Anerkennung
I. Rechtlich
Abschnitt druckenUnter A. versteht man einen einseitigen Rechtsakt, mit dem ein Rechtssubjekt ein anderes als seinesgleichen und ihm ebenbürtig akzeptiert, einen vorgefundenen bzw. von einem anderen herbeigeführten Zustand oder fremdes (hoheitliches) Handeln als rechtsgültig hinnimmt. Die A. stellt eine zweifelhafte Rechtslage außer Streit, beseitigt damit eine zuvor bestehende Rechtsunsicherheit und hat insofern eine konsolidierende Wirkung. Die A. kann rechtsbestätigend oder rechtsbegründend wirken, d. h. deklaratorisch oder konstitutiv sein. Sie kann ausdrücklich erklärt oder durch konkludentes Verhalten mit entsprechendem Erklärungswert erfolgen, endgültig sein oder unter Widerrufsvorbehalt stehen.
Völkerrechtlich bedeutsam ist v. a. die A. von Staaten und Regierungen.
Nach überwiegender Auffassung in der Völkerrechtswissenschaft und gemäß der kodifizierten Praxis der amerikanischen Staaten (s. Art. 1 der Konvention von Montevideo über Rechte und Pflichten von Staaten von 1933; Art. 13 der Charta der OAS von 1948) entsteht ein Staat im völkerrechtlichen Sinne eo ipso, wenn er tatsächlich die traditionellen Kriterien der Staatlichkeit (Staatsvolk, Staatsgebiet, effektive Staatsgewalt) erfüllt und die z. T. noch zusätzlich geforderte, aber ebenfalls faktisch verstandene Fähigkeit zur Anknüpfung völkerrechtlicher Beziehungen besitzt. Die A. bestätigt insoweit lediglich ein Faktum und die sich daraus ohne weiteres ergebende Rechtsfolge, hat also bloß deklaratorische Wirkung.
Da die Entstehung eines neuen Staates regelmäßig kein punktuelles Ereignis, sondern ein sich über einen längeren Zeitraum erstreckender Prozess ist, dessen Abschluss sich nicht objektiv exakt angeben lässt, kommt der A. aber jedenfalls insoweit konstitutive Wirkung zu, als sie Zweifel am Vorliegen sämtlicher Staatselemente, insb. an der Effektivität der vom Neustaat in Anspruch genommenen Staatsgewalt und seiner Unabhängigkeit von dem Staat, aus dem er sich herausgelöst hat, und/oder von Drittstaaten aus der Sicht des anerkennenden Altstaates ausräumt.
In der Staatenpraxis gibt es aber auch Fälle, in denen ein Herrschaftsgebilde als Staat anerkannt worden ist, obwohl es unzweifelhaft keine effektive Staatsgewalt besitzt oder jedenfalls im Zeitpunkt der A. (noch) nicht besaß (wie Bosnien-Herzegowina 1992), oder umgekehrt einem Neustaat, der alle herkömmlichen Staatlichkeitserfordernisse erfüllt, die A. dauerhaft versagt bleibt, und zwar auch dann, wenn das etablierte De-facto-Regime keinen völkerrechtlich erheblichen Geburtsmakel aufweist (wie im Fall des seit 1991 unabhängigen Somaliland). Beide Konstellationen können von der deklaratorischen Theorie nicht überzeugend erklärt werden.
Zudem deuten auch die von den EG-Mitgliedstaaten am 16.12.1991 beschlossenen und die nachfolgende Praxis bestimmenden „Richtlinien für die förmliche Anerkennung neuer Staaten in Osteuropa und der Sowjetunion“ darauf hin, dass die A. eines Neustaates jedenfalls in Europa über die klassischen Voraussetzungen hinaus zunehmend von völkerrechtsspezifischen Bedingungen abhängig gemacht wird, denen der Neustaat genügen muss.
Die Staatenpraxis spricht daher eher dafür, die A. eines Neustaates durch die Altstaaten als statusverleihenden Akt zu deuten. Der vom Neustaat geltend gemachte Anspruch, Staat im völkerrechtlichen Sinne zu sein, muss, um völkerrechtliche Geltung zu erlangen, das Akzept der Altstaaten finden. Dieses hängt maßgeblich von dessen Fähigkeit und Bereitschaft zur Beachtung des Völkerrechts ab.
