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Version vom 15. August 2021, 11:51 Uhr
I. Politikwissenschaftlich
Abschnitt druckenPolitische P. ist zentrales Wesensmerkmal einer Demokratie und wesentliche Grundlage für die Legitimität politscher Entscheidungen. Zusammen mit der Achtung normativer Standards eines zivilisierten gesellschaftlichen Zusammenlebens und einem geregelten politischen Wettbewerb macht politische Beteiligung der Bürgerschaft den Kern von Demokratie aus.
Der lateinische Begriff P. ist im urspr.en Wortsinne mit „Teil-Nehmen an einem Ganzen“ oder frei mit „Beteiligung“ zu übersetzen. Unter „politische P.“ fällt dementsprechend eine Vielzahl unterschiedlicher Formen der Teilhabe an politischen und administrativen Prozessen. Das Spektrum reicht von (direkt-)demokratischen Mitwirkungsrechten der Bürgerschaft über deren Aktivitäten in politischen Parteien und Ämtern sowie die Teilnahme an Wahlen bis hin zur inhaltlichen Beeinflussung von Prozessen der Politikgestaltung. Im Übrigen haben auch organisierte Interessengruppen und Expertisen aus sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen großen Einfluss auf politische Entscheidungen und partizipieren in diesem Sinne politisch.
Im demokratietheoretischen Diskurs haben sich aufgrund der enormen Breite des Begriffs engere Verständnisse etabliert, die sich vorrangig auf die Bürger beschränken. Dann wird politische P. mit dem Begriff der Bürgerbeteiligung gleichgesetzt, also mit jenen „Handlungen und Verhaltensweisen, die Bürger freiwillig und mit dem Ziel verfolgen, Entscheidungen auf den verschiedenen Ebenen des politisch-administrativen Systems zu beeinflussen“ (Kaase 2009: 495).
1. Partizipation als demokratisches Paradigma
Obwohl die politische P. ein zentrales Element der meisten Demokratiekonzeptionen ist, wird ihre Bedeutung in den mannigfachen Strömungen der Demokratietheorie sehr unterschiedlich eingeschätzt. Eine bes. und umfassende Betonung erfährt die politische P. in den sog.en beteiligungszentrierten Demokratietheorien. Diese stellen Gegenentwürfe zu klassischen (insb. elektoralen, korporatistischen und elitistischen) Demokratietheorien dar, welche die gegenwärtige institutionelle Ausgestaltungsform moderner Demokratien stark prägen. Beteiligungszentrierte Demokratietheorien bemängeln die vielfach fehlenden Möglichkeiten der breiten Bevölkerung zur tatsächlichen inhaltlichen Mitwirkung in Entscheidungsfindungsprozessen und verorten darin die Ursache akuter Krisensymptome, etwa von politischer Apathie, Vertrauensverlusten in demokratische Institutionen und wachsender Unzufriedenheit mit politischen Entscheidungen. Solche Theorien argumentieren, dass die Legitimation politischer Entscheidungen anhand des etablierten demokratischen Instrumentariums (Wahlen, Repräsentationsprinzip, verfasste Rechte etc.) nicht ausreichend gewährleistet wird.
Eine partizipatorische Lesart dieser beteiligungszentrierten Betrachtung rückt die Input-Seite des politischen Prozesses in den Vordergrund: Jede (qualitative oder quantitative) Ausweitung von Beteiligungsmöglichkeiten, die zu einer wirkungsvollen Einflussnahme oder zur (un-)mittelbaren Beteiligung an Entscheidungen führt, erhöhe die Beteiligungsgerechtigkeit und wäre deshalb ein demokratischer Zugewinn. Plädiert wird deshalb für die „Beteiligung möglichst vieler über möglichst vieles, und zwar im Sinne von Teilnehmen, Teilhaben und seinen-Teil-geben einerseits und innerer Anteilnahme am Geschehen und Schicksal eines Gemeinwesens“ (Schmidt 2010: 236).
