NGO (Non Governmental Organization): Unterschied zwischen den Versionen

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A. Brunnengräber: NGO (Non Governmental Organization), Version 11.11.2020, 09:00 Uhr, in: Staatslexikon<sup>8</sup> online, URL: {{fullurl:NGO (Non Governmental Organization)}} (abgerufen: {{CURRENTDAY2}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})
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A. Brunnengräber: NGO (Non Governmental Organization), Version 14.08.2021, 13:00 Uhr, in: Staatslexikon<sup>8</sup> online, URL: {{fullurl:NGO (Non Governmental Organization)}} (abgerufen: {{CURRENTDAY2}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})
 
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Version vom 15. August 2021, 11:51 Uhr

1. Shooting star internationaler Politik

NGOs – Nicht-Regierungs-Organisationen – sind nicht neu in der internationalen Politik. Schon im 19. Jh. gibt es sie: 1823 wird die Foreign Anti-Slavery Society, 1874 der Weltpostverein und 1863 – als die älteste, heute noch bestehende humanitäre Organisation der Welt – das Rote Kreuz gegründet. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhalten NGOs einen rechtlichen Status innerhalb der UNO. Als „shooting star“ globaler Politik erscheinen sie bei den Weltkonferenzen der UNO in den 1990er Jahren. Ihre massive Präsenz bei diesen Konferenzen zur globalen Umwelt-, Menschenrechts- oder Sozialpolitik hat zu ausführlichen sozialwissenschaftlichen Debatten über die „NGOisierung der Weltpolitik“ angeregt. Ihr Engagement gegen Menschenrechtsverletzungen, Umweltzerstörungen und für eine lebenswertere Welt wird von Regierungen, internationalen Organisationen und in der Bevölkerung größtenteils positiv aufgenommen. Als Korrektiv gegen negative Auswirkungen neoliberaler Politik (Neoliberalismus) und als Kritiker des Freihandels wird ihnen auch von den Medien hohe Aufmerksamkeit geschenkt. Ihr Wachstum ist beachtlich: Die Anzahl von NGOs mit konsultativem Status im ECOSOC ist von 40 im Jahr 1948 kontinuierlich auf über 4 000 im Jahr 2014 angestiegen. Das Kürzel NGOs gehört in Öffentlichkeit, Wissenschaft und Medien zum Arsenal politischer Alltagsbegriffe.

2. Günstige Gelegenheitsfenster

Dass NGOs in den 1990er Jahren größere politische Bedeutung erfahren, hat wesentlich mit zwei Entwicklungen zu tun: dem Ende des Ost-West-Konfliktes, das neue Bewegungsspielräume für zivilgesellschaftliches Handeln eröffnete, sowie den neuen Computertechnologien, die Kommunikation in Echtzeit rund um den Globus ermöglichen. NGOs und v. a. ihre Netzwerke agieren grenzüberschreitend und sind Ausdruck der Globalisierung, in der die Verflechtungen zwischen gesellschaftlichen Akteuren immens zunehmen. NGOs weisen auf die Mobilisierungsschwäche und Beschränktheit der Parteien u. a.r politischer Vereinigungen hin, die sich vorwiegend auf ihr nationales Territorium konzentrieren. Sie füllen das demokratische Vakuum im internationalen System aus, das über staatliches Handeln nicht ausgefüllt werden kann. Sie erschließen neue gesellschaftliche Handlungsarenen, verknüpfen diese miteinander und ermöglichen auf der Suche nach einer gerechten Weltordnung die grenzüberschreitende, transnationale und zivilgesellschaftliche Interessenartikulation.

Dabei richten die einen NGOs ihre Kampagnen und Proteste an den politischen Agenden und Versammlungen der internationalen Organisationen wie dem IWF, der Weltbank oder der WTO aus. Sie profitieren von der Akkreditierung bei internationalen Konferenzen, erhalten staatliche Fördermittel, stoßen auf ein gesteigertes Medieninteresse und erzielen erhebliche Spendeneinnahmen. Von staatlicher Seite wird v. a. die moderate Haltung dieser NGOs begrüßt, sofern sie der Logik der Kooperation folgen. NGOs sind schließlich eine bedeutsame Legitimationsressource wenn es darum geht, international gefasste Beschlüsse im Nationalstaat zu implementieren.

