Kriminalität: Unterschied zwischen den Versionen

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Der Begriff „K.“ leitet sich vom lateinischen <I>crimen</I> (Beschuldigung bzw. Anklage) ab, was auf schuldhaftes Handeln und damit Vorwerfbarkeit verweist. Schon diese Wortbedeutung legt nahe, dass K. keine ontologische Realität, keine einfach zählbare Größe im Sinne im Alltag sich ereignender Akte ist, sondern Resultat von Zuschreibungs- und Bewertungsvorgängen. K. ist nicht einfach gegeben und geschieht nicht als solche, sondern sie wird in wertenden Vorgängen „hergestellt“. Bezugspunkt dessen ist dabei das {{ #staatslexikon_articlemissing: Strafrecht | Strafrecht }}.
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Der Begriff „K.“ leitet sich vom lateinischen <I>crimen</I> (Beschuldigung bzw. Anklage) ab, was auf schuldhaftes Handeln und damit Vorwerfbarkeit verweist. Schon diese Wortbedeutung legt nahe, dass K. keine ontologische Realität, keine einfach zählbare Größe im Sinne im Alltag sich ereignender Akte ist, sondern Resultat von Zuschreibungs- und Bewertungsvorgängen. K. ist nicht einfach gegeben und geschieht nicht als solche, sondern sie wird in wertenden Vorgängen „hergestellt“. Bezugspunkt dessen ist dabei das [[Strafrecht]].
 
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Als Sammelkategorie bezeichnet der Begriff „K.“ die Gesamtmenge der in dieser Weise bewerteten Akte, d.&nbsp;h. der insoweit vorliegenden Verstöße gegen strafrechtlich kodifizierte Verbote und Gebote. Maßgebliche Akteure der Bewertungsvorgänge sind neben dem Gesetzgeber v.&nbsp;a. die von entspr.en Handlungen betroffenen Personen sowie diesbezügliche Akte wahrnehmende andere Mitglieder der Bevölkerung. Für den größten Teil des K.s-Geschehens entscheidet deren Einschätzung darüber, inwieweit staatliche Instanzen überhaupt involviert werden. Daran anknüpfend sind weiter die [[Polizei]], die {{ #staatslexikon_articlemissing: Staatsanwaltschaften | Staatsanwaltschaft }}, und im Anschluss die [[Gerichtsbarkeit]] zu benennen, die ihrerseits jeweils Entscheidungen darüber fällen, wie Vorgänge einzuordnen sind.
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Als Sammelkategorie bezeichnet der Begriff „K.“ die Gesamtmenge der in dieser Weise bewerteten Akte, d.&nbsp;h. der insoweit vorliegenden Verstöße gegen strafrechtlich kodifizierte Verbote und Gebote. Maßgebliche Akteure der Bewertungsvorgänge sind neben dem Gesetzgeber v.&nbsp;a. die von entspr.en Handlungen betroffenen Personen sowie diesbezügliche Akte wahrnehmende andere Mitglieder der Bevölkerung. Für den größten Teil des K.s-Geschehens entscheidet deren Einschätzung darüber, inwieweit staatliche Instanzen überhaupt involviert werden. Daran anknüpfend sind weiter die [[Polizei]], die [[Staatsanwaltschaft|Staatsanwaltschaften]], und im Anschluss die [[Gerichtsbarkeit]] zu benennen, die ihrerseits jeweils Entscheidungen darüber fällen, wie Vorgänge einzuordnen sind.
 