Erst aufgrund der A. erlangt der neue Staat Völkerrechtssubjektivität, und zwar nur im Verhältnis zu den ihn als solchen anerkennenden Altstaaten. Nicht anerkennenden Staaten bleibt es unbenommen, weiterhin die Staatlichkeit und damit auch die Völkerrechtsfähigkeit des neuen Herrschaftsgebildes zu bestreiten. Dies belegt die Staatenpraxis im Fall des Kosovo, der 2008 seine staatliche Unabhängigkeit von Serbien erklärt hat und mittlerweile von 110 Staaten (Stand: Februar 2016) anerkannt worden ist, aber, weil Russland und China die A. bisher versagt haben, noch nicht Mitglied der UNO geworden ist. Damit ist die Rechtslage gespalten.
Erst mit der Aufnahme als Mitglied in die Vereinten Nationen durch Beschluss der Generalversammlung auf Empfehlung des Sicherheitsrates vollzieht sich im Wege der Kooptation der Eintritt des Neustaates in die weltweit organisierte Staatengemeinschaft.
Es besteht keine Rechtspflicht zur A. anerkennungsfähiger Neustaaten. Die Nicht-A. eines sich tatsächlich dauerhaft etablierenden Neustaates ist und bleibt in der Staatenpraxis gleichwohl die seltene Ausnahme. Wegen des praktischen Bedürfnisses nach völkerrechtlichem Verkehr kommt eine Nicht-A. nur dann in Betracht, wenn der völkerrechtliche Geburtsmakel oder die völkerrechtliche Unzuverlässigkeit des Neustaates so gravierend erscheint, dass die Staatengemeinschaft wegen ihres Selbstverständnisses als Rechtsgemeinschaft ungeachtet der sich aus der Stellung eines recht- und pflichtenlosen Außenseiters ergebenden völkerrechtlichen Probleme auf die Integration des Neustaates in die internationale Gemeinschaft verzichtet.
Die Staaten sind verpflichtet, von der A. eines Neustaates Abstand zu nehmen, der unter Verstoß gegen das Gewaltverbot oder das Selbstbestimmungsrecht der Völker entstanden ist. Diese mittlerweile anerkannte Pflicht zur Nicht-A. eines unter Verletzung grundlegender Völkerrechtsprinzipien etablierten Neustaats geht auf die sogenannte Stimson-Doktrin zurück, mit der die USA 1932 auf die Schaffung des japanischen Satellitenstaates Mandschukuo nach der militärischen Besetzung der chinesischen Provinz Mandschurei durch Japan reagierte und der sich der Völkerbund anschloss.
Eine vor der Erlangung und Durchsetzung effektiver eigener Herrschaftsgewalt durch einen sich abspaltenden Neustaat erfolgende A. durch einen Altstaat stellt eine völkerrechtlich verbotene und völkerrechtliche Verantwortlichkeit begründende Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Staates dar, dessen Gebiet der „Neustaat“ als eigenes beansprucht. Solange das Mutterland noch erfolgversprechende Anstalten macht, das abtrünnige Gebiet wieder unter seine effektive Herrschaftsgewalt zu bringen, ist der Neustaat noch nicht anerkennungsfähig.
Von der A. eines Neustaates zu unterscheiden ist die A. einer neuen Regierung eines bestehendes Staates, zu der insb. dann Veranlassung bestehen kann, wenn sie im Gefolge eines Bürgerkrieges, einer Revolution oder eines Staatsstreichs, d. h. irregulärer Umstände an die Macht gekommen ist. Die A. betrifft die völkerrechtliche Befugnis der Regierung zur Außenvertretung dieses Staates. Die überwiegende Auffassung folgt auch hier der deklaratorischen Theorie: Allein die faktische Innehabung der Staatsgewalt soll genügen, um eine Regierung zum völkerrechtlich handlungsbefugten „Organ“ ihres Staates zu machen. Eine verbreitete Nicht-A. wird lediglich als Indiz für das Fehlen effektiver Regierungsgewalt gewertet. Findet die neue Regierung bei Drittstaaten kein Gehör, wird sie also nicht als zuständiger Ansprech- und Verhandlungspartner akzeptiert, geht der von ihr erhobene Herrschaftsanspruch im Außenverhältnis zu diesen Staaten allerdings praktisch ins Leere. Es ist aus Sicht dritter Staaten aber wenig sinnvoll, einer sich längere Zeit behauptenden, effektiven Regierung eines Staates die A. zu versagen und stattdessen an einer ins Ausland geflüchteten Exilregierung als „einzig legitimer Regierung“ festzuhalten, weil nur diejenige Regierung, die ein Staatsgebiet effektiv beherrscht, dort auch die Unverbrüchlichkeit des Völkerrechts tatsächlich gewährleisten kann und nur bei A. dieser Regierung der von ihr faktisch repräsentierte Staat auch für völkerrechtlich erhebliches Fehlverhalten verantwortlich gemacht werden kann. Dies ist der Grund, warum sich Versuche, das Effektivitätskriterium durch Legitimitätskriterien, etwa die Übereinstimmung mit dem inneren Selbstbestimmungsrecht des betroffenen Staatsvolkes, abzulösen (so etwa die auf die Legitimation durch freie Wahlen abstellende Tobar-Doktrin von 1907), in der Staatenpraxis nicht durchgesetzt haben. Die völkerrechtliche A.s-Fähigkeit hängt insb. nicht von der Verfassungsmäßigkeit des Machterwerbs der neuen Regierung ab. So erkannten die meisten Staaten die nach Absetzung des Präsidenten Wiktor Janukowytsch am 22.2.2014 durch das ukrainische Parlament am 26.2.2014 eingesetzte neue Regierung Arsenij Jazenjuk ungeachtet der Verfassungswidrigkeit dieses Vorgangs als effektive Regierung der Ukraine an. Voraussetzung für die A. einer neuen Regierung ist aber deren Bereitschaft zur Einhaltung auch der von den Vorgängerregierungen für den betreffenden Staat übernommenen völkerrechtlichen Verpflichtungen.
