung der Wehrpflichtigen erfolgt durch die Meldebehörden. |
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− | Auch in der Schweiz besteht von Verfassungs wegen eine | + | Auch in der Schweiz besteht von Verfassungs wegen eine allgemeine W. (Art. 59 Abs. 1 BV). Sie ist eingebettet in das traditionelle System der Milizarmee und daher durch die periodische Ableistung kürzerer Dienstzeiten charakterisiert. Ausgangspunkt ist die 18-wöchige Grundausbildung (Rekrutenschule, Art. 49 Abs. 4 Militärgesetz). Die W. erstreckt sich nur auf männliche Staatsbürger; für Frauen ist der Wehrdienst freiwillig. 1992 wurde die Möglichkeit eines zivilen Ersatzdienstes eingeführt (Art. 59 Abs. 1 S. 2 BV). Wer keinen Wehr- oder Ersatzdienst leistet, hat eine Ersatzabgabe in Geld zu erbringen. |
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Aktuelle Version vom 16. Dezember 2022, 06:13 Uhr
1. Begriff und historische Entwicklung
W. ist die öffentlich-rechtliche Verpflichtung des Bürgers zum Wehrdienst, d. h. zum Dienst an der Waffe in den Streitkräften (Militär). Sie ist sowohl in stehenden Heeren als auch in Milizsystemen möglich. Der aktive Wehrdienst ist im Frieden während eines begrenzten, i. d. R. gesetzlich bestimmten Zeitraumes zu leisten. Ihm folgt zumeist eine längere Phase, während derer der Bürger der Reserve zugeordnet bleibt und unter bestimmten Voraussetzungen wieder einberufen werden kann. Im Kriegsfall (Krieg) ist der Wehrdienst demgegenüber typischerweise zeitlich unbeschränkt. Den Gegensatz zur W. bildet eine Freiwilligenarmee mit Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit. W.-Systeme sind praktisch immer mit einem solchen Element kombiniert.
Die W. ist die elementarste Inpflichtnahme des Bürgers für das Gemeinwesen und (anders als etwa die Steuerpflicht) Ausdruck einer genuin staatsbürgerlichen Beziehung. Vorläufer der modernen W. lassen sich weit zurückverfolgen; ihre Bedeutung variierte jedoch stark. Insb. die Milizarmee der römischen Republik basierte auf einer Dienstpflicht aller freien Bürger, die integraler Bestandteil des Bürgerstatus war. Auch die griechischen Stadtstaaten kannten militärische Dienstpflichten. Das mittelalterliche Rittertum und die späteren Söldnerheere sind demgegenüber Beispiele für eine Wandlung des Kriegswesens zum Spezialistentum. Diese Entwicklung mündete in die professionalisierten stehenden Heere des 18. Jh., die vielfach Mischformen aus Söldnern und selektiven Zwangsrekrutierungen waren. Preußen entwickelte mit dem Kantonsystem wieder eine allgemeine Dienstpflicht mit regionalen Rekrutierungsquoten.
Als Geburtsstunde der Idee der modernen allgemeinen W. gilt die französische Levée en masse von 1793 im Gefolge der Französischen Revolution. Angesichts der Überlegenheit der damit ermöglichten Massenheere folgten andere Staaten dem französischen Beispiel, insb. Preußen, das auch nach dem Ende der napoleonischen Kriege an der W. festhielt. Auch die Reichsverfassung von 1871 schrieb die W. fest. Historisch steht die moderne W. damit in einem engen Zusammenhang mit der Nationalstaatsbildung und der Überwindung der feudalen Staats- und Gesellschaftsordnung (Feudalismus). Nach dem Ersten Weltkrieg verfügte der Versailler Vertrag die Abschaffung der W. in Deutschland. Im Zuge der Remilitarisierung durch die Nationalsozialisten wurde sie 1935 wieder eingeführt. Bei der Wiederbewaffnung der BRD nach dem Zweiten Weltkrieg wählte man ebenfalls das W.-Modell. Dahinter standen nicht nur militärische Gründe, sondern auch das Bestreben, die Streitkräfte fest in der Gesellschaft zu verankern.
Während im Kalten Krieg die W. fast in allen europäischen Staaten existierte, hat sich das Bild seither gewandelt. In vielen Ländern wurde die W. abgeschafft oder ausgesetzt. Innerhalb der EU halten aktuell noch acht Länder an der W. fest (Finnland, Dänemark, Estland, Litauen, Österreich, Griechenland und Zypern; Schweden ist 2018 zur W. zurückgekehrt). Weitere Länder mit einer W. sind etwa die Schweiz, Norwegen, Russland, China, Israel und die Türkei. Die USA und Großbritannien hingegen haben nur für relativ kurze historische Phasen auf die W. zurückgegriffen.
