Betriebswirtschaftslehre: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 15. August 2021, 11:41 Uhr
1. Kennzeichnung der Betriebswirtschaftslehre
Gegenstand der BWL ist das Wirtschaften in Betrieben (Betrieb). Als Betriebe gelten soziale Einheiten mit einer Bedarfsdeckungsaufgabe, mit selbstständigen Entscheidungen (Entscheidung) und eigenen Risiken (Risiko). Das Wirtschaften betont die Bedeutung zielorientierter Entscheidungen über knappe Güter als Paradigma zur Lösung betrieblicher Probleme.
Zwei Aspekte dieser Definition sollen herausgegriffen werden: Zum einen werden Betriebe als soziale Einheit durch die beteiligten Menschen und ihre Ziele, Fähigkeiten und Gewohnheiten geprägt. Zum anderen bewegen Betriebe sich in einem Umfeld, das durch gesellschaftlich-politischen Wandel, Innovationen (Innovation) und Konkurrenz geprägt ist. Betriebe und die Menschen in ihnen reagieren unterschiedlich auf dieses Umfeld, aber sie beeinflussen es auch gezielt und heben sich dabei bewusst – durch Produkt- und Prozessinnovationen – von anderen Betrieben ab.
Diese Unterschiede spiegeln sich in vielfältigen und dynamischen Betriebsformen und Unternehmenskulturen (Unternehmenskultur), sie haben aber auch Konsequenzen für die Wissenschaftsziele und Methoden des Fachs: So konkurrieren eine Vielzahl von Modellen zur Beschreibung von Betrieben, angefangen von verbalen Beschreibungen über mathematische Ansätze und graphische Darstellungen bis hin zu Planspielen, Fernsehshow- und Internet-Formaten. Zur Analyse betrieblicher Daten werden aufwändige Informationssysteme und statistische Verfahren entwickelt (Business Intelligence, Big Data). Eher standardisierte Beschreibungsmodelle fordern Handels- und Steuerrecht (Handelsrecht; Steuerrecht) für Buchhaltung (Doppik) und Jahresabschluss (Bilanz), teilweise auch die Vorgaben zur Kalkulation öffentlicher Aufträge oder für Betriebe in stark regulierten Wirtschaftszweigen (Gesundheits- und Sozialwirtschaft, Energie- und Infrastrukturversorgung).
Ebenso konkurrieren zahlreiche Ansätze um Erklärung und Prognose betrieblicher Sachverhalte. So gibt es zur Erklärung des Nachfrageverhaltens neben komparativ-statischen Preis-Absatz-Analysen und dynamischen Lebenszyklusmodellen auch verhaltens- und motivationstheoretisch geprägte Innovations-, Imitations- oder Distinktions-Hypothesen oder neurowissenschaftlich ausgerichtete Ansätze.
Besonders deutlich wird die methodische Breite der Betriebswirtschaft hinsichtlich des praktischen Wissenschaftsziels. Sie reicht von einfachen Faustregeln (etwa der „Goldenen Bilanzregel“) über visuelle Ampel-Verhaltenssteuerungen und 4-Felder-Matrizen mit Normstrategien (wie der Marktanteils-Marktwachstums-Matrix) bis hin zu Algorithmen und Heuristiken für komplexe nichtlineare und multikriterielle Optimierungsprobleme oder die Prinzipal-Agenten-Dynamik auf oligopolistischen Märkten.
2. Herausbildung des betriebswirtschaftlichen Fachverständnisses
Die BWL hat erst spät ein gemeinsames Fachverständnis entwickelt. Während durch die Scholastik kaufmännische Verhaltensweisen differenziert, aber vorwiegend unter ethischen Aspekten (Wirtschaftsethik; Unternehmensethik) analysiert wurden, erfolgte die fachliche Wissensbildung und -weitergabe – abgesehen von Ausnahmen wie Luca Pacioli (1468) oder später Jacques Savary (1675) – vorwiegend innerbetrieblich oder bei befreundeten Betrieben.
Praktisches Handelswissen (etwa bei Carl Günther Ludovici und Johann Michael Leuchs im 18. Jh.) wurde im Zuge der Trennung von Eigentum und Unternehmensleitung durch Bilanz- und erste Planungsrechnungen ergänzt. Für vorwiegend staatsnahe Betriebe geschah dies in den kontinentaleuropäischen berg-, land- und forstwirtschaftlichen Kameralwissenschaften (Kameralistik) des 18. Jh., für privatwirtschaftliche Industriebetriebe und Eisenbahnen durch Charles Babbage (1832) in den USA sowie verschiedene Handels- und Gewerbelehren in Deutschland. Aus diesen noch losen Wissenssammlungen kristallisierte sich auch in der Auseinandersetzung mit der Nationalökonomie zu Beginn des 20. Jh. ein eigenständiger Forschungs- und Lehrbereich der BWL heraus. Er zeigt sich in der institutionellen Verankerung durch Handels-Hochschulen (u. a. Leipzig 1898) oder Wirtschaftsuniversitäten (Wien 1898), eigenen Lehrstühlen oder Studiengängen und in der Klärung zentraler Fragen des wissenschaftsprofessionellen Selbstverständnisses in Methodenstreiten.