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In diesem Prozess der Herstellung von K. zeigen sich eine Reihe von Unschärfen und Problemen, die für den Begriff der K. konstitutiv sind und dessen sowohl historisch als auch gesellschaftlich relativen Charakter als sozial konstruierte Größe betreffen. Strafrechtliche Ge- und Verbote stellen die stärkste Form des Rechtsgüterschutzes in unserer Gesellschaft dar. Sie reflektieren mithin auch die je aktuelle Sicht auf die Bedeutung der jeweiligen Rechtsgüter. Zu den unter {{ #staatslexikon_articlemissing: Strafe | Strafe }} gestellten Handlungen gehören zum einen solche, die seit jeher in allen zivilisierten Kulturen als verwerflich gelten, die sog.en <I>mala per se</I> (bspw. Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Diebstahl). Diese bilden den Kernbereich der K. und sind relativ zeitüberdauernd. Neben diesen finden sich die <I>mala quia prohibita</I>, die alleine deshalb als K. einzuordnen sind, weil sie unter Strafe stehen, ohne dass damit eine gravierende Sozialschädlichkeit oder ein Unwerturteil im Sinne eines allg.en sozialen Konsens verbunden sein muss. Insb. hier ist immer wieder Raum für Veränderung.
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In diesem Prozess der Herstellung von K. zeigen sich eine Reihe von Unschärfen und Problemen, die für den Begriff der K. konstitutiv sind und dessen sowohl historisch als auch gesellschaftlich relativen Charakter als sozial konstruierte Größe betreffen. Strafrechtliche Ge- und Verbote stellen die stärkste Form des Rechtsgüterschutzes in unserer Gesellschaft dar. Sie reflektieren mithin auch die je aktuelle Sicht auf die Bedeutung der jeweiligen Rechtsgüter. Zu den unter [[Strafe]] gestellten Handlungen gehören zum einen solche, die seit jeher in allen zivilisierten Kulturen als verwerflich gelten, die sog.en <I>mala per se</I> (bspw. Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Diebstahl). Diese bilden den Kernbereich der K. und sind relativ zeitüberdauernd. Neben diesen finden sich die <I>mala quia prohibita</I>, die alleine deshalb als K. einzuordnen sind, weil sie unter Strafe stehen, ohne dass damit eine gravierende Sozialschädlichkeit oder ein Unwerturteil im Sinne eines allg.en sozialen Konsens verbunden sein muss. Insb. hier ist immer wieder Raum für Veränderung.
 
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Strafrechtliche [[Norm|Normen]] können insoweit einem erheblichen zeitlichen Wandel unterliegen. So galt bspw. der Ehebruch bis zum Jahr 1969 als Straftat. Letzte Überreste einer Strafbarkeit wegen [[Homosexualität]] verschwanden erst 1994 aus dem {{ #staatslexikon_articlemissing: StGB | Strafgesetzbuch }}. Neben solchen Entkriminalisierungen heute als überholt geltender moralischer Standards finden sich umgekehrt auch Bereiche, in denen es aufgrund technischer und sozialer Entwicklungen zur Entstehung neuer strafrechtlicher Tatbestände kommt, entweder für Phänomene, die so früher noch nicht existierten (z.&nbsp;B. Computer- und Internet-K.) oder für Vorgänge, die als solche lange nicht problematisiert wurden (z.&nbsp;B. Umwelt-K., Stalking). Auch auf neu auftretende soziale und politische Konflikte wird seitens der Politik vielfach mit dem Bestreben reagiert, diese über strafrechtliche Normierung zu regulieren, was in den letzten 20 Jahren zu einer Vielzahl neuer Strafrechtsnormen geführt hat, die durchaus auch kritisch gesehen werden (aktuell z.&nbsp;B. im Sexualstrafrecht; {{ #staatslexikon_articlemissing: Sexualdelikte | Sexualdelikte }}).
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Strafrechtliche [[Norm|Normen]] können insoweit einem erheblichen zeitlichen Wandel unterliegen. So galt bspw. der Ehebruch bis zum Jahr 1969 als Straftat. Letzte Überreste einer Strafbarkeit wegen [[Homosexualität]] verschwanden erst 1994 aus dem [[Strafgesetzbuch|StGB]]. Neben solchen Entkriminalisierungen heute als überholt geltender moralischer Standards finden sich umgekehrt auch Bereiche, in denen es aufgrund technischer und sozialer Entwicklungen zur Entstehung neuer strafrechtlicher Tatbestände kommt, entweder für Phänomene, die so früher noch nicht existierten (z.&nbsp;B. Computer- und Internet-K.) oder für Vorgänge, die als solche lange nicht problematisiert wurden (z.&nbsp;B. Umwelt-K., Stalking). Auch auf neu auftretende soziale und politische Konflikte wird seitens der Politik vielfach mit dem Bestreben reagiert, diese über strafrechtliche Normierung zu regulieren, was in den letzten 20 Jahren zu einer Vielzahl neuer Strafrechtsnormen geführt hat, die durchaus auch kritisch gesehen werden (aktuell z.&nbsp;B. im Sexualstrafrecht; [[Sexualdelikte]]).
 
