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1992 schrieb Popitz: „Die Selbstverständlichkeit institutioneller A.s-Ansprüche ist überall bedroht oder gebrochen“ (Popitz 1992: 138). Dieser Entwicklung hat in den letzten Jahren noch an Dynamik zugelegt. {{ #staatslexikon_articlemissing: Individualisierung | Individualisierung }} tritt zunehmend als Selbstermächtigung in Erscheinung. Selbstermächtigung beschreibt eine „innere Haltung“, die sich auszeichnet durch <I>a)</I>&nbsp;einen ausgeprägten „anti-institutionellen Affekt“, also ein grundsätzliches Misstrauen in die professionelle „Führungs“-Kraft von (egal welchen) Institutionen ({{ #staatslexikon_articlemissing: Institution | Institution }}), das i.&nbsp;d.&nbsp;R. in einem Gestus der spontanen Empörung und Wut auftritt, dann aber zum moralisch aufgeladenen Selbstbild demokratisch legitimierter „Widerspenstigkeit“ kultiviert werden kann; und <I>b)</I>&nbsp;damit korrespondierend, der unbedingten Behauptung von (oft mühsam) „erworbener Eigenkompetenz“ und den damit einhergehenden Anspruch, den professionellen Experten und A.en zumindest „auf Augenhöhe“ begegnen zu können (Gebhardt 2013). Selbstermächtigungsphänomene sind in allen gesellschaftlichen Bereichen zu beobachten. Sie führen dazu, dass jeder Art von institutioneller A., teilweise aber auch schon von Fach- und funktionaler A. zunehmend mit Skepsis, teilweise schon mit einem grundsätzlichen Misstrauen begegnet wird. Dies lässt sich im Bereich von Politik, Justiz und Verwaltung beobachten, deren Entscheidungen, auch wenn sie formal korrekt getroffen wurden, nicht mehr selbstverständlich [[Anerkennung]] oder zumindest Akzeptanz finden. Noch deutlicher sind allerdings {{ #staatslexikon_articlemissing: Religion | Religion }} und Kirchen ({{ #staatslexikon_articlemissing: Kirche | Kirche }}) davon betroffen. Zunehmend sind Akte der Behauptung von religiöser Eigenkompetenz und – damit verbunden – der Ablehnung institutionell verankerter kirchlicher A., selbst unter Kirchenmitgliedern, zu entdecken. Hinzu kommt, dass sich der im {{ #staatslexikon_articlemissing: Habitus | Habitus }} der Selbstermächtigung verdichtete „anti-institutionelle Affekt“ immer mehr gegen jede religiöse Institution richtet, die sich selbst als in Traditionen verankert ({{ #staatslexikon_articlemissing: Tradition | Tradition }}), hierarchisch strukturiert und gesteuert, auf Befehl, Gehorsam und Unterordnung gebaut und mit dem Anspruch auf „Ewigkeit“ ausgestattet sieht.
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1992 schrieb Popitz: „Die Selbstverständlichkeit institutioneller A.s-Ansprüche ist überall bedroht oder gebrochen“ (Popitz 1992: 138). Dieser Entwicklung hat in den letzten Jahren noch an Dynamik zugelegt. {{ #staatslexikon_articlemissing: Individualisierung | Individualisierung }} tritt zunehmend als Selbstermächtigung in Erscheinung. Selbstermächtigung beschreibt eine „innere Haltung“, die sich auszeichnet durch <I>a)</I>&nbsp;einen ausgeprägten „anti-institutionellen Affekt“, also ein grundsätzliches Misstrauen in die professionelle „Führungs“-Kraft von (egal welchen) Institutionen ({{ #staatslexikon_articlemissing: Institution | Institution }}), das i.&nbsp;d.&nbsp;R. in einem Gestus der spontanen Empörung und Wut auftritt, dann aber zum moralisch aufgeladenen Selbstbild demokratisch legitimierter „Widerspenstigkeit“ kultiviert werden kann; und <I>b)</I>&nbsp;damit korrespondierend, der unbedingten Behauptung von (oft mühsam) „erworbener Eigenkompetenz“ und den damit einhergehenden Anspruch, den professionellen Experten und A.en zumindest „auf Augenhöhe“ begegnen zu können (Gebhardt 2013). Selbstermächtigungsphänomene sind in allen gesellschaftlichen Bereichen zu beobachten. Sie führen dazu, dass jeder Art von institutioneller A., teilweise aber auch schon von Fach- und funktionaler A. zunehmend mit Skepsis, teilweise schon mit einem grundsätzlichen Misstrauen begegnet wird. Dies lässt sich im Bereich von Politik, Justiz und Verwaltung beobachten, deren Entscheidungen, auch wenn sie formal korrekt getroffen wurden, nicht mehr selbstverständlich [[Anerkennung]] oder zumindest Akzeptanz finden. Noch deutlicher sind allerdings {{ #staatslexikon_articlemissing: Religion | Religion }} und Kirchen ({{ #staatslexikon_articlemissing: Kirche | Kirche }}) davon betroffen. Zunehmend sind Akte der Behauptung von religiöser Eigenkompetenz und – damit verbunden – der Ablehnung institutionell verankerter kirchlicher A., selbst unter Kirchenmitgliedern, zu entdecken. Hinzu kommt, dass sich der im [[Habitus]] der Selbstermächtigung verdichtete „anti-institutionelle Affekt“ immer mehr gegen jede religiöse Institution richtet, die sich selbst als in Traditionen verankert ({{ #staatslexikon_articlemissing: Tradition | Tradition }}), hierarchisch strukturiert und gesteuert, auf Befehl, Gehorsam und Unterordnung gebaut und mit dem Anspruch auf „Ewigkeit“ ausgestattet sieht.
 