2. Einführung und Aussetzung der Wehrpflicht in der BRD
Die verfassungsrechtliche Grundlage zur Einführung einer W. war 1954 im Zuge der ersten Wehrrechtsnovelle zunächst im Kompetenztitel des Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG angesiedelt und 1956 um weitere Vorgaben zum Ersatzdienst in Art. 12 Abs. 2 f. GG a.F. ergänzt worden. Mit der Notstandsverfassung von 1968 (Notstand) wurde der Regelungskomplex im neuen Art. 12a GG zusammengeführt. Demnach können Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im BGS oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden. Einfachgesetzlich wurde dies mit dem WPflG von 1956 umgesetzt, das eine allgemeine W. begründete. Die DDR folgte 1962 mit der Einführung der W. Auch nach der Wiedervereinigung und dem Ende des Kalten Krieges hielt Deutschland zunächst an der W. fest.
Die W. stellt einen erheblichen Grundrechtseingriff dar. Ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung sieht das BVerfG darin, dass der grundrechtsschützende Staat dieser verfassungsrechtlichen Schutzverpflichtung gegenüber seinen Bürgern nur mit Hilfe eben dieser Bürger und ihres Eintretens für den Bestand der BRD nachkommen kann (BVerfGE 48,127). Allgemeiner formuliert: Wenn und weil der freiheitliche Verfassungsstaat eine legitime Ordnung des Gemeinwesens darstellt, ist es auch legitim, den Bürger als personalen Träger des Gemeinwesens zum Schutz seiner staatlichen und verfassungsstaatlichen Existenz heranzuziehen. Einen Verstoß der W. gegen die Menschenwürde hat das BVerfG verneint, weil dieser auch die Gemeinschaftsbezogenheit menschlichen Daseins immanent sei (BVerfGE 12,45).
Als allgemeine W. ist die W. zugleich Ausdruck des Gleichheitssatzes und der darin verankerten Wehrgerechtigkeit. Unter diesem Gesichtspunkt wuchsen zunehmend verfassungsrechtliche Zweifel an der W., als die Verkleinerung und Umstrukturierung der Bundeswehr nach Ende des Kalten Krieges zu einem starken Rückgang bei den Einberufungen führte. Für den Geburtsjahrgang 1986 lag der Anteil der tatsächlich Wehrdienstleistenden (einschließlich Soldaten auf Zeit) nur noch bei knapp 15 % des erfassten (männlichen) Jahrgangs (BT-Drs. 17/1281); ab dem Jahr 2004 sank die Zahl der jährlichen Einberufungen auf unter 80 000. Das BVerwG bemisst die Wehrgerechtigkeit allerdings nicht an der Ausschöpfung des Gesamtjahrganges, sondern der nach den gesetzlichen Maßgaben verfügbaren Wehrpflichtigen, also nach Abzug der Kriegsdienstverweigerer, Wehrdienstunfähigen und Wehrdienstausnahmen (BVerwG NJW 2005: 1525). Bei der Anpassung dieser Rekrutierungsvoraussetzungen an den tatsächlichen Personalbedarf verfügt der Gesetzgeber über einen weiten Spielraum. Das BVerwG hat daher keinen Verstoß gegen den Rechtsgrundsatz der Wehrgerechtigkeit gesehen. Gleichwohl schwächte diese Entwicklung die politische Überzeugungskraft der allgemeinen W. wesentlich.
Unter Druck geriet die W. auch durch den Wandel der Bundeswehr seit den 1990er Jahren zu einer Armee im Einsatz mit neuem Aufgabenspektrum in der internationalen Krisenbewältigung. Dies überschritt zum einen die herkömmliche legitimatorische Herleitung der W. aus der Landesverteidigung, zum anderen folgte aus den neuen militärischen Einsatzrealitäten ein Professionalisierungsbedarf. Auch die mit einer W.s-Armee verbundene Dauerbeanspruchung durch Ausbildungsaufgaben wurde vor diesem Hintergrund als nachteilig angesehen. Verteidiger der W. verwiesen demgegenüber auf ihre Rolle als Garant einer festen Verankerung der Streitkräfte in der Gesellschaft und als zentrale Quelle der Nachwuchsgewinnung.
Bei den politischen Parteien wuchs aus diesen Gründen die Skepsis gegenüber einer Beibehaltung der W. Auf Initiative von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg beschloss der Bundestag mit dem WehrRÄndG 2011 vom 28.4.2011 die Aussetzung der allgemeinen W. zum 1.7.2011. Kritik an dieser Entscheidung entzündete sich v. a. daran, dass diese Aussetzung ohne Übergangsfrist erfolgte und somit keine Möglichkeit bestand, die Nachwuchsgewinnung für die nunmehrige reine Freiwilligenarmee vorzubereiten.