Der demokratietheoretische Diskurs um politische P. wird mittlerweile aber stärker noch von einem deliberativen Demokratieverständnis dominiert, das jenen inhaltlichen Aushandlungs- und Argumentationsprozessen, aus denen politische Entscheidungen hervorgehen, eine zentrale Bedeutung zumisst. Der Fokus rückt gewissermaßen weg von den demokratischen Funktionen der Interessenaggregation und Mehrheitsfindung und hin zur „Inputseite“ der Entscheidungsfindungsprozesse und zu deren Qualitäten. Politische P. muss nach dieser Lesart nicht nur auf indirekt-abstrakter Ebene (z. B. durch Stimmabgabe oder Wahlen) möglich sein, sondern hat vorrangig die tatsächliche inhaltliche Mitsprache der Bürgerschaft zu bewerkstelligen. Dabei wäre die Sicherung einer möglichst hohen, an den Zielen und Zwecken der Beteiligung ausgerichteten Prozessqualität ausschlaggebend.
2. Formen und Formate
Die unterschiedlichen Formen und Formate politischer P., die in der demokratischen Praxis zur Anwendung kommen, werden oft als konventionelle (verfasste, gesetzlich garantierte und geregelte) und unkonventionelle (nicht verfasste) Formen der politischen P. unterschieden. Zu den konventionellen Mitwirkungsrechten zählen neben der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts solche Bürgerbeteiligungsprozesse, die im Rahmen des Verwaltungshandelns vorgeschrieben und geregelt sind. Aber auch Formen der direkten Demokratie sind in Deutschland auf kommunaler Ebene und in den Ländern umfangreich institutionalisiert: In Form von Volksinitiativen, Volksanträgen, Volksbegehren, Volksentscheiden sowie obligatorischen und fakultativen Referenden haben die Bürger hier durchaus weitreichende Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen (Plebiszit).
Zu den unkonventionellen Formen der politischen P. werden klassischerweise Formen des bürgerschaftlichen Protestes gezählt, der sich bspw. in Form von Demonstrationen, Petitionen oder Streiks manifestiert. Seit einigen Jahren ist eine rasante Entwicklung innovativer Beteiligungsformen zu beobachten, welche die Vielfalt der unkonventionellen Bürgerbeteiligung enorm erweitert haben. Mittels ausgefeilter Prozessdesigns versuchen diese quasi-deliberative Diskursräume zu schaffen und z. B. konsultative Funktionen zu erfüllen. Als Bürgerräte, Bürgergutachten, Citizens’ Assemblies und vieles mehr haben diese Verfahren zwischenzeitlich international auf sämtlichen politischen Ebenen Anwendungen erfahren. Immer öfter werden einzelne Verfahren – bzw. die Möglichkeit zur Nutzung einer Vielzahl unterschiedlicher Bürgerbeteiligungsformen – bei erfolgreicher Nutzung institutionalisiert und damit längerfristig in das Demokratiegefüge integriert.
Während in der Vergangenheit unter unkonventionellen Formen der Bürgerbeteiligung vorrangig konfrontative Strategien der politischen Einflussnahme subsumiert wurden, die sich gegen staatliches Handeln in einer bestimmten Sache richteten, werden neue Formen der Bürgerbeteiligung oft gemeinsam von zivilgesellschaftlichen (Zivilgesellschaft) und staatlichen Akteuren initiiert. Zur Motivation, die zur Nutzung dieser Verfahren führen, gehört oft die Absicht, eine perspektivenübergreifende Ko-Kreation politischer Handlungsalternativen zu ermöglichen, um auf diese Weise die inhaltliche Qualität von Entscheidungen zu steigern. Auf einer sekundären Wirkungsebene wird zudem von einer Weiterentwicklung und Stärkung der demokratischen Kultur sowie der Entwicklung individueller „demokratischer Fähigkeiten“ ausgegangen.