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Die Verbüßung einer Freiheitsstrafe ist, gemessen an der Zahl der registrierten Verdachtsfälle ein bes. seltenes Phänomen. Zum Stichtag am 31.3.2016 befanden sich laut Strafvollzugsstatistik 50&nbsp;318 Strafgefangene in Deutschland im [[Strafvollzug|<I>Strafvollzug</I>]]. Bezogen auf 100&nbsp;000 der Wohnbevölkerung lag die Gefangenenrate in Deutschland damit bei 75. Generell ist die Gefangenenrate in Deutschland damit – ähnlich wie die Zahl der begangenen Straftaten – seit 2000 ganz deutlich rückläufig. Deutschland steht mit dieser Gefangenenrate auch im internationalen Vergleich sehr positiv dar (USA: 655, Russland: 402, England und Wales: 140, Holland: 61, Finnland: 51).
 
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P. Wetzels: Kriminalität, Version 04.01.2021, 09:00 Uhr, in: Staatslexikon<sup>8</sup> online, URL: {{fullurl:Kriminalität}} (abgerufen: {{CURRENTDAY2}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})
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P. Wetzels: Kriminalität, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon<sup>8</sup> online, URL: {{fullurl:Kriminalität}} (abgerufen: {{CURRENTDAY2}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})
 
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Version vom 8. Juni 2022, 08:16 Uhr

1. Begriffsbestimmung

Der Begriff „K.“ leitet sich vom lateinischen crimen (Beschuldigung bzw. Anklage) ab, was auf schuldhaftes Handeln und damit Vorwerfbarkeit verweist. Schon diese Wortbedeutung legt nahe, dass K. keine ontologische Realität, keine einfach zählbare Größe im Sinne im Alltag sich ereignender Akte ist, sondern Resultat von Zuschreibungs- und Bewertungsvorgängen. K. ist nicht einfach gegeben und geschieht nicht als solche, sondern sie wird in wertenden Vorgängen „hergestellt“. Bezugspunkt dessen ist dabei das Strafrecht.

Als Sammelkategorie bezeichnet der Begriff „K.“ die Gesamtmenge der in dieser Weise bewerteten Akte, d. h. der insoweit vorliegenden Verstöße gegen strafrechtlich kodifizierte Verbote und Gebote. Maßgebliche Akteure der Bewertungsvorgänge sind neben dem Gesetzgeber v. a. die von entspr.en Handlungen betroffenen Personen sowie diesbezügliche Akte wahrnehmende andere Mitglieder der Bevölkerung. Für den größten Teil des K.s-Geschehens entscheidet deren Einschätzung darüber, inwieweit staatliche Instanzen überhaupt involviert werden. Daran anknüpfend sind weiter die Polizei, die Staatsanwaltschaften, und im Anschluss die Gerichtsbarkeit zu benennen, die ihrerseits jeweils Entscheidungen darüber fällen, wie Vorgänge einzuordnen sind.

In diesem Prozess der Herstellung von K. zeigen sich eine Reihe von Unschärfen und Problemen, die für den Begriff der K. konstitutiv sind und dessen sowohl historisch als auch gesellschaftlich relativen Charakter als sozial konstruierte Größe betreffen. Strafrechtliche Ge- und Verbote stellen die stärkste Form des Rechtsgüterschutzes in unserer Gesellschaft dar. Sie reflektieren mithin auch die je aktuelle Sicht auf die Bedeutung der jeweiligen Rechtsgüter. Zu den unter Strafe gestellten Handlungen gehören zum einen solche, die seit jeher in allen zivilisierten Kulturen als verwerflich gelten, die sog.en mala per se (bspw. Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Diebstahl). Diese bilden den Kernbereich der K. und sind relativ zeitüberdauernd. Neben diesen finden sich die mala quia prohibita, die alleine deshalb als K. einzuordnen sind, weil sie unter Strafe stehen, ohne dass damit eine gravierende Sozialschädlichkeit oder ein Unwerturteil im Sinne eines allg.en sozialen Konsens verbunden sein muss. Insb. hier ist immer wieder Raum für Veränderung.