Andere NGOs organisieren Proteste, Widerstand und Demonstrationen; etwa vor den Toren der Tagungsstätten, in denen um internationale Verhandlungsergebnisse gerungen wird. Sie stellen die Legitimität der vorbereiteten Beschlüsse in Frage. NGOs werden trotz Akkreditierung oft daran gehindert, das Konferenzgebäude zu betreten, wenn ihr Protest nicht erwünscht ist. Diese NGOs lassen sich nicht immer klar von Neuen Sozialen Bewegungen unterscheiden oder verbünden sich mit ihnen. Beispiele hierfür sind die Occupy Wall Street-Bewegung, die am 17.9.2011 mit der Besetzung des Zuccotti-Parks in New York ins Blickfeld der Öffentlichkeit rückte, die Proteste gegen die Einweihung der EZB 2015 in Frankfurt am Main oder das globale Netzwerk Climate Justice Now!. Solche NGOs und ihre Netzwerke wenden sich gegen jedwede von ihnen empfundenen Formen staatlicher Unterdrückung, die Ungleichverteilung des Reichtums oder die Macht der Konzerne.

3. Definitorische Annäherung

Die wissenschaftliche Definition bleibt schwierig. Je nach Forschungsrichtung sind NGOs Bestandteil einer planetarischen Zivilgesellschaft, des Dritten Sektors oder integraler Bestandteil eines Staatsgebildes. Am einfachsten ist der Gebrauch des Begriffs innerhalb der UNO. Als NGO werden alle Organisationen bezeichnet, die nicht direkt den staatlichen Institutionen zuzuordnen sind: z. B. Umweltgruppen oder entwicklungspolitische Solidaritätsbewegungen, gewerkschaftliche Dachverbände oder die Industrielobby, Forschungsinstitute, Stiftungen, Kirchen oder Universitäten. In den Sozialwissenschaften ist das Kürzel jedoch vorwiegend reserviert für Organisationen mit einem Schwerpunkt auf sozialpolitischen Fragen wie in der Asyl-, Menschenrechts- oder Entwicklungspolitik sowie auf sozial-ökologischen Fragen wie den Klimawandel, den Verlust an biologischer Vielfalt oder der Zerstörung des tropischen Regenwaldes. Greenpeace, der World Wide Fund for Nature, Friends of the Earth, Ärzte ohne Grenzen, Human Rights Watch oder amnesty international sind sicherlich die bekanntesten unter den großen und globalen NGOs. Sie haben rund um den Erdball ihre Büros und stellen einen Organisationstyp mit globaler Artikulationsfähigkeit dar.

Sie entstehen nicht selten aus Neuen Sozialen Bewegungen, die etwa im Umweltbereich in den 1970er und 1980er Jahren so erfolgreich waren. Das entspr. den bekannten Bewegungszyklen: Nach der starken, außerparlamentarischen Protestphase folgt die Phase der Institutionalisierung, die über NGOs hinaus auch in die Parteiwerdung münden kann, wie das in der BRD mit Bündnis90/Die Grünen der Fall war. Mit der zunehmenden NGOisierung oder der Gründung einer Partei sind Anpassung an staatliche Strukturen und inhaltliche Restriktionen verbunden. Zwar bringen die neuen staatlichen Akteure neue Ideen, Politikansätze und Strategien in das staatliche System ein. Dagegen richtet sich allerdings alsbald wiederum der Protest Neuer Sozialer Bewegungen.

Im liberalen Sinne agieren NGOs im dritten Sektor zwischen Markt und Staat. Sie werden erforderlich, weil die klassischen gesellschaftlichen Organisationsinstanzen gerade im Zuge der Globalisierung nicht in der Lage sind, soziale wie ökologische Fehlleistungen von Markt und Staat zu korrigieren und das Demokratievakuum zu füllen. Auch in der politikwissenschaftlichen Analyse der Internationalen Beziehungen werden sie in diesem Sinne thematisiert. Nach anderer Lesart lassen sich NGOs als Bestandteil eines politischen Herrschafts- und Regulationskomplexes begreifen, der nach Antonio Gramsci als erweiterter Staat bezeichnet wird. NGOs sind demnach an der Transformation des Staates beteiligt.

4. Heterogenität im globalen Dorf

NGOs können auch entlang inhaltlicher wie strategischer Merkmale unterschieden werden: Vier Grundtypen treten auf, die sich nicht gegenseitig ausschließen: Die einen sind der Überzeugung, dass Umweltverbände, Kommunen, Wirtschaftsverbände oder auch Gewerkschaften zusammenarbeiten müssen, um sozialen oder ökologischen Problemen zu begegnen (Kooperationsansatz). Andere wollen durch Mobilisierung, Widerstand und Demonstrationen den Druck auf die Regierungen erhöhen, damit die Menschheitsinteressen ernst genommen werden (Protestansatz). Wiederum andere sehen keinen Sinn darin, mit denjenigen staatlichen Akteuren zu kooperieren oder an die Regierungen ihre Forderungen zu adressieren, die für menschliches Leid oder das ökologische Desaster vermeintlich die Verantwortung tragen. Sie setzen auf eigenständige Lebensentwürfe (Selbsthilfeansatz). Schließlich werden zunehmend via neuer Medien (Internet, Blogs, Twitter etc.) politische Auseinandersetzungen geführt, mit dem Ziel, alternative Denk- und Handlungsansätze in die Gesellschaft zu tragen (Diskursansatz).