Literatur
P. Nanz/C. Leggewie: Die Konsultative. Mehr Demokratie durch Bürgerbeteiligung, 2016 • P. Nanz/M. Fritsche: Hdb. Bürgerbeteiligung. Verfahren und Akteure, Chancen und Grenzen, 2012 • C. Pateman: Participatory Democracy Revisited, in: Perspectives on Politics 10/1 (2012), 7–19 • C. Eder: Direkte Demokratie auf subnationaler Ebene, 2010 • M. G. Schmidt: Demokratietheorien, 52010 • M. Kaase: Politische Beteiligung/Politische Partizipation, in: U. Andersen (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, 62009, 495–500 • T. Meyer: Was ist Demokratie?, 2009 • R. E. Goodin: Innovating Democracy. Democratic Theory and Practice after the Deliberative Turn, 2008 • M. E. Warren/H. Pearse: Designing Deliberative Democracy. The British Columbia Citizens’ Assembly, 2008 • S. W. Rosenberg (Hg.): Deliberation, Participation and Democracy. Can the People Govern?, 2007 • B. R. Barber: Strong Democracy. Participatory Politics for a New Age, 202003 • A. Fung/E. O. Wright/R. Abers: Deepening Democracy. Institutional Innovations in Empowered Participatory Governance, 2003 • J. S. Dryzek: Deliberative Democracy and Beyond. Liberals, Critics, Contestations, 2000 • G. Smith/C. Wales: Citizens’ Juries and Deliberative Democracy, in: PS 48/1 (2000), 51–65 • P. Bachrach/A. Botwinick: Power and Empowerment. A Radical Theory of Participatory Democracy, 1992 • C. Offe: Korporatismus als System nichtstaatlicher Makrosteuerung?, in: GuG 10/2 (1984), 234–256 • S. Barnes/M. Kaase (Hg.): Political Action. Mass Participation in Five Western Democracies, 1979 • R. A. Dahl: Polyarchy: Participation and Opposition, 1973.
Empfohlene Zitierweise
P. Nanz, D. Oppold: Partizipation, I. Politikwissenschaftlich, Version 14.08.2021, 13:00 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Partizipation (abgerufen: 25.11.2024)
II. Rechtswissenschaftlich
Abschnitt drucken1. Begriff der Kategorie
P. im Rechtssinne meint die rechtlich institutionalisierte Beteiligung nicht staatlicher Akteure an staatlichen Entscheidungsverfahren. Im Mittelpunkt stehen verwaltungsbehördliche Verfahren. Der klassische Fall ist das Recht eines jeden, vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in seine subjektiven Rechte eingreift, angehört zu werden (§ 28 VwVfG). V. a. aber sind hier die Rechte der weiteren Öffentlichkeit (Einzelne, Gruppen, Verbände) angesprochen, sich auch ohne eigene Rechtsbetroffenheit mit Stellungnahmen in Verwaltungsverfahren einzubringen, die der Entscheidung über die Zulassung raumbedeutsamer und/oder umweltrelevanter Vorhaben (z. B. betriebliche Großanlagen, Infrastrukturprojekte) dienen oder auf die Aufstellung bzw. Änderung entspr. bedeutsamer Pläne oder Programme (z. B. Raumordnungs-, Bebauungs-, Verkehrswege-, Luftreinhaltepläne) gerichtet sind. Insoweit hat sich der Terminus „Öffentlichkeitsbeteiligung“ eingebürgert. Im Übrigen erfasst die – insgesamt uneinheitliche – Begriffsverwendung auch formalisierte Mitwirkungsformen in den Bereichen von Gesetzgebung und Rechtsprechung, wie z. B. die Votierung von Regelungsvorhaben durch parlamentsnahe Gremien der Zivilgesellschaft oder die Mitwirkung von Laienrichtern (Schöffen und ähnliche) in der staatlichen Gerichtsbarkeit. Auch das allg.e Petitionsrecht, der Informationsanspruch gegen Behörden und der speziell auf parlamentarische Behandlung abzielende Bürgerantrag (auch: Volks- oder Bürgerinitiative) können hierher gezählt werden. Abzugrenzen ist die P. indessen von der Teilhabe an den vom (Gesamt-)Volk als Subjekt der staatlichen Demokratie unmittelbar bewirkten Entscheidungen, wie der Parlamentswahl oder dem Volksentscheid (Plebiszit). Gleiches gilt für die grundrechtlich verbürgte (Meinungs-, Versammlungs-, Vereinigungsfreiheit) Teilnahme am Volkswillensbildungsprozess außerhalb formalisierter Verfahren, mögen dazu auch staatlicherseits themenbezogene Diskussionsforen o. ä. (etwa auf Internetseiten) bereitgestellt sein.