Strafrechtliche Normen können insoweit einem erheblichen zeitlichen Wandel unterliegen. So galt bspw. der Ehebruch bis zum Jahr 1969 als Straftat. Letzte Überreste einer Strafbarkeit wegen Homosexualität verschwanden erst 1994 aus dem StGB. Neben solchen Entkriminalisierungen heute als überholt geltender moralischer Standards finden sich umgekehrt auch Bereiche, in denen es aufgrund technischer und sozialer Entwicklungen zur Entstehung neuer strafrechtlicher Tatbestände kommt, entweder für Phänomene, die so früher noch nicht existierten (z. B. Computer- und Internet-K.) oder für Vorgänge, die als solche lange nicht problematisiert wurden (z. B. Umwelt-K., Stalking). Auch auf neu auftretende soziale und politische Konflikte wird seitens der Politik vielfach mit dem Bestreben reagiert, diese über strafrechtliche Normierung zu regulieren, was in den letzten 20 Jahren zu einer Vielzahl neuer Strafrechtsnormen geführt hat, die durchaus auch kritisch gesehen werden (aktuell z. B. im Sexualstrafrecht; Sexualdelikte).

Im internationalen Vergleich sind kulturelle wie auch rechtliche Eigenarten relevant. Handlungen, die in einem Land strafbar sind, können in einem anderen Land als rechtlich erlaubt gelten, und umgekehrt. Sowohl strafrechtliche Tatbestände wie auch deren juristische Handhabungen können neben sozialen Wertungen insoweit international erheblich variieren, was vergleichende Betrachtungen kompliziert werden lässt.

In der Summe bleibt insoweit festzuhalten, dass es eine historisch invariante, von den Veränderlichkeiten zugrundeliegender Bewertungsprozesse losgelöste Bestimmung der K. nicht gibt. Auch die Orientierung am jeweils gültigen Strafrecht führt nicht dazu, dass hier in den Blick genommene soziale Phänomene in ihrem Umfang und ihren verschiedenen Formen vermeintlich objektiv beschrieben werden könnten, da Bewertungsprozesse mit Blick auf gleichartige Normen durch verschiedene Institutionen und in unterschiedlichen Kontexten durchaus unterschiedlich ausfallen können, wie aktuell z. B. regionale Divergenzen in der Strafzumessung deutlich zeigen. Insofern ist stets zu beachten, auf welcher Ebene von Institutionen und unter Bezug auf welche Wertungs- und Ordnungsbegriffe K. zum Gegenstand der Betrachtung gemacht wird.

2. Kriminalitätsformen und Kategorien

Für die Untersuchung der K. in einer Gesellschaft, deren Entwicklung, Veränderung wie auch deren Hintergründe, lassen sich unterschiedliche Formen von K. in Kategorien zusammenfassen und so verschiedene Varianten der Untergliederung des Gesamtgeschehens vornehmen, um den Phänomenbereich zu strukturieren. Bezugsgröße solcher Kategorisierungen können z. B. Personenmerkmale von Täter wie Opfer sein (Alter, Geschlecht, soziale Stellung). Zu nennen wäre hier Jugendkriminalität als am Alter der Täter anknüpfende Einordnung von Straftaten. Weitere Einteilungen beziehen sich auf geschützte Rechtsgüter (z. B. Sexual-K., Eigentums-K., Vermögensdelikte), Begehungsweisen (K. unter Verwendung des Internet) oder soziale Konstellationen entspr.er Geschehnisse (K. im Straßenverkehr, Amtsdelikte, Wirtschafts-K.). Z. T. handelt es sich um Kategorien, die K.s-Formen umfassen, bei denen spezielle Zuständigkeiten für die Strafverfolgung bestehen (Steuerstraftaten), welche auch mit bes.n Varianten der Registrierung verbunden sind.