Es besteht keine Rechtspflicht zur A. effektive Herrschaftsgewalt ausübender Regierungen. In der Staatenpraxis ist aber auch nicht feststellbar, dass nicht hinreichend demokratisch legitimierten Regierungen die A. regelmäßig versagt bliebe. Die Nicht-A. der nach dem von ihr herbeigeführten Sturz des demokratischen Präsidenten Jean-Bertrand Aristide 1991 amtierenden Militärjunta in Haiti stellt einen nicht verallgemeinerungsfähigen Sonderfall dar. Die USA und Großbritannien praktizieren seit einigen Jahrzehnten gar keine förmliche A. neuer Regierungen mehr, sondern entscheiden darüber implizit durch Aufnahme, Fortsetzung oder Abbruch diplomatischer Beziehungen.
Sofern es um die A. der von einer ausländischen Regierung gesetzten innerstaatlichen Hoheitsakte (etwa Eheschließungen etc.) in der Rechtsordnung des Forumstaates geht, vertreten die Gerichte zunehmend den Standpunkt, dass solche Akte im Interesse der betroffenen Individuen als gültig zu behandeln sind, wenn nur die Regierung, die sie vorgenommen hat, effektive Herrschaftsgewalt ausübt oder ausgeübt hat, auch wenn sie vom Forumstaat nicht anerkannt worden ist.
Aufständische erlangten traditionell partielle Völkerrechtssubjektivität erst durch A. seitens der von ihnen bekämpften Staatsgewalt oder Drittstaaten als „kriegführend“. Diese Form der A. ist heutzutage nicht mehr anzutreffen. Das humanitäre Völkerrecht begründet mittlerweile auch für nichtinternationale bewaffnete Konflikte einen Mindeststandard an Regeln der Kriegsführung, der unabhängig von ihrer A. für alle Bürgerkriegsparteien gilt.
Aufständische werden von Drittstaaten u. U. als legitime Vertreter von Völkern (Volk) anerkannt, die ihr äußeres oder inneres Selbstbestimmungsrecht geltend machen und als illegitim erachtete herrschende Regime zu stürzen versuchen; in diesen Kontext gehört auch die A. sogenannter nationaler Befreiungsorganisationen wie der PLO.
Die A. fremder Hoheitsakte durch einen Staat mit Wirkung für das eigene Hoheitsgebiet, folgt besonderen Regeln. Aus der Ausschließlichkeit der Gebietshoheit folgt, dass jeder Staat grundsätzlich frei ist, ob er in seiner Rechtsordnung und auf seinem Territorium die Hoheitsakte eines anderen Staates (z. B. Eheschließung, Enteignung) als wirksam anerkannt oder ihnen mit Rücksicht auf seinen ordre public die A. versagt. Verstößt eine Enteignung allerdings gegen das völkerrechtliche Fremdenrecht, kann sich daraus u. U. eine Pflicht zur Nicht-A. ergeben (ordre public international).