2. Formenvielfalt
Die einschlägigen Regelungen zur P. an Verwaltungsentscheidungen weisen ein breites Spektrum unterschiedlicher P.s-Formen auf. Die Vielfalt erklärt sich aus dem Gestaltungsspielraum, der dem Gesetzgeber in diesem Bereich – jenseits bindender europa- bzw. internationalrechtlicher Vorgaben und verfassungsrechtlicher P.s-Gebote – zusteht. Je nach formalem Bezugsgegenstand (Projekt, Plan, Rechtsvorschrift), materieller Fragestellung (Umweltauswirkungen, andere Belangbetroffenheiten) und verfolgtem Beteiligungszweck variiert nicht nur der zu beteiligende Personenkreis (uneingeschränkte Popular- oder engere Interessen- oder Betroffenenbeteiligung, Verbände-, Gremien- oder Jedermannbeteiligung). Wechselnde Regelungen finden sich auch zu den Zeitpunkten der Beteiligung (frühzeitig, inmitten, nachlaufend) und deren Häufigkeit (einmalig, mehrphasig), zu den Beteiligungsmitteln und -medien (mündlich, schriftlich, elektronisch, internetbasiert) sowie zur Intensität der Beteiligung: bloße Information einer insofern rezeptiven Öffentlichkeit (Bekanntmachung von Unterlagen) oder, im Dienste einer aktiven Öffentlichkeitsbeteiligung, daran anschließende Konsultation im Wege von Anhörungen (Stellungnahmen, Einwendungen) oder noch weitergehenden Erörterungsterminen. Auch hinsichtlich der Regelung von Frist- und Formerfordernissen sowie von Fehlerfolgen ist das Beteiligungsverfahren mal mehr, mal weniger anspruchsvoll ausgestaltet.
3. Funktionen und Grenzen
Partizipative Verfahrensrechte suchen zur Legitimierung staatlicher Entscheidungsprozesse und ihrer Ergebnisse beizutragen. Doch in normativer Hinsicht bedürfen die Funktionen, die P. erfüllen soll, einer differenzierten Wahrnehmung. So vermag eine Bürger- oder Öffentlichkeitsbeteiligung allemal keine demokratische Legitimation im Dienste der Volkssouveränität (Art. 20 Abs. 2 GG) zu bewirken, weil durch sie nicht das „Volk“ repräsentiert wird, von dem alle Staatsgewalt (Staat) auszugehen hat. Die Kommunikationsleistungen der P. unterstützen jedoch als „weichere“ Effekte die Sinnstiftung der Demokratie, indem von ihnen eine höhere Transparenz und Akzeptanz staatlicher Entscheidungen, eine Pluralisierung der durch sie berührten Belange und Interessen, insgesamt eine verringerte Distanz und gesteigerte Responsivität im Bürger-Staat-Verhältnis erwartet werden können. Demgegenüber lassen sich eine Reihe genuin rechtsstaatlicher P.s-Funktionen ausmachen. Abgesehen von Geboten einer Minimal-P., wie sie zumal für die Fälle subjektiver Rechtsbetroffenheit bestehen, zeigt sich dabei die Idee der Kompensation bes. dort als maßgebend, wo die (planende) Verwaltung gesetzlich nur schwach determiniert ist. Partizipative Verfahrensrechte erfüllen hier vielfältige grundrechtssichernde Funktionen, wie die Gewährung vorverlagerten Rechtsschutzes gegen die Gefahr von Überraschungsentscheidungen und die Offenhaltung administrativer Entscheidungsspielräume gegen einseitige Vereinnahmungen durch den Vorhabenträger. Öffentlichkeitsbeteiligung dient zudem der Rationalisierung und der Kontrolle der Verwaltung. Ihre diskursiven Leistungen erweitern die relevante Informationsbasis und generieren damit entscheidungserhebliches Abwägungsmaterial, reduzieren Komplexität und absorbieren dadurch Unsicherheit, hinterfragen die Recht- und die Zweckmäßigkeit des Gesetzesvollzugs und steigern so die Begründungsqualität der Verwaltungsentscheidungen.