Die politisch motivierte K. (PMK; früher extremistisch motivierte und fremdenfeindliche Straftaten) umfasst Straftaten, die den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen, die freiheitliche demokratische Grundordnung stören, den Bestand eines Landes bzw. des Bundes gefährden oder sich gegen eine Person aufgrund ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status richten. In dieser Kategorie finden sich damit Straftaten aus unterschiedlichen Bereichen. Neben Tötung oder Körperverletzung können hierzu unter bestimmen Voraussetzungen auch Brandstiftungen oder Landfriedensbruch u. a. gezählt werden, soweit die täterseitige politische Motivation eine solche Einordnung zulässt. Entspr. der Zielrichtung wird weiter nach PMK-links, PMK-rechts und PM-Ausländer-K. unterschieden.

Für den mit Blick auf finanzielle gesellschaftliche Schäden bes. relevanten Bereich der Wirtschafts-K. fehlt es demgegenüber an einer hinreichend präzisen Definition dieser Kategorie strafbarer Verhaltensformen. Die Strafverfolgungsbehörden orientieren sich insoweit an den Regelungen zur Zuständigkeit einer Wirtschaftsstrafkammer als Gericht (§ 74c GVG). Hier geht es um Delikte, die mit Anlagen, Finanzierungen, Insolvenzen oder Wettbewerb verknüpft sind, die aber auch schwere Fälle des Betruges einschließen.

Umwelt-K. wiederum betrifft Verstöße gegen Normen, die dem Schutz des Menschen und seiner natürlichen Lebensgrundlagen dienen. Sie sind teilweise explizit im StGB normiert (§§ 324–330d StGB), aber zu erheblichen Anteilen auch im sog.en Nebenstrafrecht.

Organisierte K. ist aktuell definiert als eine „von Gewinn- oder Machtstreben bestimmte, planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig a) unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen, b) unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder c) unter Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft zusammenwirken“ (RiStBV, Anlage E). Sie umfasst insofern eine Vielzahl möglicher strafbarer Handlungen und wird in erster Linie durch Motive, Tatmittel und strukturelle Merkmale der täterseitigen Kooperations- und Begehungsweise bestimmt.

Die Internet-K. (Cybercrime, Cyber K.) umfasst Straftaten, die sich gegen das Internet, Datennetze, informationstechnische Systeme oder deren Daten richten oder die mittels dieser Informationstechnik begangen werden. Die Erscheinungsformen dieser Art von K. sind dabei einem beständigen Wandel bzw. Erweiterung aufgrund technischer Entwicklungen unterworfen.

3. Umfang, Struktur und Entwicklung der polizeilich registrierten Kriminalität

Die wichtigste, weil tatnächste Quelle für Informationen über die Entwicklung der staatlicherseits als strafbar bewerteten Akte, das sog.e Hellfeld der offiziell registrierten K., ist die Polizeiliche Kriminalstatistik. In ihr werden Informationen zu Verdachtsfällen von Straftaten, einschließlich der Daten zu Tatverdächtigen und Opfern erfasst. Sie wird bundeseinheitlich seit 1953 geführt.

Im Jahr 2017 wurden darin bundesweit 5 761 984 Straftaten registriert (s. Tab. 1). 57,1 % davon wurden aufgeklärt, d. h. für diese Fälle war nach Abschluss der Ermittlungen mindestens eine Person als tatverdächtig namentlich benennbar. Die Aufklärungsquote (AQ) ist für verschiedene Delikte allerdings sehr unterschiedlich: Während Straftaten gegen das Leben zu 91,1 % aufgeklärt wurden, lagen Raubdelikte mit einer AQ von 55,1 % eher im Durchschnitt und Diebstahlsdelikte (AQ: 28,5 %) am unteren Rand, darunter der Wohnungseinbruchsdiebstahl mit einem stets sehr niedrigen Wert (AQ: 17,8 %).