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W. Gebhardt: Autorität, Version 09.05.2018, 17:32 Uhr, in: Staatslexikon<sup>8</sup> online, URL: {{fullurl:Autorität}} (abgerufen: {{CURRENTDAY2}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})
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W. Gebhardt: Autorität, Version 22.10.2019, 17:30 Uhr, in: Staatslexikon<sup>8</sup> online, URL: {{fullurl:Autorität}} (abgerufen: {{CURRENTDAY2}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})
 
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Version vom 20. November 2019, 16:39 Uhr

A. (von lateinisch auctoritas, Gegensatz: potestas; englisch authority, französisch autorité) bezeichnet ganz allg. das Vermögen von Personen, Personengruppen, Institutionen, aber auch von Objekten, Symbolen und metaphysischen Wesenheiten, das Denken, Verhalten und Handeln von Menschen und Menschengruppen zu bestimmen, ohne dass diese Bestimmung als Zwang empfunden wird. A. gilt als eine Form der Machtausübung, aber als eine solche, die von den der Macht ausgesetzten Personen als legitim anerkannt wird (Legitimität). In der Theologie wird unter A. die von Gott, dem Schöpfer und Erlöser, legimitierte Ausübung von Vollmacht und Weisungsbefugnis verstanden. Gott ist hier alleiniger Grund, Jesus Christus der Offenbarer aller A. Dementsprechend begründen insbesondere kirchliche Institutionen und Amtsträger (Amt) ihren Herrschafts- und Führungsanspruch mit dieser ihnen verliehenen göttlichen Vollmacht. In den Sozialwissenschaften gilt A. hingegen ausschließlich als ein Zuschreibungsphänomen. A. ist nur dann und solange gegeben, als diese von Menschen und Menschengruppen anerkannt wird, d. h. das Ausführen der Befehle oder Anweisungen von A.en zumindest bis zu einem gewissen Grad freiwillig geschieht. Die Bezugnahme auf eine göttliche Macht wird dadurch nicht ausgeschlossen, spielt aber nur insoweit eine Rolle, als sie von Menschen vorgenommen wird und so ihr Handeln beeinflusst. Damit wechselt der Fokus. Aus einem „moralisch-religiösen Imperativ“ (Bendix 1985: 495) wird eine empirische Frage nach der Wirksamkeit moralischer und ethischer Ideen und Wahrheitsansprüche (Wahrheit).