All diese Funktionen vermag P. jedoch nur zu erfüllen, wenn sie möglichst früh (vgl. § 25 Abs. 3 VwVfG), jedenfalls in einem ergebnisoffenen Verfahrensstadium einsetzt. Zugl. muss das P.s-Verfahrensrecht für ein ausgewogenes und (sach-)gerechtes Beteiligungsgeschehen sorgen. Das oppositionelle Potential der Öffentlichkeitsbeteiligung muss vor übermächtigen Akteurseinflüssen ebenso bewahrt wie mit den Realisierungsinteressen des Projekt- oder Planträgers in Balance gehalten werden. Nur schwach oder nicht artikulierte sowie materiell übergreifende (Gemeinwohl-)Belange müssen ebenso berücksichtigungsfähig bleiben wie Bedürfnisse der Verfahrensbeschleunigung. Die Behörde darf nicht in eine Konfliktsituation geraten, in der ihre Verfahrenshoheit und Letztentscheidungsbefugnis nicht mehr gewährleistet sind. Grenzen der P. können sich schließlich aus grundrechtlichen P.s-Verboten ergeben, wie v. a. aus dem Schutz der Persönlichkeit oder betrieblicher Geheimnisse vor ungewollter Publizität.
Literatur
A. Guckelberger: Formen von Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, in: VerwArch 103/1 (2012), 31–62 • T. Mann: Großvorhaben als Herausforderung für den demokratischen Staat, in: VVDStRL, Bd. 72 (2012), 544–593 • J. Ziekow: Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, 2012 • K. F. Gärditz: Angemessene Öffentlichkeitsbeteiligung bei Infrastrukturplanungen als Herausforderungen an das Verwaltungsrecht im demokratischen Rechtsstaat, in: GewArch 7–8 (2011), 273–279 • P. Lerche/W. Schmitt Glaeser/E. Schmidt-Aßmann: Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984 • W. Blümel: „Demokratisierung der Planung“ oder rechtsstaatliche Planung?, in: R. Schnur (Hg.): FS für Ernst Forsthoff, 1974, 9–36 • W. Schmitt Glaeser: Partizipation an Verwaltungsentscheidungen, in: VVDStRL, Bd. 31 (1973), 179–265.