Die größten Anteile der so insgesamt erfassten Verdachtsfälle auf K. machen Diebstahl (36,3 %), Betrug (15,8 %) und Sachbeschädigung (10,0 %) aus. Wohnungseinbruch als ein schweres Eigentumsdelikt ist allerdings eher selten (116 540 Fälle d. h. 2,0 % aller Straftaten).

Mit 3,3 % ist ein recht kleiner Anteil aller Straftaten der Gewalt-K. zuzurechnen. Den größten Anteil haben daran gefährliche/schwere Körperverletzungen. Vorsätzliche Tötungen sind mit 2 379 Fällen hingegen selten und betreffen zudem nur zu etwa einem Viertel tatsächlich vollendete Delikte.

Für eine Betrachtung der zeitlichen Veränderung des Umfangs der K. sind diese absoluten Zahlen allerdings wenig aussagekräftig, da sie Bevölkerungsveränderungen nicht berücksichtigen. Mit Zunahmen der Bevölkerungszahl, etwa im Zuge von Zuwanderung, sind auch bei gleichbleibender krimineller Neigung der Einzelnen in der Summe selbstverständlich Zuwächse zu erwarten, ohne dass dies eine Problemverschärfung im Sinne wachsender Normerosion anzeigen würde. Um dies zu berücksichtigen und auch, um zwischen verschiedenen Gruppen (etwa Jugendlichen und Erwachsenen) und Regionen Vergleiche zu ermöglichen, werden sog.e bevölkerungsrelativierte Belastungszahlen berechnet. Diese stellen die K.s-Belastung in Bezug auf 100 000 der Wohnbevölkerung dar. Im Fall der registrierten Straftaten ist dies die Häufigkeitszahl (HZ; Fälle je 100 000 Einwohner).

Eine Analyse der Entwicklung dieser Häufigkeitszahlen (Tab. 1) zeigt, dass sich die insgesamt registrierten Straftaten im Jahr 2017 auf dem niedrigsten Niveau seit dem Jahr 2000 befinden.

Für viele der hier dargestellten Deliktsgruppen zeigen sich solche Rückgänge, nach einem zwischenzeitlichen Anstieg im Jahr 2015. Dies gilt insb. für Diebstahl, Betrug und Sachbeschädigung, welche die größten Deliktsbereiche repräsentieren. Zuwächse – allerdings auf niedrigem Niveau – sind in den letzten zwei Jahren für die einfache Körperverletzung und Rauschgiftdelikte zu konstatieren. Die registrierte Gewalt-K. zeigte allerdings im Trend der davor liegenden 10 Jahre ebenfalls klare Rückgänge und erreicht auch 2017 das Niveau von 2005 oder 2010 nicht.

Internationale Vergleiche der registrierten K., die für die relative Bewertung der Situation in Deutschland aufschlussreich sein könnten, sind mit erheblichen Problemen verbunden. Insb. Unterschiede der rechtlichen Definitionen und der amtlichen Zählweisen bereiten erhebliche Schwierigkeiten. Für solche Vergleiche werden Daten über bes. klar definierte Straftaten, bspw. vollendete Tötungsdelikte, herangezogen, die vom UN Office on Drugs and Crime jährlich erhoben werden. Mit 682 vollendeten Tötungen im Jahr 2015 weist Deutschland eine Rate von 0,85 pro 100 000 der Wohnbevölkerung auf und befindet sich damit im europäischen Mittelfeld. Holland, die Schweiz und Österreich liegen niedriger, Finnland und Frankreich mit 1,6 jedoch höher. Insgesamt ist diese Rate in den europäischen Ländern im Weltmaßstab indessen sehr niedrig. In den USA beträgt sie 4,9, in Russland 11,3, in Kolumbien und Brasilien liegt sie bei über 26.

4. Polizeilich registrierte Tatverdächtige und Jugendkriminalität

Im Jahr 2017 wurden in Deutschland 2 112 715 Personen als Tatverdächtige polizeilich ermittelt. 75,1 % davon waren männlich. Der einzige Straftatbestand, bei dem weibliche Tatverdächtige überrepräsentiert sind ist die Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (69,1 % Frauen).