Dieser Prozess war durch gesellschaftliche Entwicklungen und Denkschulen geprägt. Dies gilt sowohl für die an Partikularinteressen ausgerichtete, dafür methodisch klare Privatwirtschaftslehre von Wilhelm Rieger als auch für die Wirtschaftslehre von Heinrich Nicklisch mit ihrem ethisch-normativen Gemeinwohlbegriff (Gemeinwohl). Eine wertneutrale Position postuliert Eugen Schmalenbach, der mit der Fachbezeichnung BWL auch als Forschungsschwerpunkt betont, „in welcher Weise ein wirtschaftlicher Erfolg mit möglichst geringer Aufwendung wirtschaftlicher Werte erreicht wird“ (Schmalenbach 1912; 1970: 496), unabhängig von den konkreten Interessen eines Eigentümers oder Unternehmers.
Trotz dieser Differenzen und ungeachtet der außergewöhnlichen wirtschaftlichen Herausforderungen (Hochinflation der frühen 20er Jahre, Weltwirtschaftskrise, Nationalsozialismus und Kriegswirtschaft) bildete sich ein geschlossenes Fachgebiet heraus, das von vielen Fachvertretern in seinen wesentlichen Teilen insgesamt vertreten werden konnte. Sichtbar wird dies auch in einem sehr breiten Publikationsspektrum der genannten und weiterer wegweisender Wissenschaftler, welches etwa bei Erich Gutenberg von Produktion über Finanzierung bis zum Absatz reichte, bei Erich Kosiol von Bilanz bis Organisation.
3. Differenzierung der Betriebswirtschaftslehre
Die personelle und fachliche Etablierung der BWL mündete in eine beträchtliche Ausdifferenzierung, Spezialisierung und Ausweitung seit den 1960er Jahren: Die Fokussierung bestimmter Inputs (z. B. Personal, Finanzen, Anlagen), Outputs (z. B. Bank, Versicherung, Industrie, Krankenhaus), Funktionen (z. B. Fertigung, Logistik, Informationswirtschaft), Führungsaufgaben (Planung und Kontrolle, Strategie, Controlling), Kooperationsformen (z. B. Netzwerke, Projekte, Prozesse) oder die Reaktion auf gesellschaftliche Themen (z. B. Umwelt, Risiko) resultierten in entsprechenden Spezial- oder „Bindestrich“-Betriebslehren.
Eine Ausweitung der BWL ergab sich aus der Öffnung gegenüber benachbarten Disziplinen (z. B. Soziologie, Psychologie), der internationalen Entwicklung oder gegenüber einer mikroökonomisch oder institutionenökonomisch geprägten Volkswirtschaft. Dies bot neue oder erweiterte Perspektiven auf betriebliche Sachverhalte und es ermöglichte methodische Weiterentwicklungen: statistische, algebraische, differentialanalytische und informationstechnische Methoden sowie empirische und experimentelle Methoden der Wirtschafts- und Sozialforschung wurden in den Kanon der BWL integriert, teilweise aber auch wieder daraus entlassen (z. B. kybernetische Methoden) oder unter anderen Bezeichnungen weitergeführt.
4. Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft
Die Diskussion um den Wissenschaftscharakter der BWL prägte bereits ihren ersten Methodenstreit zu Beginn des 20. Jh. In neuerer Form wurde sie insb. in den Fragen einer Rigor-Relevanz-Lücke oder der Evidenzbasierung des Managements vorangetrieben. Erstere dreht sich um den praktischen Nutzen abstrakter, insb. formal-mathematischer Modelle, letztere um die Möglichkeit der Ermittlung empirisch gehaltvoller, aussagekräftiger und verallgemeinerbarer Hypothesen sowie ihres anschließenden Einsatzes. In beiden Fällen geht es im Kern um das Problem, dass angesichts der komplexen Vielfalt von Handlungsmöglichkeiten und Handlungseinflüssen generelle Aussagen im konkreten Anwendungsfall nur begrenzt zutreffen. Verschärft wird dies dadurch, dass im betrieblichen Einzelfall gerade eine abweichende, regelbrechende Vorgehensweise vorteilhaft sein kann. Insofern besteht die Kunst der BWL darin, aus dem vorhandenen das nützliche Wissen herauszufiltern, um sich im Wettbewerb zu behaupten.
Literatur
K. Macharzina/J. Wolf: Unternehmensführung, 92015 • M. Schweitzer/M. Schweitzer: Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre, in: M. Schweitzer/A. Baumeister (Hg.): Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 112015, 1–46 • G. Frank/A. Kieser: Kann man Managementwissenschaft nach dem Muster der Evidenzbasierten Medizin betreiben? In: DBW 73/3 (2013), 167–181 • A. Kieser/L. Lehner: Kollaborative Managementforschung – Eine Brücke über den Rigor-Relevance Gap?, in: T. Wrona/G. Fandel (Hg.): Mixed Methods in der Managementforschung. ZfB 2010, Special Issue 5, 89–114 • G. Schanz: Wissenschaftsprogramme der Betriebswirtschaftslehre, in: F. X. Bea/B. Friedl/M. Schweitzer (Hg.): Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Bd. 1, 102009, 81–159 • D. Schneider: Betriebswirtschaftslehre, Bd. 4, 2001 • E. Kaufer: Spiegelungen wirtschaftlichen Denkens im Mittelalter, 1998 • E. Schmalenbach: Die Privatwirtschaftslehre als Kunstlehre. In: Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung 6 Jg. (1911/12), 304–316 • T. Veblen: The Theory of the Leisure Class, 1899.
Empfohlene Zitierweise
C. Werkmeister: Betriebswirtschaftslehre, Version 22.10.2019, 17:30 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Betriebswirtschaftslehre (abgerufen: 22.11.2024)