Empfohlene Zitierweise
H. Horn: Partizipation, II. Rechtswissenschaftlich, Version 14.08.2021, 13:00 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Partizipation (abgerufen: 25.11.2024)
III. Theologisch
Abschnitt druckenHistorisch ist für lange Zeit eine Kongruenz der christlichen und der sozialen Gesellschaft zu konstatieren. Von daher ist die Frage nach der P. der unterschiedlichen Mitglieder der christlichen Gesellschaft im Christentum tief verankert. Im Kern geht es um eine breite Beteiligung aller Christgläubigen an den Grundvollzügen der Kirche und den dafür notwendigen Entscheidungen. Bestätigung findet sich in der kirchlichen Rechtsgeschichte, die die Grundregel bereit hält, entwickelt aus dem justinianischen Recht (Cod. 5,95,5), dass nach Möglichkeit das, was alle angeht, von allen beraten und nach Möglichkeit entschieden/bestätigt werden soll („Quod omnes tangit debet ab omnibus tractari et approbari debet“: Liber Sextus Regula XXIX). Dieses Prinzip steht rechtstheoretisch und theologisch in dem Spannungsdreieck zwischen dem Aspekt der Legitimität einer Entscheidung, der strittigen Frage von Mehrheitsentscheidungen in religiösen Belangen und der Mitverantwortung aller Gläubigen i. S. d. in der Taufwürde grundgelegten Gleichheit. Zusammengenommen ist P. theologisch als gemeinsames Bemühen zu verstehen, dem Willen Gottes mehr Raum zu geben, dessen Geist nicht nur den Hirten gegeben ist.
In der Kirchenkonstitution LG 10–12 werden alle Gläubigen aufgrund der Wiedergeburt in Christus (Taufe) sakramental ermächtigt, auf je eigene Weise (suo modo) am Sendungsauftrag der Kirche mitzuwirken in Ausübung des gemeinsamen Priestertums aller Gläubigen (can. 204 CIC). Diese Mitwirkungsrechte beziehen sich auf die munera des Lehrens (docendi), Heiligens (sanctificandi) und Leitens (regendi). Die Konzilsväter beziehen sich hier auf die drei Ämter Christi als König, Priester und Prophet. Dabei ist zu beachten, dass diese Mitwirkung je nach Stand (Kleriker [ Klerus ], Laie) und Amt (Papst, Bischöfe) unterschiedlich in der Form der tria munera ausgeprägt und mit verschiedenen Zuständigkeiten verbunden ist. P. meint von daher nicht gleiche Rechte und Pflichten für alle Gläubigen i. S. einer egalitär verstandenen Beteiligungsgerechtigkeit, wohl aber unter Achtung der auch sakramental unterschiedlich begründeten Aufgaben und Ämter gemeinsam wahrgenommene Verantwortung für die Weitergabe des Glaubens. Dabei kann man sich nicht damit begnügen, gesellschaftliche Demokratievorstellungen, verfassungsmäßige Demokratieforderungen und politische Demokratiemodelle (Demokratie, Demokratietheorien) einfach zu übernehmen; vielmehr müssen eigene kirchliche und theologisch begründete Modelle entwickelt werden.
Was den Bereich des Lehrens (Verkündigung i. S. d. Evangelisierung der Welt; can. 211 CIC) und P. angeht, besitzen einerseits Papst und Bischöfe Unfehlbarkeit im Lehramt (can. 749 CIC), andererseits kann das ganze Volk Gottes im Glauben nicht irren (sensus fidei, Glaubenssinn, LG 12; leider nur fragmentarisch rezipiert in can. 750 § 1 CIC) und leistet so einen essentiellen Beitrag zur Bewahrung des Glaubens.
Im Bereich des Heiligungsdienstes (Liturgie) kommt die P. aller Gläubigen in der in SC 11, 14 und 21 entwickelten participatio actuosa zum Ausdruck, die entgegen verschiedenen nachkonziliaren Fehlentwicklungen i. S. größtmöglicher aktiver Mitwirkung aller Gläubiger in der Liturgie doch eher liturgietheologisch Teilhabe am Heilshandeln Gottes (actio) „in diesem betenden Zugehen“ meint, bei der es „keinen Unterschied zwischen Priestern und Laien“ (Ratzinger 2000: 149) gibt. Alle anderen Gläubigen werden daher zu einem heiligmäßigen Leben verpflichtet (can. 210 CIC).