1. Max Webers Soziologie der Herrschaft

Dieses heute in den Sozialwissenschaften unbestritten geltende A.s-Verständnis geht auf den deutschen Soziologen Max Weber und seine Soziologie der Herrschaft zurück. Weber unterscheidet zwischen nicht-legitimer Herrschaft (Gewaltherrschaft) und legitimer Herrschaft (Herrschaft kraft A.), betont aber, dass erstere spezifisch labil sei und dass nur letztere die Chance auf Dauerhaftigkeit besitze. Deshalb versuche jede Herrschaft den Glauben an ihre Legitimität und A. zu erwecken, ein Glaube, der auf der „Vorstellung der Beteiligten vom Bestehen einer legitimen Ordnung“ (Weber 1976: 16) beruht und zu einem Mindestmaß an Gehorchenwollen seitens der Beherrschten führt. Legitime Herrschaft zeichne sich dementsprechend immer durch einen spezifischen Legitimitätsglauben aus. Dieser kann nach M. Weber traditional, rational oder charismatisch begründet sein. Traditionale Herrschaft beruht auf dem „Alltagsglauben an die Heiligkeit von jeher geltender Traditionen (Tradition) und die Legitimität der durch sie zur A. Berufenen“ (Weber 1976: 124) und äußert sich in der Regel in einem spezifischen Pietätsverhältnis der Beherrschten zu ihrem Herrscher. Rationale (oder legale) Herrschaft gründet auf dem Glauben „an die Legalität gesatzter Ordnungen und des Anweisungsrechtes der durch sie zur Herrschaft Berufenen“ (Weber 1976: 124; Legalität) und äußert sich in der Fügsamkeit der Gehorchenden gegenüber formal korrekt zustande gekommenen Regeln und Gesetzen. Weber betrachtet sowohl die traditionale als auch die legale Herrschaft als auf Dauer angelegte Alltagsformen von Herrschaft, die deshalb auf die Ausbildung eines umfänglichen Verwaltungsstabes angewiesen sind. Demgegenüber stellt er die charismatische Herrschaft (Charisma), die er als außeralltäglich und deshalb als spezifisch labil, weil gebunden an die Lebenszeit einer konkreten Person und ihrer Bewährung, bezeichnet. Charismatische Herrschaft beruht „auf der außeralltäglichen Hingabe an die Heiligkeit oder Heldenkraft oder die Vorbildlichkeit einer Person und der durch sie offenbarten oder geschaffenen Ordnungen“ (Weber 1976: 124). Die Motive des Gehorsams und die Gründe der A. der Herrschaft liegen hier nicht in der Heiligkeit der Tradition oder der formalen Korrektheit des Gesetzgebungsverfahrens, sondern allein in der aus Begeisterung oder Not und Hoffnung geborenen, gläubigen, ganz persönlichen Hingabe an die außerordentlichen Qualitäten einer Person (Weber 1976: 140). Aufgrund ihrer spezifischen Labilität neigt jede Form der charismatischen Herrschaft im Falle des Erfolgs zur Veralltäglichung, d. h. zur Transformation in jeweils besondere Varianten traditionaler und legaler Herrschaft. Dann entstehen solche A.s-Figuren wie das Gentil- und des Amtscharisma.

2. Strukturmerkmale der Autorität

Nach M. Weber ist jede Form von A. also weder von Gott noch von Natur aus gegeben, sondern beruht allein auf Anerkennung und Achtung und wird zugleich gefürchtet und bewundert. In Weiterführung dieses Weberschen Ansatzes haben insbesondere Richard Sennett, Heinrich Popitz, Wolfgang Sofsky und Rainer Paris in ihren macht- und herrschaftssoziologischen Schriften spezifische Strukturmerkmale von A. herausgearbeitet:

a) A. wird zugeschrieben. Sie existiert nicht von Natur aus. Eine A. ist man oder A. hat man, wenn mehrere Menschen sie (i. d. R.) einem anderen Menschen zusprechen: „Die A.s-Geltung des einen ist der A.s-Glaube der anderen, diese ist ohne jenen nicht denkbar“ (Sofsky/Paris 1991: 20).

b) A. beschreibt keine individuellen Eigenschaften oder Qualitäten, sondern eine soziale Beziehung, die zum einen auf Über- und Unterordnung, zum anderen – als Konsequenz daraus – auf reziproken Erwartungen der Beteiligten beruht. Diejenigen, die einer Person A. zusprechen, sind nicht nur bereit, den Anweisungen derselben zu folgen, sondern hegen auch spezifische Erwartungen an sie und zwar in der Form von „Obhut und Förderung: Schutz vor Übergriffen Dritter, Gefahrenabwehr, Entwicklung normativer Orientierungen, Erziehung und Formung der Persönlichkeit“ (Sofsky/Paris 1991: 27).

c) A. beruht auf Anerkennung. Diese muss freiwillig erfolgen. Wenn A. eingefordert wird, ist sie bereits brüchig. A.s-Zuschreibung gründet auf der Anerkennung der Überlegenheit des A.s-Trägers, worin auch immer diese Überlegenheit bestehen mag. Diese Überlegenheit wird am stärksten anerkannt, wenn sie mit je spezifischen (konservativen oder progressiven) Werten (Wert), die die A.en repräsentieren, verbunden sind. Erst durch diesen Wertbezug entwickeln sich A.en zu Vorbildern. Auch deshalb kann A. auf den Einsatz von Machtmitteln wie Drohungen und Sanktionen verzichten.