Eine Analyse der bevölkerungsrelativierten Tatverdächtigenzahlen zeigt für 2017 ferner, dass junge Menschen häufiger Straftaten begehen als ältere Personen. Je nach Delikte liegt der Schwerpunkt der K.s-Belastung vorwiegend bei den 14- bis unter 18-jährigen Jugendlichen (einfacher Diebstahl) oder bei der Gruppe der Heranwachsenden im Alterssegment zwischen 18 und 21 Jahre (Wohnungseinbruch, Betrugsdelikte, Rauschgiftdelikte).

2000 2005 2010 2015 2017
Straftaten insgesamt n 6.264.723 6.391.715 5.933.278 6.330.649 5.761.984
HZ 7.624,7 7.747,5 7.253,2 7.796,6 6.982,4
einfacher Diebstahl n 1.463.794 1.415.530 1.233.812 1.348.955 1.156.422
HZ 1.781,6 1.715,8 1.508,3 1.661,3 1.401,4
…Ladendiebstahl n 554.565 452.897 375.334 369.465 332.384
HZ 675,0 549,0 458,8 455,0 402,8
schwerer Diebstahl n 1.519.475 1.311.518 1.067.974 1.134.739 936.572
HZ 1.849,3 1.589,7 1.305,6 1.397,5 1.134,9
…Wohnungseinbruch n 140.015 109.736 121.347 167.136 116.540
HZ 170,4 133,0 148,3 205,8 141,2
Betrugsdelikte n 771.367 949.921 968.162 966.326 910.352
HZ 938,8 1.151,4 1.183,5 1.190,1 1.103,2
Sachbeschädigung n 671.368 718.405 700.801 577.017 577.010
HZ 817,1 870,8 856,7 710,6 699,2
einfache Körperverletzung n 261.894 347.207 372.950 375.541 394.610
HZ 318,7 420,9 455,9 462,5 478,2
Rauschgiftdelikte n 244.336 276.740 231.007 282.604 330.580
HZ 297,4 335,4 282,4 348,0 400,6
Gewaltkriminalität n 187.103 212.832 201.243 181.386 188.946
HZ 227,7 258,0 246,0 223,4 229,0
…vorsätzliche Tötung n 2.770 2.396 2.218 2.116 2.379
HZ 3,4 2,9 2,7 2,6 2,9
…Raub n 59.414 54.841 48.166 44.666 38.849
HZ 72,3 66,5 58,9 55,0 47,1
…gefährliche/schwere Körperverletzung n 116.912 147.122 142.903 127.395 137.058
HZ 142,3 178,3 174,7 156,9 166,1

Tab. 1: Polizeilich registrierte Straftaten in Deutschland (Anzahl und HZ) 2000 bis 2017

unter 14 Jahre 14 - unter 18 Jahre 18 - unter 21 Jahre 21 - unter 60 Jahre ab 60 Jahre
Straftaten insgesamt 727,6 5.991,5 7.380,8 3.436,9 672,1
einfacher Diebstahl 262,5 1.671,8 1.130,4 491,8 148,7
…Ladendiebstahl 218,3 1.193,4 657,4 305,3 117,1
schwerer Diebstahl 30,4 414,7 381,4 140,5 7,8
…Wohnungseinbruch 2,2 48,2 64,9 25,1 1,6
Betrugsdelikte 18,1 733,5 1.526,3 762,1 85,7
Sachbeschädigung 106,1 683,6 560,4 173,3 31,9
einfache Körperverletzung 96,1 815,5 1.047,0 567,9 79,9
Rauschgiftdelikte 14,5 1.074,7 1.780,1 410,8 5,9
Gewaltkriminalität 69,0 728,4 890,4 270,4 29,1
…vorsätzliche Tötung 0,1 5,9 10,2 4,7 0,8
…Raub 7,3 160,0 162,1 37,8 1,6
…gefährliche/schwere Körperverletzung 62,3 579,8 715,3 220,4 25,3