Für den Leitungsdienst sieht das Bild der P. vielfältiger und komplexer aus. Einerseits sind zur Übernahme von Leitungsgewalt nur die befähigt, die die Weihe empfangen haben (can. 129 § 1 CIC), andererseits können Laien bei der Ausübung dieser Gewalt nach Maßgabe des Rechts mitwirken (can. 129 § 2 CIC). Da nach der Reform des Eheprozessrechts (Papst Franziskus, MP Mitis Iudex dominus Iesus, 15.8.2015) Laien als Richter mehrheitlich in einem Dreierkolleg judizieren können, gibt es nach kirchlichem Recht Ämter (officia), die mit Jurisdiktionsgewalt verbunden sind und allen Gläubigen offen stehen (Beispiele: Diözesanökonom, Notar, Kanzler). Zudem können Laien mit der Ausübung von Jurisdiktionsgewalt im Wege der Delegation betraut werden.
Nicht minder wichtig ist in diesem Feld die P. in Formen der qualifizierten Beratung der Bischöfe durch die Gläubigen, die bis dahin gehen kann, dass ein Oberer, bevor er einen Rechtsakt setzen kann, nicht nur das Votum, sondern auch die Zustimmung eines entspr.en Rates einholen muss (can. 127 § 1 CIC), damit dieser rechtsgültig ist. Diese Form der P. ist eng verbunden mit dem ekklesiologischen Prinzip der Synodalität, des gemeinsam Gehens auf dem Weg. P. ist so z. B. auf einer Diözesansynode (cann. 460–468 CIC) vorgesehen, bei der dessen Teilnehmer beratendes Stimmrecht haben und der Diözesanbischof die Beratungsgegenstände festlegt und die eventuell gefassten Beschlüsse nach entspr.er Prüfung in Kraft setzt. Zu den synodalen Beratungsorganen auf Diözesanebene sind weiterhin der Diözesanpastoralrat (cann. 511–514 CIC), der Priesterrat (cann. 495–502 CIC) und weitere partikularrechtlich normierte Beratungsorgane des Diözesanbischofs zu zählen. Auf der Ebene der Pfarrei existieren der pfarrliche Pastoralrat (can. 536 CIC) und Vermögensrat (can. 537 CIC) als Beratungsorgane des Pfarrers als institutionelle Formen der P.
Auf universalkirchlicher Ebene hingegen ist nur vorgesehen, dass Laien als Gäste auf Ökumenischen Konzilien oder Bischofssynoden ohne Stimmrecht, z. T. auch ohne Rederecht, nach Entscheidung des Papstes teilnehmen können. Zum anderen wird P. auf universalkirchlicher Ebene mit dem Schlagwort der bischöflichen Kollegialität als Verbindungsglied zwischen den höchsten kirchlichen Gewalten, dem Papst und dem Bischofskollegium, verbunden. Ausdruck der bischöflichen Kollegialität sind in unterschiedlicher Weise (effektiv/affektiv) das Konzil, die Bischofssynode (Synode) und die Bischofskonferenzen. Angesichts der Forderung von Papst Franziskus nach einer stärkeren Dezentralisierung kirchlicher Entscheidungsprozesse in der Umsetzung des ekklesiologischen Prinzips der Subsidiarität, die im Ergebnis die Teilkirchen und ihre Zusammenschlüsse stärkt, können die auf dieser Ebene angesiedelten Beratungsorgane wesentliche Beiträge der Gläubigen als Ausdruck ihrer geistgewirkten P. leisten.
Literatur
E. Kröger: Wie lernt Kirche Partizipation?, 2016 • T. Schüller/T. Neumann: Demokratie und Wahrheit. Entscheidungsprozesse in der Kirche aus kanonistischer Perspektive, in: ZevKR 60/3 (2015), 265–293 • J. Ratzinger: Der Geist der Liturgie, 2000.
Empfohlene Zitierweise
T. Schüller: Partizipation, III. Theologisch, Version 14.08.2021, 13:00 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Partizipation (abgerufen: 25.11.2024)