Literatur
J. Crawford: The Creation of States in International Law, 22007 • S. Talmon: Kollektive Nichtanerkennung illegaler Staaten. Grundlagen und Rechtsfolgen einer international koordinierten Sanktion, dargestellt am Beispiel der Türkischen Republik Nord-Zypern, 2006 • S. Talmon: Recognition in International Law. A Bibliography, 2000 • C. Hillgruber: Die Aufnahme neuer Staaten in die Völkerrechtsgemeinschaft, 1998 • S. Talmon: Recognition of Governments in International Law, 1998 • M. J. Peterson: Recognition of Governments: Legal Doctrine and State Practice, 1815–1995, 1997 • J. Dugard: Recognition and the United Nations, 1987 • J. A. Frowein: Das de facto-Regime im Völkerrecht, 1968 • H. Lauterpacht: Recognition in International Law, 1947.
Empfohlene Zitierweise
C. Hillgruber: Anerkennung, I. Rechtlich, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Anerkennung (abgerufen: 21.11.2024)
II. Philosophisch
Abschnitt druckenGeorg Wilhelm Friedrich Hegel war gewiss nicht der erste, der die Subjektbildung des Menschen von der A. durch andere Personen abhängig gemacht hat. Ideen solcher Art lassen sich schon viel früher in der Philosophiegeschichte finden, sie spiegeln sich in der Ethik des Aristoteles nicht weniger als in der Überzeugung von Thomas Hobbes, dass das menschliche Streben vornehmlich auf die Gewinnung von Ehre und Ruhm in der öffentlichen Meinung gerichtet ist. Aber von unmittelbarem Einfluss auf die These G. W. F. Hegels, der zufolge die A. zugleich den Nährboden und den Konfliktstoff allen sozialen Lebens bildet, sind wohl erst die theoretischen Ansätze von Jean-Jacques Rousseau und Johann Gottlieb Fichte gewesen: Der Autor des „Gesellschaftsvertrags“ hatte in seinem „Zweiten Diskurs“ die Idee formuliert, dass – neben dem Streben nach Selbsterhaltung und der Fähigkeit zum Mitleid – das Begehren nach Ansehen in den Augen Anderer (l’amour propre) ein drittes Element unseres Motivationssystems darstellt, dessen Eigenart für ihn darin besteht, uns ständig zur Suche nach sozialer A. anzutreiben; und der junge J. G. Fichte, darum bemüht, die Bedingungen der Möglichkeit eines personalen Selbstbewusstseins zu erkunden, war in seiner Schrift zum „Naturrecht“ zu der Einsicht gelangt, dass wir ein Bewusstsein unseres eigenen Vermögens zur Freiheit nur durch die „Aufforderung“ eines zweiten Subjekts erwerben können, uns entweder bejahend oder verneinend auf den Gehalt von seinen Äußerungen zu beziehen. Wie es G. W. F. Hegel gelingen konnte, aus diesen beiden theoretischen Quellen ein geschlossenes Ganzes zu bilden, ist bis heute nicht vollständig geklärt; bes. Schwierigkeiten muss dabei ja der Umstand bereiten, dass die beiden Annahmen einerseits einer Gefährdung der menschlichen Freiheit durch die Abhängigkeit von sozialer A., die J.-J. Rousseau formuliert hatte, und andererseits der Gewinnung von Freiheit mittels der anerkennenden Aufforderung, von der J. G. Fichte ausgegangen war, nur schwer miteinander vereinbar waren. Zwar schlägt G. W. F. Hegel sich eindeutig auf die Seite J. G. Fichtes, indem er darangeht, dessen Einsicht in den internen Zusammenhang von Freiheit und A. zu erweitern und um gesellschaftstheoretische Bestandteile zu ergänzen, gleichzeitig versucht er aber auch, Elemente von J.-J. Rousseaus Skepsis in seine Theorie hinüberzuretten.