d) A. gründet auf Personalität. Zwar kann A. auch Personengruppen und Institutionen zugeschrieben werden, aber „diese verdankt sich, wo sie die normative Kraft des Faktischen übersteigt, entweder der A. ihrer glaubwürdigen Repräsentanten oder dem fahlen Abglanz der Gründungsautoritäten“ (Sofsky/Paris 1991: 24). Die Anerkennung von A. beruht dementsprechend auf der Wertschätzung einer Person und zwar der ganzen Person. Auch deshalb wohnt ihr sowohl eine Generalisierungstendenz inne als auch der Nimbus einer objektiven Instanz. Sie „hat eine Prärogative und axiomatische Zuverlässigkeit für ihre Entscheidungen gewonnen, die über den immer variablen, relativen, der Kritik unterworfenen Wert einer subjektiven Persönlichkeit mindestens um einen Teilstrich hinausragt. Indem ein Mensch autoritativ wirkt, ist die Quantität seiner Bedeutung in eine neue Qualität umgeschlagen, hat für sein Milieu gleichsam den Aggregatzustand der Objektivität angenommen“ (Simmel 1968: 102f.). Ist dies der Fall, kann A. fraglose Geltung beanspruchen, auch deshalb, weil sie immer Maßstäbe des Handelns und des Urteilens setzt.

e) A. bedarf bis zu einem gewissen Grad der Inszenierung. Zwar beruht jede A. auf Anerkennung, sie muss aber den Eindruck vermeiden von der Anerkennung der anderen abhängig zu sein. Die stete, symbolisch aufgeladene Demonstration von Selbstständigkeit, Unabhängigkeit und einem gewissen Grad von Distanz sind deshalb jeder A. eigen. „Sie erreicht die Anerkennung ihrer Anhänger gerade dadurch, dass sie sie spüren lässt, auf diese Anerkennung nicht angewiesen zu sein. Es ist vor allem diese Asymmetrie der Abhängigkeit, die das A.s-Verhältnis auszeichnet und die die A. inszenieren muss: selbst unabhängig zu sein von denjenigen, die von ihr abhängig sind“ (Sofsky/Paris 1991: 30).

3. Formen der Autoritätsbeziehungen

Obwohl jegliche Form von A., wie oben gesagt, auf Personalität gründet, lassen sich doch typische Formen von A. unterscheiden. Unterscheidungsgrund sind die je spezifischen Quellen von A. Diese können in der Person selbst oder auch nur in spezifischen (fachlichen oder positionalen) Kompetenzen oder Kompetenzbehauptungen derselben liegen. In Anlehnung an M. Weber und in Fortführung der Unterscheidungen von Günter Büschges und H. Popitz lassen sich zumindest die folgenden Typen bilden:

a) Personale oder charismatische A.: Hier ruht A. auf der (gleichwie begründeten) Ausstrahlung oder Aura einer Person, die andere in ihren Bann zieht und dazu führt, ihren Anweisungen, Befehlen oder auch nur Vorschlägen mehr oder weniger bedingungslos zu folgen.

b) Fach-A. oder funktionale A.: Sie beruht in der Regel auf einem spezifischen Fachwissen und Verfahrenskenntnissen sowie auf der Fähigkeit, diese in wechselnden Situationen jeweils „richtig“ anwenden zu können. Sie ist auf systematischen Wissenserwerb, auf Ausbildung oder auf langjährige Erfahrung und Bewährung gegründet.

c) Institutionelle oder positionale A.: Hier gründet A. im Wesentlichen auf dem Amt oder der Position, die ein A.s-Träger besetzt. A. ist in diesem Fall immer abgeleitete A. Sie überdauert in der Regel die Personen, die eine Position oder ein Amt besetzen. Sie kann als sakrale A. in der Figur des Priesters, der über ein spezifisches Heilswissen verfügt und als Mittler zwischen einer göttlichen Macht und der menschlichen Welt wirkt, auftreten. Sie kann als generative A. in der Figur des Patriarchen (im historischen Ausnahmefall auch in der Figur der Matriarchin), der oder die als Wegweiser und Vermittler sozialer Realität im Generationen- und Sippenverband in Erscheinung treten. Oder sie kann die Form der Amts-A. in der Figur des Amtsträgers annehmen, der sich auf die überindividuelle, das Allgemeine repräsentierende Kraft des „Gesetzes“ beruft.