Das zivilgesellschaftliche Feld der NGO ist jedoch weit heterogener als es ihre weltumspannenden Netzwerke vermuten lassen. Die westeuropäischen und nordamerikanischen NGOs haben meist größeren Einfluss als die NGOs im „Süden“ des Globus. Letztere spielen auf Grund geringerer Ressourcen nicht nur eine schwächere Rolle etwa während internationaler Konferenzen, sondern können es sich oftmals gar nicht leisten, daran teilzunehmen. Aber auch in den westlichen Industrieländern gibt es die kleineren Bürgerinitiativen, die neben den hierarchisch organisierten, finanziell gut ausgestatteten NGOs kaum Gehör finden. Es muss also bedacht werden, dass NGOs immer auch Fallstricke und Ausschlusskriterien aufweisen (lock in-Effekte und exclusion-mechanisms). In der Sache „mehr Menschenrechte“, „mehr Umweltschutz“, „mehr soziale Gerechtigkeit“ sind sich NGOs meist einig. Die Schwierigkeiten liegen im Detail.

5. Shrinking und closed spaces

Das günstige Gelegenheitsfenster, welches das Ende des Ost-West-Konfliktes öffnete, schließt sich teilweise wieder. Möglichkeiten der Einflussnahme und die Partizipation von NGOs an der nationalen wie internationalen Politik sind rechtlich nur schwach abgesichert, wie etwa in der Aarhus-Konvention. Die deutlichsten Veränderungen vollziehen sich auf nationalstaatlicher Ebene. Den Regierungen in Afrika, Asien, Lateinamerika oder im Nahen und Mittleren Osten sind insb. die ausländischen NGOs ein Dorn im Auge, die die einheimische Zivilgesellschaft stärken. Sie wollen Einmischung in die inneren Angelegenheiten durch die Registrierung als ‚ausländische Agenten‘, wie NGOs z. B. in Russland, Malaysia oder Israel bezeichnet werden, unterbinden und den Geldfluss, der ins Land kommt, kontrollieren. Zwar müssen sich NGOs schon immer in einem ungemütlichen Klima behaupten. Dieses wird aber mit den Krisenerscheinungen (Krieg in Syrien, Flüchtlinge, Finanzmarkt- und Handelskonflikte) in den 2010er Jahren erheblich rauer, so dass aus demokratischer Perspektive mit Besorgnis auf die eingeschränkten Handlungsspielräume („shrinking […] space[s]“ [Carothers/Brechenmacher 2014: 15]) und darauf, dass politische Arbeit oftmals gänzlich unmöglich wird („closing space[s]“ [Carothers/Brechenmacher 2014]) hinzuweisen ist.

Auch in China, Kambodscha, Indien oder der Türkei werden NGOs und Stiftungen gegängelt, kontrolliert, diffamiert oder bestimmte politische Aktivitäten gänzlich verboten. NGO-Aktivitäten werden in administrative, juristische oder auch informelle Schranken verwiesen. Bei Zuwiderhandeln drohen Geldstrafen, Zensur oder Haft. Auch werden ausländische NGOs aus dem Land verwiesen oder entscheiden selbst, auf Grund der nicht mehr vorhandenen Bewegungsspielräume das Land zu verlassen. Diese Entwicklung lässt sich nicht nur in autoritären und halbautoritären Systemen feststellen, sondern auch unter vermeintlich demokratischen Regierungen.

6. Globale Formen der Demokratie

In den grenzüberschreitenden Prozessen wie auch den nationalen Restriktionen zeigt sich, dass Demokratie nicht mehr wirksam ist, wenn der Radius ihrer Gestaltungsmacht geringer ist als der zu gestaltende Raum materieller und ideeller Lebenszusammenhänge. NGOs fordern und ermöglichen die zivilgesellschaftliche Partizipation an politischen Entscheidungen, die Rechenschaftspflicht der Entscheidungsträger und die Transparenz der Entscheidungsfindung; insb. auch in einem internationalen Kontext. Sie tragen also im Idealfall das Potential der demokratischen Organisationsformen in sich, bilden ein gesellschaftliches Korrektiv gegen Vermachtungsprozesse und fordern Regierungen heraus. Der Abbau von Ungerechtigkeiten, patriarchaler Herrschaft, Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen sind in ihrem Fokus. Sie bringen sich als Stimme des Souveräns in Erinnerung und machen deutlich, dass die Selbstregierung des Volkes über die engen Grenzen der Staatlichkeit hinausweist.