Von J. G. Fichte übernimmt G. W. F. Hegel den Grundsatz, dass die A. ein wechselseitiges Verhältnis bildet, in dem die beiden beteiligten Subjekte (Subjekt) sich in ihrem Handeln (Handeln, Handlung) in einer Weise beschränken, die dem Wert oder dem Status des jeweils Anderen moralisch Ausdruck verleiht. Hatte J. G. Fichte allerdings gemäß seiner Interessen dieses Verhältnis einer praktischen Wechselseitigkeit nur am Fall von Rechtsbeziehungen erläutert, so veranschaulicht sich G. W. F. Hegel dieselbe intersubjektive Struktur zunächst vornehmlich am Beispiel der Liebe: Eine Person zu lieben heißt für ihn dementsprechend, deren Wünsche und Interessen deswegen als Gründe für eine Beschränkung des eigenen Handelns gelten zu lassen, weil sie als etwas zu Beförderndes erfahren werden. Wenn wir uns eine solche Form der moralischen Selbstbeschränkung zugunsten eines Anderen nun als ein wechselseitiges Geschehen denken, ist zwar schon zu verstehen, warum G. W. F. Hegel darin eine nahezu alltägliche Gestalt der Realisierung eines moralischen „Sollens“ erblickte und insofern Immanuel Kant damit auf die Füße zu stellen hoffte; aber es bleibt noch ungeklärt, warum er darin im Gegensatz zu J.-J. Rousseau zusätzlich eine bes. Art von Freiheit zu erkennen können glaubte. Den Schlüssel dazu liefert erst seine berühmte Formulierung, nach der es sich bei all diesen Formen einer wechselseitigen A., sei es im Recht oder in der Liebe, um Weisen eines „Bei-sich-selbst-Seins im Anderen“ handeln sollte: Wenn der Wert, den die eine Person der anderen in der A. einräumt, nämlich zugleich ein wichtiger Teil ihres eigenen Selbstverständnisses bildete, dann darf sie die anerkennende Reaktion jenes Anderen als eine öffentliche Bekräftigung ihres Selbstseins begreifen, welches damit in der sozialen Welt eine zwanglose Heimstätte findet. Insofern macht für G. W. F. Hegel der Einzelne in der wechselseitigen A. zwar seinen Willen vom Willen anderer Subjekte abhängig, er kann diese Entäußerung aber als eine Bereicherung seiner individuellen Freiheit erleben, solange jener fremde Wille eine Ergänzung oder einen Widerpart seiner eigenen Wünsche und Absichten darstellt.
Im ständigen Ringen mit J.-J. Rousseau und J. G. Fichte ist G. W. F. Hegel schon in seinem Frühwerk zu all diesen grundlegenden Überzeugungen gelangt. Zu einer Weiterentwicklung der darin angelegten Einsichten kommt es erst, als er sich mit der Absicht der Systembildung an den Entwurf einer „Philosophie des objektiven Geistes“ macht, in der die institutionelle Verwirklichung des Geistes auf der Stufe des sozialen Zusammenlebens dargelegt werden soll. In Folge der dadurch erforderlichen Neuerungen sieht G. W. F. Hegel sich gezwungen, der freiheitsverbürgenden Rolle der A. eine weitaus stärkere Wendung ins Gesellschaftstheoretische zu geben, als ihm das bislang vor Augen gestanden hatte. Zwei Schritte sind es v. a., die G. W. F. Hegel zu dieser Erweiterung des Prinzips der A. gelangen lassen: Zum einen geht er nun im Zuge seiner Systembildung zunehmend davon aus, dass der Wert, den das anerkennende Subjekt in seinem Gegenüber verkörpert sieht, weniger eine bloß individuelle Vorliebe als vielmehr die gesellschaftliche Präferenzordnung zum Ausdruck bringt, in der jene sich wechselseitig anerkennenden Subjekte großgeworden sind; es ist der „objektive Geist“, das zur „Zweiten Natur“ gewordene Institutionengefüge (Institution) einer bestimmten Zeit, so ließe sich auch sagen, wodurch für G. W. F. Hegel jetzt entschieden wird, welche Wünsche und Interessen die Einzelnen besitzen und welche Eigenschaften am Anderen sie daher wertzuschätzen lernen. Im Zuge dieser Einsicht in die institutionelle Vermittlung aller A.s-Prozesse wächst bei G. W. F. Hegel zweitens aber auch die Erkenntnis, dass solche Akte der wechselseitigen A. immer dann den Zündstoff zu sozialen Konflikten liefern können, wenn den beteiligten Subjekten aufgrund der gesellschaftlichen Wertordnung normativ unterschiedlich gewichtete Eigenschaften zugewiesen werden; dann nämlich kann es aus seiner Sicht zu Kämpfen unter den Gesellschaftsmitgliedern darüber kommen, welche ihrer Befähigungen tatsächlich als wertvoll und damit als Gründe für die in der A. vollzogenen Beschränkung des eigenen Handelns gelten sollen. In dem berühmten Kapitel über „Herrschaft und Knechtschaft“ aus der 1806 abgeschlossenen „Phänomenologie des Geistes“ hat G. W. F. Hegel dieser konflikttheoretischen Seite seiner Theorie zum ersten Mal systematisch Ausdruck verliehen; demzufolge können der Herr und der Knecht deswegen nicht zu einer reziproken Bekräftigung ihres jeweiligen Selbstseins gelangen, weil die gesellschaftlichen Normen, in deren Horizont sie agieren, ein solches symmetrisches Sich-Wiederfinden in den gesellschaftlich typisierten Eigenschaften des jeweils Anderen nicht zulassen.