Diese drei A.s-Typen sind als Idealtypen im Sinne der Wissenschaftslehre M. Webers zu verstehen, die in der beschriebenen Reinform in der Wirklichkeit nur im Ausnahmefall, i. d. R. dagegen immer in je unterschiedlichen Mischformen aufzufinden und jeweils empirisch zu erheben sind.

4. Autoritätsbeziehungen und sozialer Wandel

Mit dem Fortschreiten moderner Individualisierungsprozesse verschieben sich die Gewichte zwischen den A.s-Formen. Institutionelle A. verliert, personale A. gewinnt an Bedeutung. Dies ist die allg.e Entwicklungsrichtung in den meisten sich modernisierenden Gesellschaften (Modernisierung) auch über Westeuropa und Nordamerika, hinaus. Allerdings lassen sich auch überall bereits anti-modernistische Gegenbewegungen beobachten, die mit der (Wieder-)Aufwertung traditioneller A.en im neuen Gewande einhergehen.

1992 schrieb Popitz: „Die Selbstverständlichkeit institutioneller A.s-Ansprüche ist überall bedroht oder gebrochen“ (Popitz 1992: 138). Dieser Entwicklung hat in den letzten Jahren noch an Dynamik zugelegt. Individualisierung tritt zunehmend als Selbstermächtigung in Erscheinung. Selbstermächtigung beschreibt eine „innere Haltung“, die sich auszeichnet durch a) einen ausgeprägten „anti-institutionellen Affekt“, also ein grundsätzliches Misstrauen in die professionelle „Führungs“-Kraft von (egal welchen) Institutionen (Institution), das i. d. R. in einem Gestus der spontanen Empörung und Wut auftritt, dann aber zum moralisch aufgeladenen Selbstbild demokratisch legitimierter „Widerspenstigkeit“ kultiviert werden kann; und b) damit korrespondierend, der unbedingten Behauptung von (oft mühsam) „erworbener Eigenkompetenz“ und den damit einhergehenden Anspruch, den professionellen Experten und A.en zumindest „auf Augenhöhe“ begegnen zu können (Gebhardt 2013). Selbstermächtigungsphänomene sind in allen gesellschaftlichen Bereichen zu beobachten. Sie führen dazu, dass jeder Art von institutioneller A., teilweise aber auch schon von Fach- und funktionaler A. zunehmend mit Skepsis, teilweise schon mit einem grundsätzlichen Misstrauen begegnet wird. Dies lässt sich im Bereich von Politik, Justiz und Verwaltung beobachten, deren Entscheidungen, auch wenn sie formal korrekt getroffen wurden, nicht mehr selbstverständlich Anerkennung oder zumindest Akzeptanz finden. Noch deutlicher sind allerdings Religion und Kirchen (Kirche) davon betroffen. Zunehmend sind Akte der Behauptung von religiöser Eigenkompetenz und – damit verbunden – der Ablehnung institutionell verankerter kirchlicher A., selbst unter Kirchenmitgliedern, zu entdecken. Hinzu kommt, dass sich der im Habitus der Selbstermächtigung verdichtete „anti-institutionelle Affekt“ immer mehr gegen jede religiöse Institution richtet, die sich selbst als in Traditionen verankert (Tradition), hierarchisch strukturiert und gesteuert, auf Befehl, Gehorsam und Unterordnung gebaut und mit dem Anspruch auf „Ewigkeit“ ausgestattet sieht.

Mit dem Bedeutungsverlust institutioneller A. gewinnen Formen personaler A., die es immer gegeben hat, wieder größere Bedeutung. Als A. gilt zunehmend nur noch derjenige, der Individualität, Authentizität und Glaubwürdigkeit „ganzheitlich“ verkörpern kann – und diese Erwartung richtet sich nicht nur auf in irgendeinem Sinne herausragende „Führungspersonen“, sondern inzwischen auf jeden Amtsträger oder Inhaber einer spezifischen Position und Funktionsstelle. Damit steigt der Bedarf an primär medial vermittelter Inszenierung von personaler A., die ihrerseits dazu führt, dass echtes Charisma in artifizielles Charisma umgewandelt wird und dass als Grund personaler A. nicht mehr die in irgendeinem Sinne als außergewöhnlich gewerteten Qualitäten einer Person notwendig sind, sondern Prominenz als medial generierte Allgegenwärtigkeit zu genügen scheint, um als A. im öffentlichen Diskurs wahrgenommen zu werden.