Tab. 2: Polizeilich registrierte Tatverdächtige in Deutschland nach Altersgruppen
(TVBZ), Bundesrepublik Deutschland 2017

Dieser Befund einer erhöhten Tatverdächtigenbelastung junger Menschen im Alter zwischen 14 bis 21 Jahren ist ein auch international seit Jahrzehnten bekanntes Phänomen. Im Hinblick auf die Bewertung der aktuellen Situation ist insoweit die Frage der zeitlichen Veränderungen relevanter. Hier zeigen sich für viele Deliktsbereiche seit dem Jahr 2000 ganz deutliche Rückgänge (Abb. 1). Die K.s-Belastung dieser Altersgruppe hat sich beim einfachen Diebstahl (–47,2 %) und beim schweren Diebstahl (–57,0 %) halbiert. Auch Raubdelikte (–46,3 %) und Körperverletzungen (–16,9 %) sind rückläufig. In den letzten beiden Jahren kam es zwar zu leichten Anstiegen, das Niveau von 2007 wurde aber bei weitem nicht wieder erreicht.

Abb 1: Entwicklung der polizeilich registrierten Tatverdächtigen bei 14- bis unter 21-Jährigen (TVBZ 2000–2017)

Abb. 1: Entwicklung der polizeilich registrierten Tatverdächtigen bei 14- bis unter 21-Jährigen (TVBZ 2000–2017)

5. Der Ausfilterungsprozess auf den Ebenen von Staatsanwaltschaften, Gerichten und Strafvollzug

Die polizeilichen Daten repräsentieren die Bewertung auf der ersten Stufe staatlicher Befassung mit Normabweichung und K. Eine weitergehende Betrachtung der zeitlich nachgeordneten Daten der Staatsanwaltschaften und Gerichte verdeutlicht die Bedeutung des sich daran anschließenden Ausfilterungsprozesses im Zuge von Neu- und Umbewertungen durch diese Institutionen der formellen Sozialkontrolle.

Im Jahr 2016 wurden, anknüpfend an die polizeilichen Verdachtschöpfungen, bei den Staatsanwaltschaften gegen 5 922 002 Personen Ermittlungen geführt. Bei etwa einem Drittel dieser Personen wurde das Verfahren eingestellt, weil sich der Tatverdacht nicht bestätigte. Ein weiteres Drittel der Verfahren wurde wegen Geringfügigkeit des Tatvorwurfs eingestellt. Gegen 1 053 177, also in weniger als einem Fünftel der registrierten Verdachtsfälle, wurde im Jahr 2016 durch die Staatanwaltschaften Anklage erhoben oder Antrag auf Erlass eines Strafbefehls gestellt.

Die Strafverfolgungsstatistik gibt Auskunft darüber, wie sich die Bewertungsprozesse auf gerichtlicher Ebene darstellen. Von 900 615 Personen, die im Jahr 2016 vor Gericht standen, wurde bei etwa 15 % das Verfahren auf gerichtlicher Ebene eingestellt und weitere 3 % wurden vom Tatvorwurf freigesprochen. 737 873 Personen wurden verurteilt. Von diesen wurden 77 % zu einer Geldstrafe und knapp 15 % (107 829) zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Bei zwei Drittel der zu Freiheitsstrafe Verurteilten wurde die Strafe zur Bewährung ausgesetzt.

Die Verbüßung einer Freiheitsstrafe ist, gemessen an der Zahl der registrierten Verdachtsfälle ein bes. seltenes Phänomen. Zum Stichtag am 31.3.2016 befanden sich laut Strafvollzugsstatistik 50 318 Strafgefangene in Deutschland im Strafvollzug. Bezogen auf 100 000 der Wohnbevölkerung lag die Gefangenenrate in Deutschland damit bei 75. Generell ist die Gefangenenrate in Deutschland damit – ähnlich wie die Zahl der begangenen Straftaten – seit 2000 ganz deutlich rückläufig. Deutschland steht mit dieser Gefangenenrate auch im internationalen Vergleich sehr positiv dar (USA: 655, Russland: 402, England und Wales: 140, Holland: 61, Finnland: 51).