Auch in der gesellschaftstheoretischen Fassung, die G. W. F. Hegel seiner A.s-Lehre mit diesen beiden Neuerungen gegeben hat, finden allerdings die skeptischen Bedenken noch keinen rechten Platz, die J.-J. Rousseau gegenüber der freiheitsermöglichenden Rolle der A. vorgebracht hatte. Zu einer solchen letzten Abrundung seiner Theorie gelangt G. W. F. Hegel erst in seinen Vorlesungen zur „Rechtsphilosophie“, die er seit 1816 regelmäßig abhielt; darin legt er dar, inwiefern in den „modernen“ Gesellschaften (Gesellschaft) des Zeitalters nach der Französischen Revolution die A.s-Kämpfe vergangener Epochen dadurch erfolgreich überwunden werden konnten, dass jetzt in den Sphären des Rechts, der Familie, der Marktgesellschaft (Markt) und schließlich des Staates institutionelle Bedingungen herrschen sollen, unter denen sich die Gesellschaftsmitglieder jeweils symmetrische oder gleiche A. für ihre sich ergänzenden Eigenschaften schulden. Zwar nur gelegentlich, dafür aber deutlich hervorgehoben, taucht in dieser eher harmonisierenden Darstellung der neuen, nach-revolutionären A.s-Ordnung ein Gedanke auf, der erkennbar Spuren der von J.-J. Rousseau mobilisierten Skepsis trägt; an diesen Stellen scheint G. W. F. Hegel sagen zu wollen, dass diejenigen, die in das Netzwerk der symmetrischen A.s-Formen nicht einbezogen sind oder darin noch kein Zuhause haben finden können, seltsam anmutende, idiosynkratische Strategien entwickeln müssen, um ihr Bedürfnis nach öffentlicher Bekräftigung ihres Selbstseins doch noch zu befriedigen – als ein Beispiel für viele mag hier der „Gewerbetreibende“ stehen, der mangels Mitgliedschaft in einer seine „Standesehre“ sichernden Korporation alles daran legen muss, „seine Anerkennung durch die äußerlichen Darlegungen seines Erfolgs“ (Hegel 1970b: § 253), also durch ostentativen Konsum, zu erlangen. Von dieser Einsicht J.-J. Rousseaus, der zufolge das individuelle Bedürfnis nach sozialer A. immer dann pathologische und damit freiheitseinschränkende Verhaltensweisen hervortreiben muss, wenn es nicht in gesellschaftlich geregelten Formen einer Wechselseitigkeit der Wertschätzung befriedigt werden kann, wird G. W. F. Hegel zeitlebens nicht mehr lassen.
Die Theorie der A., die uns G. W. F. Hegel hinterlassen hat, besteht daher aus weitaus mehr Elementen, als gemeinhin angenommen wird. Sie enthält über die Einsicht hinaus, dass die wechselseitige A. als Bedingung und Vollzugsform von Freiheit im gesellschaftlichen Zusammenleben zu gelten hat, in rudimentärer Weise auch eine neue Auffassung der moralischen Triebkräfte sozialer Konflikte sowie eine weitreichende Erklärung der Ursachen von Verhaltensmustern, die wir heute als „soziale Pathologien“ bezeichnen würden; und erst alle drei theoretischen Bestandteile zusammen, die jeweils die konstitutive, die konfliktuelle und die pathologische Seite von Prozessen der gesellschaftlichen A. beleuchten, bilden als Einheit die Substanz der Hegelschen A.s-Lehre.
Literatur
I. Hont: Politics in Commercial Society, 2015 • L. Siep: Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie, 2014 • F. Neuhouser: Pathologien der Selbstliebe. Freiheit und Anerkennung bei Rousseau, 2012 • J.-J. Rousseau: Diskurs über die Ungleichheit, 2008 • A. Honneth: Kampf um Anerkennung, 1992 • J. G. Fichte: Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre, 1971 • G. W. F. Hegel: Phänomenologie des Geistes, 1970a • G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1970b • G. W. F. Hegel: Jenaer Realphilosophie, 1969.
Empfohlene Zitierweise
A. Honneth: Anerkennung, II. Philosophisch, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Anerkennung (abgerufen: 21.11.2024)
III. Sozialethisch
Abschnitt druckenIn der Sozialethik bezieht sich A. auf soziale, kulturelle, rechtliche und moralische Formen der Akzeptanz von Individuen oder Personengruppen. Geschichtlich hat der Begriff seinen Ursprung in der Antike, aber erst im Idealismus wird der Begriff systematisch Grund gelegt. Im späten 20. Jh. wird er zu einem zentralen Begriff der Philosophie und für die (christliche) Sozialethik.