3. Die gesetzliche Ausgestaltung der Wehrpflicht in der BRD
Die gesetzliche Ausgestaltung der W. ergibt sich aus dem WPflG. Wehrpflichtig sind demnach alle Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an, die Deutsche i. S. d. GG sind. Regelvoraussetzung ist zudem, dass die Betroffenen ihren ständigen Aufenthalt in der BRD haben, andernfalls ruht die W. Sie endet grundsätzlich mit Ablauf des Jahres, in dem das 45. Lebensjahr – bei Offizieren, Unteroffizieren und im Spannungs- bzw. Verteidigungsfall das 60. Lebensjahr – vollendet wird. Alle im Folgenden dargestellten Regelungen zur W. gelten jedoch infolge der 2011 erfolgten Aussetzung nur im Spannungs- oder Verteidigungsfall (§ 2 WPflG). Dabei bleibt freilich offen, wie eine in Friedenszeiten nicht praktizierte W. weitgehend unvorbereitet in diesen akuten Krisensituationen verwirklicht und nutzbar gemacht werden soll.
Die W. besteht im Kern aus der Pflicht, den Wehrdienst abzuleisten (§§ 4–8a WPflG). Dieser umfasst in erster Linie den Grundwehrdienst, dessen Dauer im Laufe der Zeit starken Schwankungen unterlegen hat. Sie stieg von ursprünglich zwölf Monaten (1957–1962) auf 18 Monate (1962–1972) und wurde dann schrittweise wieder reduziert auf 15 Monate (1972–1990), zwölf Monate (1990–1995), zehn Monate (1996–2001) und neun Monate (2002–2010). Seit 2010 liegt die gesetzlich vorgesehene Dauer bei sechs Monaten. Eine Einberufung kann, abgesehen von bestimmten Ausnahmefällen, nur bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres erfolgen – auch dies eine Grenze, die mehrfach herabgesetzt worden ist (früher: 28. Lebensjahr). Der Grundwehrdienst wird ergänzt durch Wehrübungen in einem gesetzlich begrenzten Umfang. Weitere Arten des Wehrdienstes sind die Heranziehung gedienter Wehrpflichtiger zu besonderen Auslandsverwendungen sowie zu Einsätzen zur Hilfeleistung im Innern oder im Ausland; dies setzt jedoch die schriftliche Zustimmung des Betroffenen voraus. Im Anschluss an den Grundwehrdienst ist ein freiwilliger zusätzlicher Wehrdienst von bis zu 17 Monaten möglich. Als eigene Art des Wehrdienstes führt das WPflG den unbefristeten Wehrdienst im Spannungs- oder Verteidigungsfall an.
Als Wehrdienstausnahmen sehen §§ 9–13b WPflG neben der fehlenden Wehrdienstfähigkeit ein relativ breites Spektrum von Befreiungen bzw. Befreiungsmöglichkeiten (z. B. Geistliche, dritte Kinder oder verheiratete Personen) und Zurückstellungsmöglichkeiten vor (z. B. bei Vorliegen einer besonderen Härte). Bei einer vierjährigen Verpflichtung zum Zivil- oder Katastrophenschutz bzw. einer zweijährigen Verpflichtung zum Entwicklungsdienst erfolgt ebenfalls keine Heranziehung zum Wehrdienst. Die Administration der W. mit der Aufgabe der Musterung und Einberufung obliegt den Wehrersatzbehörden (§§ 14–24b WPflG). Die vorangehende Erfassung der Wehrpflichtigen erfolgt durch die Meldebehörden.
Der Wehrdienst des Wehrpflichtigen beginnt mit dem in der Einberufung bestimmten Dienstantritt und endet i. d. R. durch die Entlassung. Der Wehrpflichtige erhält damit den Rechtsstatus eines Soldaten nach dem SG. Dabei handelt es sich um ein öffentlich-rechtliches, durch Hoheitsakt begründetes Dienstverhältnis. Der als Wehrpflichtiger dienende Soldat legt ein Gelöbnis ab (§ 9 Abs. 2 SG). Er erhält während des Wehrdienstes neben kostenloser Unterkunft, Dienstbekleidung und freier Heilfürsorge einen nach Dienstgraden gestaffelten Wehrsold (WSG).
Nach wie vor unterliegen nur Männer der W. Die Ermächtigung zur Begründung einer W. in Art. 12a Abs. 1 GG erstreckt sich von vornherein nicht auf Frauen. Aufgrund dieser grundgesetzlichen Sonderregelung liegt darin kein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz. Der freiwillige Dienst an der Waffe hingegen ist aufgrund europarechtlicher Vorgaben im Jahr 2001 für Frauen geöffnet worden.