1. Sozialphilosophische Grundlegung
Die sozialethische Rezeption des A.s-Begriffs fußt erstens auf den philosophischen A.s-Theorien des Deutschen Idealismus. Johann Gottlieb Fichtes Überlegungen zum Naturrecht sind hierfür der Ausgangspunkt. Das erkennende Subjekt kann seine Identität nur erfassen, wenn es gleichzeitig die praktischen Dimensionen dieses Prozesses in Betracht zieht. Erst wenn es im sozialen oder rechtlichen Bereich A. erfährt, so J. G. Fichte, ist eine Identität des Selbstbewusstseins möglich.
In der „Phänomenologie des Geistes“ greift Georg Wilhelm Friedrich Hegel diesen Gedanken auf. Das Ich steht immer schon in einem dialektischen Verhältnis zum Anderen. Das Selbstbewusstsein vollzieht eine Bewegung zwischem dem Für-sich-sein und dem Für-andere sein (Herr-Knecht-Beziehung), aber erst dem reflektierenden Geist ist es möglich, diese Spannung aufzulösen, indem er erkennt, dass die Einheit des Selbstbewusstseins im Begriff liegt. A.s-Verhältnisse sind Voraussetzung jedes einzelnen Selbstbewusstseins und damit auch jeglicher Vergesellschaftung.
In der Rechtsphilosophie G. W. F. Hegels zeigt sich die Konsequenz dieser Theorie. Er setzt sich hier kritisch von Immanuel Kant ab, weil dieser die soziale Realität zu wenig beachtet und damit zu einem rein formalistischen Moralitätsbegriff gelangt. Mit der Unterscheidung von Moralität und Sittlichkeit betont G. W. F. Hegel, dass das Individuum nicht als von der Gemeinschaft losgelöst gedacht werden kann. Der Bereich der Sittlichkeit ist die soziale Form der A.s-Verhältnisse, die jeder Vergesellschaftung vorausgehen und Freiheit erst ermöglichen.
Zweitens spielen in der Sozialethik die Überlegungen von Jürgen Habermas und Axel Honneth eine wichtige Rolle, die den Begriff der A. wieder in das Zentrum der philosophischen Debatte gestellt haben. J. Habermas argumentiert, dass dem diskursethischen Grundsatz (Diskursethik) immer schon die Annahme einer A. des Anderen im Sinne eines Rechtes auf Rechtfertigung vorausliegt. Explizit in die Tradition G. W. F. Hegels eingeordnet, findet sich dieser Gedanke bei A. Honneth. A. ist für ihn der Ausgangspunkt von Ethik überhaupt, insofern die Kämpfe um A. als Grundgrammatik moderner Gesellschaft zu verstehen sind. Er unterscheidet drei Felder der A.: Liebe, Respekt (in Form von Rechtsverhältnissen) und Wertschätzung (als A. von Differenzen). A. Honneth argumentiert gegen eine Grenzziehung zwischen Sein und Sollen und für eine Verknüpfung der Ethik mit einer Analyse der verwirklichten sozialen und normativen Praktiken. Ebenfalls an G. W. F. Hegel angelehnt, jedoch anders akzentuiert, fragt Ludwig Siep nach den (institutionellen) Bedingungen (Institution), die moderne Gesellschaften erfüllen müssen, um gelungene A.s-Verhältnisse realisieren zu können.
Von G. W. F. Hegel ausgehend, beschäftigt sich auch Charles Taylor im Kontext der Debatte um Multikulturalismus mit A. Nach C. Taylor besteht eine Spannung zwischen der universalen Gleichheit der Menschen und ihrer kulturellen Identität; beide geraten in einer multikulturellen Welt in Konflikt. Moderne Gesellschaften sind deshalb herausgefordert, Institutionen zu schaffen, um diese Konflikte in einem transparenten und respektvollen Prozess abzuwägen.
2. Anerkennung in der (christlichen) Sozialethik
Die Diskursethik spielt in der christlichen Sozialethik seit den 1980er Jahren eine zentrale Rolle, wodurch A. zu einem zentralen Thema wird. So untersucht Axel Bohmeyer Transfermöglichkeiten der A.s-Theorie in den sozialethischen Diskurs.
Aus Sicht der katholischen Soziallehre ist A. eng mit deren Grundprinzipien verbunden. Die Prinzipien der Personalität und des Gemeinwohls implizieren einen Fokus auf die A.s-Verhältnisse des Menschen, die anthroplogisch und gesellschaftstheoretisch betrachtet jedweder Vergemeinschaftung vorausgehen. Menschen sind immer schon auf den gegenseitigen Respekt ihrer Personalität hin ausgerichtet und damit Teil komplexer A.s-Verhältnisse.
In unterschiedlichen gesellschaftlichen Themenfeldern wird seit den 1990er Jahren dieses Nachdenken über A. sozialethisch ausbuchstabiert. Beispielhaft hierfür stehen die Themen Bildung und Multikulturalität (Multikulturalismus): Bildungsprozesse basieren auf der A. der Personalität des Individuums, dem in freiheitlichen und kreativen Bezügen neue Perspektiven auf Wirklichkeit vermittelt werden. A. des Einzelnen und A. als Grundelement von Gemeinschaft werden so zu Kernelementen von Bildungsprozessen. Problemlagen moderner Gesellschaften wie Ökonomisierung oder Entfremdung stehen diesem Anspruch an Bildungsprozesse aus einer sozialethischen A.s-Theorie entgegen.
In der Debatte über postsäkulare Gesellschaft und Multikulturalität spielt A. als Respekt vor religiösen Überzeugungen und Praktiken in säkularen Kontexten eine wichtige Rolle. Aus sozialethischer Perspektive sind religiöse Weltanschauungen (Weltanschauung) wichtige Aspekte kultureller Pluralität, die konstruktive Beiträge zur Diskussion sozialer oder politischer Problemlagen geben können. Hier geht es v. a. um die A. der Eigenlogik religiöser Praktiken als Elemente säkular-liberaler Demokratien.
3. Kritik
Die Auseinandersetzung über A. impliziert viele positive Impulse für die Sozialethik. Mit dem Rekurs auf G. W. F. Hegel können soziale Voraussetzungen einer formalen Ethik und „dicke“ Konzeptionen des guten Lebens als Teil von Vergemeinschaftung reflexiv eingeholt werden. Dabei können auch identitätstheoretische Fragen im Kontext pluraler Gesellschaften (Pluralismus) angemessen thematisiert werden.
Von unterschiedlicher Seite lässt sich jedoch Kritik an A.s-Theorien formulieren. Erstens ist zu diskutieren, ob der Fokus auf A. zu Problemen hinsichtlich der Begründungsfähigkeit von Normen (Norm) führt. Wenn die A.s-Verhältnisse als Voraussetzung von Vergemeinschaftung betont werden, muss gefragt werden, nach welchen normativen Kriterien die jeweiligen A.s-Verhältnisse bewertet werden sollen. Ähnliches gilt für eine normative Begründung der Abwägungen in multikulturellen Gesellschaften ausgehend von C. Taylor.
Zweitens lässt sich mit Rekurs auf Karl Marx oder Michel Foucault einwenden, dass der Fokus auf A. zu wenig Machtassymmetrien beachtet, seien sie durch kapitalistische Strukturen (Kapitalismus) oder Diskursmechanismen bedingt. Damit droht das kritische Potenzial sozialethischen Denkens verloren zu gehen. In diese Richtung argumentiert auch Nancy Fraser, wenn sie kritisiert, dass Sozialethik zu stark identitätstheoretische Fragen im Kontext von A.s-Theorien thematisiert und zu wenig soziale und ökonomische Umverteilung in den Blick nimmt.
Trotz dieser Einwände ist der Rekurs auf die Hegelsche Tradition der A.s-Theorie ein wichtiger Beitrag für sozialethische Debatten – gerade mit ihrem Blick auf gesellschaftliche Tiefenstrukturen. Angesichts multikultureller Konstellationen kann dies helfen zu verstehen, was genau die ethischen Probleme in einer komplexer werdenden Welt sind.
Literatur
M. Reder: Religion in säkularer Gesellschaft, 22014 • A. Bohmeyer: Jenseits der Diskursethik, 2006 • N. Frazer/A. Honneth: Umverteilung oder Anerkennung, 2003 • E. Arens: Anerkennung der Anderen, 1995 • A. Honneth: Kampf um Anerkennung, 1992 • H. Peukert u. a. (Hg.): Pädagogik und Ethik, 1992 • C. Taylor: Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung, 1992 • L. Siep: Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie, 1979 • G. W. F. Hegel: Phänomenologie des Geistes, 1970 • G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1970.
Empfohlene Zitierweise
M. Reder: Anerkennung, III. Sozialethisch, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Anerkennung (abgerufen: 21.11.2024)