4. Das Recht der Kriegsdienstverweigerung
Die W. wird eingeschränkt durch das Recht auf Kriegsdienstverweigerung (Wehrdienstverweigerung) nach Art. 4 Abs. 3 GG. Dieses Grundrecht wurde bereits in die ursprüngliche Fassung des GG von 1949 aufgenommen, als eine Aufstellung deutscher Streitkräfte noch gar nicht in Sicht war. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ist eine besondere Ausprägung des Grundrechts der Gewissensfreiheit (Gewissen, Gewissensfreiheit) und gewährleistet das Recht, den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen zu verweigern. Voraussetzung ist eine Gewissensentscheidung des Betroffenen, die ihm eine Tötung grundsätzlich und ausnahmslos zwingend verbietet (BVerfGE 48,127, 163 f.). Eine situationsbedingte Kriegsdienstverweigerung ist herkömmlich von der Rechtsprechung nicht anerkannt worden. Das BVerwG hat insoweit allerdings in einer jüngeren Entscheidung eine Berufung auf die allgemeine Gewissensfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG für möglich gehalten (BVerwGE 127,302).
Das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung ergibt sich unmittelbar aus der Verfassung. Seine verfahrensrechtliche Ausgestaltung ist im KDVG erfolgt. Das Verfahren zur Überprüfung der Berechtigung der Kriegsdienstverweigerung ist im Laufe der Zeit wiederholt geändert worden. Zuständig ist das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (vormals: Bundesamt für den Zivildienst). Es entscheidet auf schriftlichen und begründeten Antrag des Betroffenen; in Zweifelsfällen kann eine mündliche Anhörung erfolgen.
Art. 12a Abs. 2 GG ermächtigt dazu, Kriegsdienstverweigerer zu einem Ersatzdienst zu verpflichten. Dieser darf in keinem Zusammenhang mit den Streitkräften stehen und die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen. Die Einzelheiten dieses Ersatzdienstes sind im ZDG geregelt. Wer als Kriegsdienstverweigerer anerkannt ist, erfüllt seine W. durch den Zivildienst (§ 3 Abs. 1 WPflG).
5. Die Wehrpflicht in Österreich und der Schweiz
In Österreich schreibt Art. 9a Abs. 3 des B-VG die allgemeine W. verfassungsunmittelbar fest. Eine Volksbefragung vom 20.1.2013 sprach sich mehrheitlich für ihre Beibehaltung aus. Die W. beschränkt sich auf männliche Staatsbürger, Frauen können freiwillig dienen. Die Verfassung garantiert auch ein Kriegsdienstverweigerungsrecht. In diesem Fall ist ein Ersatzdienst zu leisten. Die Dauer des Grundwehrdienstes beträgt sechs Monate (§ 20 Wehrgesetz).
Auch in der Schweiz besteht von Verfassungs wegen eine allgemeine W. (Art. 59 Abs. 1 BV). Sie ist eingebettet in das traditionelle System der Milizarmee und daher durch die periodische Ableistung kürzerer Dienstzeiten charakterisiert. Ausgangspunkt ist die 18-wöchige Grundausbildung (Rekrutenschule, Art. 49 Abs. 4 Militärgesetz). Die W. erstreckt sich nur auf männliche Staatsbürger; für Frauen ist der Wehrdienst freiwillig. 1992 wurde die Möglichkeit eines zivilen Ersatzdienstes eingeführt (Art. 59 Abs. 1 S. 2 BV). Wer keinen Wehr- oder Ersatzdienst leistet, hat eine Ersatzabgabe in Geld zu erbringen.
Literatur
A. Ahammer/S. Nachtigall (Hg.): Wehrpflicht. Legitimes Kind der Demokratie, 2010 • W. Scherer: Wehrpflichtgesetz, Kommentar, 72009 • U. Tetzlaff: Vom (un)möglichen Zustand des Wehrpflichtrechts, 2009 • J. Fleischhauer: Der Grundsatz der Wehrgerechtigkeit und seine Vorgaben an den Gesetzgeber und die Wehrverwaltung, in: NZWehrr 50 (2008), 112–120 • D. Walz: Die Entwicklung des Wehrpflichtrechts seit der Jahrtausendwende, in: NZWehrr 50 (2008), 178–187 • R. G. Foerster: Die Wehrpflicht, 1994.
Empfohlene Zitierweise
S. Graf von Kielmansegg: Wehrpflicht, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Wehrpflicht (abgerufen: 22.11.2024)